Könnte der Eigentümer eines Schutzwaldes in der Schweiz zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es trotz seines Waldes durch Steinschlag, Lawinen usw. zu Personen- oder Sachschäden gekommen ist? Denkbar wäre dies – aber nur, wenn der Waldeigentümer seiner Bewirtschaftungspflicht nicht nachgekommen ist oder wenn er die NAIS-Vorgaben verletzt hat. Und natürlich nur wenn der Zusammenhang zwischen mangelhafter Waldbewirtschaftung und dem Schaden bewiesen werden könnte.

Schutzwälder und ihre Fähigkeit, Menschenleben und erhebliche Sachwerte gegen Naturgefahren zu schützen, standen am Ursprung der Waldgesetzgebung sowie der Forstorganisation beim Bund und in den Kantonen: Ausgehend von schweren Naturereignissen im 19. Jahrhundert wurde die erste Bestimmung über die Schutzwälder in die Bundesverfassung von 1874 aufgenommen, und das erste eidgenössische Forstpolizeigesetz von 1876 befasste sich praktisch ausschliesslich mit dem Schutzwald.

Gemäss Artikel 77 der aktuellen Bundesverfassung hat der Bund dafür zu sorgen, dass der Wald seine Schutzfunktion erfüllen kann. Dies bezweckt auch das Bundesgesetz über den Wald (Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG); es soll ausserdem dazu beitragen, dass Menschen und erhebliche Sachwerte vor Lawinen, Rutschungen, Erosion und Steinschlag (Naturereignisse) geschützt werden (Art. 1 Abs. 2 WaG).

Wo es die Schutzfunktion erfordert, haben gemäss Waldgesetz die Kantone eine minimale Pflege sicherzustellen (Art. 20 Abs. 5 WaG). Ebenfalls haben sie Massnahmen gegen Ursachen und Folgen von Schäden zu ergreifen, welche die Erhaltung des Waldes gefährden können (Art. 27 WaG).

Der Bund gewährt den Kantonen im Gegenzug auf der Grundlage von Programmvereinbarungen globale Abgeltungen an Massnahmen, die für die Erfüllung der Funktion des Schutzwaldes notwendig sind. Namentlich subventioniert werden die Pflege des Schutzwaldes (einschliesslich Verhütung und Behebung von Waldschäden, welche den Schutzwald gefährden) und die Sicherstellung der Infrastruktur für die Pflege des Schutzwaldes, soweit sie auf den Wald als natürliche Lebensgemeinschaft Rücksicht nimmt (Art. 37 Abs. 1 WaG).

Was ist ein Schutzwald?

Gemäss neuster Definition ist ein Schutzwald ein Wald, der ein anerkanntes Schadenpotenzial gegen eine bestehende Naturgefahr schützen oder die damit verbundenen Risiken reduzieren kann. Die Bundeswaldgesetzgebung verpflichtet die Kantone zur Ausscheidung von Schutzwäldern (Art. 18 WaV). Im Projekt SilvaProtect-CH hat das BAFU zusammen mit den Kantonen den Schutzwald in der ganzen Schweiz nach einheitlichen, harmonisierten Kriterien ausgeschieden.

Dies kann nicht mit den Einzonungen im raumplanungsrechtlichen Nutzungsplanverfahren gleichgestellt werden. Neben der einheitlichen Schutzwaldausscheidung erfolgt in der Schweiz auch die Pflege der Schutzwälder nach einheitlichen, auf den jeweiligen Naturgefahrenprozess sowie auf den Waldstandort abgestimmten Standards nach NAIS.

Nach der eidgenössischen Waldgesetzgebung besteht keine allgemeine Bewirtschaftungspflicht im Wald. Ausgenommen von diesem Grundsatz ist somit aber der Schutzwald, wo die Kantone die minimale Pflege sicherzustellen haben (Art. 20 Abs. 5 WaG). Ausnahmen bestehen ebenso im von Waldschäden bedrohten oder betroffenen Schutzwald und dessen Schutzwaldpuffer; in beiden Fällen können die Kantone Massnahmen anordnen.

Im Schutzwald besteht somit eine Bewirtschaftungspflicht, für deren Erfüllung die Kantone zu sorgen haben. Sie tun dies mittels Planungen (Prioritäten, Handlungsbedarf), Projekten sowie Nutzungsbewilligungen. Müssen Massnahmen angeordnet werden, erfolgt dies mittels Verfügungen, welche im Extremfall durch Ersatzvornahme oder Strafverfahren durchgesetzt werden.

Haftung nur bei Verschulden

Grundsätzlich kann eine Person nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie einen Schaden schuldhaft herbeigeführt hat. Grundlage der Verschuldenshaftung ist OR 41. Haftungsvoraussetzungen der Verschuldenshaftung sind das Vorhandensein eines Schadens, ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Haftpflichtigen und dem Schaden sowie eine Widerrechtlichkeit bzw. ein Verschulden des Haftpflichtigen. Im Zusammenhang mit der Schutzwaldpflege sind folgende Haftpflichtfälle vorstellbar (keine abschliessende Aufzählung):

  • Verletzung von Menschenleben oder Beschädigung erheblicher Sachwerte durch Lawinen, Rutschungen, Erosion oder Steinschlag (Naturereignisse)
  • Schäden durch Hochwasser/Murgänge aufgrund Verklausungen von Fliessgewässern
  • Schäden durch Schwemmholz bei Hochwasser
  • Ausbreitung von Waldschäden nach einem Holzschlag im Schutzwald.

Schäden, die direkt durch die Holzerei im Schutzwald entstehen, sind wie die übrigen Holzereischäden zu beurteilen. Wie weiter oben ausgeführt, besteht im Schutzwald eine Bewirtschaftungspflicht, für deren Erfüllung die Kantone zu sorgen haben.

Widerrechtliches Verhalten ist folglich vor allem dann vorstellbar, wenn kantonale Anordnungen im Schutzwald oder bei Waldschäden nicht befolgt werden.Dies ist dann der Fall, wenn die NAIS-Vorgaben nicht beachtet werden und z.B. die Öffnungen zu gross, die Stabilitätsträger entfernt oder die Schlagräumungen im Gewässerbereich nicht gemacht werden. Eine Widerrechtlichkeit ist auch bei einem Verstoss gegen die Nutzungsbewilligung gegeben. So kann ein Überschreiten der bewilligten Holzmenge, das Nichtstehenlassen von hohen Stöcken, das Verletzen der Bodenschutzvorschriften oder generell eine nicht fachgerechte Ausführung der Holzereiarbeiten im Schutzwald zu fatalen Folgeschäden führen.

Beim Verschulden stellt sich schliesslich insbesondere die Frage, ob der Waldeigentümer sich vor einer drohenden Haftpflicht befreien kann, indem er z.B. nachweist, dass er als Bewilligungsempfänger den beauftragten Forstunternehmer gehörig über die Auflagen und Bedingungen der Nutzungsbewilligung instruiert hat.

Adäquater Kausalzusammenhang

Tritt ein Schaden ein, stellt sich die Frage, ob ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen einem vorausgegangenen Holzschlag im Schutzwald und dem Schaden selbst besteht. Erfahrungen nach den Unwettern 2005 zeigen, dass sehr genau hingeschaut werden muss, ob ein Schaden im oder unterhalb eines Schutzwaldes tatsächlich teilweise oder ausschliesslich wegen eines vorherigen, widerrechtlichen Holzschlags entstanden ist.

Nach den Unwettern 2005 konnte z.B. erst mit sehr aufwendigen Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die grossen Mengen Schwemmholz zum grössten Teil nicht aus vernachlässigten Schutzwäldern stammten, sondern dass es sich mehrheitlich um Frischholz aus den vom Hochwasser mitgerissenen Wäldern handelte.

2005 ereigneten sich zahlreiche Erdrutsche auch im Wald – und dort teilweise in Seilschneisen. Diese Fälle wurden im Einzelfall im Gelände untersucht, und es konnte gezeigt werden, dass zwischen Erdrutsch und vorangegangenem Seilschlag meist kein Zusammenhang bestand. Schliesslich ist es in Zeiten erhöhten Borkenkäferdrucks regelmässig schwierig, nachzuweisen, dass ein Käferbefall in einem Nachbarsbestand unmittelbar mit einem vorausgegangenen Holzschlag im Schutzwald zusammenhängt. Deshalb werden in dieser Situation insbesondere Sommerholzschläge vorsorglich untersagt.

Kurz gesagt …

Anders als im übrigen Wald gilt im Schutzwald eine Bewirtschaftungspflicht, für deren Erfüllung die Kantone zu sorgen haben. Dabei sind die Vorgaben des Bundes zu beachten.

In der ganzen Schweiz ist der Schutzwald nach einheitlichen Kriterien ausgeschieden. Die entsprechenden Massnahmen bzw. Holzschläge und die Qualitätsstandards sind definiert bzw. verbindlich (NAIS). Für die anerkannten Massnahmen im Schutzwald gibt es finanzielle Abgeltungen von Bund und Kanton, welche in einer speziellen Programmvereinbarung zwischen Bund und Kanton für eine Dauer von jeweils vier Jahren vereinbart werden. Die einzelnen Holzschläge werden aufgrund einer speziellen Planung im Schutzwald ausgelöst.

Schutzwald ist im hohen Masse ein sozialpflichtiges Eigentum, d.h. die Öffentlichkeit hat ein grosses Interesse daran, dass die Schutzwaldleistungen nachhaltig erbracht werden. Deshalb werden die Massnahmen im Schutzwald mit öffentlichen Geldern von Bund und Kanton namhaft unterstützt. Andererseits sind die Verfügungsrechte des Waldeigentümers im Schutzwald stark eingeschränkt. Hält er sich jedoch an die Vorgaben, sollte das Haftungsrisiko eher tief bleiben.