Der Buchdrucker (Ips typographus, Abb. 1) ist ein fester Bestandteil jedes Waldes mit Fichten und besiedelt normalerweise stark geschwächte oder frisch abgestorbene Bäume. Der laufende Klimawandel verändert das Umfeld sowohl für den Wirtsbaum Fichte als auch für den Buchdrucker. Steigende Temperaturen führen zu einem höheren Wasserbedarf. Mit der gleichzeitig prognostizierten Abnahme der Sommer-Niederschläge wird dies vermehrt zu Trockenstress der Wirtsbäume führen, was wiederum die Anfälligkeit der Fichten für Borkenkäferbefall erhöht

Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL die Populationsentwicklung des Buchdruckers und die Befallsprädisposition (Anfälligkeit für einen Befall) für verschiedene Klimaszenarien modelliert. Die Modellrechnungen geben Hinweise darauf, wie sich die Befallswahrscheinlichkeit von Fichten in verschiedenen Regionen der Schweiz in Zukunft entwickeln könnte.

Die verwendeten Modelle

Mit den verwendeten Modelle sollen Aussagen über die Veränderung der Gefährdungslage von Schweizer Wäldern durch den Buchdrucker unter Klimawandel gemacht werden. Zum einen verwendeten die Forscher ein Phänologiemodell zur Simulation der Käferentwicklung (Populationsdynamik, Generationsentwicklung und Flugverhalten). Weiter ermöglichte ein einfaches Bodenwasser-Haushaltsmodell die Berechnung des Trockenstresses der Fichte. Die zukünftige Verbreitung der Fichte wurde mit einem räumlich expliziten Waldmodell berechnet. Ein viertes Modell kam für die Berechnung der "Befalls-Anfälligkeit" aufgrund von Standorts- und Bestandesparametern zum Einsatz.

  1. Das Phänologiemodell simuliert die Entwicklung des Buchdruckers in Abhängigkeit von täglichen Temperaturdaten. Es berücksichtigt die relevanten Prozesse der Biologie des Buchdruckers und ermöglicht sowohl die Abschätzung der Anzahl Generationen pro Jahr als auch die relative Altersstruktur zu einem beliebigen Zeitpunkt des Jahres.
  2. Zur Berechnung der Trockenheit wurde ein einfachesBodenwasser-Haushaltsmodell verwendet. Grundlage des Modells ist ein Trockenindex, der auf täglichen Niederschlagswerten, Tages-Mitteltemperaturen, Hangneigung und Exposition sowie der nutzbaren Feldkapazität beruht.
  3. Die potentielle raumzeitliche Dynamik der Fichte im Wechselspiel mit den anderen Baumarten wurde mit dem Wald-LandschaftsmodellTreeMig simuliert. Dieses beschreibt die lokale Dynamik der Bäume von insgesamt 30 Arten basierend auf den Prozessen Etablierung, Wachstum, Mortalität und Lichtkonkurrenz, und die räumlichen Interaktionen durch die Samenproduktion und -verbreitung.
  4. Zur Abschätzung der Buchdrucker-Prädisposition wurde das Expertenmodell PAS (Predisposition Assessment System) angepasst. Es schätzt die Gefährdung eines Bestandes aufgrund verschiedener abiotischer und biotischer Faktoren.

Modellierung der Buchdrucker-Phänologie unter Klimawandel

Ein wichtiges Mass für die Gefährdung eines Standorts durch den Buchdrucker ist die Anzahl an Generationen, die dort pro Jahr erzeugen werden können. Sofern genügend geeignetes Brutmaterial vorhanden ist, vervielfacht sich die Populationsgrösse mit jeder weiteren Generation. Aus einem überwinterten Brutpaar können sich bei drei Generationen (ohne Geschwisterbruten) unter idealen Voraussetzungen über 30‘000 Käfer entwickeln (1. Gen. ≈ 50 Käfer, 2. Gen. ≈ 1250 Käfer bei 50 % Weibchenanteil).

a) Anzahl Generationen unter heutigem Klima

Unter dem heutigen Klima simuliert das Modell in einem durchschnittlich warmen Jahr im Mittelland und tiefergelegenen Lagen der Alpen zwei Generationen, in den Alpen und in Höhenlagen des Jura eine Generation (Abb. 2). In einem kalten Jahr kann sich, ausser in warmen Lagen des Mittellandes, schweizweit nur eine Generation entwickeln. Im Hitzejahr 2003 konnte in Teilen des Mittellandes eine dritte Generation angelegt werden. Lediglich in den hohen oder nordexponierten Lagen des Jura und der Alpen entwickelte sich gemäss Modell nur eine Generation.

b) Einfluss des Klimawandels auf die Generationenzahl

Die steigenden Temperaturen führen dazu, dass künftig mehr Generationen ausgebildet werden können als heute. Dies ist einerseits bedingt durch den früher im Jahr beginnenden Käferflug und anderseits durch die erhöhte Entwicklungsgeschwindigkeit der Jugendstadien. Vergleicht man die heutige Generationsverteilung in einem warmen, mittleren und kühlen Jahr mit entsprechenden Jahren am Ende dieses Jahrhunderts (A1B-Szenario), erkennt man in weiten Teilen der Schweiz eine Zunahme der Anzahl Generationen (Abb. 4). Eine Situation wie im Hitzejahr 2003 dürfte dann in einem durchschnittlichen Jahr zu erwarten sein. Selbst in kalten Jahren könnten sich bis in die Voralpen zwei Generationen entwickeln und in sehr warmen Jahren müssten schweizweit mit Ausnahme der hohen Lagen des Jura und der Alpen drei Generationen erwartet werden.

Die prognostizierte Anzahl Generationen hängt vom betrachteten Klimaszenario ab. Auch beim A2-Szenario, das von einer stetigen Emissionszunahme bis 2100 ausgeht, bleibt allerdings die Entwicklung einer vierten Generation bis Ende des Jahrhunderts unwahrscheinlich. Für alle Szenarien variiert der durchschnittliche Unterschied zwischen den betrachteten Zeiträumen in tiefen Lagen stärker als in höheren Lagen. Prognosen für tiefere Lagen sind also mit einer grösseren Unsicherheit behaftet.

c) Einfluss des Klimawandels auf das Schwärmverhalten

Infolge des unter Klimawandel zu erwartenden Temperaturanstiegs wird die Temperaturschwelle für den Käferflug von etwa 16.5°C früher im Jahr erreicht werden. Somit werden sich die Hauptflugphasen des Buchdruckers innerhalb des Jahres verschieben. Vor allem der Frühjahrsflug der überwinterten Käfer wird im Mittel früher beginnen. Im Vergleich zum heutigen Auftreten wird der Frühjahrsflug unter allen Klimaszenarien in der ersten Hälfte des Jahrhunderts im Mittel bis zu 10 Tage früher stattfinden. Steigen die Emissionen allerdings weiter an (A2-Szenario), ist mit einem 20–40 Tage früheren Käferflug zu rechnen. Generell wird die Verschiebung im Mittelland, den alpinen Tieflagen und dem Engadin geringer ausfallen als in der restlichen Schweiz, und in höheren Lagen wird sich Flugbeginn stärker verschieben als in tieferen Lagen.

d) Bedeutung von zusätzlichen Generationen

Die steigenden Temperaturen bewirken eine Zunahme der Anzahl Käfergenerationen, ein abnehmendes Frostrisiko und einen steigenden Trockenstress der Fichte. Eine im Modell simulierte Generationenzahl von beispielsweise 2.8 bedeutet, dass in 24 der simulierten 30 Jahre drei Generationen auftreten und in 6 Jahren nur zwei. Die zusätzlichen Käfergenerationen werden dazu führen, dass schneller eine kritische Populationsgrösse zur Besiedelung vitaler Bäume erreicht werden kann. Allerdings erhöht ein zu starker Populationsanstieg bei mangelnden Ressourcen die intraspezifische Konkurrenz, was wiederum das weitere Wachstum begrenzt.

Grundsätzlich bedeutet eine weitere, vollständige Generation in einem Gebiet einen weiteren Käferflug und damit ein zusätzliches Befallsereignis mit mehr Schadholz pro Jahr. Zwar dürften auch die natürlichen Gegenspieler des Buchdruckers von der generellen Temperaturerhöhung profitieren, allerdings lässt sich kaum abschätzen, wie sich die zeitliche Abstimmung der Generationen des Buchdruckers und seiner Antagonisten entwickelt.

Mitentscheidend ist die Mortalität angefangener, unvollständiger Generationen im Winter. Üblicherweise überwintert eine Population in ihrem kälteresistentesten Stadium, dem adulten Käfer. Allerdings kann auch in diesem Stadium rund die Hälfte der Käfer im Winter absterben. Wird eine Generation erst im Spätsommer angelegt, kann sie sich im Herbst nur noch bis zu einem späten Larvenstadium oder bis zur Puppe entwickeln. Dies hat zur Folge, dass diese kälteempfindlicheren Stadien deutlich erhöhter Mortalität ausgesetzt sind. Da die Winter gemäss allen Szenarien im Schnitt milder werden, dürfte sich die höhere Wintermortalität in Grenzen halten.

Klimawandel und Wirtsbaum Fichte

Das quantitative Angebot am Wirtsbaum Fichte und dessen Anfälligkeit gegenüber Käferbefall sind die Grundlage für das Abschätzen von Befallsrisiko und Schadenpotential. Für deren Modellierung unter veränderten Klimabedingungen müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Einerseits ist die Abwehrfähigkeit der Fichte zum Zeitpunkt des Befalls von herausragender Wichtigkeit. Anderseits bestimmt die künftige Verteilung der Fichte in der Schweiz die potentiellen Risikogebiete.

Höhere Temperaturen sind häufig auch mit erhöhter Trockenheit gekoppelt. Dies bedeutet für die Wirtspflanze Fichte, dass während heisser Trockenperioden der Wasserbedarf für die Transpiration erhöht ist bei gleichzeitig verringerter Wasserverfügbarkeit. Dies führt zu einem Trockenstress, der die Widerstandskraft der Fichte herabsetzt.

Bereits heute ist ein Rückgang der Fichte im Mittelland und den Voralpen festzustellen (Abb. 7), wahrscheinlich als Folge von Windwurf, Borkenkäfer und Bewirtschaftung. Im Alpenraum und auf der Alpen-Südseite nahm die Fichte hingegen zu. Der zu erwartende Trockenstress vor allem in den Tieflagen wird höchstwahrscheinlich auch in Zukunft zu erhöhter Mortalität, reduzierter Regeneration, langsamerem Wachstum und geringerer Konkurrenzfähigkeit der Fichte führen.

Grenzen der Modellierung

Modelle stellen immer eine Vereinfachung der Wirklichkeit dar. Dabei wird versucht, alle für eine Fragestellung relevanten Prozesse abzubilden. Die Güte der Modellergebnisse wird jedoch aus verschiedenen Gründen wie beispielsweise mangelnde Datenverfügbarkeit, unvollständiges Grundlagenwissen und Prozessverständnis sowie Unsicherheiten der Eingangsgrössen limitiert.

Obwohl der Buchdrucker eines der bestuntersuchten Schadinsekten Europas ist, bestehen noch einige offene Fragen und es sind bei weitem noch nicht alle relevanten Prozesse quantitativ untersucht. Ausserdem ist die Verfügbarkeit von Meteodaten und Bestandesparametern sowie deren Auflösung räumlich wie zeitlich limitiert. Folglich existieren Datenlücken, die eine exakte Modellierung begrenzen.

Management unter veränderten Bedingungen

Die Grundsätze der Bekämpfung von Buchdruckerbefall haben sich seit mehr als einem Jahrhundert nicht verändert: Fällen und Abführen/Entrinden befallener Bäume und damit Eliminieren der Borkenkäferbrut. Allerdings haben sich einige Bedingungen stark verändert: Die Kenntnisse der Biologie dieses Käfers und seiner Wechselwirkungen mit der Umwelt haben sich deutlich verbessert, der Wert des Rohstoffs Holz und der Arbeitskraft hat sich verändert und ebenso stehen heute ganz andere technische Mittel zur Verfügung. Die in den 1980er Jahren als Mittel zur Bekämpfung eingeführten Pheromonfallen erwiesen sich bei Massenvermehrungen als nahezu wirkungslos und dienen heute in erster Linie für Monitoringzwecke. All dies hat sich auch im Management des Käferbefalls niedergeschlagen.

Gegenüber dem heutigen Zustand werden sich in Zukunft die strategischen Überlegungen bei der kurativen Käferbekämpfung nicht im Grundsatz ändern. Es werden wohl vermehrt Prioritäten gesetzt werden müssen, weil sich die Befallsabläufe beschleunigen und die Kapazitäten für Kontrolle und Bekämpfung limitiert bleiben dürften.

Borkenkäfer-Entwicklung online abrufen

Die Forschungsanstalt WSL hat auf borkenkaefer.ch eine automatische Simulation der aktuellen Buchdruckerpopulationen entwickelt. Auf dieser Website erhalten Sie Informationen zum aktuellen Käferausflug, zur aktuellen Verteilung der Entwicklungsstadien sowie zur zukünftigen Entwicklung. Die dargestellten Populationsverläufe und Prognosen beruhen auf Computermodellen. Die Populationsentwicklung des Buchdruckers wird aufgrund aktueller Tagestemperaturen berechnet und auf einem 2km-Raster schweizweit auf Karten dargestellt. Ausserdem finden Sie auf dieser Webseite allgemeine Informationen zur Ökologie und zum Management des Buchdruckers, und Sie können die regionalen Mengen der vergangenen Befälle abrufen.

(TR)