Eine stetig sich nach Norden ausbreitende Wolfspopulation hat die Südgrenze der Schweiz erreicht. Einzelne Tiere haben die Grenze bereits überquert und sind in der Regel als "Problemtiere" in die Medien gelangt. Der Besiedlungsdruck durch den Wolf wird auch in Zukunft anhalten oder sogar zunehmen. Deshalb lohnt sich ein Blick in die Abruzzen, wo der Wolf immer präsent war.

Bedeutung für die Schafhaltung

Der Nationalpark der Abruzzen befindet sich rund 120 km östlich von Rom. Er hat eine Fläche von 50'000 ha und ist in vier Zonen eingeteilt. Zone A ist ein Integralreservat, wo jede Nutzung untersagt, der Eintritt verboten oder die Besucherzahl limitiert ist. Besuche sind nur in Begleitung von Parkpersonal möglich und kosten Entritt. Zone B besteht aus Wald und Weiden und Zone C aus Tälern, die traditionell bewirtschaftet werden. Zone D sind Dörfer und Siedlungen. Rund um den Park ist eine 60'000 ha grosse Umgebungszone angelegt.

Die Abruzzengämse (Rupicapra rupicapra ornata), eine nahe Verwandte unserer Alpengämse (Rupicapra rupicapra rupicapra), ist eine besondere Attraktion. Ihre Anzahl ist seit Gründung des Parks dank rigorosem Schutz stark angestiegen. Sie beträgt heute rund 600 Stück. Im Nationalpark leben 30 bis 40 Braunbären. Die Bärendichte beträgt etwa ein Tier pro zehn Quadratkilometer, wobei sich die Reviere überlappen und über den Park hinausreichen. Der Nationalpark ist heute jedoch vor allem wegen des Wolfs bekannt. Die Wölfe waren in der Region immer heimisch. Ihre Population hat nach der Gründung des Nationalparks zugenommen. Heute leben darin rund 50 Wölfe, Tendenz steigend.

Die ganze Landwirtschaft im Nationalpark der Abruzzen ist extensiv und die Schafhaltung macht nur einen kleinen Teil aus. Insgesamt beweiden im Sommer 20'000 bis 25'000 Schafe den Park, im Winter sind es noch 1000 bis 1200. Die Herden umfassen meist 500 bis 600 Schafe, wobei die Tiere mehrerer Besitzer meist zusammen in einer Herde gehalten werden. Subventionen für Schafe gibt es nicht. Der Schutz der Schafherden wird in den Abruzzen durch Behirtung und Schutzhunde sichergestellt. Bei einer Herdengrösse von 500 bis 600 Tieren ist in der Regel ein Hirte mit drei bis sechs Schutzhunden zuständig. Nach lokalen Erfahrungen liegt das Optimum bei einem Schutzhund pro 100 Schafe. Die Schutzhunde leben die ganze Zeit mit den Schafen zusammen. Sie werden in die Herde hineingeboren und betrachten die Schafe als Familienmitglieder, die es auch zu beschützen gilt.

Es sind keine grösseren Schäden durch Wölfe an Nutztieren zu verzeichnen. Die Gründe liegen bei der guten Behirtung der Schafherden. In den Abruzzen ernährt sich der Wolf vor allem von Rotwild, Wildschweinen und Rehen. Der Wolf ist häufig dort anzutreffen, wo die Rotwilddichte stark ist. Die Abruzzengämse ist nicht betroffen, weil sie sich vorwiegend in der Nähe von Felsen aufhält und bei Gefahr dorthin flüchten kann. Der Anteil an Haustieren (Schafe, Ziegen, Kühe, Geflügel) in der Nahrung des Wolfs ist klein.

Ausblick und Empfehlung für die Schweiz

Es ist damit zu rechnen, dass der Wolf in Zukunft mehr und mehr auch in der Schweiz auftreten wird. Im Unterschied zu Mittelitalien, wo der Wolf immer präsent war, ist er in der Schweiz seit rund 130 Jahren ausgestorben. In dieser Zeit haben sich Nutzungsformen der Landschaft ohne Wolfseinfluss weiterentwickelt.

In Mittelitalien, wo der Wolf seit jeher lebt, wird weder die Jagd verunmöglicht noch die Kleinviehzucht in Frage gestellt. Was aber auffällt, ist, dass es die italienische Bevölkerung noch versteht, ihre Tätigkeiten so auszuführen, dass wenig Konflikte mit dem Wolf entstehen. Hier ist der entscheidende Punkt, wenn es darum geht, die natürlich ablaufende Wolfsausbreitung möglichst konfliktarm zu gestalten. Die Menschen in der Schweiz müssen erst lernen, mit dem Wolf umzugehen. Insbesondere in der Schafhaltung:

  • Die professionelle Schafhaltung in Italien zeigt die Anforderungen an eine Schafwirtschaft in einem Gebiet mit Wölfen: Intensive ganzjährige Behirtung und Schutzmassnahmen sind notwendig. Nur konsequente Massnahmen führen zum Ziel.
  • In der Schweiz sind diese intensiven ganzjährigen Behirtungs- und Schutzmassnahmen neu. Sie sind aufwendig und werden nach marktwirtschaftlichen Regeln eingeführt. Erst wenn der Gewinn grösser ist als der Verlust, der aus Unterlassungen resultiert, ist an eine Realisierung der Massnahmen zu denken. Die Sömmerungsbeitragsverordnung (SR 910.133 vom 29. März 2000) geht in die entsprechende Richtung.
  • Verlust kann in denjenigen Gebieten entstehen, in die der Wolf einwandert oder dort, wo die Bedingungen für landwirtschaftliche Subventionen nicht mehr erfüllt werden und die Zahlungen von z.B. Sömmerungsbeiträgen wegfallen.
  • Folglich wären in potenziellen Einwanderungsgebieten die betreffenden landwirtschaftlichen Subventionen mit Bedingungen zu ergänzen, die das Risiko von Wolfsübergriffen durch besondere Behirtungs- und Schutzmassnahmen verkleinern. Dies ist in der kommenden Revision der Sömmerungsbeitragsverordnung vorgesehen.
  • Im Zusammenhang mit der Haltung von Kleintieren ist eine Koordination der oben angeführten Anliegen mit der Behirtung, dem Schutz, dem koordinierten Weidebetrieb, der Entfernung des Kleinviehs aus ungeeigneten Gebieten, den Sömmerungsbeiträgen usw. wichtig. Nicht statthaft wäre, die Schafhaltung für alle Interessen separat zu definieren. Es müssen Haltungsformen gefunden werden, die den Anforderungen einer Kulturlandschaft mit Wölfen grundsätzlich genügen können.
  • Treten trotz der angepassten Behirtungs- und Schutzmassnahmen Probleme mit Wolfsübergriffen auf, so wären diese zu vergüten.

Erst durch konsequente Behirtungs- und Schutzmassnahmen für Schafe ist der Wolf gezwungen, andere Nahrungsquellen zu erschliessen. Es ist naheliegend, dass dann vermehrt Schalenwild dazugehören wird. Die Schalenwildbestände in der Schweiz sind hoch, aber - ähnlich wie die Haltung der Schafe - nicht an eine Präsenz des Wolfs angepasst. Deshalb ist auch dort am Anfang mit regional starken Übergriffen zu rechnen, bis sich das Verhalten des Schalenwildes angepasst hat.

Die Einwanderung des Wolfs in die Schweiz wird nicht konfliktfrei verlaufen. Sie kann vielleicht erträglich gestaltet werden, wenn die betroffene Bevölkerung in der Schweiz wieder lernt, mit dem Wolf zu leben. Ein grosser und entscheidender Unterschied zwischen der Schweiz und Italien wird damit angesprochen: Während in Italien die Bevölkerungsdichte in den Kerngebieten des Wolfs sehr klein ist, gibt es in der Schweiz nur wenig Gebiete mit ähnlich kleiner Bevölkerungsdichte. Das ist kein Problem für den Wolf - er ist anpassungsfähig - aber wohl ein Mass für das Konfliktpotenzial, das uns bei der laufenden Einwanderung erwartet.

Methoden zur Überwachung von Wölfen

Neben Direktbeobachtungen, Spuren oder Rissen werden die Wölfe vor allem mit "Wolf-Howling" und "Fotofallen" überwacht.

  1. Wolf-Howling
    Mittels Megaphon wird von einer Kassette Wolfsgeheul abgespielt, das Wölfe noch aus sieben Kilometern Entfernung wahrnehmen, ganz im Gegensatz zum menschlichen Ohr, dessen Wahrnehmungsfähigkeit auf zwei bis drei Kilometer beschränkt ist. Nach dreimaligem Heulen liegen die Chancen auf eine Antwort (falls Wölfe vorhanden sind) bei 95%. Die Antworten werden im Labor akustisch ausgewertet und damit die Populationsgrösse geschätzt. Will man ein grosses Gebiet erfassen, muss die akustische Bestandeserhebung möglichst in kurzer Zeit im ganzen Areal geschehen, da die Wölfe ein grosses Revier haben und sehr grosse Distanzen in kurzer Zeit zurücklegen können (Gefahr der doppelten Zählung).
  2. Fotofallen
    Mit Fotofallen, welche in der Regel an Wildtierwechseln platziert werden, können Wölfe und Bären individuell überwacht werden. Auch für die Erfolgskontrolle von Wildtierkorridoren und für die Bestimmung von schadenstiftenden Tieren werden Fotofallen eingesetzt. Die Fallen werden im Turnus von zwei Wochen kontrolliert. 10% aller Fotos sind Fehlaufnahmen und können für die Auswertungen nicht verwendet werden. Die Erfolgsquoten betragen bei Wölfen eine Aufnahme pro 100 Tage Kameraeinsatz, bei Bären eine Aufnahme pro zehn Tage. Die Materialkosten für eine Fotofalle belaufen sich auf rund Fr. 330.–.