Laien sind meist überrascht, dass in Bayern noch so etwas "Vorsintflutliches" wie Weiderechte existiert. Selbst für viele Försterkollegen sind Weiderechte eine eher suspekte Materie, mit der man sich bestenfalls kurz vor Prüfungen beschäftigt hat. Für die Besiedlung Bayerns waren die Weiderechte jedoch – wie übrigens die anderen Forstrechte auch – von existentieller Bedeutung.

Weiderechte dienten früher den meisten Bauernhöfen als Existenzgrundlage. Im Bayerischen Wald und vor allem in den Bayerischen Alpen spielen sie noch heute eine wichtige Rolle. Gerade hier befinden jedoch auch die größten Schutzwaldflächen, welche die Siedlungen und Verkehrswege in den Tälern sichern. Doch die Waldweide kann in diesen Wäldern deutliche Schäden verursachen. Gerade in den Bereichen, in denen inzwischen eine waldverträgliche Schalenwilddichte erreicht ist, werden diese Schäden in den letzten Jahren immer offensichtlicher.

Geschichte der Weiderechte

Die Wurzeln unserer teilweise heute noch bestehenden Weiderechte liegen in der Zeit der nachrömischen Besiedlung. Um 500 endete die Macht Roms in der Provinz Rätien endgültig. Das Gebiet nördlich des Limes gelangte unter fränkische Herrschaft. Den Süden Bayerns besiedelten westlich des Lechs die Alemannen und östlich des Lechs die Bajuwaren. Es handelte sich fast ausschließlich um bäuerliche Bevölkerung, die das Land in "Marken" einteilte. Jeder mit "Rauch" (= Hof) ansässige Bauer war Markgenosse. Alle außerhalb der bebauten Dorfbereiche liegenden Ländereien, d. h. die Weiden und Wälder, waren Gemeinschaftseigentum.

Im Lauf des Mittelalters verloren viele Markgenossenschaften ihre Selbständigkeit und gelangten unter den Einfluss weltlicher oder geistlicher Grundherren. Die Wälder wurden dabei von den Grundherren vor allem aufgrund jagdlicher Interessen beansprucht. Dies führte dazu, dass das Vieh am Ende des Mittelalters häufig nicht mehr im eigenen Wald weidete.

Solange sich die Ansprüche der Grundherrschaft auf die Jagd beschränkten, erwuchsen daraus keine Probleme. Das änderte sich jedoch mit dem steigenden Holzbedarf für die wachsenden Städte sowie für die Salinen, Eisen- und Glashütten. So entstanden zunehmend Konflikte zwischen Wald- und Weidewirtschaft. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden deshalb erste Weideordnungen erlassen.

Gebietweiderechtsbelastete Fläche im Staatswald
Oberbayerische Alpenrd. 53.000 ha
Allgäuer Alpen< 100 ha
Bayerischer Waldrd. 1.000 ha
übriges Bayern--
Summerd. 54.000 ha
Tab. 1: Aktuelle Weiderechtsbelastung im Bayerischen Staatswald

Waldweide – Lebensgrundlage für das Vieh

Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber damals waren die siedlungsnahen Wälder nahezu flächendeckend mit Weiderechten belastet. In waldreicheren Regionen wurde das Vieh fast ausschließlich in den Wald getrieben, da die offenen Flächen für den Ackerbau und die Winterfutter-Gewinnung benötigt wurden. Daher hatten die Weidetiere während der Vegetationszeit im Offenland "nichts zu suchen", die Waldweide war im Sommerhalbjahr die Lebensgrundlage des Viehs.

Vor 50 Jahren noch Weiderechte auf zwei Dritteln der Staatswaldfläche in den oberbayerischen Alpen

Den Umfang der Weiderechte kann man daran ermessen, dass 1958, als in Bayern das "Gesetz über die Forstrechte" (FoRG) in Kraft trat, immer noch ca. 120.000 Hektar, dies entspricht zwei Dritteln des Staatswaldes in den oberbayerischen Alpen, mit Weiderechten belastet waren. Das FoRG enthielt in Art. 19 eine im Hinblick auf die Weiderechte zentrale Bestimmung. Es unterstellte die "Weiderechte außerhalb des Hochgebirges und des Bayerischen Waldes" der Pflichtablösung. Diese Bestimmung führte zusammen mit dem raschen Strukturwandel in der Landwirtschaft dazu, dass der Umfang der Waldweiderechte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr stark abnahm.

Da für den Privatwald in der Regel keine Weiderechtsbeschriebe vorhanden sind, lässt sich die derzeitige Weiderechtsbelastung nur für den Staatswald genauer quantifizieren (Tab. 1). Im gesamten bayerischen Staatswald sind heute noch etwa 54.000 Hektar Wald weiderechtsbelastet, wobei der Schwerpunkt eindeutig in den oberbayerischen Alpen liegt.

Waldweide mit negativen Folgen

Das Bayerische Forstrechtegesetz von 1958 legte nicht nur die Pflichtablösung für die "Flachland-Weiderechte" fest, sondern es enthält darüber hinaus auch ein reiches Instrumentarium zur Bereinigung der Weiderechte im Bayerischen Wald und in den Bayerischen Alpen. Ziel war es, die Waldweide wegen ihrer negativen Auswirkungen auf den Wald zu reduzieren. Hier sind vor allem Verbiss- und Trittschädenzu nennen.

Rinder verbeißen vor allem Laubhölzer; Pferde, Schafe und Ziegen bevorzugen diese ebenfalls, "nehmen" aber gerne auch mal einen Nadelbaum. Der Verbiss führt je nach Stärke zu entmischter, lückiger oder gar ausbleibender Waldverjüngung. Die daraus resultierende Entmischung und Verlichtung der Bergwälder erhöht den Wasserabfluss und verstärkt die Gefahr von Steinschlag, Muren und Lawinen. Der Viehtritt verursacht zu Holzfäule führende Rinden- und Wurzelverletzungen. Zugleich steigern Bodenverwundungen die Erosionsgefahr deutlich.

Ziele und Grundsätze der Weiderechtsregelung

Die beiden Oberziele der Weiderechtsbereinigung in Bayern lauten zum einen, den Bergwald vor allem in Schutzwaldlagen von der Beweidung freizustellen, und zum anderen, die Almwirtschaft auf den Lichtweideflächen zu erhalten. Zusammengenommen dienen beide Ziele dazu, die alpine Kulturlandschaft mit ihrem charakteristischen Wechsel von Lichtweiden und Wäldern zu erhalten. Erst jener Wechsel bewirkt den Reiz, den diese Landschaft auf viele von uns ausübt.

Der wichtigste Grundsatz für die Weiderechtsbereinigung ist die Freiwilligkeit der Verfahren, für die sich Landtag und Staatsregierung ganz bewusst entschieden haben. Dies führt zwar zu längeren Verhandlungen. Die Freiwilligkeit zwingt jedoch beide Parteien – sowohl den berechtigten Landwirt als auch den verpflichteten Waldbesitzer – sich mit den Interessen der jeweils anderen Seite ernsthaft auseinanderzusetzen und einen tragfähigen Interessensausgleich zu erreichen.

Waldbesitzer und Landwirt sind dabei nicht allein, sondern werden bei ihren Verhandlungen von der Weiderechtskommission unterstützt. Sie ist paritätisch mit je einem Mitglied der Landwirtschafts- und der Forstverwaltung besetzt und fungiert als Vermittlerin zwischen beiden Parteien. Da sie von außen kommt, also nicht in örtliche Konflikte verwickelt ist und weil sie paritätisch besetzt ist, genießt die Weiderechtskommission bei den Beteiligten hohes Vertrauen. Sie moderiert daher nicht nur die Verhandlungen, sondern erstellt auch alle zugehörigen Berechnungen, Verträge und Lagepläne.

Formen der Weiderechtsbereinigung

Grundlage jeder Weiderechtsregelung in Bayern ist der "Bereinigungsumfang". Dies ist der Durchschnittsauftrieb in der Waldweide während der letzten 10 Ausübungen oder der letzten 30 Jahre. Dieser Durchschnittsauftrieb wird in (den fast schon legendären)"Normalkuhgräsern" (NKG) berechnet. 1 NKG ist der Futterbedarf einer Kuh an 100 Weidetagen. Jungrinder, Pferde oder Schafe werden über im FoRG festgelegte Faktoren eingerechnet, ebenso werden abweichende Weidezeiten berücksichtigt. Anhand der vom jeweiligen Revier erhobenen Auftriebszahlen ermittelt die Weiderechtskommission zu Beginn der Bereinigungsverhandlungen für jedes beteiligte Anwesen den Bereinigungsumfang. Die eigentliche Regelung der Rechte erfolgt dann auf sehr unterschiedliche Weise (siehe Artikel Weiderechtsbereinigung durch Weiderechtskommission in der Linkliste unten); unterstellt ist eine Weiderechtsbereinigung im Staatswald als Regelfall.

Wir haben in der Weiderechtskommission die Bereinigungen der Jahre 1995 bis 2004, also während der zehn Jahre vor der Forstreform, genauer ausgewertet. Von den 70 in diesem Zeitraum abgeschlossenen Weiderechtsregelungen waren jeweils über ein Drittel der Verfahren Rechtsverlegungen oder Trennungen von Wald und Weide. Es standen also die beiden Bereinigungsformen im Vordergrund, bei denen der Weideberechtigte für die aufgegebene Waldweide einen gleichwertigen Futterersatz erhält, sei es in Form einer Talwiese, einer Alm oder einer Rodungsfläche.

Seit 1995 wurden über 10.000 ha Waldweide im Bergwald bereinigt

Mit den 70 Weiderechtsbereinigungen im Auswertungszeitraum 1995 bis 2004 wurden mehr als 10.000 Hektar Bergwald dauerhaft und vollständig von der Beweidung freigestellt. Teilfreistellungen, das heißt Weiderechtsregelungen, bei denen nur ein Teil der Berechtigten aus einem Rechtsbezirk ausscheidet, sind hierbei nicht berücksichtigt. Die pro Jahr vollständig freigestellte Fläche lag zwischen 800 und knapp 1.600 Hektar. Angesichts sehr unterschiedlicher Freistellungsflächen pro Einzelfall (zwischen 4 und 1.156 Hektar) eine relativ geringe Schwankung (Abb. 4).

Wenn man sich vor Augen hält, dass der Wertabschlag für weiderechtsbelastete Waldgrundstücke im Mittel bei etwa 0,05 Euro/m2(= 500 Euro/ha) liegt, ergibt sich für die im Betrachtungszeitraum 1995 bis 2004 freigestellten 10.000 Hektar Waldweide eine Wertsteigerung des staatlichen Grundvermögens von über fünf Millionen Euro.

Hierzu zwei Anmerkungen:

  • Nicht nur für den Bayerischen Landtag sowie die Landwirtschafts- und die Forstverwaltung, sondern auch für uns in der Weiderechtskommission stehen bei der Weiderechtsregelung weniger die Entlastung des staatlichen Grundvermögens im Vordergrund, sondern vielmehr die landeskulturellen Aspekte unserer Arbeit: Die Weiderechtsbereinigung dient durch den Erhalt der Almen und die Entlastung der Schutzwälder der Bewahrung unserer alpinen Kulturlandschaft und sichert darüber hinaus die Infrastruktur (Siedlungen und Verkehrswege) in den Tälern.
  • Diese landeskulturellen Aspekte sind jedoch auch finanziell deutlich höher zu bewerten als die Entlastung staatlichen Grundvermögens von wertmindernden Rechten: So kosten technische Verbauungen als Ersatz eines Hektars Schutzwald zwischen 300.000 und 500.000 Euro. Der großflächige Ersatz von intakten Schutzwäldern durch solche Verbauungen wäre nicht finanzierbar. Daher sind angepasste Schalenwildbestände und eine Entlastung des Bergwaldes von der Beweidung unverzichtbare Elemente einer langfristigen Daseinsvorsorge in den Bayerischen Alpen.

Ausblick

Wir hoffen, dass die Weiderechtsregelung auch mit den neuen Bewirtschaftungsstrukturen im Staatswald erfolgreich fortgeführt werden kann. Die Weiderechtsbereinigung lebt in erster Linie von den Anregungen, die von den ortskundigen Revier- und Betriebsleitern ausgehen. Dies ist jedoch nur in Organisationsstrukturen möglich, bei denen für die örtlich Zuständigen überschaubare Einheiten sowie Zeit für die Beschäftigung mit der Weiderechtsbereinigung erhalten bleiben. Wenn die Devise nur noch "Holz, Holz, Holz" und "schneller, größer, mehr" lautet, werden wir an die Erfolge bei der Weiderechtsregelung vor der Forstreform nicht anknüpfen können.