Die Waldweide mit Rindern ist gesamtwirtschaftlich gesehen sinnvoll, wenn sie mit Rücksicht auf andere Ansprüche an den Wald praktiziert wird. Voraussetzung ist, dass die Tierbesatzstärke zwei Grossvieheinheiten pro Hektar nicht überschreitet und die Weidefläche mindestens rund fünf Hektaren gross ist.

Die kombinierte land- und forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes hat eine lange Geschichte und genauso alt sind die kritischen Auseinandersetzungen über den Nutzen dieses Bewirtschaftungssystems. Bis weit ins 19. Jahrhundert genoss die Waldweide enorme Bedeutung, insbesondere für land- und mittellose Bauernfamilien. Damals war die freie Gemeinatzung von Ziegen und Schafen üblich, und weil weitherum nur noch der Wald "gemein" war, weideten die Tiere in erster Linie dort.

Als in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts katastrophale Naturereignisse die Schweiz heimsuchten und deren verheerende Folgen wesentlich auf die übernutzten Gebirgswälder zurückgeführt wurden, regelte von nun an das erste eidgenössische Forstpolizeigesetz von 1876 jegliche Nutzungen im Wald, so auch die Waldweide.

Heute nutzen in erster Linie Rinder die Waldweide (Abb. 1), und diese gilt im Gesetz nicht mehr explizit als nachteilige Nutzung. Trotzdem sorgt sie weiterhin für Konflikte zwischen den Nutzniessern des Waldes, denn die weidenden Tiere richten mancherorts erhebliche Schäden an.

Bietet die Waldweide genügend Futter für die weidenden Tiere?

Voraussetzung für eine nachhaltige Weide im Wald ist eine anhaltend gute Futterqualität der Bodenvegetation. Um den Nutzen der Waldbeweidung für das Vieh zu überprüfen, untersuchten Wissenschaftler in einem Experiment Menge und Verdaulichkeit des von Rindern gefressenen Futters. Dazu erfassten sie die Artenzusammensetzung der Vegetation stichprobenartig und entnahmen Biomasseproben. Durch die Analyse des Gehalts an Fasern, organischer Substanz und Stickstoff sowie der Verdaulichkeit bestimmten sie dann den Wert des angebotenen Futters.

Die Ergebnisse zeigten, dass Gräser bevorzugt gefressen wurden, nämlich an 44 % der Aufnahmequadrate, auf denen sie vorkamen. Auch Leguminosen waren relativ beliebt (33 %), während Sträucher wie z. B. die Heidelbeere zu 20 % gefressen wurden. Nur 17 % der kartierten Kräuter wurden durch die Weidetiere ganz oder teilweise gefressen, was hauptsächlich auf die Häufigkeit relativ kleinwüchsiger Krautarten zurückzuführen ist, die nur schwer mit dem Maul erreicht werden können.

Obwohl die angebotene Futtermenge teilweise gering war, wies das von den Rindern ausgesuchte Futter während des jeweiligen Aufnahmezeitraums eine konstant gute Verdaulichkeit auf. Alle untersuchten Tiere konnten ihren Nahrungsbedarf mit der auf subalpinen Waldweiden wachsenden Vegetation decken. Bei einer an die Dauer und Flächengrösse angepassten Anzahl Tiere stellt die Waldweide somit ein geeignetes Weidesystem dar.

Beeinträchtigt die Waldweide den Jungwuchs?

Weidende Tiere können durch Tritt (Abb. 3) und Verbiss die Regeneration des Waldes sowie seine Struktur und seine Funktionen beeinträchtigen. Auf sieben Waldweiden im Dischmatal bei Davos zeichneten die Wissenschaftler auf, wie häufig und wie stark junge Fichten, Lärchen und Vogelbeeren beschädigt wurden. Die beobachteten Änderungen bevor und nachdem die Tiere weideten, interpretierten die Forscher als Verletzungen durch das Weidevieh.

Dabei zeigte sich, dass der Anteil an beschädigten jungen Bäumen relativ gering war (9 % aller Bäume) und dass die Baumarten unterschiedlich stark betroffen waren. Die Lärche wurde nicht verbissen, die Vogelbeere dagegen stark. Eine kleinere Weidefläche, eine geringere Biomasse-Verfügbarkeit pro Hektar und ein höherer Fasergehalt (d. h. eine schlechtere Futterqualität) der Bodenvegetation führte zu häufigerem Verbiss der junge Bäume durch die Rinder. Bereits 1870 hatte man bemerkt, dass das Rindvieh den Jungwuchs in subalpinen Wäldern dann als Futter nutzt, wenn die Weide nicht die nötige Nahrung bietet.

Starke Schädigungen am Jungwuchs wurden in erster Linie durch Wildtiere verursacht. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich wildlebende Huftiere anders ernähren als das Rindvieh. Während letzteres in erster Linie ein "Grasfresser" ist, neigt insbesondere das Reh als sogenannter Konzentratselektierer dazu, junge Triebe und Knospen von Bäumen zu fressen. Insgesamt gesehen bewegen sich die Schäden am Jungwuchs in relativ geringem Rahmen, wenn ausreichend Futter verfügbar und die bestossene Fläche genügend gross ist.

Führt die Waldweide zu unerwünschten Waldstrukturen?

Die langfristigen Auswirkungen der Waldbeweidung auf die Waldstruktur sind von besonderem Interesse für alle anderen Waldnutzungen. Mit dendroökologischen Methoden untersuchten die Forschenden, inwieweit sich das Baumwachstum und die Struktur unbeweideter und beweideter Wälder unterscheiden. Dadurch wollten sie Anhaltspunkte gewinnen, wie sich die Beweidung längerfristig auf den Wald auswirkt. Auf 30 Waldabschnitten von je 225 m2 Grösse bestimmten sie die Art, das Alter, die räumliche Verteilung und die Wachstumsentwicklung der Bäume anhand von Bohrkernen respektive bei kleineren Bäumen durch Zählung der jährlichen Astquirle am Stamm. Zudem erfassten die Forscher Merkmale wie Höhe, Durchmesser und Zustand der Bäume.

Wie erwartet waren die beweideten Wälder weniger dicht als die unbeweideten (883 gegenüber 1073 Bäume ab 3 m Höhe pro Hektar) und wiesen einen signifikant höheren Anteil an Lärchen auf (16,8 % gegenüber 2,5 %). Die jungen Fichten auf beweideten Flächen waren schneller gewachsen als auf den unbeweideten Flächen und auch in dieser Altersstufe war der Lärchenanteil auf beweideten Flächen signifikant höher (8,3% gegenüber 3%). Beide Resultate widerspiegeln die offenere Struktur und den höheren Lichtdurchlass. In den untersuchten beweideten Wäldern gab es weniger Individuen in der obersten Baumschicht (Bäume > 25 m), diese waren jedoch bedeutend älter als in den unbeweideten Wäldern.

Da sich der Einfluss des Rindviehs auf die jungen Bäume bei angepasster Beweidungsintensität als relativ gering herausgestellt hat, scheint die stufigere und offenere Struktur beweideter Wälder hauptsächlich auf pflegende Eingriffe des Landwirts zur Verbesserung des Futterangebots in der Bodenvegetation zurückzuführen zu sein. Sowohl die offenere und stufigere Struktur als auch die verbesserte Artendurchmischung der beweideten Wälder sind gute Voraussetzungen für die natürliche Verjüngung der Bäume und für die Erfüllung anderer Ansprüche an den Wald wie etwa Erholung oder Lawinenschutz.

Grundsätze einer nachhaltigen Waldweide im Gebirgswald

Die Nutzung subalpiner Wälder als Waldweideflächen kann die tiergerechte Ernährung von Nutztieren und die Nutzung des Waldes für andere Dienstleistungen kombinieren. Dabei sind die folgenden Grundsätze zu beachten:

  • Die Anzahl Tiere muss sich unter einem bestimmten Grenzwert bewegen.
    Es hat sich gezeigt, dass hohe Tierbesatzstärken bereits nach kurzer Beweidungsdauer relativ starken Verbiss und Trittschäden hervorrufen. Bei den in der Feldstudie untersuchten traditionell genutzten subalpinen Waldweiden hat sich gezeigt, dass extensive Beweidung mit einer Besatzstärke von 1 bis 2 Grossvieheinheiten pro Hektar während mehrerer Wochen sowohl verjüngungsverträglich für den Wald als auch sinnvoll in Bezug auf die Tierernährung ist.
  • Die beweidete Fläche muss ausreichend gross sein.
    Generell gilt es zu beachten, dass eine bestimmte Mindestgrösse der Weidefläche nötig ist (etwa 5 ha), damit die Tiere die besten Weideplätze frei suchen und ihre bevorzugten Futterpflanzen finden und nutzen können. Auf sehr kleinen Weideflächen (besonders < 1 ha) scheinen die Rinder zu wenig beschäftigt zu sein und beginnen mit jungen Bäumen zu spielen, was eine höhere Schädigungsrate zur Folge hat.
  • Die Beweidungsdauer muss auf das Futterangebot abgestimmt sein.
    Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht steht einer Nutzung subalpiner Waldweiden mit Rindern nichts entgegen. Die Rinder zeigten eine ausgeprägte Fähigkeit, besser verdauliche Futterpflanzen zu wählen, was sich in der konstant relativ guten Verdaulichkeit des auf den Waldweiden gefressenen Futters zeigte. Die Beweidungsdauer muss allerdings an das Futterangebot angepasst sein, da sonst die Verdaulichkeit des aufgenommenen Futters sinkt und die Schädigungen an den jungen Bäumen zunehmen.
  • Die Verjüngung des Waldes muss einen Sollwert erreichen.
    Für die beweideten Waldbestände sollte ein Sollwert für die erwünschte Dichte und Artenvielfalt des Waldes festgelegt werden. Zeigt es sich, dass der Jungwuchs erheblich von diesen Zielen abweicht, sollen passende Massnahmen getroffen werden wie z. B. die Tierbesatzstärke beschränken oder die Beweidungsdauer verlängern oder besonders stark nachgefragte Baumarten schützen.

Gemäss dem Bundesgesetz über den Wald ist dieser so zu bewirtschaften, dass er seine Funktionen dauernd und uneingeschränkt erfüllen kann. Eine nachhaltige Bewirtschaftung von Waldweiden ist mit diesem Grundsatz also durchaus vereinbar. Mehr noch: wenn die Spielregeln einer nachhaltigen Waldweide beachtet werden, so erbringt die land- und forstwirtschaftliche Doppelnutzung einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen.

Es ist vorteilhafter, Wald und Weide auf der gleichen Fläche zu kombinieren als im Rahmen einer Trennung beider Bewirtschaftungsformen grössere zusammenhängende Offenweideflächen zu schaffen und die umliegenden Wälder immer dichter werden zu lassen. Die den Waldweideflächen typische heterogenere Waldstruktur wirkt sich zudem positiv auf die Artenvielfalt und das Landschaftsbild aus. Dies hat nicht zuletzt auch positive Auswirkungen auf die touristische Nutzung des Waldes. Für ein zufriedenstellendes und konfliktfreies Nebeneinander verschiedener Nutzungen ist eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen notwendig, besonders zwischen den Vertretenden der Forst- und der Landwirtschaft.

Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse des Artikels Waldweide im Alpenraum. Neubewertung einer traditionellen Mehrfachnutzung zusammen. Grundlage war ein Forschungsprojekt, das von 2001 bis 2004 am WSL-Institut SLF in Davos durchgeführt wurde in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Institut für Landespflege an der Universität Freiburg i. Br.