Nach der Rheinkorrektion sind überwiegend hoch produktive Waldstandorte entstanden. Charakteristische Lebensgemeinschaften der ehemals dynamischen Stromaue haben dagegen ihre Existenzgrundlagen verloren. Wesentliches Ziel des Naturschutzes in den Rheinauwäldern muss die Erhaltung und Wiederherstellung der naturraumtypischen Biodiversität sein.

Standorte am Rhein früher und heute

Der Rheinabschnitt zwischen dem Kulturwehr bei Breisach und der Staustufe Iffezheim wird standortskundlich als die "Staubereiche der Rheinaue" bezeichnet. In der Standortskundlichen Regionalen Gliederung von Baden-Württemberg sind die Flächen zwischen dem Strom und dem sogenannten Hochgestade, das ist der Stufenrand zur pleistozänen Niederterrasse, im Teilbezirk (TB) 1/03alpha zusammengefasst (Abb. 2).

Die Standorte im TB 1/03alpha sind durch wasserbauliche Maßnahmen des 19. und 20. Jahrhunderts geomorphologisch und hydrologisch extrem stark verändert worden. Der Rheinstrom befindet sich hier aufgrund der Neigungsverhältnisse noch in seiner sogenannten Furkationszone. Im natürlichen Zustand schafft sich ein Strom der Furkationszone – im steten Wechsel von Sedimentation und Erosion – ein vieladriges Netz von Abflussrinnen. Dies war auch am Rhein so, wie von zahlreichen alten Karten und Abbildungen aus der Zeit vor der Stromkorrektion bekannt ist. In Furkationszonen von Strömen können aufgrund der Strömungsverhältnisse in der zentralen Aue meist nur Kiese abgelagert werden. Sande werden dagegen vorwiegend am Rande des Strombettes und noch feinere Sedimente von Spitzenhochwässern in stromfernen Auenteilen sedimentiert. Die Sedimente des Rheins sind durchweg karbonathaltig.

Das Wasserregime am südlichen Oberrhein folgt einer nivalen Periodizität, das heißt, der mittlere Höchststand des Wassers fällt mit der Schneeschmelze im Haupteinzugsgebiet in den Früh- und Hochsommer. Da die Gewässersohle des Rheins früher deutlich weniger tief eingeschnitten war als heute, konnten schon bei wenig erhöhten Abflussmengen im Sommer Teile der Aue länger anhaltend überflutet werden. Charakteristisch für die dynamische Aue waren die starken Schwankungen des Wasserstandes im Jahresverlauf von ca. 2 m um den Mittelwasserstand. Korrespondierend mit dem Rheinwasserstand schwankte auch der Grundwasserspiegel der angrenzenden Aueflächen. In niederschlagsarmen Jahren konnten im Spätsommer und Herbst weite Bereiche der Aue trocken fallen. Bei der geringen Speicherkapazität der vorwiegend grobkörnigen Böden bedeutete dies für die Vegetation längere Phasen des Wassermangels.

Der Rheinausbau hat dieses hochdynamische Geschehen völlig zum Erliegen gebracht. Der Rhein ist heute kanalisiert und die geomorphologisch aktive Aue in einem statischen Zustand festgelegt. Erosion und Sedimentation grobkörniger Substrate finden nicht mehr statt; letztere muss schon deswegen ausbleiben, weil das Geschiebe bereits am Oberlauf der Zuflüsse zurückgehalten wird. Neue Sedimentation erfolgt nur noch in Form eines feinen Schlicks, der bei einzelnen Hochwasserereignissen abgelagert wird.

Die hydrologischen Veränderungen sind vielfältig und ähnlich gravierend: Mit dem Bau der Staustufen wurde die weitgehende Abkoppelung der Aue vom Wasserregime des Rheins vollzogen. In weiten Teilen ist sie heute von den Hochwässern des Rheins abgeschnitten und somit eine Altaue. Eine Überströmung des Geländes findet in der Altaue nicht mehr statt, die mechanische Belastung der Gehölze durch stark strömendes Wasser, früher teilweise sogar mit Eisgang, entfällt ganz. Allenfalls der Aufstieg von Druckwasser sorgt für kurzzeitigen Wassereinstau auf begrenzter Fläche. Auf den Flächen der verbliebenen Überflutungsaue kommen die Hochwasser spät, dann aber sehr rasch bis auf größere Höhe. Das Rheinwasser ist heute gegenüber früher stärker eutrophiert. Die Schwankungs-Amplitude des Grundwasserstands hat sich deutlich reduziert und ist nach unten durch die Stauhaltungen begrenzt, sie beträgt insgesamt im Jahresverlauf höchstens noch 0,5 bis 1 m.

Standortsgliederung in den Staubereichen

Die ersten Standortskartierungen waren im TB 1/03alpha noch vor oder während des Rheinausbaus in den Jahren zwischen 1965 und 1970 erfolgt: Durch die erneute Veränderung der hydrologischen Bedingungen wurde die Erfordernis einer Zweitkartierung als dringlich bewertet. Vor der Wiederaufnahme der Standortskartierung ab dem Jahr 2000 wurde zunächst ein wissenschaftlicher Beirat gebildet, mit dem die Grundsätze der neuen Standortsgliederung diskutiert wurden. Im Verlauf erfolgte ein zusätzlicher Abstimmungsprozess mit Fachpersonal der Forst- und der Wasserwirtschaft.

Im Ergebnis mussten getrennte Standortsgliederungen für die Überflutungsaue und die Altaue erarbeitet werden. Als Überflutungsaue werden die Flächen bezeichnet, die rezent noch von Rheinwasser erreicht werden können, die übrigen Flächen bilden die sogenannte Altaue.

Tabelle 1 gibt die Hierarchie der Standortsgliederung im TB 1/03alpha wieder. In der Überflutungsaue ist die sogenannte Auewaldstufe, definiert von mittlerer Überflutungsdauer und -höhe sowie den assoziierten typischen Baumarten einer natürlichen Waldentwicklung, das erste Gliederungsmerkmal. In den Staubereichen werden wegen der Abflussmengen, die den Rheinschlingen vorbehalten bleiben, nicht die Überflutungsdauerzeiten erreicht, die für Weichholzaue und Tiefe Hartholzaue auf freien Fließstrecken typisch sind (Tab. 2).

Die Entwicklung zu Waldtypen höherer Auewaldstufen ist auf diesen Flächen aber durch eine anhaltend hohe Grundwasserlage blockiert. Auf der nächsten Gliederungsebene ist deshalb die Lage des Mittleren Scheinbaren Grundwasserstandes (= Grundwasserspiegel + Kapillaraufstieg) das wesentliche Kriterium (Tab. 3).

Auf der dritten Stufe werden dann die Art und Mächtigkeit der sandig-lehmigen Deckschichten über dem Kies – und damit die Wasserspeicherkapazitäten des Bodens – zum differenzierenden Standortsmerkmal, das zu der Standortseinheit führt. In der Altaue ist die Standortsgliederung ähnlich aufgebaut, allerdings entfällt das Merkmal der Auewaldstufe, so dass die Grundwasserstufen die oberste Gliederungsebene bilden.

 

Ergebnisse der forstlichen Standortskartierung

Von der Gesamtfläche von ca. 20.000 ha sind rund 7.200 ha bewaldet. Für diese Waldfläche liegen wiederum für rund 6.000 ha gültige forstliche Standortskarten vor. Aus der Standortsbilanz ergibt sich eine repräsentative Übersicht über die heutigen Wuchsverhältnisse in den Staubereichen der Rheinaue. So sind ca. 30 % der Waldfläche einer Überflutungsaue zuzurechnen, wogegen 70 % Altaue darstellen.

In den Abbildungen 3 und 4 sind die Wasserhaushalte der Standorte im TB 1/03alpha dargestellt. Es überwiegen die terrestrischen und grundfeuchten Standorte. Grundwassernahe, feuchte und nasse Flächen treten auf ca. 1.200 ha auf, das heißt auf 20 % der Waldfläche. Unter den terrestrischen Wasserhaushaltsstufen dominiert das "mäßig frisch". Nur rund 500 ha rechnen zu den insgesamt etwas schwächer wasserversorgten Standorten, von denen wiederum nur ca. 35 ha als ausgesprochen "trocken" klassifiziert wurden.

Abbildung 5 stellt die Flächenverteilung der Substratgruppen (Öko-Serien) im Gebiet dar. Auf fast 2/3 der Waldfläche liegen tiefgründige Schlickauflagen vor, die eine hohe Wasserspeicherkapazität besitzen. Demgegenüber sind nur rund 10 % grobe Kiese und Sande. 8 % der Standorte liegen in der Weichholzaue, wo das Substrat nicht als Gliederungsmerkmal erfasst wird.

Als Fazit der Standortsbilanz der Staubereiche der Rheinaue lässt sich festhalten, dass nach der Rheinkorrektion ganz überwiegend hoch produktive Standorte entstanden sind. Durch die Anlandungen der Hochfluten in der Zeit nach der Rheinkorrektion haben sich junge, mächtige Schlickdecken gebildet, die bei mäßig frischem bis grundfeuchtem Wasserhaushalt weit bessere Voraussetzungen für das Wachstum hochwüchsiger Wälder bieten, als es früher in der dynamischen Stromaue der Fall war (Abb. 6).

Vegetationskundlich lässt sich für jede Standortseinheit die potentielle natürliche Waldgesellschaft und der Standortswald bestimmen. Abb. 7 gibt die Flächenbedeutung der Baumarten in der Bilanz der Standortswälder wieder. Für jede Standortseinheit sind eine bis maximal vier Hauptbaumarten definiert. Demnach ist die wichtigste Baumart die Esche, die auf etwa der Hälfte der Fläche allein und auf der anderen Hälfte in Mischung dominieren würde. Dabei ist allerdings noch unberücksichtigt, dass ihre Position aktuell durch das Eschentriebsterben stark geschwächt wird. Hinter dem Bergahorn kommen mit Buche und Hainbuche bereits zwei Schattbaumarten, wobei die Bedeutung der Buche eher konservativ eingeschätzt ist, weil sie für die grundfeuchten Standorte nur als Begleitbaumart bewertet ist.

Die eigentlich auetypischen Lichtbaumarten, also die autochthonen Pappeln, Grauerle, die Ulmen oder Stieleiche, haben aktuell in einer natürlichen Waldentwicklung nur noch geringe Flächenpotentiale. Eine scheinbare Ausnahme stellt die Silberweide dar, die auf etwa 400 ha noch als Hauptbaumart geführt ist. Allerdings sind dies Reliktstandorte, deren Sukzession zur Hartholzaue derzeit noch durch die Grundwasserstände blockiert wird. Die Standorte verlanden aber zunehmend beziehungsweise bei Überflutung erfolgt eine stufenweise Aufschlickung. Weite Teile der Rheinaue bewegen sich damit weg von einem auetypischen hin zu einem terrestrischen Waldökosystem.

Konsequenzen für die Naturschutzziele

Wesentliches Ziel des Naturschutzes in den Rheinauwäldern sollte die Erhaltung und Wiederherstellung der naturraumtypischen Biodiversität sein. Dabei sind besonders die Tier- und Pflanzenarten zu fördern, die zu auenspezifischen Lebensräumen gehören, die nur hier vorkommen oder zumindest hier ihren Schwerpunkt haben. Die Lebensgemeinschaften der dynamischen Stromaue haben nun allerdings nach dem Rheinausbau ihre Existenzgrundlage entweder ganz verloren, wie die Pionierfluren auf Kiesrohböden im Strombett, deren Elemente bestenfalls noch in Sekundärbiotopen wie Kiesabbauflächen vorkommen, oder sie existieren nur noch reliktisch oder deutlich verändert wie die Wälder der Weich- und Hartholzauen. Die rezente Entwicklung geht hingegen zu terrestrischen Waldökosystemen, die zwar auch naturraumtypisch sind, weil schon immer Teile der holozänen Rheinaue – zeitlich und räumlich wechselnd – weniger von Erosion, Sedimentation und Überflutung betroffen waren. Sie sind aber weniger selten und damit naturschutzfachlich auch weniger wertvoll als die Lebensräume der eigentlichen "Auespezialisten".

Da die Wiederherstellung einer geomorphologisch aktiven Rheinaue aktuell nicht realistisch erscheint, erfordert die Erhaltung reliktischer Populationen ehemals verbreiteter, naturraumtypischer Arten heute aktive Maßnahmen. Insbesondere müssen genügend große Flächen geschaffen werden, die lichtbedürftigen, konkurrenzschwachen Pionierorganismen eine Fortexistenz ermöglichen. Blieben solche aktiven Eingriffe aus, beispielsweise wenn die Rheinauewälder als Prozessschutzflächen (Naturwaldreservat) ausgewiesen würden, wäre in der Summe mit einem fortschreitenden Verlust an naturraumtypischer Biodiversität zu rechnen.