Die Edelkastanie wird wegen ihrer stärke­haltigen, essbaren Früchte – auch als Kastanien, Keschtn/Keschte, Maronen oder eben Maroni bezeichnet.

Vom Mittelalter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Edelkastanie in den Bergregionen Südeuropas das Haupt­nahrungsmittel der Landbevölkerung. Gegen Ende des Mittelalters assoziierte man Kastanien mit schlechter Verdauung, Kopfschmerzen, Blähungen und verstärktem Sexualtrieb. Daher wurden sie zur Nahrung für die arbeitende Bevölkerung sowie zur Schweinemast.

Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert stieg der Anbau von Edelkastanien weiter an. Zentren waren die Gebirge der Iberischen Halbinsel, Zentral- und Südfrankreich, Korsika, Zentral- und Norditalien, das Tessin und der Balkan. Die Kastanie war in diesen Gebieten vielfach die einzige Nahrungsquelle. Je nach Region wurden ein bis zwei Bäume für die ganzjährige Ernährung einer erwachsenen Person veranschlagt.

Niedergang der Kastanienwälder

Ein Rückgang der Kastanienkultur setzte im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und der beginnenden Landflucht ein. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts setzte die Tintenkrankheit den Beständen zu. Auf der einen Seite stieg der Export in die Vereinigten Staaten sowie nach Zentral- und Nordeuropa. Dies konnte den grossflächigen Niedergang der Kastanienwälder nicht aufhalten, da ihnen zusätzliche Entwaldung und die Gerbstoffindustrie zusetzten. In Italien ging die Anbaufläche von 650‘000 Hektaren 1911 auf rund 250‘000 Hektaren in den 1980er Jahren zurück. Ein weiterer Faktor für den Rückgang war der Kastanienrindenkrebs, dem grosse Teile der Edelkastanienbestände zum Opfer fielen. Seit Mitte der 1990er Jahre erholen sich die überlebenden Bestände wieder durch das Auftreten von Hypovirulenz (= verminderte Virulenz). Die Anbauflächen wachsen erneut.

Kastaniensorten, Anbau und Ernte

Es gibt mehrere hundert Kastanien­sor­ten, die meist nur kleinräumig angebaut werden. Sie sind häufig an das Lokal­klima angepasst. Allein in Frank­reich sind über 700 Sor­ten registriert. Der Anbau erfolgt in unter­schied­lichen Formen:

  • Der Hochwald ist die extensive Form der Bewirtschaftung. Er entsteht meist aus Samen und bildet häufig eine geschlossene Kronenschicht.
  • Eine Selve ist eine Hoch­stamm­plan­tage bestehend aus gepfropften Bäumen. Hier haben die Bäume einen kurzen Stamm und eine grosse Krone. Das Haupt­produkt ist die Frucht.
  • Niederwald wird im Umtrieb von 15 bis 30 Jahren bewirt­schaftet – in Frankreich bis zu 40 Jahren. Die Nieder­wald­wirt­schaft war traditionell mit dem Weinbau verbunden, da das Kastanien­holz zu Fass­dauben und Stecken verarbeitet wurde.

Die Welternte an Kastanien betrug im Jahr 2006 etwa 1.17 Mio. Tonnen, wovon allerdings nur rund 151‘000 Tonnen auf die Edelkastanien entfielen. Der grösste Produzent ist China mit ca. 850‘000 Tonnen, gefolgt von Südkorea, der Türkei und Italien. Die Schweizer "Aussenstelle Alpensüdseite der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft" in Bellinzona hat in akribischer Recherche herausgefunden, dass die Schweiz mit über 100 Sorten Kastanien selbstredend eine Kastanienmacht ist.

Kastanienholz im Alltag

Die Kastanie bietet aber nicht nur Früchte und dient als Nahrungsgrundlage. Nein, einen ganz wichtigen Teil bildet auch das Stammholz. Das Holz der Edelkastanie hat einen warmen, goldbraunen Ton. Verglichen mit Eichenholz fehlen ihm Markstrahlen, so dass die Maserung nicht so stark ausgebildet ist. Ausserdem ist es leicht zu bearbeiten. Da der Faserverlauf meist gerade ist, kann es zudem verhältnismässig gut gebogen werden. Kastanienholz nimmt Politur, Beizen, Lack und Farbe gut an. Dank des hohen Gerbsäuregehaltes (Tannin) ist das Holz äusserst witterungsbeständig und resistent gegen Pilzbefall und Insektenfrass.

Das Holz von Hochwaldbäumen wird u.a. zu Möbeln, Fenster- und Türrahmen, Telefonmasten verarbeitet, für Eisenbahnschwellen, Decken- und Dachbalken genutzt und bei Hang- und Lawinenbauten sowie im Schiffsbau eingesetzt. Kleinere Hölzer aus dem Niederwald verarbeitet man zu Gartenzäunen, verschiedensten Pfosten, Spielplätzen oder Wein- und Likörfässern.

Im Gegensatz zu heute hatte auch die Holzkohleerzeugung und die Nutzung als Feuerholz früher eine grosse Bedeutung.

Die verschiedenen Holzarten werden in sogenannte Resistenzklassen eingeteilt, wobei die Edelkastanie und die Eiche in der Klasse R2 auftreten mit einer Haltbarkeit von 15 - 25 Jahren. Ein wenig besser schneidet nur noch die Robinie ab in Klasse R1-2. Douglasie, Lärche und Kiefer sind in der Klasse 3-4 mit einer Haltbarkeit von 10 -1 5 Jahren. In der Klasse R4 unter 10 Jahren Haltbarkeit liegen die Fichte, Tanne und Ulme. Auch beim Brennwert kann die Edelkastanie auftrumpfen. Bei einem Brennwert von 2‘000 kWh/rm liegt sie nur unwesentlich unter Buche, Eiche, Robinie und Esche mit einem Wert von 2‘100 kWh/rm; im Vergleich dazu Fichte und Tanne mit 1‘400 kWh/rm.

Und zu guter Letzt noch eine weitere Verwendungsmöglichkeit dieses Baumes: Die Borke der Edelkastanie wurde in der Vergangenheit zum Ledergerben genutzt.

Der Tessiner Wald

Mehr als die Hälfte der Kantonsfläche ist vom Wald bedeckt. Im "Distretto di Lugano“ ist das Verhältnis noch höher: Zwei Drittel des Gebietes gehören den Pflanzen. Das Merkwürdige daran ist, dass im Tessin vom gesamten jährlichen Zuwachs (fast 600‘000 m3) nur etwa 10 - 15 % geerntet werden. Die meist verbreitete Pflanzenart (23 %) ist die Kastanie.

Die Selve ist vielleicht die traditionellste und bekannteste Weise der Bewirtschaftung von Kastanienwäldern. Sie war bei den Bauern sehr beliebt, da unter den Bäumen (Früchteproduktion) noch Gras wuchs und darum zugleich Nahrung für das Zuchtvieh zur Verfügung stand. Kastanienbäume sind aber vor allem für den Niederwaldbetrieb geeignet.

Niederwaldbewirtschaftung wurde bereits im Mittelalter betrieben und war im Tessin noch im 20. Jahrhundert sehr verbreitet. Bei dieser Bewirtschaftungsform werden in regelmässigen Abständen die Kastanien auf den Stock zurückgesetzt. Aus den Stöcken schlagen neue kranzförmige Triebe aus, welche sehr gerade wachsen und sich nach 15 - 20 Jahren als ideales Stangenholz für Konstruktionsbauten anbieten. Niederwälder dienen auch der Brennholzgewinnung. Wenn der ehemalige Niederwald sich selbst überlassenwird, werden die Stockausschläge zu gross und zu schwer für das Wurzelwerk. Oft brechen dann in einem Dominoeffekt ganze Bestände zusammen. Diese Situation kann zu einer erhöhten Gefahr von Naturereignissen (Rutschungen, Steinschläge, Überschwemmungen, usw.) für die darunterliegenden Dörfer führen. Eine Pflege dieser Niederwälder ist also nicht nur für die Holzproduktion erwünscht.

Witterungsbeständig auch ohne Chemie

Weil die Kastanie reich an Gerbstoffen (Tannin) ist, zersetzt sich der Witterung ausgesetztes Holz viel langsamer als andere Baumarten. Zudem weist es wenig Splintholz auf. Aus diesen Gründen können nicht nur dicke, sondern auch dünne Stämme ohne chemische Behandlung im Aussenbereich als dauerhafte Pfosten oder Bretter eingesetzt werden. Kastanienholz eignet sich daher auch gut zum Bau von Spielplätzen. Auch die Entsorgung verursacht keine Probleme: Kastanienholz ist ein 100 % natürliches und ökologisches Produkt.

Technische Eigenschaften von Kastanienholz

Kastanienholz lässt sich gut bearbeiten und zeigt eine schöne Jahrringzeichnung. Das Quell- und Schwindverhalten ist geringer als das anderer Hölzer. Auf eine Veränderung der Luftfeuchtigkeit reagiert Kastanienholz nur minimal. Daher weist es auch über längere Zeiträume eine hohe Passgenauigkeit auf. Die Oberflächen von bearbeitetem Kastanienholz bleiben auch bei starker Belastung glatt und fest.

Eine problematische charakteristische Eigenschaft dieses Holzes ist die Ringschäligkeit. Insbesondere die älteren und dickeren Bäume sind davon betroffen. Nur wenige Baumstämme eignen sich zur Weiterverarbeitung als Schnittholz. Trotzdem werden die Möglichkeiten des Kastanienholzes heute kaum mehr ausgeschöpft selbst dort nicht, wo es ausreichend vorhanden ist. Dabei gibt es gute Gründe, das Holz der Edelkastanie zu schätzen und zu verwenden. In der Schweiz kümmert man sich neuerdings darum, aus diesem Holz gute, innovative Produkte herzustellen.