Wie mit dem Zirkel gezogen sind viele Stubben eines rund 60-jährigen Roteichenbestands im Freiburger Mooswald bis zu den Wurzeln umgegraben. Die Täter sind schnell identifiziert: Wildschweine haben im Boden rund um die vermodernden Roteichenstubben Nahrung ausfindig gemacht. Den Hinweis, dass sich hier etwas Besonderes im Boden befindet, erhielt die FVA schon 2011 im Rahmen der Erstellung des Managementplans für das FFH-Gebiet "Mooswälder bei Freiburg".

Bei Nachprüfungen konnten damals zwanzig Hirschkäfer in dem Bestand nachgewiesen werden. Auffällig war, dass in den angrenzenden Stieleichenbeständen keine oder nur sehr wenige Käfer gefunden wurden. Diese Hinweise gaben den Anstoß für das im Folgenden dargestellte Projekt, die Entwicklung des Hirschkäfers erstmalig auch an der aus naturschutzfachlicher Sicht umstrittenen Gastbaumart Roteiche zu untersuchen.

Der Hirschkäfer: Nahrungsspezialist oder Generalist?

Der Hirschkäfer wird hauptsächlich mit der Alt- und Totholz-Phase der heimischen Eichen assoziiert. Aus der Fachliteratur lässt sich aber entnehmen, dass sich Hirschkäferlarven nicht nur an Eichenwurzeln, sondern auch an vielen anderen Laubbaumarten entwickeln (Broschüre "Hirschkäfer - Der größte Käfer unserer Heimat"). Vorkommen an Roteichen hingegen sind kaum dokumentiert. Aus ökologischer Sicht gilt die amerikanische Roteiche in unseren Wäldern im Vergleich zu den heimischen Quercus-Arten als artenarm und insofern als waldökologisch unbedeutend. Diese naturschutzfachliche Einschätzung ist der fehlenden Koevolution der Gastbaumart mit der heimischen Fauna geschuldet.

Wie lebt der Hirschkäfer?

Aufgrund der großen geweihartigen Kiefer der Männchen gehört der Hirschkäfer (Lucanus cervus) zu den auffälligsten der heimischen Käferarten (Abb. 1). Er ist meist in halboffenen bis lichten, wärmebegünstigten Wäldern oder Gehölzstrukturen beheimatet. Die Entwicklung der Larven an zersetztem Holz im Boden zieht sich über 3-7 Jahre und sie ernähren sich dort von durch Weißfäulepilze aufbereitete Holzfasern (z. B. durch Trametes versicolor oder Stereum hirsutum). Der Hirschkäfer durchläuft mit voranschreitendem Wachstum drei Larvalstadien (Abb. 2 und 3). Im Herbst des letzten Larvenjahres entwickelt sich die Larve über eine Puppe zum adulten Käfer und überwintert anschließend bis 40 cm tief im Boden in einer selbstgebauten Puppenwiege. Zwischen Mai und Juni verlassen die Käfer die Puppenwiege und graben sich ans Tageslicht, die Männchen etwas früher als die Weibchen. Nach erfolgreicher Partnersuche und Paarung legen die Weibchen 50 bis 100 Eier in die Erde im Umfeld geeigneter Wurzelstöcke – insbesondere solcher, die schon besiedelt sind – und der Zyklus beginnt von neuem.

Der Hirschkäfer auch an Roteiche?

Um zu prüfen, ob die amerikanische Roteiche (Quercus rubra) als Brutsubstrat für den Hirschkäfer geeignet ist, wurden im Juni 2016 zehn Roteichen-Stubben maschinell umgezogen. Die ausgewählten Wurzelstöcke waren von Wildschweinen umwühlt, dies ist ein guter Indikator für das Vorhandensein von großen Käferlarven. Das untersuchte Gebiet liegt westlich der Stadt Freiburg in den sogenannten "Mooswäldern". Bei der untersuchten Fläche handelt es sich um ein lockeres bis geschlossenes Roteichen-Baumholz (∅ 30,5 cm BHD) aus Erstaufforstung mit teilweise beigemischten Robinien in Randlage und einer Größe von annähernd 30 ha. Die letzte Auslesedurchforstung wurde im Winter 2013/2014 durchgeführt.

Tab. 1: Gesamtfunde der Larven/Imagines von Hirschkäfer an Roteichenwurzelstöcken.
Stadium/ArtHirschkäfer (Lucanus cervus)
L18
L213
L323
Puppe-
Adult2 ♀♀

Im Rahmen der Untersuchung wurde nach dem Umziehen der Stubben im Wurzelbereich bis in 50 cm Tiefe vorsichtig nach Larven und Käfern gesucht (Abb. 4). Bis auf die Puppe konnten alle Stadien des Hirschkäfers an der Roteiche nachgewiesen werden (Tab. 1; Abb. 2 und 3). Die gesammelten Tiere wurden nach der Erfassung wieder mit den Stubben in die Erde eingebracht.

Die Ergebnisse bestätigen, dass auch die Roteiche aufgrund der geringen Wirtspezifität des Hirschkäfers als Bruthabitat genutzt wird. Auch die Bindung an ein hohes Baumalter wird relativiert, handelt es sich hier doch um einen vergleichsweise jungen Bestand.

Für die Bruttauglichkeit scheint nicht die Holzart oder das Baumalter entscheidend zu sein, sondern die Verfügbarkeit von durch (Weißfäule-)Pilze zersetztem Holzsubstrat. Bei den Weißfäuleerregern handelt es sich überwiegend um Pilze mit geringer Wirtspezifität, was die Austauschbarkeit der Holzarten als Bruthabitat erhöht. Es ist auch zu vermuten, dass das Durchforstungsregime mit ein bis zwei Eingriffen pro Jahrzehnt zu einem steten Nachschub an gleichmäßig verteilten Bruthabitaten führt. Die zusätzliche Besonnung durch die Auflichtung des Bestandes fördert dabei die wärmeabhängige Entwicklung der Larven.

Der Hirschkäfer zeigt sich anpassungsfähig: Er kann auch nicht-heimische Baumarten wie die Roteiche nutzen und bei entsprechender Ausprägung sogar bevorzugen. Dies gilt nicht nur lokal in Südbaden, werden doch auch im Raum Karlsruhe häufige Hirschkäferflüge in Roteichenbeständen gemeldet.

Die Roteiche im Rheintal

Im Rheintal besteht ein ungleiches Altersklassenverhältnis bei der Stieleiche. Einem (noch) hohen Anteil alter Eichenbestände, die aus durchgewachsenen Mittelwäldern hervorgegangen sind, stehen wenige mittelalte Bestände gegenüber ("Eichenlücke"). Der Stieleichenanteil von insgesamt 11 % – bezogen auf den öffentlichen Wald im Oberrheinischen Tiefland – wird durch einen Roteichenanteil von 5 % ergänzt. Mit 100 Jahren erreicht die Roteiche einen BHD100 von durchschnittlich 63 cm. Die daraus resultierenden Stöcke sind noch deutlich stärker. Hierbei ist einschränkend zu erwähnen, dass die Roteiche bereits in einem Alter von 100 Jahren die Hiebsreife erreicht und insofern das Vorkommen altersgebundener Mikrohabitate wie z. B. von Höhlen weniger ausgeprägt ist.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass
  • der Hirschkäfer als anpassungsfähige Käferart in den südwestdeutschen Laubwäldern – vorausgesetzt die mikroklimatischen Bedingungen stimmen – geeignete Habitatstrukturen findet. Dies schließt im Rheintal auch die Roteiche mit ein;
  • die Roteiche insbesondere vor dem Hintergrund der "Eichenlücke" für den Hirschkäfer attraktive Habitatstrukturen anbieten kann.