In dieser Studie wurde zwischen 2006 und 2016, d.h. ab dem dritten Jahr noch dem Brandereignis 2003, die artspezifische Entwicklung der Brutvögel im Waldgebiet bei Leuk (Wallis, Schweiz) untersucht. Bei vielen Arten nahmen die Revierzahlen nach dem Waldbrand entweder signifikant zu oder ab. Einige Arten zeigten auch komplexere Entwicklungen, indem ihre Revierzahlen nach dem Waldbrand anstiegen, nach einigen Jahren ein Maximum erreichten und danach wieder zurückgingen. Interessanterweise sind darunter viele Vogelarten bedroht und Prioritätsarten für die Artenförderung. Sie haben vermutlich von den ersten, lichten Sukzessionsstadien mit einem relativ hohen Anteil offener Bodenstellen profitiert, dürften aber mit zunehmender Vegetationsverdichtung wieder aus dem Gebiet verschwinden.

Störungen - für Ökosysteme nicht unbedingt Katastrophen

Plötzliche Ereignisse wie Feuer, Lawinen, Stürme oder Überschwemmungen werden als "Störung" bezeichnet. Sie sind aber nicht immer katastrophal für das Ökosystem. Es sind dynamische Vorgänge, die sich stark auf Lebensräume auswirken und Artengemeinschaften markant verändern können. Insbesondere Arten offener und halboffener Habitate können von solchen Störungen profitieren, darunter auch diverse Vogelarten. Beispielsweise ist Feuer sehr wichtig für das Fortbestehen von borealen Wäldern, Grasland, Savannen und mediterranen Habitaten.

Einflüsse von Feuer auf Vogelgemeinschaften

Die kurz-, mittel- und langfristigen Einflüsse von Feuer auf Vogelgemeinschaften wurden in unterschiedlichen Ökosystemen untersucht. Die Studien deuten daraufhin hin, dass sich Artengemeinschaften nach Feuer stark verändern, häufig zugunsten von Vogelarten offener Lebensräume, lichter Wälder und totholzreicher Gebiete. Zudem kann wiederkehrendes Feuer zu einem Lebensraummosaik von abgebrannten und intakten Gebieten führen, was die Diversität von Lebensräumen und damit die Artenvielfalt fördert.

Dennoch werden Waldbrände auf der ganzen Welt bekämpft, nicht nur, um Menschen und Holzvorräte zu schützen, sondern auch, um vermeintliche Schäden an Flora und Fauna zu verhindern. So wird in vielen Ökosystemen die natürliche Dynamik unterbunden, was zur Folge hat, dass frühe Sukzessionsstadien mit ihren spezialisierten Artengemeinschaften selten geworden sind. Die Veränderung der Ökosysteme in Richtung Klimaxgesellschaften hat Konsequenzen für die Artengemeinschaften und schliesslich auch für den angewandten Vogelschutz. Obwohl Brände im inneralpinen Raum seltener sind als anderswo, können sie eine wichtige Rolle in der Dynamik von Ökosystemen spielen und einen grossen Einfluss auf die Artenzusammensetzung in einem Gebiet haben.

Waldbrand bei Leuk 2003

15 Jahre sind seit dem grossen Waldbrand im August 2003 bei Leuk (Kanton Wallis) vergangen, und die Furche, welche das Feuer in den südexponierten Hang gefressen hat, ist noch immer deutlich sichtbar. Erste Begehungen 2005 liessen vermuten, dass sich die Vogelgemeinschaft markant verändert hatte. Seit 2006, also knapp drei Jahre nach dem Brand, führt die Aussenstelle Wallis der Schweizerischen Vogelwarte systematische Vogelkartierungen durch. Für die vorliegende Studie konnten so die Datenreihen von 2006 bis 2016 genutzt werden, um die Auswirkungen des Waldbrandes auf die Brutvogelarten dort zu untersuchen.

Untersuchungsgebiet

Die 300 ha grosse Waldbrandfläche bei Leuk liegt im Oberwallis, einem der trockensten Gebiete der Schweiz. Sie reicht von 850 bis 2100 m ü. M. und ist gegen Süden exponiert. Das Klima dieses inneralpinen Alptals ist durch trocken-kalte Winter und trocken-heisse Sommer gekennzeichnet.

Vogelaufnahmen

Für die Brutvogelaufnahmen wurden acht Transsekte durch die Brandfläche gelegt (s. Abb. 2). Für die Analysen berücksichtigte man alle Beobachtungen, die sich innerhalb eines Höhenbereichs von 100 m um die Transekte befanden, womit 153.5 ha abgedeckt wurden. Die Aufnahmen nach der Standardmethode der Vogelwarte Sempach erfolgten in den Jahren 2006 - 2008, 2010, 2012, 2014 und 2016, also 3,4,5,7,9,11 und 13 Jahr nach dem Brand (Näheres zur Methode, Auswertung und Ergebnissen entnehmen Sie bitte dem Originalartikel).

Ergebnisse

17 Vogelarten zeigten Populationsveränderungen während der Untersuchungsperiode, wie Tabelle 2 zeigt. Steinhuhn, Berglaubsänger (Abb. 3a), Zilpzalp und Amsel wurden im Laufe der Zeit häufiger festgestellt, während die Brutvogelbestände von Hausrotschwanz, Steinrötel (Abb. 3b), Waldbaumläufer und Buchfink stetig zurückgingen. Auch die Anzahl Jahre, wann die jeweiligen Arten die höchste Anzahl an Revieren erlangten, war unterschiedlich. Bei der Amsel, war das erst am Ende der Aufnahmen soweit, beim Gartenrotschwanz (Abb. 3c) nach 5 bis 7 Jahren, beim Zaunkönig schon nach 4 bis 5 Jahren. Einige Arten wie Steinhuhn, Zaunkönig, Buchfink oder Baumpieper wurden mit zunehmender Höhe häufiger. Andere wie Kohlmeise, Amsel, Berglaubsänger oder Girlitz wurden dagegen mit zunehmender Höhe seltener.

Im Untersuchungszeitraum konnten bei den Kartierungen 51 Vogelarten nachgewiesen werden, die in mindestens einem Jahr ein Revier besetzt haben. Sie sind in Tabelle 1 zusammengefasst, getrennt nach Jahren und mit Angaben zum Gefährdungsgrad und zur Eignung für die Artförderung. Greif- und einige Krähenvögel sowie nachtaktive Arten wurden nicht erfasst.

Beeinflussung ja - aber sehr unterschiedlich

Die Resultate der Studie zeigen auf, dass viele Brutvogelarten vom Waldbrand beeinflusst wurden, die einzelnen Arten aber unterschiedlich reagiert haben. Neben linearen Zu- oder Abnahmen gab es auch lineare, kurzfristige Effekte, indem die Revierzahlen einiger Arten zuerst zunahmen, einen Höchststand erreichten und dann wieder abnahmen. (Abb. 3d Wendehals). Dabei folgte die zeitliche Entwicklung je nach Art einem anderen Muster. Da neben der Anzahl Reviere pro Vogelart keine weiteren Daten erhoben wurden, können die Ursachen dieser Entwicklungen nur vermutet werden:

Feuer könnte zu einer starken Erhöhung der Stickstoffkonzentration im Boden geführt haben, was die Wiederbesiedlung der Flächen durch Pionierpflanzen gefördert hat. Durch kleinräumige Konzentrationsunterschiede, wuchsen die offenen Bodenstellen unterschiedlich schnell zu, wodurch ein abwechslungsreiches Lebensraummosaik entstanden ist. Die ist für insektenfressende Vogelarten, die ihre Nahrung am Boden suchen, besonders günstig, weil Insekten dort nicht nur häufiger vorkommen, sondern dank der offenen Bodenstellen auch einfacher erreicht werden können. In der vorliegenden Studie könnte das die vorübergehende Zunahme der Revierzahlen z. B. von Wendehals, Baumpieper und Gartenrotschwanz erklären, die bei ihrer Nahrungssuche auf offenen Boden angewiesen sind.

Von den Autoren wird vermutet, dass die optimalen Zeitfenster für die einzelnen Arten durch ihre Habitatpräferenz, insbesondere hinsichtlich der Ernährung, bestimmt werden und nicht durch die Konkurrenz zwischen den Arten.

Übereinstimmend mit anderen Studien zeigen die vorliegenden Daten, dass viele Vögel, die eine Vorliebe für offene und halboffene Landschaften zeigen, von Waldbränden profitieren. Dies schliesst insbesondere Arten ein, die in der Schweiz auf der Roten Liste zu finden sind oder als Prioritätsarten gelten wie Steinhuhn, Wendehals oder Gartenrotschwanz, oder in den letzten Jahren Bestandesrückgänge zu verzeichnen hatten wie der Baumpieper.

Auch das Angebot an Nisthöhlen beeinflusst die Entwicklung der Revierzahlen massgeblich (Wendehals, Gartenrotschwanz, Kohlmeise). Waldbrände führen u.a. zu mehr Baumskeletten in Form von liegenden Baumstämmen oder noch stehenden toten Bäumen, was die strukturelle Diversität erhöht und zu einer grösseren Anzahl Nisthöhlen führt. Wie das Beispiel der Kohlmeise zeigt, ist die Angebotserhöhung aber begrenzt.

Fazit

Die Waldbrandfläche bei Leuk zeigt exemplarisch, wie wichtig die natürliche Dynamik für Arten der Roten Liste ist und wie Waldbrände für bedrohte Arten Lebensraum schaffen können. Solche Umwälzungen sollten in unserer Waldkulturlandschaft mehr Raum bekommen, weil sie sich günstig auf bedrohte Arten auswirken können. Durch die Sukzession, bei welcher sich der Lebensraum langsam, aber kontinuierlich schliesst, werden diese Arten wohl durch "Waldarten" abgelöst.

Zu welcher Artengemeinschaft sich die Vogelwelt in der Waldbrandfläche bei Leuk entwickelt, bleibt noch offen, da die Waldentwicklung, sowohl was die Struktur als auch die Artenzusammensetzung anbelangt, von mehreren klimatischen und biologischen Faktoren abhängt.

Die Studie zeigt, dass ein grossflächiger Waldbrand Vögel offener und halboffener Habitate, zu denen oft Arten der Roten Liste gehören, auch in gemässigten Regionen fördern kann.

Inwieweit mit waldbaulichen Eingriffen, Beweidung oder kontrolliertem Feuer die Dynamik natürlicher Waldbrände und deren positive Effekte auf bedrohte Arten nachgeahmt werden können, ist offen und sollte Bestandteil zukünftiger forstlicher und naturschutzbiologischer Forschung sein.