Der überdurchschnittlich hohe Anteil von Kiefernforsten im Norddeutschen Tiefland führt regelmäßig zum Massenwechsel von Kiefernschadinsekten. Aufgrund drohender wirtschaftlicher Schäden einerseits und möglicher ökologischer Folgewirkungen von Pflanzenschutzmitteleinsätzen andererseits kommt der Überwachung, Prognose und Bekämpfung der Kiefernschadinsekten seit vielen Jahrzehnten eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen eines Teilprojektes (F3a) des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektverbundes „Nachhaltiges Landmanagement im Norddeutschen Tiefland“ (www.nalama-nt.de) wurde retrospektiv über einen Zeitraum von 90 Jahren die Populationsdynamik der fünf regelmäßig in Massenvermehrung vorkommenden Kieferngroßschädlinge analysiert.

Einleitung

Im Fokus der Untersuchungen standen folgende Phyllophage: Nonne (Lymantria monacha L.), Kiefernspinner (Dendrolimus pini L.), Kiefernspanner (Bupalus piniaria L.), Forleule (Panolis flammea Schiff.) und die Kiefernbuschhornblattwespen (Diprion spec.; Gilpinia spec.).

Recherchiert wurde die jährliche Intensität des Auftretens der Arten für die Waldflächen der heutigen Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen rückwirkend bis 1922. Mit der Recherche zahlreicher Publikationen und umfangreicher Archiv-Daten wurde eine Grundlage für die Analyse von Ursache-Wirkungs-Beziehungen und die künftige Prognose des Schadgeschehens vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen erarbeitet.

Nonne (Lymantria monacha L.)

Zu Beginn des recherchierten Zeitraumes ab dem Jahr 1922 trat die Nonne in den untersuchten Bundesländern noch sehr unregelmäßig auf. Ab dem Jahr 1938 entwickelt sich ein relativ gleichmäßiges Gradationsmuster über alle untersuchten Bundesländer: Gradationen begannen und endeten häufig zeitgleich in mehreren Bundesländern (Abb. 1).

Zeitgleiche Gradationen der Nonne in allen vier Bundesländern gab es in den Jahren 1949, 1956/57, mehrjährig zwischen 1976 und 1987, von 1993 bis 1995 sowie im Jahr 2005. Latenzphasen über alle Bundesländer hinweg traten in den Zeiträumen zwischen 1940 und 1946 sowie zwischen 1961 und 1966 auf (Abb. 1).

Eine Phase mit besonders vielen Gradationsjahren der Nonne lässt sich von Mitte der 1970er bis Mitte der 1990er erkennen. In diesen Zeitraum fallen auch die großflächigen Bekämpfungen mit dem Insektizid DDT in den 80er Jahren, vor allem in der damaligen DDR.

Seit Ende der 1990er Jahre verschwimmt das beschriebene Gradationsmuster wieder, die zeitlichen Verschiebungen in den Bundesländern werden wieder größer: Während in Brandenburg und Sachsen-Anhalt nach wie vor lange und häufige Gradationsphasen zu verzeichnen sind, verringern und verkürzen sich diese in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen deutlich (Abb. 1).

Kiefernspinner (Dendrolimus pini L.)

Gradationen des Kiefernspinners traten zwischen 1922 und 1945 nur selten und sehr unregelmäßig auf. Im Zeitraum 1946 bis 1950 wurden dagegen für alle untersuchten Bundesländer Massenvermehrungen des Kiefernspinners dokumentiert (Abb. 2).

Darauf folgte eine lange Phase fast ohne Schadauftreten des Kiefernspinners: Bis in die 1980er Jahre hinein wurde die Art nur einmal in Sachsen-Anhalt (1967) und zweimal in Brandenburg (1967, 1971/72) mit kritischen Dichten auffällig. Auch in den 1980ern entwickelten sich Gradationen ausschließlich in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, so dass sich für Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern mehrere Jahrzehnte lange Latenzzeiten ergaben (Abb. 2).

Ab den 1990er Jahren konnte ein gehäuftes Auftreten des Kiefernspinners beobachtet werden: In Brandenburg befand sich der Kiefernspinner von 1992 bis 1999 in Gradation, in Sachsen-Anhalt von 1993 bis 2000 und in Mecklenburg-Vorpommern von 1993 bis 1995. Im Jahr 2005 waren Gradationen des Kiefernspinners wieder für alle untersuchten Bundesländer relevant (Abb. 2).

Auffällig sind Gradationshäufungen des Kiefernspinners in Phasen mit besonders hohen Sommertemperaturen wie zwischen 1943 und 1950, seit Beginn der 1990er Jahre und nach besonders warm-trockenen Sommern wie im Jahr 2003. Zusammenhänge zwischen der Populationsdynamik des Kiefernspinners und klimatischen Besonderheiten sind für das warme und trockene Klimaverhältnisse bevorzugende Insekt wahrscheinlich (MAJUNKE 2000, SCHWERDTFEGER 1935). Zudem ist die große Lücke im Gradationsgeschehen zwischen 1950 und 1980 auffällig (Abb. 2).

Kiefernspanner (Bupalus piniaria L.)

Der Kiefernspanner weist ein sehr regelmäßiges Gradationsmuster auf. Im Untersuchungszeitraum können kaum Zeitabschnitte mit gehäuftem oder verringertem Auftreten beobachtet werden. Die regelmäßig auftretenden Massenvermehrungen wurden in den untersuchten Bundesländern nur von kurzen Latenzphasen unterbrochen. Eine Ausnahme bildet dabei Niedersachsen mit einer Latenzphase zwischen 1952 und 1984 (Abb. 3).

Insgesamt zeigen sich wie für die Nonne auffällige Überschneidungen im zeitlichen Auftreten und in der Gradationsdauer in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Lediglich für Niedersachsen wurden insgesamt deutlich weniger Gradationen gemeldet. Betrachtet man aber nur die letzten 20 Jahre, so tritt der Kiefernspanner auch in Niedersachsen nicht seltener auf als in den anderen Bundesländern (Abb. 3).

Forleule (Panolis flammea SCHIFF.)

Zu Beginn des Recherchezeitraumes wurden Gradationen der Forleule ausschließlich in den östlichen Bundesländern Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg beobachtet. Insbesondere in Sachsen-Anhalt trat die Art bis zu Beginn der 1960er häufig und regelmäßig auf. In Niedersachsen dagegen wurden von Beginn des Untersuchungszeitraums an bis 1954 keine Schadvorkommen der Forleule gemeldet (Abb. 4).

Ab Mitte der 1960er verändert sich das Bild grundlegend:

  • In Mecklenburg-Vorpommern gab es seither keine einzige Gradation mehr. In Sachsen-Anhalt kam es zunächst zu einem deutlichen Rückgang bei Anzahl und Dauer der Gradationen, ab 1994 blieben Massenvermehrungen aus. In Niedersachsen trat die Art ab Mitte der 1970er bis Mitte der 1990er gehäuft auf, danach sind keine kritischen Dichten mehr dokumentiert. In Brandenburg sind insgesamt die wenigsten Änderungen im Gradationsgeschehen feststellbar (Abb. 4).
  • Gründe für den allgemeinen Rückgang sind mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhte Frühlingstemperaturen (März/ April), die im Zuge des Klimawandels häufiger auftraten [WERNER, GERSTENGARBE 2007]. Die Lebensdauer der Falter ist unter solchen Bedingungen deutlich verkürzt, so dass die Eiablage nicht oder nur eingeschränkt stattfinden kann [ESCHERICH 1931; MAJUNKE ET AL. 2000]. Dieser Effekt hat schon mehrfach beginnende Massenvermehrungen abgeschwächt, so in den Jahren 2000, 2007 und 2009 in Brandenburg sowie 1997 in Niedersachsen [MÖLLER 2009].

Kiefernbuschhornblattwespen (Diprion und Gilpinia spec.)

Bis Ende der 1960er Jahre verlaufen die Gradationen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern relativ synchron, so dass sich für diese Bundesländer ein regelmäßiges Gradationsmuster ergibt, von welchem nur Niedersachsen abweicht (Abb. 5).

In den darauf folgenden Jahren ist das beschriebene Muster nicht mehr zu erkennen. So überschritten Blattwespen in Mecklenburg-Vorpommern ab 1960 deutlich seltener kritische Dichten als es in den anderen Bundesländern zu beobachten war. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt dagegen wurde ab den 1970ern ein gehäuftes Auftreten beobachtet, in Niedersachsen ist eine Zunahme ab 1990 feststellbar (Abb. 5).

Zusammenfassung

Fasst man die von 1922 bis 2011 dokumentierten Gradationen der untersuchten Arten in den einzelnen Bundesländern zusammen, so ergibt sich eine deutliche Abstufung: 213 Gradationen in Brandenburg, 164 in Sachsen-Anhalt, 125 in Mecklenburg-Vorpommern und 86 in Niedersachsen. Bei den einzelnen Insektenarten hebt sich vor allem der Kiefernspanner in der Häufigkeit der Massenvermehrungen deutlich ab: Kiefernspanner mit 181, Nonne mit 126, Blattwespen mit 99, Forleule mit 93, Kiefernspanner mit 89 Gradationsjahren (Abb. 1 bis 5).

Mit den entsprechend der aktuellen Klimaszenarien anstehenden Veränderungen - vor allem Temperaturerhöhungen und eine regional unterschiedlich stark sinkende klimatische Wasserbilanz (WERNER, GERSTENGARBE 2007) – wird nach heutigem Wissensstand der Kiefernspinner am besten zurechtkommen (Abb. 2). Ein vermehrtes Auftreten insbesondere ab den 1990er Jahren nach teils sehr langen vorangegangenen Latenzphasen kann für alle Bundesländer resümiert werden. Als besonders gefährdet einzustufen sind hier Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Die Forleule scheint dagegen durch den Klimawandel die meisten Nachteile zu erfahren (Abb. 4). Seit 1990 kann ein vermindertes Auftreten beobachtet werden.

Für die Kiefernbuschhornblattwespen ist im Zuge des Klimawandels von einer höheren Wahrscheinlichkeit der Ausbildung einer zweiten Generation im Jahr auszugehen. Brandenburg und Sachsen-Anhalt werden davon erwartungsgemäß besonders häufig betroffen sein.

Bei der Nonne zeigen sich Änderungen im Gradationsgeschehen am deutlichsten in Sachsen-Anhalt. Ab 1967 kann dort ein regelmäßiges Auftreten beobachtet werden, während zuvor (ab 1922) nur drei Massenvermehrungen auftraten. In den anderen Bundesländern verkürzen sich die bis dahin längeren Latenzphasen der Nonne ab den 1970er Jahren, sodass ein gehäuftes Auftreten erwartet werden kann (Abb. 1).

Für den Kiefernspanner zeichnen sich bislang wenig auffällige Änderungen in der Gradationsfolge ab, nur in den letzten 10 Jahren schwächten sich die Gradationen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg ab.

Literatur

Escherich, K. (1931): Die Forstinsekten Mitteleuropas. Ein Lehr- und Handbuch. Dritter Band, spezieller Teil, zweite Abteilung. Als Neuauflage von Judeich-Nitsche, Lehrbuch der mitteleuropäischen Forstinsektenkunde bearbeitet. Verlagsbuchhandlung Paul Parey, Berlin 1931.

Majunke, C. (2000): Die Massenvermehrung des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) in Brandenburg – Analyse der Witterung in der Progradation. Mitt. Dtsch. Ges. Allg. Angew. Ent. 12, S. 75-78.

Majunke, C.; Möller, K.; Funke, M. (2000): Zur Massenvermehrung der Forleule (Panolis flammea SCHIFF., Lepidoptera, Noctuidae. Beitr. Forstwirtsch. Landsch.ökol. 34. Jg, Nr. 3, S. 127-132.

Möller, K. (2009): Aktuelle Waldschutzprobleme und Risikomanagement in Brandenburgs Wäldern. Eberswalder Forstliche Schriftenreihe 42, S. 63-72.

Schwerdtfeger, F. (1935): Studien über den Massenwechsel einiger Forstschädlinge. Z. Forst- Jagdwes. 67, S. 15-38, S. 85-104, S. 449-482, S. 513-540.

Werner, P.C.; Gerstengarbe, F.-W. (2007): Welche Klimaänderungen sind in Deutschland zu erwarten? In: Endlicher, W.; Gerstengarbe, F.-W. (Hrsg.): Der Klimawandel – Einblicke, Rückblicke und Ausblicke. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Humboldt-Universität zu Berlin, S. 56-59.

Danksagung

Das Teilprojekt Risikomanagement (F3a) ist Teil des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „Nachhaltiges Landmanagement im Norddeutschen Tiefland unter sich ändernden ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“ (NaLaMa-nT: Förderkennzeichen 033L029).