Gerade Säugetierarten mit großem Raumanspruch sind durch die fortschreitende Zerschneidung unserer Landschaft in ihrer Mobilität mehr und mehr eingeschränkt. Sie werden nicht nur durch Tod oder Verletzung auf der Straße oder Schiene gefährdet, zunehmend wird auch der für einen langfristigen Fortbestand der Arten wichtige genetische Austausch behindert oder sogar völlig unterbunden. Die Aussterbewahrscheinlichkeit von kleinen, isolierten Populationen durch Inzucht oder Zufallsereignisse nimmt dadurch erheblich zu. Die Landschaft in Europa muss also für unsere Wildtiere wieder durchlässiger werden.

Vorreiter in der EU

Die Niederlande, die Schweiz, Österreich und Tschechien haben schon früher Konzepte für die Sicherung und Wiederherstellung des Biotopverbundes an Fernstraßen entwickelt. Diese wurden meist durch den Bau von Wildquerungshilfen an Autobahnen umgesetzt. Auch an bayerischen Autobahnen gibt es 16 kritische Streckenabschnitte, wie eine bundesweite Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen darstellt.

Ein Konzept für Bayern

Für Bayern wurde ein Fachkonzept für die Sicherung und gegebenenfalls Wiederherstellung eines überregionalen Verbundes von Lebensräumen großer Wildtiere sowie der Durchgängigkeit der Wildtierkorridore an Bundesfernstraßen erarbeitet. Als Ziel- und Leitarten wurden Rothirsch und Luchs ausgewählt, da sie einen sehr hohen Anspruch an ihre Lebensraumgröße haben und weite Wanderungen unternehmen.

Zunächst wurden vorhanden Lebensräume für beide Arten ermittelt bzw. potentielle Lebensräume identifiziert. Auf deren Grundlage wurde dann ein Ausbreitungsmodell entwickelt, das Wander- bzw. Wildtierkorridore mit möglichst geringem Raumwiderstand zwischen den verschiedenen Gebieten berechnete. Verschiedenen Landschaftstypen (Wald, offenes Gelände, Siedlung, Gewässer) wurden unterschiedliche Raumwiderstände zugeordnet (z.B. Siedlung hoch, Wald gering). Die so entstandenen Verbindungen zwischen den Wildtierlebensräumen stellen die wahrscheinlichsten Wege aus Sicht der Wildtiere dar. Sie verlaufen vor allem in deckungsreichem Gelände und sind nicht linear, sondern weisen eine unterschiedliche Breite auf, umfassen also beispielsweise den gesamten Wald, den sie berühren.

Lebensräume, die als groß genug für eine eigenständige Teilpopulation eingeschätzt wurden, bekamen eine hohe Bedeutung zugewiesen (z.B. Alpenraum, Spessart, Fichtelgebirge). Kleinen, isolierten Gebieten wurde dagegen eine geringe Wertigkeit zugewiesen. Dazwischen lagen mittelgroße Lebensräume mit Trittsteinfunktion. Die Bedeutung der Korridore wurde bewertet anhand

  • der Länge zwischen zwei Lebensräumen,
  • dem Deckungsreichtum (Waldanteil) sowie
  • vorhandenen Barrieren (v.a. Autobahnen).

Der zweite Baustein des Konzepts ist die Beurteilung von Verkehrswegen hinsichtlich ihrer wildökologischen Durchgängigkeit. Auf über 2.000 Kilometern von zweibahnigen Bundesfernstraßen und Autobahnen wurden knapp 3.000 mögliche Querungsbauwerke beschrieben. Diese Bauwerke wurden beurteilt nach:

  • Größe (Länge, Breite, Höhe)
  • Ausgestaltung des Bauwerks
  • Einbindung in die Umgebung (v.a. hinsichtlich Deckungs- und Leitstrukturen)
  • Mögliche Hindernisse und Störfaktoren (untergeordnete Straßen, Siedlungsnähe, Freizeitanlagen, usw.)

Die untersuchten Bauwerke wurden dann in verschieden Kategorien eingeteilt. Danach haben beispielsweise weite, hohe Talbrücken eine sehr gute Eignung als Wildquerungshilfen. Forststraßenunterführungen haben dagegen eine geringe Eignung, in der Regel nur für lokale Populationen. Als ungeeignet aus Sicht der Wildtiere wurden vor allem Straßenüberführungen eingestuft.

Schließlich folgte eine Bewertung der Durchlässigkeit der untersuchten Straßenabschnitte (Abb. 3). Auf Grundlage der wildökologischen Eignung der Querungsbauwerke ergaben sich folgende Bewertungsstufen:

Bewertungsstufe A

(gute Durchlässigkeit)

Hier befinden sich Bauwerke mit einer guten oder sehr guten Eignung als Wildquerungshilfen in Abständen von durchschnittlich höchstens fünf Kilometern im relevanten Streckenabschnitt. Voraussetzung dabei ist, dass der Streckenabschnitt landschaftlich homogen ist, also z.B. durch Wald verläuft.
Bewertungsstufe B

(eingeschränkte Durchlässigkeit)

Entsprechende Bauwerke sind seltener, befinden sich in Abständen von durchschnittlich fünf bis zehn Kilometern im relevanten Streckenabschnitt. Oder hier befinden sich Bauwerke der nächst schlechteren Kategorie (z.B. Unterquerungen von 10 – 30 m Breite) in Abständen von höchstens fünf Kilometern.
Bewertungsstufe C

(keine Durchlässigkeit)

Im relevanten Streckenabschnitt finden sich allenfalls kleine, in der Regel für den Wildwechsel ungeeignete Bauwerke.

Aus den beschriebenen Bewertungsgrundlagen (Lebensräume, Wildtierkorridore, Bauwerke) wurde eine Prioritätenliste für Maßnahmen zur Verbesserung des weiträumigen Biotopverbundes für große und mittelgroße Wildtiere in Bayern entwickelt.

Ergebnisse

Insgesamt erscheinen in Bayern nur wenige Abschnitte von Bundesfernstraßen (v.a. Autobahnen) aus wildökologischer Sicht gut durchlässig (8 % der untersuchten Straßenkilometer). Die meisten Abschnitte bilden starke Barrieren im Hinblick auf den Biotopverbund (77 %). Nur fünf Prozent der untersuchten Bauwerke eignen sich als Querungshilfen. Aus diesen Erkenntnissen leitet sich ein Bedarf an 65 Wildquerungshilfen in Form von Grünbrücken oder Ähnlichem ab. Darüber hinaus wird ein Bündel an kleineren Maßnahmen vorgeschlagen, die insbesondere dem lokalen und regionalen Verbund dienen. Die wichtigsten Maßnahmen sollen in den nächsten 15 Jahren, die Maßnahmen zweiter Priorität nach 20 bis 25 Jahren abgeschlossen werden. Bei künftigen Planungen von Straßen oder Ausbaumaßnahmen können aufgrund des Konzeptes die Konfliktträchtigkeit bezüglich des Biotopverbundes abgeschätzt und rechtzeitig Gegenmaßnahmen berücksichtigt werden.

Umsetzung und Weiterentwicklung

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden bei Ausbauvorhaben schon umgesetzt. So sind bei der A3 Würzburg – Frankfurt (Spessart) derzeit zwei Querungshilfen, eine Grünbrücke und eine Hangbrücke, im Bau. Auf der A8 Augsburg – Ulm (Naturpark Westliche Wälder) sind drei Bauwerke planfestgestellt. An der A7 bei Oberthulba und an der A93 im Bereich des Rehauer Forstes werden erstmals Grünbrücken an neuralgischen Punkten gebaut, ohne dass Ausbaumaßnahmen an den betroffenen Bundesfernstraßen durchgeführt werden. Mittlerweile ist die Berücksichtigung des großräumigen Biotopverbundes "Normalität" in der Verkehrsplanung und genießt einen hohen Stellenwert. Ein nächster Schritt ist die Sicherung und Verbesserung der potentiellen Wanderkorridore, nicht nur an den Kreuzungspunkten mit Verkehrsachsen.