Bayerische Landesanstalt
für Wald und Forstwirtschaft
Abt. Biodiversität,
Naturschutz, Jagd
Hans-Carl-von-Carlowitz-Pl. 1
D-85354 Freising
Telefon: +49 (8161) / 71 - 4156
Telefax: +49 (8161) / 71 - 4971
Autor(en): | Stefan Müller-Kroehling |
Redaktion: | LWF, Deutschland |
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Abb. 1: Eremit (Foto: H. Bussler) |
Das europäische Schutzgebietssystem "Natura 2000" setzt sich aus den FFH- und Vogelschutzgebieten zusammen und umfasst etwa 8 % der bayerischen Landesfläche. Dieser Flächenverbund dient dem Schutz bestimmter besonders bedeutungsvoller Lebensraumtypen (Anhang I der FFH-Richtlinie) und den Lebensräumen ausgewählter Tier- und Pflanzenarten (Anhang II der FFH- und Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie). Für beide Gruppen gilt als oberster Grundsatz der Richtlinie: der günstige Erhaltungszustand ist zu erhalten.
Was unter diesem Grundsatz zu verstehen ist, definiert der Artikel 1 der FFH-Richtlinie (Tab. 1).
Günstiger
Erhaltungszustand eines
Lebensraumes des Anhangs I: |
Günstiger
Erhaltungszustand einer
Art des Anhangs II: |
|
|
Tab. 1: Kriterien des "Günstigen Erhaltungszustandes" von Lebensraumtypen und Anhang II-Arten der FFH-Richtlinie. |
Für Lebensraumtypen wie etwa die "Bodensauren Buchenwälder" kann man sich vorstellen, was für den Erhalt des günstigen Erhaltungszustandes erforderlich ist, und welche Anforderungen sich daraus auf die Bewirtschaftung solcher Wälder in Natura 2000-Gebieten ergeben. In der Regel wird eine naturnahe Bewirtschaftung weiterhin wie bisher möglich sein. Besonderes Augenmerk wird allerdings zu legen sein auf den
Für die Arten muss man die konkreten Ansprüche und notwendigen Lebensraumrequisiten der jeweiligen Art betrachten.
Insgesamt kommen 68 Tier- und 25 Pflanzenarten, die im Anhang II genannt sind, in Deutschland vor, davon etwa die Hälfte ausschließlich oder zumindest häufiger auch in Wäldern. Mit dem Eremiten, dem Alpenbock, dem Hochmoorlaufkäfer und der Spanischen Flagge sind vier in Bayern vorkommende Tierarten "prioritär". Einer Pflanzenart wurde dieser Status nicht zuteil. Für den Wald besonders relevant sind die Fledermaus- und Totholzkäferarten. Einige Arten bevorzugen Waldgewässer (Muscheln, Schnecken, einige Fischarten).
Über die Artenauswahl durch die EU (Abb. 2) ist viel diskutiert worden. Bei vielen Artenkennern stößt sie nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. Beispielsweise ist bei der Auswahl der Spanischen Flagge als prioritärer Art bei der Abfassung der Richtlinie ein Fehler unterlaufen, denn der Schutz sollte eigentlich nur der auf Rhodos vorkommenden Unterart gelten (Jelinek 2000). Bis zu einer etwaigen Änderung der Anhänge müssen wir uns allerdings nach diesen richten. Bislang wurde der Anhang II FFH einmal (1997) novelliert.
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Abb. 2: Anzahl in Deutschland vorkommender Vertreter der verschiedenen Artengruppen des Anhanges II FFH-Richtlinie. |
In den Tabellen 2 und 3 sind die wichtigsten Ansprüche der Tierarten der Anhänge II FFH-Richtlinie und I Vogelschutz-Richtlinie tabellarisch zusammengestellt.
Aus diesen Anspruchsprofilen ergibt sich, was zum Erhalt des "günstigen Erhaltungszustands" getan werden muss. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig Erhalt und Förderung durch den Lebensraumschutz. Flankierend wird es im Einzelfall erforderlich sein, die Notwendigkeit gezielter Erhaltungsmaßnahmen zu prüfen. Grundlage einer solchen Prüfung wird das von der FFH-Richtlinie vorgeschriebene Monitoring sein. Verschlechtert sich der Erhaltungszustand eines Schutzobjektes (also eines Lebensraumtyps oder einer Art der Anhänge) erheblich oder ist dies zu befürchten, müssen Erhaltungsmaßahmen ergriffen werden. Um dies von vorneherein zu vermeiden, müssen die Lebensraumansprüche in den jeweiligen Gebieten bei der Erstellung der Managementpläne berücksichtigt werden. Diese sollten möglichst bis 2006 für alle NATURA 2000-Gebiete aufgestellt werden, wobei die Staatsforstverwaltung für den Wald aller Besitzarten fachlich zuständig ist.
Artname | wissenschaftlich | Lebensraumanspruch |
Große Hufeisennase | Rhinolophus ferrumquineum | Wald(innen)ränder, lichte Wälder; sehr pestizidempfindlich; wärmeliebend |
Kleine Hufeisennase | Rhinolophus hipposideros | Wald(innen)ränder, lichte Wälder; sehr pestizidempfindlich; wärmeliebend |
Großes Mausohr | Myotis myotis | unterwuchsarme Wälder im Radius bis 15km von Wochenstube (Dachstühle) |
Bechsteinfledermaus | Myotis bechsteini | strukturreiche, höhlenreiche (Laub)wälder; ortstreu |
Mopsfledermaus | Barbastella barbastellus | grobborkige Totholzbäume (Kiefer, Eiche) als Tagesverstecke; Winterquartiere in Stollen |
Biber | Castor fiber | anspruchslos und flexibel; Mindestwasserstand erforderlich, ggfs. Dammbau; auch verbaute Gewässer |
Fischotter | Lutra lutra | unverbaute Ufer; hoch mobile Art; hoher Nahrungsbedarf (Fischreichtum) |
Luchs | Lynx lynx | unzerschnittene großere Waldgebiete; sehr mobil; Aufzucht gern in Felsgebieten |
Gelbbauchunke | Bombina variegata | (halb)offene, krautreiche Pioniergewässer; Landlebensraum oft im Wald (bevorzugt Laubwald) |
Kammmolch | Triturus cristatus | tiefe, krautreiche, besonnte, fischfreie Gewässer; Wald oder Grünland |
Alpenkammmolch | Triturus carnifex | wie Kammmolch, mit diesem auch bastardierend (Berchtesgaden) |
Europäische Sumpfschildkröte | Emys orbicularis | besonnte Ufer, sandige Eiablagestellen |
Bachneunauge | Lampetra planeri | sandige Bachabschnitte mit geringen Humusanteilen (aber kein Faulschlamm) |
Schlammpeitzger | Misgurnus fossilis | Gräben, Bäche, Karpfenteiche mit Schlammgrund; verträgt zeitweise Austrocknung, Grabenfräse sehr schädlich |
Groppe | Cottus gobio | unverbaute Bäche; sehr empfindlich gegen Querverbau (keine Schwimmblase) |
Vierzähnige Windelschnecke | Vertigo geyeri | Kalkflachmoore |
Schmale Windelschnecke | Vertigo angustior | Quellhorizonte, Naßwiesen |
Blanke Windelschnecke | Vertigo genesii | Kalkflachmoore |
Bauchige Windelschnecke | Vertigo moulinsiana | Kalkflachmoore |
Flußperlmuschel | Margaretifera margaretifera | kalkfreie (aber nicht versauerte), saubere, nicht verschlammte "Perlbäche"/-flüsse; günstig: Erlensaum |
Bachmuschel | Unio crassus | saubere Fließgewässer; breiteres Wirtsfischspektrum; populationsökologisch empfindlicher als Flußperlmuschel |
Dohlenkrebs | Austropotamobius pallipes | sauerstoffreiche Mittelgebirgsbäche; liebt Erlenwurzel-Überhänge |
Breitrand | Dytiscus latissimus | verschieden große Waldgewässer mit reicher Wasservegetation und geringem Fischbesatz |
Schmalbindiger Breitflügel-Tauchkäfer | Graphoderus bilineatus | moorige Waldtümpel mit ausgedehnter Flachwasserzone |
Eremit | Osmoderma eremita | besonnte Laubbäume mit voluminösen Mulmhöhlen; BHD >50 (100) cm |
Hirschkäfer | Lucanus cervus | starkes Eichentotholz in Erdkontakt; besonnte Saftflusseichen |
Eichenbock | Cerambyx cerdo | besonntes Eichenstarktotholz an lebenden Stämmen, Biotoptradition obligat |
Alpenbock | Rosalia alpina | besonnte, anbrüchige Buchen in Gebirgswäldern |
Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer | Limoniscus violaceus | voluminöse Mulmhöhlen im Stammfuß lebender Buchen; obligate Biotoptradition |
Scharlachkäfer | Cucujus cinnaberinus | pilzbefallenes Laubtotholz (Ei, Pa) mit Rinde |
Gestreifter Bergwadl-Bohrkäfer | Stephanopachys substriatus | Nadelwälder und Moore; besonders an brandgeschädigtem, jüngerem Nadelholz |
Hochmoor-Laufkäfer, Böhmische Rasse | Carabus menetriesi pacholei | (bewaldete) Hoch- und Übergangsmoore mit Biotoptradition |
Kleiner Maivogel | Hypodryas maturna | lichte Eschen(verjüngung) und Streuwiesen auf quelligen Standorten ("Mittelwaldart") |
Heckenwollafter | Eriogaster catax | kleinflächiges Mosaik mit Waldinnenrändern bei warm-feuchtem Klima; Fraß an Schlehe |
Spanische Flagge | Callimorpha quadripunctaria | Bachgräben, Kalkmagerrasen, Schluchten (Mehrlebensraumbewohner) |
Europäischer Dünnfarn | Trichomanes speciosum | feuchte, überrieselte Buntsandsteinfelsen mit konstantem Bestandsklima |
Frauenschuh | Cypridedium calceolus | halbschattige Kalkstandorte, kein Sammeldruck durch "Orchideenliebhaber" |
Glanzkraut | Liparis loeselii | Übergangsmoore und Randbereiche von Streuwiesen (ständig naß, nicht zu hoher Konkurrenzdruck) |
Gekieltes Zweiblattmoos | Distichophyllum carinatum | basenreiche, tropffeuchte Felsen in tiefen Schluchten (nur im Allgäu) |
Grünes Koboldmoos | Buxbaumia viridis | morsches Nadelholz in feuchtschattigen (meist bachnahen) Mittelgebirgswäldern |
Firnisglänzendes Sichelmoos | Drepanocladus vernicosus | mäßig kalkhaltige und mäßig feuchte Sümpfe und Flachmoore |
Grünes Besenmoos | Dicranum viride | Totholz- und Starkholz-Rindenbewohner von Laubbäumen (bes. Buche); Reinluftgebiete |
Massalongs Spatenmoos | Scapania massalongi | auf morschem Holz im Hochgebirge |
Rudolphs Halsmoos | Tayloria rudolphiana | auf Vogelexkrementen auf Kronenästen von Ahorn und Buche im Gebirge |
Tab. 2: Arten des Anhanges II der FFH-Richtlinie mit Bezug zum Wald und Kurzprofil ihrer Lebensraumansprüche. |
Art | wissenschaftlich | Lebensraumanspruch |
Schwarzstorch | Ciconia nigra | geschlossene Wälder; Horstbäume; Ruhe; naturnahe Waldbäche |
Wespenbussard | Remis apivorus | lichte Laub- und Mischwälder mit Altholzanteilen |
Schwarzmilan | Milvus migrans | bevorzugt Horstbaumwahl in Gewässernahe (Nahrung fischreich, sowie Aas) |
Rotmilan | Milvus milvus | Horstbäume im Wald |
Haselhuhn | Bonasa bonasia | strukturreiche Wälder; "Nieder- und Mittelwald-Art" |
Auerhuhn | Tetrao urogallus | "Taiga-Huhn": lichte Nadelwälder mit Beerkrautdecke |
Sperlingskauz | Glaucidium passerinuir | strukturreiche Wälder, meist im Nadelwald |
Uhu | Bubo bubo | größere Wälder mit steileren Felspartien; Horst in Steilhang, Erdhöhlen, seltener in Bäumen; häufig in Steinbrüchen |
Rauhfußkauz | Aegolius funereus | montane, höhlenreiche Nadelwälder |
Ziegenmelker | Caprimulgus europaeus | lichte Kiefernwälder in enger Verzahnung mit Offenland; jagt Fluginsekten ("Nachtschwalbe") |
Grauspecht | Picus canus | lichte Bestands(innen)ränder größerer Waldgebiete; jagt als Erdspecht Ameisen |
Schwarzspecht | Dryocopus martius | größere Waldbestände mit stärkeren Bäumen, besonders Buche, bevorzugt in Trupps |
Mittelspecht | Dendrocopus medius | lichte Eichenwälder u.a. Laubwälder (oft als Mittelwaldart bezeichnet); Stocherspecht |
Weißrückenspecht | Dendrocopus leucotus | Bergmischwälder mit hohem Laubholzanteil, besonders mit Bergahorn |
Dreizehenspecht | Picoides tridactylus | autochthone, strukturreiche Fichtenwälder; frisst besonders Borkenkäfer |
Heidelerche | Lullula arborea | lichte Sukzessionsflächen, oft auch nach Brand |
Zwergschnäpper | Ficedula parva | kühl-feuchte Laubwälder, besonders Altbuchen-Gruppen und schattige Einhänge |
Halsbandschnäpper | Ficedula albicollis | Insektenjäger im oberen Kronenbereich in strukturreichen Laubwäldern; Bruthöhlen meist in Eiche |
Tab. 3: Arten des Anhanges I Vogelschutz-Richtlinie mit Bezug zum Wald und Kurzprofil ihrer Lebensraumansprüche. |
Die Managementpläne werden auch die Zielkonflikte zwischen Arten- und Lebensraumschutz lösen müssen, wo bei im Zweifelsfall der Lebensraumschutz im Vordergrund stehen sollte. Allerdings kann der Schutz eines überregional bedeutsamen Artvorkommens (besonders einer prioritären Art) auch "Arten-" vor "Lebensraumschutz" bedeuten. Beispielsweise wird man für den prioritären Eremitenkäfer, der an starke, besonnte Eichen (und andere Laubbäume, in Bayern jedoch nicht die Buche) gebunden ist, den Erhalt starker Eichen auch dann fördern, wenn sie auf Buchenstandorten stocken und eine neue Buchengeneration bereits nachschiebt.
Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) steht als beratende Dienststelle den Forstämtern für die tägliche Arbeit zu den relevanten Waldarten von Anhang II der FFH- und Anhang I der Vogelschutz- Richtlinie zur Verfügung. Es ist geplant, Hinweise zu Ökologie, Lebensweise, Nachweismöglichkeit und Verbreitung der Arten in Bayern für die Praktiker zusammenzustellen.
Helsdinger, P.J. von, et al. (1996, Hrsg.): Background Information on Invertebrates of the Habitat's Directive and the Bern Convention. Nature and Environment No. 79-81, 1144 p.
Jelinek, K.-H. (2000): Callimorpha quadripunctaria - eine
geeignete FFH-Art? Insecta 6. S. 59-60.
Müller-Kroehling, S. (2000): Tier- und Pflanzenarten der FFH-Richtlinie: Anhang mit großer Wirkung. LWF aktuell 25, S. 43-45.