Biologie und Schadwirkung des Heidelbeerspanners

Der Heidelbeerspanner (Boarmia bistortata) ist eine Schmetterlingsart, die als Forstschädling nur selten in Erscheinung tritt und daher in der Literatur wenig Beachtung findet.

Das polyphage (d.h. das Insekt frisst verschiedene Pflanzenarten) Insekt tritt an Laubhölzern, jedoch bevorzugt in älteren Beständen von Nadelhölzern wie Lärche, Kiefer, Tanne und Fichte auf. Der Heidelbeerspanner durchläuft jährlich eine Generation. Er überwintert als Puppe mit bereits fertig entwickeltem Falter in der Bodenstreu in Tiefen von 5 – 10 cm, häufig konzentriert im Stammfußbereich der Bäume. Das Schlüpfen der Falter beginnt mit dem Ausschwärmen der Männchen ab Mitte Mai und dauert bis Ende Juli an. Die Falter haben eine Spannweite von 25 bis 30 mm und sind unauffällig grau gefärbt mit feinen dunkleren Querlinien. Sie sitzen an den Stämmen, eng angeschmiegt an die Rinde, und sind daher im bewegungslosen Zustand oft nur schwer zu entdecken.

Die Weibchen legen seine Eier im unteren Stammbereich tief in Rindenritzen ab und bedecken sie mit einem feinen Gespinst aus einer Drüse am Hinterleib, der Abdominaldrüse. Ein Gelege enthält durchschnittlich 280 Eier; frisch abgelegt erscheinen sie gelblich bis giftgrün und werden später hellgelb bis hellgrau. Die nach wenigen Tagen frisch geschlüpften Eiräupchen sind winzig klein, etwa 0,5 mm. Sie bewegen sich am Stamm abwärts oder kriechen am Waldboden weiter und erklimmen dann den nächststehenden Stängel von Heidelbeeren oder anderen Pflanzen. Zum Nahrungsspektrum gehören neben der bevorzugten Heidelbeere auch Johannisbeere und Lupine. Nicht als Fraßpflanze angenommen werden Preiselbeere, Heidekraut und Gräser.

Die Raupen fressen nicht nur die Blätter der Heidelbeere, sondern benagen auch die Epidermis (Abschlussgewebe, d.h. die äußere Haut) der Stängel, so dass die oberirdischen Teile der Pflanze bei starkem Befall absterben können. Geraten die Raupen wieder auf den Waldboden (zum Beispiel nach Kahlfraß der Heidelbeere), so kriechen sie an jedem senkrecht aufragenden Gegenstand hoch, sei es eine krautige Pflanze oder aber ein Waldbaum. Handelt es sich dabei noch um junge Larvenstadien (L1, L2, d.h. erste und zweite Häutung), so sind diese nicht in der Lage, sich von Koniferennadeln zu ernähren. Erst ab dem dritten Stadium können sie Koniferennadeln als Nahrung nutzen. An Kiefern fressen sie zunächst nur die Altnadeln. Die Fraßzeit kann wegen der lang andauernden Falterflug- und Eiablagezeit bereits im Mai beginnen und sich bis in den September hinziehen. Dabei ist der Fraß der Altlarven sehr verschwenderisch; teils werden ganze Kiefernnadeln abgebissen und fallen "ungenutzt" zu Boden.
Nach Beendigung ihrer Entwicklung steigen die Raupen wieder von den Bäumen ab und verpuppen sich in der Bodenstreu.

Aufgrund dieser langen Fraßzeit wurde früher davon ausgegangen, dass eine vollständige oder zumindest partiell eine zweite Generation gebildet wird, was allerdings nicht zutrifft.

Forstliche Bedeutung

Dem Heidelbeerspanner kommt im Allgemeinen keine besondere forstliche Bedeutung zu. Es hat sich jedoch gezeigt, dass es bei über zwei und mehr Jahre anhaltenden Massenvermehrungen besonders in armen Kiefernbeständen zu beträchtlichen Absterbeerscheinungen kommen kann. Bei sehr hoher Dichte werden nicht nur die Altnadeln verzehrt, sondern zum Teil auch die Mainadeln angefressen. Die Bäume werden geschwächt und zeigen im Folgejahr oft ein eingeschränktes Austriebsvermögen. In Beständen mit zusätzlichem Waldgärtnerbefall kommt es dann zu hohen Ausfallraten.

Durch die starke Auflichtung der Bestände können nach der Schädigung durch den Heidelbeerspanner auch vermehrt sekundäre Schadinsekten wie Borkenkäfer und Prachtkäfer auftreten. Daher erfordert eine Massenvermehrung des Heidelbeerspanners eine intensive Beobachtung. Bei mehrjährigem Fraß sind sogar Bekämpfungsaktionen angezeigt.

Dokumentierte Massenvermehrungen des Heidelbeerspanners

In Bayern sind bislang folgende Massenvermehrungen bekannt geworden:

  • Mittelfranken, 10 ha im Nürnberger Reichswald (Kieferngebiet, 1932)
  • Oberpfalz, 200 ha in Kiefernbeständen (1950)
  • Oberpfalz, Raum Weiden, 300 ha vorwiegend in Kiefernbeständen (1976)
  • Oberpfalz, Raum Weiden, wenige ha in Kiefernbeständen (1988)
  • Niederbayern, Raum Siegenburg, 10 ha (2007)

Eine weitere Massenvermehrung ereignet sich derzeit in Mittelfranken im Raum Ansbach und wird im Folgenden genauer dargestellt.

Massenvermehrung des Heidelbeerspanners 2006/2007 in Mittelfranken

Die LWF wurde durch eine Meldung des Revierförsters im Raum Ansbach (Mittelfranken) auf das Schadereignis aufmerksam gemacht. Er beobachtete Kiefernschäden auf einer Fläche von 25 bis 30 ha. Beim Ortstermin im Februar 2007 zeigte sich, dass im Bereich der Kiefernschäden das Heidelbeerkraut komplett abgestorben war. Die Kiefern waren stark aufgelichtet, die Mortalität (Absterberate) der Bäume betrug etwa fünf bis zehn Prozent (Abb. 1).

Die Fläche ließ sich optisch klar erkennen; angrenzend zur Schadfläche waren das Heidelbeerkraut sowie die Kiefern intakt. Eine Probefällung offenbarte starken Fraß an den Altnadeln sowie Schäden an den letztjährigen Mainadeln. Spätere Grabungen im Boden erbrachten 300 bis 400 Heidelbeerspannerpuppen je Quadratmeter (Abb. 2). Eine Stichprobe von 40 Puppen wurde im Labor angesetzt. Die Tiere waren vital und alle Falter schlüpften. Die Puppen waren in dieser Probe also nicht von Parasiten befallen. Im Labor erfolgten auch die Eiablage und der Raupenschlupf.

Die Fläche wird seitdem in 14-tägigem Abstand aufgesucht und die Entwicklung der Spannerpopulation dokumentiert. Der erste Falterflug wurde in der zweiten Maihälfte beobachtet. Es handelte sich dabei fast ausschließlich um Männchen. Probegrabungen erbrachten immer noch eine hohe Puppendichte im Boden, nur wenige Puppenhüllen waren verlassen.

Eine weitere Kontrolle fand Anfang Juni statt. Zu diesem Zeitpunkt saßen an den Kiefern vom Stammfuß bis auf Blickhöhe zahlreiche Falter; oft fünf bis zehn Falter pro Baum (Abb. 3), darunter auch einzelne Weibchen. Sie lassen sich von den Männchen nur durch den etwas plumperen Hinterleib unterscheiden. Auch bei diesem Termin wurden Grabungen durchgeführt. Die Anzahl leerer Puppenhüllen war nun deutlich höher, es fanden sich aber noch immer zahlreiche ungeschlüpfte Puppen in der Bodenstreu. Eine Stichprobe von 20 Puppen wurde wiederum zur Schlupfkontrolle ins Labor gebracht. Bis auf ein Exemplar schlüpften alle Puppen, Parasitoide traten auch hier nicht in Erscheinung.

Beim nächsten Kontrolltermin (Mitte Juni) wurden Eigelege in den Rindenritzen der Kiefern gefunden (Abb. 4).

Weiteres Vorgehen, Probleme bei der Planung der Gegenmaßnahmen

Durch den starken Fraß an den Trieben und Stängeln der Heidelbeere im Jahr 2006 sind die Sträucher oberirdisch vollkommen abgestorben. Das frische Beerkraut trieb aus, reicht aber 2007 voraussichtlich nicht als Futterquelle für die Population aus (Abb. 5). Bei der vorliegenden hohen Populationsdichte ist zu erwarten, dass die Raupen das junge Beerkraut sehr schnell kahl fressen und dann an den Kiefern erneut starken Fraß, voraussichtlich Kahlfraß, verursachen werden. In diesem Fall sind Bekämpfungsmaßnahmen zur Erhaltung des Bestandes unverzichtbar.

Eine sichere Prognose ist allerdings aus folgendem Grund noch nicht möglich: Die jungen Eiräupchen sind sehr empfindlich gegenüber niedrigen Temperaturen und vor allem Niederschlägen. Auf dem Weg vom Gelege zu ihrer ersten Fraßpflanze können sie bei ungünstiger Witterung stark dezimiert werden. In diesem Fall könnte das Beerkraut zu ihrer Ernährung ausreichen. Vereinzelte Raupen, die im geeigneten Larvenstadium auf die Kiefer aufbaumen, richten keinen spürbaren Schaden an. Derzeit kann das Kahlfraßrisiko noch nicht zuverlässig vorausgesagt werden, da man immer noch Falter und Eigelege findet. Daneben erscheinen bereits die ersten Larvenstadien (Abb. 6).

Da sich die einzelnen Entwicklungsphasen (Schwärmflug, Eiablage und Raupenschlupf) über einen sehr langen Zeitraum verteilen, erfordert die Entscheidung über eine Bekämpfung eine intensive Beobachtung der Fläche. Alle Vorbereitungen für die Maßnahme müssen prophylaktisch getroffen werden. Die Raupendichte und das Ausmaß der Fraßtätigkeit im Beerkraut werden engmaschig kontrolliert. Ende Juni/Anfang Juli wird eine Probebaumfällung auf Planen durchgeführt, um festzustellen, ob bereits Raupen aufgebaumt sind und wie hoch die Besatzdichte an der Kiefer ist.

Falls die Bekämpfung unvermeidlich wird, sollte sie mit dem Häutungshemmer DIMILIN erfolgen. Da Geometriden (Schmetterlingsfamilie Spanner) weniger empfindlich auf diesen Wirkstoff reagieren, muss - im Gegensatz zu Einsätzen zum Beispiel gegen Lymantriden (Schmetterlingsfamilie Spinner) - mit 15 g/ha (1/5 der empfohlenen Dosierung) - die Mittelmenge höher angesetzt werden.

Natürliche Gegenspieler des Heidelbeerspanners

Im Rahmen der früheren Massenvermehrungen wurde über die dort vorkommenden natürlichen Regulationsfaktoren berichtet. Als Räuber trat immer wieder die Raubwanze Picromerus bidens auf. Unter den Parasitoiden werden Braconiden der Gattung Diadegma an Jungraupen genannt, an älteren Raupen konnte eine Parasitierung durch Tachinen festgestellt werden. Die größte Bedeutung als natürlicher Gegenspieler kommt den Puppenparasitoiden zu. So beobachtete Schwenke (1976) hohe Parasitierungsraten von bis zu 90 % mit Ichneumon pachymerus RATZ.

Bei der Massenvermehrung 1973/74 in der Oberpfalz wurde beim Heidelbeerspanner eine natürliche Kernpolyedervirose (BbNPV) festgestellt. Dieses Virus konnte in Laborzuchten vermehrt werden. Freilandversuche mit diesem biologischen Viruspräparat zeigten damals sehr gute Erfolge. Aufgrund des normalerweise seltenen Auftretens dieses Schädlings, der aufwändigen Virusvermehrung in Laborzuchten und der geringen Lagerfähigkeit von Viruspräparaten ist ein Einsatz dieses Virus in der forstlichen Praxis jedoch nicht realisierbar.

Ein natürlicher Zusammenbruch der Massenvermehrungen des Heidelbeerspanners durch hohe Parasitierungsraten und den Ausbruch der Kernpolyedrose wurde ebenfalls schon beobachtet. Allerdings tritt dies üblicherweise mit Verzögerung ein, so dass bis dahin bereits ein erheblicher Schaden in den Beständen entstanden ist.