Lange galt der Pilz Nematostoma parasiticum (Syn. Herpotrichia parasitica) über viele Jahre als Urheber der "Nadelbräune der Tanne". In jüngerer Zeit sind vermehrt Zweifel an Robert Hartigs (1848) Darstellung geäußert worden. Nachfolgend wird die pathogene Bedeutung des tatsächlichen Erregers, einer Rhizoctonia-Art, bestätigt und durch den Nachweis der zugehörigen Hauptfruchtform erhärtet. Herpotrichia parasitica selbst wird im Nadelbräune-Komplex der Tanne als Hyperparasit interpretiert.

Seit über 130 Jahren ist in der forstlichen Literatur ein Pilz bekannt, der bis heute uneingeschränkt als Urheber der "Nadelbräune der Tanne" angesehen wird. Es handelt sich um den Ascomyceten Nematostoma parasiticum (R. Hartig) M. E. Barr, besser bekannt unter dem Namen Herpotrichia parasitica (R. Hartig) E. Rostrup. Beschrieben wurde der Pilz erstmals von Robert Hartig (1884) unter dem Synonym Trichosphaeria parasitica. Gleichzeitig gibt er eine ausführliche Darstellung des vermeintlich zugehörigen Krankheitsbildes.

Die forstpathologische Bedeutung des Pilzes ist in den folgenden Jahren von anderen Autoren widerspruchslos übernommen worden. So werden die Angaben über "den neuen Parasit und sein Krankheitsbild" zunächst von v. Tubeuf (1895) bestätigt. 1924 erscheint der Pilz in Negers Lehrbuch über "Die Krankheiten unserer Waldbäume" als Erreger der inzwischen etablierten Baumkrankheit. Auch in der ausführlichen Arbeit von Freyer (1976) wird die Rolle von H. parasitica als Erreger der Tannennadelbräune beibehalten, obwohl hier erste Ansätze für eine kritische Nachprüfung der bisherigen Darstellung zu finden sind.

Damit hat sich im Lauf der Zeit eine allgemeine Akzeptanz der "Herpotrichia-Nadelbräune" manifestiert, was sich auch heute noch in der Fachliteratur über Baumkrankheiten widerspiegelt (Peace 1962, Holdenrieder 1993/94, Cech 1995, Hartmann et al. 2007, Butin 2011b).

Erste Zweifel

Die Akzeptanz von H. parasitica als Erreger der Tannennadelbräune änderte sich erst dann, als aus Nadeln mit typischen "Herpotrichia-Symptomen" immer wieder Rhizoctonia-artiges Myzel isoliert wurde (Reeser et al. 2001, Kowalski und Andruch 2010). Auf der anderen Seite konnte in abgestorbenen Nadeln nur sehr vereinzelt H. parasitica nachgewiesen werden (Kowalski und Andruch 2012). Von Hartmann et al. (2007) wird H. parasitica als Verursacher von Nadelverlusten zwar noch angegeben, gleichzeitig erfolgt aber der Hinweis auf eine mögliche Verwechslung mit Rhizoctonia.

Die endgültige Aufgabe von Hartigs Interpretation wurde von Reeser et al. (2001) vollzogen, indem als Ursache der "web-blight" ein binuclearer Rhizoctonia-ähnlicher Pilz angeben wird, ohne das "Herpotrichia-Phantom" überhaupt noch in Betracht zu ziehen. Hierbei kommen die Autoren der Lösung des Problems schon sehr nahe, indem sie schreiben: "DNA-analysis suggest that the Douglas fir and true fir web-blight fungus belongs in the genus Ceratobasidium" (nach heutiger Taxonomie = Rhizoctonia; siehe Oberwinkler et al. 2013). Pehl et al. (2003) sprechen schließlich bei einem Befall von Weihnachtsbäumen nur noch von einem "Rhizoctonia-Nadelsterben".

Rhizoctonia - der neue Krankheitserreger

In den Jahren zwischen 2010 und 2013 sind von uns Untersuchungen über das Vorkommen der Tannennadelbräune im Bayerischen Wald sowie in der Umgebung von Seefeld/Tirol durchgeführt worden, ausgehend von dem bekannten Krankheitsbild an der Weißtanne (Abbildung 1).

Die an zahlreichen Proben durchgeführten Untersuchungen haben zunächst die neueren Literaturangaben über den pathogenen Charakter der in vegetativer Form auftretenden Rhizoctonia bestätigen können.

Das wichtigste Resultat war jedoch das Auffinden der experimentell nachgewiesenen, zugehörigen Hauptfruchtform (Teleomorphe), die jetzt zur taxonomischen Klärung des Tannennadelpilzes herangezogen werden kann. Bei einem ersten Vergleich mit der kürzlich von Oberwinkler et al. (2013) beschriebenen, allerdings auf der Fichte vorkommenden Rhizoctonia butinii lassen sich zwar Ähnlichkeiten im pathogenen Verhalten sowie in morphologischen Merkmalen erkennen.

Die an den Basidien und Basidiosporen gewonnenen Daten sprechen allerdings eher für eine separate Behandlung des Pilzes. Wir möchten daher die auf der Tanne vorkommende Rhizoctonia vorerst als "Tannen-Rhizoctonia" bezeichnen. Eine ausführliche Beschreibung und taxonomische Bewertung dieses Pilzes ist in Vorbereitung.

Herpotrichia parasitica – ein Hyperparasit

Wenn wir davon ausgehen, dass die Nadelbräune der Tanne durch die "Tannen-Rhizoctonia" und nicht durch H. parasitica verursacht wird, stellt sich die Frage nach der Rolle letzterer Art, die ja tatsächlich existiert und gelegentlich auf abgestorbenen Tannennadeln nachgewiesen werden kann. Die Antwort können folgende Beobachtungen geben.

Zunächst liegt es nahe, H. parasitica, wenn diese schon nicht als unmittelbarer Nadelparasit auftritt, als Saprobionten einzustufen. Gegen eine saprophytische Lebensweise spricht jedoch der geringe Prozentsatz isolierter Myzelien aus abgestorbenen, braunen Nadeln (Kowalski und Andruch 2012). Wir haben daher vermutet, dass H. parasitica ausschließlich oder überwiegend auf der Nadeloberfläche vorkommt. Diese Schlussfolgerung basiert auf der Beobachtung, dass man die Perithezien von H. parasitica immer nur auf den hellbräunlichen Myzelmatten von Rhizoctonia findet, d.h. H. parasitica kommt nur auf solchen Nadeln vor, die auch von der "Tannen-Rhizoctonia"befallen sind. Das enge Beieinander zweier verschiedener Pilze ist auch der eigentliche Grund für die falschen Rückschlüsse Robert Hartigs (1884), einschließlich aller weiteren, gleichlautenden Literaturangaben.

Die Differenzierung beider Pilze sowie ihre Beziehungen zueinander lassen sich bereits unmittelbar am Objekt an Hand ihrer Myzelien durchführen: Untersucht man mikroskopisch die Pilzhyphen in der Umgebung von Herpotrichia-Fruchtkörpern, so findet man sowohl 4-6 µm starke Rhizoctonia-Myzelien als auch die nur 2-3 µm dicken Pilzfäden von H. parasitica, wobei die dünneren Myzelien nicht selten die dickeren Rhizoctonia-Hyphen umspinnen oder sich direkt an diese anlegen. Auch findet man im Bereich der Herpotrichia-Fruchtkörper auffallend viele kollabierte, offenbar parasitierte Rhizoctonia-Hyphen.

Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass H. parasitica im Nadelbräune-Komplex der Tanne die Rolle eines Hyperparasiten übernimmt. Nach den bisherigen Beobachtungen ist das Vorkommen des Hyperparasiten auf die Tanne beschränkt. Fundangaben auf der Fichte liegen bisher nicht vor. Mit dieser neuen Interpretation über die Rollenverteilung beider Pilzarten lässt sich im Übrigen auch die Artbezeichnung "parasitica" neu definieren, denn der pathogene Charakter von H. parasitica bleibt sinngemäß – wenn auch in anderer Wirtsbeziehung – erhalten.

Auf Grund der vorliegenden Ergebnisse wird vorgeschlagen, den inkorrekten Namen "Herpotrichia-Nadelbräune" aufzugeben und an seine Stelle "Rhizoctonia-Nadelbräune der Tanne" zu setzen.

Originalartikel mit Literaturverzeichnis

Kontakt

Prof. Dr. Heinz Butin, Am Roten Amte 1 H, 38302 Wolfenbüttel, Deutschland, ehem. Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Institut für Pflanzenschutz im Forst, 38104 Braunschweig, Deutschland, E-Mail: bh.schoeber-butin@t-online.de