Wildtiere sind häufig im Fokus der Öffentlichkeit und zunehmend auch des Naturschutzes. Dies umso mehr, als die Herausforderungen im Umgang mit Wildtieren zunehmen. Einerseits beanspruchen Wildtiere große Räume und einen Biotopverbund. Andererseits wollen immer mehr Menschen ihre Rechte im Wald in Anspruch nehmen. Für die Erfüllung der Bedürfnisse von Wildtieren und der Ansprüche des Menschen ist ein umfassendes Wildtiermanagements notwendig. Für den Wald bedeutet dies, dass die Walderhaltung einen neuen Stellenwert bekommen müsste. Für die Waldbewirtschaftung geht es um die Beantwortung der Frage, wo, welche und wie viel Waldstrukturen erhalten oder geschaffen werden müssen, um Biodiversität zu sichern.

Wildtiere und Waldnaturschutz

Welche Besonderheiten besitzt der Wald aus Naturschutzsicht? Wald ist im Vergleich mit anderen Ökosystemen sehr langlebig und wird deutlich weniger intensiv vom Menschen genutzt als andere Landschaftsbereiche. Wälder sind daher relativ weniger vorbelastet und bieten in ihren Kernbereichen eine relative Ungestörtheit, insbesondere wenn sie großflächig zusammenhängend und nicht fragmentiert sind. In Abb. 1 (oben links) ist dargestellt, wo in Baden-Württemberg noch relativ wenig vorbelastete Waldgebiete vorhanden sind. Die Waldfläche verteilt sich auf unzählig kleine Teilgebiete und ist stark fragmentiert. Werden diese Teilgebiete nach Größenklassen gefiltert, gibt es nur noch wenig größere, geschlossene Waldgebiete. Gebiete mit einer Größe > 1.000 ha (oben rechts) sind schon sehr weit voneinander entfernt, solche > 5.000 ha (unten links) gibt es neben dem Schwarzwald nur noch im Schönbuch und das einzige Gebiet > 10.000 ha (unten rechts) liegt im Nordschwarzwald.

Die Erhaltung oder Wiederherstellung eines Biotopverbunds zwischen diesen Flächen ist sehr schwierig, zumal die Inanspruchnahme von Waldgebieten andauert. Bei entsprechenden Eingriffen in den Wald hat dieser per se keine hervorgehobene Bedeutung. Nur das Vorkommen von gefährdeten Arten oder Biotopen kann den weiteren Verlust von Waldflächen verhindern. Fragen der Walderhaltung spielen eine gegenüber "öffentlichem Interesse" untergeordnete Rolle. Die im Wald lebenden Wildtiere sind wegen des großen Raumanspruchs und des notwendigen Populationsverbunds aus Naturschutzsicht sehr wichtig. Daher ist eine großräumige Betrachtung notwendig, die sich nicht nur auf Schutzgebiete und wertvolle Biotope bezieht, sondern auf die gesamte Waldfläche. Doch um welche "Wildtiere" geht es?

Der Begriff Wildtier steht für Tiere, die nicht zahm sind. Sie leben in der "Wildnis" und sind im Gegensatz zu Haustieren nicht domestiziert. Der klar abgegrenzte Begriff "Wild", der bisher alle dem Jagdrecht unterliegenden Wildtiere umfasste, hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung als Synonym zum Begriff des Wildtiers entwickelt. Die nicht fachkundige Öffentlichkeit hat aber auch Wild vereinfacht so wahrgenommen, dass Wildtiere in erster Linie bejagt werden. Diesbezüglich ist das neue Jagd- und Wildtiermanagementgesetz Baden-Württembergs (JWMG) ein Quantensprung. Für die Auswahl von Wildtieren, die dem Gesetz unterliegen, werden klare Kriterien definiert: Wildtierarten, bei denen eine jagdliche Nutzung möglich und/oder eine Regulation notwendig und/oder ein Wildtiermonitoring unterstützt durch die Jägerschaft erforderlich ist, unterliegen dem JWMG. Auch die Logik der dynamischen Entwicklung von Wildtierpopulationen wird durch den alle drei Jahre zu erstellenden "Wildtierbericht" berücksichtigt. Die Aufteilung in "Naturschutzarten" und "Jagdarten" wird zugunsten eines "sowohl Naturschutz- als auch Jagdarten" aufgegeben. Damit wird eine Zusammenarbeit gesetzlich eingefordert, die fachlich dringend erforderlich ist, um den Umgang mit Wildtieren so zu praktizieren, dass bestehende Herausforderungen gemeinsam gelöst werden können.

Herausforderungen im Umgang mit Wildtieren

Heute sind sehr komplexe Zusammenhänge im Umgang mit Wildtieren gegeben. Einige Beispiele sind:

  • Rückgang von Tierarten und damit einhergehende Zunahme deren Naturschutzbedeutung (z.B. Rebhuhn, Auerhuhn)
  • Rückkehr von Tierarten und deren hohe Naturschutzbedeutung (z.B. Wildkatze, Luchs, Wolf, Biber)
  • Abnahme von Wildtierlebensräumen (z.B. täglicher Flächenverbrauch in Ba-Wü 6,6 Hektar pro Tag, Deutschland 74 ha)
  • Zerschneidung von Wildtierlebensräumen (z.B. 1 km Straße außer Orts pro 1 qkm Landesfläche)
  • Zunehmende Inanspruchnahme bisher wenig gestörter Waldflächen/Wildtierlebensräume (z.B. durch Windenergie, touristische Infrastruktur)
  • Störung von Wildtieren durch zunehmende und wenig gelenkte naturtouristische Aktivitäten
  • Schäden in der Landwirtschaft durch Schwarzwild, Schäden im Wald durch Reh- und Rotwild
  • Wildunfälle (über 20.000 registrierte Wildunfälle in Baden-Württemberg, in Deutschland 700 jeden Tag (!!!) mit einem jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden von über 500 Mio. €)
  • Zunehmendes Bedürfnis der Erlebbarkeit von Wildtieren
  • Zunahme von Wildtieren im Siedlungsraum
  • Einwanderung von Neozoen wie Waschbär oder Marderhund

Allein an dieser Aufzählung wird deutlich, dass der Umgang mit Wildtieren zu einer gesellschaftlichen Aufgabe geworden ist, die nicht durch eine Interessengruppe allein bewältigt werden kann. Vielmehr ist eine Allianz von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren notwendig, die gemeinsam die komplexen Herausforderungen beim Umgang mit Wildtieren meistern. Diese gemeinsamen Aktivitäten können unter dem Begriff "Wildtiermanagement" zusammengefasst werden.

Wildtiermanagement und Waldwirtschaft

Der Begriff "Wildtiermanagement" umfasst alle Tätigkeitsbereiche und Maßnahmen, die das Vorkommen, das Verhalten und die Populationsentwicklung von Wildtieren so steuern, dass die verschiedenen Interessen, Ansprüche und Rechte der Menschen erfüllt und die Bedürfnisse der Wildtiere berücksichtigt werden. Ein so umfassender Ansatz ist notwendig, weil es bei weitem nicht ausreicht, dass Wildtiere bejagt, geschont oder geschützt werden. Damit bekommt der Umgang mit Wildtieren einen neuen Rahmen. Jäger und Jägerinnen sind beim Wildtiermanagement eine wesentliche Interessengruppe, die nach wie vor Tiere erlegt, aber auch mehr Verantwortung bei dem Schutz und dem Monitoring von Wildtieren hat. Aber auch viele andere haben einen "Auftrag" im Wildtiermanagement (Abb. 2). Die Waldwirtschaft hat die Verantwortung bei der Gestaltung von Lebensräumen, der Erhaltung und Wiederherstellung eines Biotopverbundes und damit bei der Erhaltung der Biodiversität. Die Herausforderung besteht dabei in der gleichzeitigen Erfüllung dieser wildtierbezogenen Notwendigkeiten, anderer ökologischen Erfordernisse und der ökonomischen bzw. sozialen Zielsetzungen.

Während Gemeinden, Raumplanung und Genehmigungsbehörden eine Verantwortung für die Erhaltung von Waldflächen haben, deren Wichtigkeit oben dargestellt wurde, geht es bei der Waldbewirtschaftung um die Steuerung der Baumartenzusammensetzung, des Altersaufbaus und der Strukturvielfalt des Waldes. Gerade die vertikale und horizontale Struktur des Waldes wurden bisher viel zu wenig beachtet, allenfalls werden Waldbestände als "einschichtig", "stufig" oder "mehrschichtig" beschrieben. Der Fokus liegt meist immer noch allein auf den Bäumen. Für den Wald als Lebensraum von Wildtieren sind aber andere Faktoren genauso wichtig: Welche Bodenvegetation kommt in welcher Verteilung vor? Wo scheint die Sonne auf den Waldboden? Wie viel Randlinien sind mit welchem Aufbau vorhanden? Wie sieht die Waldverteilung nach Expositionen (z.B. Winter-/Sommerhängen) aus? Diese Faktoren müssen auch bei der Bewertung von Wildschäden berücksichtigt werden.

Wildschäden, Biodiversität und Wildtiermanagement

Die Diskussionen über durch Wildtiere verursachte Schäden laufen seit Jahrzehnten nach dem gleichen Schema: Werden Schäden festgestellt, wird ein zu hoher Wildbestand angenommen. Die Lösung des Problems wird allein in der Reduzierung des Wildbestandes gesehen, obwohl z.B. für Schälschäden und Rotwild schon vor 20 Jahren andere Zusammenhänge wissenschaftlich belegt wurden (Völk 1998). Dennoch gibt es bis heute zur Problemlösung von Schälschäden meist nur endlose konfliktträchtige Diskussionen über die Abschusshöhe.

Wird dagegen die in Abb. 3 dargestellte Komplexität des mit Schälschäden zusammenhängenden Wirkungsgefüges betrachtet, wird einerseits die große Bedeutung der Wilddichte und Bejagung deutlich. Andererseits müssen aber auch je nach Einzelfallsituation zahlreiche andere Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Die Verantwortlichkeiten erfordern auch hier ein gemeinsames Wildtiermanagement. Ein beispielgebendes Management wird seit 2008 im Rotwildgebiet Südschwarzwald realisiert. Die in Abb. 4 dargestellte Rotwildkonzeption gibt für jeden Verantwortungsbereich (Waldbau, Jagd, Tourismus, Naturschutz) und jede Gebietskategorie die umzusetzenden Maßnahmen vor.

Noch schwieriger ist die Bewertung von Wildschäden im Hinblick auf Biodiversität. Je nachdem, wer Abb. 5 betrachtet, wird zu einer unterschiedlichen Bewertung kommen. Der extrem starke Einfluss von Wildverbiss und die damit verbundenen waldbaulichen und ökonomischen Schäden sind unbestreitbar. Doch ist in Bezug auf Biodiversität die Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten innerhalb oder außerhalb des Zaunes größer?

Damit wird deutlich, dass Biodiversität im Wald nicht allein durch die Vielfalt an Baumarten geprägt ist, sondern durch die Diversität an Pflanzen- und Tierarten. Diese lässt sich schwer erfassen und erfordert messbare Zielgrößen. Einerseits ist eine Orientierung an Arten notwendig, deren Auswahl im Sinne von "Waldzielarten" derzeit im Rahmen der Waldnaturschutzkonzeption erfolgt. Andererseits werden auch messbare Parameter zur Erfassung von Lebensräumen benötigt, um qualitative und quantitative Zielgrößen zu entwickeln, die in die Waldbewirtschaftung integriert werden können. Am Beispiel des Aktionsplans Auerhuhn wird dargestellt, wie diese Forderungen erfüllt werden können.

Beispielgebender Lösungsansatz Aktionsplan Auerhuhn

Die dargestellten Gegebenheiten von begrenzten und stark fragmentierten Waldflächen, die Notwendigkeiten eines Biotopverbunds und die Anforderungen an die Waldbewirtschaftung im Hinblick auf Biodiversität können am Aktionsplan Auerhuhn beispielgebend zusammengeführt werden. Die für eine überlebensfähige Population notwendigen Waldflächen und Verbundkorridore wurden aus der aktuellen Auerhuhnverbreitung, diversen Untersuchungen und landschaftsökologischen Bedingungen abgeleitet. Damit ist klar, wo etwas für diese Art getan werden kann oder muss. Wichtig ist auch, dass außerhalb der in Abb. 6 dargestellten Flächenkulisse das Auerhuhn nicht berücksichtigt werden muss.

Was für die Erhaltung der Auerhuhnpopulation getan werden müsste, ist für alle relevanten Handlungsfelder (Waldwirtschaft, Jagd, Tourismus, Infrastruktur) detailliert beschrieben. Für die Waldwirtschaft sind die qualitativ wichtigen Strukturen abgeleitet und quantitativ festgelegt, wie viel dieser Strukturen nachhaltig vorhanden sein müssen. Dabei müssen nicht 100% der auerhuhnrelevanten Waldflächen geeignete Auerhuhnlebensräume sondern ein Minimum von 30% immer gegeben sein. Entsprechend der natürlichen Walddynamik folgen diese geeigneten Flächen einem "rotierenden Mosaik".

Mit diesem Aktionsplan werden alle betroffenen "Verantwortungsgruppen" im Sinne des dargestellten Wildtiermanagements einbezogen. Für die Waldbewirtschaftung werden die auf das Auerhuhn bezogenen Naturschutzanforderungen anhand von anzustrebenden Waldstrukturen so präzisiert, dass sie auf großer Fläche (> 50.000ha) in die naturnahe Waldwirtschaft integriert werden können. Gleichzeitig wird mit der quantitativen Zielsetzung zur Schaffung konkreter lichter Strukturen (Freiflächen, Lücken, stark aufgelichteter Waldbestände) eine operationale Möglichkeit geschaffen, wie für eine große Anzahl an lichtliebenden Tier- und Pflanzenarten Lebensräume erhalten oder geschaffen werden können. Damit kann das Auerhuhn als Leitart für lichte Wälder in den Schwarzwaldhochlagen angesehen werden.

Zusammenfassende Bewertung

Um die komplexen und zunehmenden Herausforderungen im Umgang mit Wildtieren zu meistern, dürfen die einzelnen Wildtierarten nicht für die jeweiligen Interessen instrumentalisiert werden. Vielmehr müssen großräumige Allianzen der Agierenden gebildet werden, die den Umgang mit Wildtieren steuern. Dabei sollte die jeweilige Tierart im gemeinsamen Fokus stehen und nicht die Frage nach einem alleinigen jagd- oder naturschutzrechtlichen Zuständigkeitsanspruch. Bei der Erhaltung zusammenhängender Waldflächen und eines ausreichenden Biotopverbundes müssen alle Gruppierungen zusammenarbeiten. Die Integration von Waldnaturschutzzielen in die Waldbewirtschaftung bedarf in Bezug auf Wildtiere zweierlei: Zunächst ist die Bewertung von Biodiversität im Wald abzustimmen und darf sich nicht allein auf Baumarten beschränken. Der zweite Ansatz ist die Orientierung an Waldstrukturen. Während die derzeit praktizierte naturnahe Waldwirtschaft mit der einzelstammweisen Nutzung "Standardstrukturen" mit dichteren und stufigen Waldbeständen schafft, verlieren Tierarten, die auf lichte Strukturen angewiesen sind, ihre Lebensräume. Mit dem Aktionsplan Auerhuhn ist ein Beispiel geschaffen, wie lichte Strukturen qualitativ und quantitativ definiert und als Zielgrößen in die Waldbewirtschaftung integriert werden können. Dies bedeutet unter anderem auch die Schaffung von Freiflächen, die früher als "Kahlschläge" aus Naturschutzsicht in Verruf geraten sind. Das Beispiel Auerhuhn könnte methodisch auch auf andere Arten und Naturräume übertragen werden.

Literatur

  • Völk, F. (1998): Schälschäden und Rotwildmanagement in Relation zu Jagdgesetz und Waldaufbau in Österreich. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 141, Berlin: Erich Schmidt Verlag.