Je mehr Menschen in der winterlichen Berglandschaft Erholung suchen, desto wichtiger werden Massnahmen zur Lenkung des Freizeitbetriebs. Informations- und Sensibilisierungskampagnen bezwecken, die Leute von den Einstandsgebieten der ruhebedürftigen Wildtiere fernzuhalten. Rücksichtsvolles Verhalten gegenüber Fauna und Flora soll dabei zur selbstverständlichen Etikette des Natursports werden.

Die Südflanke des Munt da la Bes-cha im Val Müstair (GR) ist ein optimaler Winterlebensraum für Wildtiere. Auch wenn reichlich Schnee liegt, finden sich in den felsigen Hängen noch apere Flecken, und an sonnigen Tagen ist es auch nicht so kalt. Wer auf Schneeschuhen von der Postautostation Süsom Give zur Plaun da l'Aua wandert, begegnet zahlreichen Gämsen und Steinböcken. Sie dösen, äsen und wärmen sich an der Sonne.

Von der Talstation des Skigebiets Minschuns führen auch eine Langlaufloipe und ein Winterwanderweg zur Plaun da l'Aua. Wildhüter Jon Gross bietet auf diesem Pfad mehrmals in der Wintersaison geführte Spaziergänge an, was die Wintergäste rege nutzen. Sie kommen auf ihre Rechnung: Entspannt zeigen sich die Tiere den wenige hundert m entfernt stehenden Menschen. Sie scheinen zu ahnen, dass sie niemand behelligen wird, denn ihr Einstandsgebiet befindet sich innerhalb der Wildruhezone "Munt da la Bes-cha". Die Schneeschuhroute sowie die Loipe und der Winterwanderweg verlaufen knapp an ihr vorbei. "Die Massnahme zur Besucherlenkung bringt so auch den Menschen einen Gewinn", sagt Thomas Gerner von der Sektion Wildtiere und Waldbiodiversität beim BAFU. "Ich kenne nicht viele Orte, wo man den Tieren im Winter so nahe kommt und sie - ohne zu stören - ausgiebig beobachten kann."

Besucherlenkung im Park

Das an den Nationalpark grenzende Val Müstair ist ein wertvolles Gebiet für die alpine Fauna. Es ist wildreich, bietet Lebensraum für das selten gewordene Auerhuhn und schliesst das abgelegene, im Winter kaum begangene Val Mora ein. Das Tal lebt hauptsächlich vom Tourismus. Die Labels "Biosfera" und "Regionaler Naturpark" sprechen Gäste an, die das Naturerlebnis suchen. Zwischen 1998 und 2008 haben die Übernachtungszahlen um mehr als die Hälfte zugenommen. Im Winter locken reizvolle Routen für Schneeschuh­wanderungen und prächtige Skitourengipfel.

Naturwerte schonen

Die Labels verpflichten aber auch dazu, die Naturwerte im Tal zu schonen. "Eine gute Koordination und Entflechtung mittels Besucherinformation und -führung hilft, die verschiedenen Interessen aufeinander abzustimmen", erklärt Thomas Gerner. Ein zentrales Element bilden dabei Lenkungsmassnahmen. Sie sorgen dafür, dass die Ruhebedürfnisse der Wildtiere - und im Sommer auch die Lebensräume trittempfindlicher Pflanzen - trotz der touristischen Nutzung gewahrt bleiben.

"Munt da la Bes-cha" ist eine von zwölf Wildruhezonen im Val Müstair. Deren Ausscheidung war das Ergebnis eines breit abgestützten Prozesses unter Einbezug der Tourismusverantwortlichen. Die rechtliche Grundlage dafür liefert das Jagdgesetz. Es räumt den Kantonen das Recht ein, den Zutritt zu sensiblen Gebieten saisonal - und in besonderen Fällen auch ganzjährig - zu verbieten oder auf feste Pfade zu beschränken. In rechtskräftig ausgeschiedenen Wildruhezonen droht bei Missachtung der Bestimmungen eine Busse. Dagegen ist das Betreten einer bloss empfohlenen Wildruhezone kein Straftatbestand. Hier wird an die Bereitschaft jedes Einzelnen appelliert, auf die Fauna Rücksicht zu nehmen.

Information ist wichtig

"Munt da la Bes-cha" ist zwar keine rechtskräftige Wildruhezone. Trotzdem bleibt sie zwischen dem 21. Dezember und dem 30. April weitgehend unbegangen. Im Tal wird viel getan, um den Gästen die Störungsproblematik bewusst zu machen und ihnen die wichtigsten Verhaltensregeln für naturverträglichen Schneesport zu vermitteln. Auf Schritt und Tritt begegnet man entsprechenden Infotafeln, Flyern und weiteren Informationsangeboten.

Die Botschaft wird gehört

Dass die Botschaft beim Publikum ankommt, zeigt eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil (ZH). Um herauszufinden, wie sich Schneeschuhwanderer und Tourenfahrerinnen im Gelände bewegen, wurden Freiwillige in den Wintersaisons 2009 und 2010 mit einem GPS-Logger ausgerüstet. Wie die Nachzeichnung ihrer Wege mithilfe des Ortungsgeräts im Rucksack ergab, hatten sie Wildruhezonen und auch die Einstände des Auerhuhns weitgehend gemieden.

Auerhuhn profiiert bereits

Die Studie brachte indessen auch einzelne Probleme zum Vorschein: So führte die stark frequentierte Aufstiegsroute am Nordhang des Piz Dora bei Tschierv mitten durch ein Kerngebiet des Auerhuhns. Mit der Ausscheidung von zwei neuen Wildruhezonen versuchen die Behörden nun seit 2011, den Ruhebedürfnissen des scheuen Vogels besser gerecht zu werden. Der Zugang zum viel begangenen Gipfel bleibt jedoch weiterhin möglich. Der Weg führt jetzt über einen engen Korridor durch den lichten Wald. Durch diese Kanalisierung der Wintersportler wird das Auerhuhn in seinem Lebensraum weniger gestört.

Verhaltendregeln für Wald und Waldrand

Wildruhezonen sind zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Instrument der Besucherlenkung, denn auch im übrigen Gelände drängt sich Rücksicht auf Wildtiere auf. Nebst dem Gebot, Wildruhezonen unbedingt zu beachten, legt die vom Schweizer Alpen-Club (SAC) und vom BAFU lancierte Kampagne "Respektiere deine Grenzen»" den Schneesportlerinnen und -sportlern deshalb weitere Verhaltensregeln nahe. Sie sollen im Wald stets auf den Wegen und den bezeichneten Routen bleiben, Waldränder - die bevorzugten Lebensräume der Birkhühner - ebenso meiden wie schneefreie Flächen, wo Gämsen und Steinwild Äsung finden, und Hunde an der Leine führen.

Diese Botschaften zeigen Wirkung, wie eine Evaluation der Kampagne durch die Gruppe "Sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung" an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL ergab.

Durch das Beachten dieser vier einfachen Regeln der Kampagne "Respektiere deine Grenze" kann jeder einen Beitrag zu rücksichtsvollem Natursport leisten:

  1. Beachte Wildruhezonen und Wildschutzgebiete:
    Wildtiere ziehen sich dorthin zurück.
  2. Bleibe im Wald auf den markierten Routen und Wegen:
    So können sich die Wildtiere an den Menschen gewöhnen.
  3. Meide Waldränder und schneefreie Flächen:
    Sie sind die Lieblingsplätze der Wildtiere.
  4. 4. Führe Hunde an der Leine, insbesondere im Wald
    Wildtiere flüchten vor frei laufenden Hunden.

Angebote für die Tourenplanung

Schneeschuh- oder Skitourengänger sind in der Regel naturverbunden. Sie interessieren sich für Informationen über das Leben und die Bedürfnisse der Wildtiere und sind empfänglich für Appelle zur Rücksichtnahme. Dies zeigte eine weitere WSL-Studie. Nachdem am Anfang eines Schneeschuhtrails im Kanton Schwyz Tafeln mit ökologischen Informationen montiert worden waren, folgten über 80 % der Leute der Aufforderung, den Trail nicht zu verlassen. Hingegen zeigten Appelltafeln entlang der Route keinen zusätzlichen positiven Effekt. Marcel Hunziker, Leiter der Sozialwissenschaftlichen Landschaftsforschung an der WSL, findet deshalb, es sei wenig sinnvoll, im Tourengelände viel Aufwand für die Besucherlenkung zu betreiben und in die Installation sowie den Unterhalt solcher Tafeln zu investieren. "Bei diesen Zielgruppen konzentriert man sich besser auf Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen, die am Anfang der Tour sowie bei deren Planung ansetzen."

Wildruhezonen

In der Tat sind namentlich Skitouren meistens geplante Unternehmen. Routen werden auf der Karte oder im Tourenführer erkundet, und man konsultiert das Lawinenbulletin im Internet. Hier findet sich seit 2010 auch ein Link auf www.wildruhezonen.ch. Eine interaktive Karte auf dieser, vom BAFU in Zusammenarbeit mit den Kantonen betriebenen, Website informiert über alle Wildruhezonen der Schweiz, die einschlägigen Bestimmungen sowie die erlaubten Routen. Die Karte wird jährlich auf den neusten Stand gebracht. "Aktuelle Daten sowie verständliche und leicht verfügbare Informationen zu den Wildruhezonen sind für naturverbundene Wintersporttreibende von grosser Bedeutung", ist Thomas Gerner, Projektleiter des Portals, überzeugt.

Aktuelle Karten als Planungshilfe

Laufend überarbeitet werden auch die Skitourenkarten im Massstab 1:50‘000 von swisstopo. Sie enthalten Angaben zu den neuen Wildruhezonen sowie zu empfohlenen Aufstiegsrouten und Abfahrtskorridoren, die mit roten Linien markiert sind. Die kantonalen Fachstellen für Jagd und Wildtiere überprüfen diese im Hinblick auf ihre Wildtierverträglichkeit und korrigieren sie bei Bedarf. Marcel Hunziker, selbst ein begeisterter Skitourengänger, hat Ideen für weitere Angebote. "Nützlich wäre beispielsweise eine App, welche die Wildruhezonen auf portablen Geräten mit GPS vor dem Hintergrund der Landeskarte 1:25‘000 anzeigt", schlägt er vor.

Ab dem Druckjahr 2012 bieten die Tourenkarten für Schneeschuhwandernde ebenfalls eine Planungshilfe: Bereits sind acht Karten erschienen, auf denen zusätzlich empfehlenswerte Schneeschuhrouten verzeichnet sind - so auch auf der Karte "Ofenpass", die das Val Müstair abdeckt.

Markierte Schneeschuhtrails

Während Skitourenfahrer selbstständig unterwegs sind und sich anhand von Karten und GPS-Geräten orientieren, bewegen sich Schneeschuhlaufende öfters in Gruppen und lassen sich - ähnlich wie Sommerwanderer - gerne auch durch Markierungen und Wegweiser leiten. Das mag ein Grund dafür sein, dass ausgeschilderte Trails bei ihnen gut ankommen. Dank attraktiver Routen – für konditionell limitierte Geniesser ebenso wie für ambitionierte Sportler – stapfen die Leute zum Beispiel im Kiental im Berner Oberland heute nicht mehr wie früher querfeldein durch den Schnee, sondern fast ausnahmslos auf festen Pfaden. Anklang finden auch die markierten Schneeschuhrouten, die vor allem in der Romandie angelegt wurden und unter www.swisssnowshoe.ch zu finden sind. Die Linienführung erfolgte in Zusammenarbeit mit den Wildhütern.

Auch Freerider sind angesprochen

Bis anhin richtete sich die Kampagne "Respektiere deine Grenzen" vornehmlich an Skitourenfahrerinnen und Schneeschuhläufer. Nun sollen vermehrt auch Freerider angesprochen werden. Das sind Skifahrerinnen und Snowboarder, die den stiebenden Pulverschnee abseits der Pisten geniessen. Sie lassen sich meist mit Bahnen und Skiliften in die Höhe transportieren, nehmen auf der Suche nach noch nicht verfahrenen Hängen aber gelegentlich auch Aufstiege zu Fuss in Kauf - sei es auf Schneeschuhen oder mit Fellen.

Rücksichtnahme ist cool

"Kampagnen müssen zielgruppengerecht sein und das soziale Umfeld einbeziehen", fordert Marcel Hunziker. Bei Freeridern stehe das Naturerlebnis weniger im Vordergrund, mit detaillierten Informationen über die Fauna ziele man deshalb an ihnen vorbei. Dies hat auch ein ebenfalls von der WSL durchgeführter Test gezeigt. In Bussen auf dem Weg von Zürich ins Wintersportgebiet verteilte man unterschiedliche Informationsmaterialien:
Eine Gruppe erhielt einen Flyer mit Angaben über die Auswirkungen von Fahrten abseits der Pisten auf die Wildtiere. Dazu gab es eine Reihe von Regeln für naturschonendes Verhalten.
Der zweite Flyer für die andere Gruppe enthielt bloss einen einzigen Appell: "Damit die Pflanzenwelt nicht geschädigt und das Wild nicht gestört wird: Bitte nicht abseits der Pisten durch bewaldetes Gebiet fahren!" Eine Befragung bei der Rückfahrt ergab, dass dieser Appell tatsächlich befolgt worden war, während die detaillierte Information mit differenzierten Verhaltensregeln wirkungslos blieb.

Man ist somit durchaus guten Willens, mag aber nicht zu viel Fachinformation lesen. "Erfolg versprechend ist hier die Kommunikation einfacher Verhaltensregeln über Vorbilder, die beispielsweise vermitteln, dass Rücksicht auf Wildtiere ‹cool› ist", sagt Marcel Hunziker.

Gilt auch für andere Natursportarten!

Nicht nur Schneesporttreibende abseits der Pisten sind eine heterogene Gruppe. Unterschiedliche Botschaften brauche es zum Beispiel auch für Kanuten, haben Mitarbeitende der Universität Erlangen (D) herausgefunden. Hier geht es vor allem darum, Störungen der Brutvögel und Schäden an der schützenswerten Auenvegetation zu vermeiden. Die Forschenden befragten Wassersporttreibende an der Wiesent, einem beliebten Kanufluss in der Fränkischen Schweiz, nach ihren Beweggründen. Dabei kristallisierten sich aufgrund der unterschiedlichen Motivation vier Typen heraus: Erholungs-, Gemeinschafts-, Natur- sowie Sportinteressierte, die alle gezielt angesprochen werden müssen.

In der Tat sind Lenkungsmassnahmen nicht nur für den Schneesport ein Thema. Wer wandert, klettert, Kanu fährt, mit dem Gleitschirm fliegt, in Auen badet oder als Biker unterwegs ist, betätigt sich ebenfalls in wertvollen Lebensräumen. "Die Sozialforschung kann den Verantwortlichen helfen, eine bedürfnisorientierte und erfolgreiche Besucherführung umzusetzen", sagt BAFU-Mitarbeiter Thomas Gerner. "Grundsätzlich gilt, dass die Sensibilisierung für die Störungsproblematik und die Information über verantwortungsbewusstes Handeln beim Natursport Kopf, Herz und Hand ansprechen müssen. Die Kampagnen sollen einfach aufbereitetes ökologisches Wissen und eine Grundeinstellung der Rücksicht gegenüber der Tierwelt vermitteln, aber auch einfache Tipps für naturverträgliches Verhalten."

Erfolgreiche Sensibilisierung

Das BAFU und der Schweizer Alpen-Club (SAC) haben die bis 2016 laufende Kampagne "Respektiere deine Grenzen" im Winter 2009/2010 landesweit lanciert. Eine erste Evaluation erfolgte Anfang 2012. Dazu befragte die WSL in mehreren Wintersportgebieten der Schweiz 169 Schneeschuhläufer/-innen und 379 Skitourenfahrer/-innen. Zwei Drittel davon erinnerten sich an die Kampagne und gaben an, sie hätten ihr Verhalten deshalb geändert oder wollten dies in Zukunft tun. Im Vergleich zur Minderheit der Befragten, welche die Kampagne nicht kannte, wussten sie deutlich besser Bescheid über die Störungsproblematik sowie die Grundregeln des naturverträglichen Schneesports und wandten Letztere auch konsequenter an. Auffallend ist, dass die Mitgliedschaft beim SAC einen signifikant positiven Einfluss auf die Bekanntheit der Kampagne hat. Als Mitträger spielt der SAC eine wichtige Rolle bei der Öffentlichkeitsarbeit und scheint damit erfolgreich zu sein.