Die zunehmende "Verdunkelung" der Wälder führt zu einer Lebensraumverschlechterung für lichtliebende Arten. Ein Schwerpunkt der Gesamtkonzeption Waldnaturschutz von ForstBW ist daher die Förderung von Lichtwaldarten wie der Aspisviper (Vipera aspis), die in Deutschland nur noch ein Reliktvorkommen hat. Hierfür sind jedoch waldstrukturelle Zielwerte erforderlich.

Lichtwaldarten im Fokus des Waldnaturschutzes

Die Aufgabe historischer Waldnutzungsformen, die Einführung der Naturnahen Waldwirtschaft mit einzelstammweiser Nutzung sowie Stickstoffeinträge aus der Luft haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer "Verdunkelung" der Wälder geführt. Dies gefährdet insbesondere die Lebensräume lichtliebender Tier- und Pflanzenarten. Ein Ziel der Gesamtkonzeption Waldnaturschutz von Forst BW ist daher, lichte Waldlebensräume zu erhalten und Lichtwaldarten mit gezielten Maßnahmen zu fördern.

Da nicht alle Arten gleichermaßen gefördert werden können, wurden Waldzielarten (Ziel 6 der Gesamtkonzeption Waldnaturschutz) ausgewählt, die aufgrund ihrer ökologischen Ansprüche stellvertretend für weitere Arten stehen und auf welche Fördermaßnahmen fokussiert werden können. Sie repräsentieren mit ihren Ansprüchen wesentliche Schlüsselstrukturen der landesweit vorkommenden Waldgesellschaften und Naturräume. Unter den Waldzielarten, die aktive Maßnahmen benötigen, finden sich vor allem Arten lichter Wälder, die lückige bis sehr lichte Strukturen auf oftmals mageren Standorten benötigen.

Die Aspisviper – eine seltene Reliktart in Baden-Württemberg

Eine dieser seltenen Waldzielartenarten ist die Aspisviper (Abb. 1). Diese Schlangenart besiedelt wärmebegünstigte, lichte Wälder mit felsigen Bereichen und Geröllhalden an trockenwarmen Hängen in Hügellandschaften oder Gebirgsregionen. Dort bevorzugt sie offene, sonnenexponierte Standorte mit kraut- und strauchreichen Säumen, aber auch Waldrandbereiche und Uferböschungen.

Das Verbreitungsgebiet der Aspisviper erstreckt sich über den Nordosten Spaniens, Mittel- und Südfrankreich, die Schweiz und Italien. Das deutschlandweit letzte Reliktvorkommen der Aspisviper liegt im südlichen Schwarzwald. Hier kommt sie vor allem in Block- und Geröllhalden, Blockwald- und Felsbereichen sowie Steinbrüchen vor. Als Überwinterungsgebiete werden tiefgründige, aus Grobmaterial bestehende Blockhalden, aber auch Nagerbauten, Löcher und Spalten im Boden und im Feld genannt.

Die Nahrung adulter Aspisvipern besteht überwiegend aus Kleinsäugern, aber auch Eidechsen und andere Wirbeltiere werden gefressen. Die Jungtiere jagen bevorzugt nestjunge Mäuse und Eidechsen. Im Schwarzwald kommt die Art vergesellschaftet mit Mauereidechsen, Blindschleichen, Schlingnattern, Ringelnattern, seltener mit Zauneidechsen und Waldeidechsen, nicht aber mit der Kreuzotter vor.

Die im Schwarzwald bekannten Funde liegen am nordöstlichen Rande des Gesamtverbreitungsgebiets, auf einer Höhe von 450 bis 800 m ü. NN. Die Populationsgröße wird auf etwa 240 adulte Individuen geschätzt. Die Population wird seit vielen Jahren durch eine Gruppe lokaler Herpetologen beobachtet, die auch regelmäßig Habitatpflegemaßnahmen organisiert und durchführt.

Die Aspisviper ist auf der Roten Liste Deutschlands und Baden-Württembergs (1999) als "vom Aussterben bedroht" gelistet und eine Verantwortungsart Baden-Württembergs. Mit einer geringen Ausbreitungsrate ist sie stark durch Habitatfragmentierung bedroht. In der Schweiz wird ihr Rückgang auf die Intensivierung der Landwirtschaft und eine zunehmende Bebauung zurückgeführt und mit der Aufgabe historischer Bewirtschaftungsformen (Niederwaldwirtschaft, Brennholznutzung) in Verbindung gebracht. Auch dem Straßenverkehr fallen immer wieder Individuen zum Opfer. Auch illegale Fänge durch Terrarienhaltende sind nicht auszuschließen. Um dies zu vermeiden wird das genaue Verbreitungsgebiet hier nicht kartografisch dargestellt.

Zielwerte für das Management

Um Erkenntnisse über die Habitatnutzung der Aspisviper zu gewinnen, quantitative Zielwerte für relevante Habitatstrukturen abzuleiten und die Basis für ein flächendeckendes Pflegekonzept zu schaffen, führte die Abteilung Waldnaturschutz der FVA im Sommer 2016 umfangreiche Habitatstrukturaufnahmen durch. Durch einen Vergleich von Blockhalden mit Fundnachweisen und Blockhalden ohne bekannte Vipernvorkommen wurden Schwellenwerte für die wichtigsten Strukturparameter abgeleitet.

Hierzu wurden im südlichen Baden-Württemberg in einem Gesamtgebiet von rund 15 km² 30 Blockhalden mit und 33 ohne Vipernvorkommen ausgewählt. Als "Präsenzhalden" wurden Blockhalden eingestuft, auf denen innerhalb der letzten fünf Jahre Aspisvipern beobachtet wurden. Halden, auf denen innerhalb der letzten fünf Jahre oder länger keine Funde gemacht wurden, wurden als Absenzhalden definiert. Innerhalb der Halden wurden auf 30 x 30 m großen zufällig ausgewählten Stichprobenflächen Geländeparameter (Höhe, Hangneigung und Exposition) Vegetationsstrukturen und -zusammensetzung, weitere Habitatstrukturen (zum Beispiel Gesteins- und Blockstrukturen, Totholz) sowie die Besonnungsdauer aufgenommen.

In dem ersten Schritt wurden durch den Vergleich der Präsenz- und Absenzhalden die Habitatvariablen ermittelt, die das Vorkommen der Aspisvipern am besten erklären, anschließend wurden quantitative Schwellenwerte für diese Habitatparameter berechnet.

Schlüsselfaktoren und Schwellenwerte

Exposition, Besonnung, Baumartenzusammensetzung und -bedeckung erklären am besten das Vorkommen der Aspisviper. Die Schlangen bevorzugen offene, nach Süden exponierte Flächen mit geringer Baumdeckung und hoher Besonnung am Vormittag. Neu ist dieses Ergebnis nicht – nun aber konnte für jeden dieser Parameter ein Schwellenwert ermittelt werden:

Den größten Einfluss hat die Exposition (Abweichung von Nord, gemessen als cosinus der Exposition in Grad): Je stärker eine Blockhalde nach Süden ausgerichtet ist, desto geeigneter ist sie (Tab. 3). Der Schwellenwert liegt bei ≤ -0,4, was den Himmelsrichtungen OSO (111°) bis WSW (247°) entspricht. Besonders wichtig ist daneben die Besonnungsdauer am Vormittag (vor 12 Uhr): Liegt sie bei mehr als zwei Stunden, liegt die Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen der Aspisviper im Gebiet bei 80% (Schwellenwert = 137 Minuten). Einen negativen Einfluss hat die Bedeckung der Hasel sowie die Bedeckung durch Nadelbäume. Liegt letztere über 17%, so liegt die Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen von Aspisvipern bei unter 10%.

Daneben waren die Gesamtdeckung der Baumschicht (< 34%), der Anteil an Lichtbaumarten (positiv) und der Anteil an Schattbaumarten, Stangenhölzern, und Feuchtezeigern (negativ) wichtige Habitatfaktoren, sie wurden jedoch nicht ins beste Modell aufgenommen.

Es werde Licht!

Alle Habitatvariablen, die das Vorkommen der Aspisviper beschreiben, stehen in Zusammenhang mit der Besonnung. Dies erklärt sich durch die Wärmeabhängigkeit der Aspisviper als thermophile Art. Auch Jäggi und Bauer (1999) zeigten in einer vergleichenden Untersuchung von Flächen mit aktuellen und ehemaligen Vorkommen der Aspisviper, dass letztere eine höhere Baumdeckung aufwiesen und häufig mit Nadelholz aufgeforstet waren. Pringle et al. (2003) beschrieben die Habitattemperatur sowie die Vegetationsdichte als limitierende Faktoren. Im Kanton Basel-Landschaft wurden Auflichtungsmaßnahmen zur Förderung von Lichtwaldarten durchgeführt (< 30% Deckung) und evaluiert. Die Erfolgskontrollen zeigten, dass die Aspisviper in ihrer Bestandesdichte und Verbreitung durch die Maßnahmen profitierte.

Präsenz- und Absenzhalden in der vorliegenden Untersuchung unterschieden sich allerdings nicht im Hinblick auf die Bedeckung durch Laubholz. Nur der Nadelholzanteil auf Absenzhalden war deutlich höher und durch einen hohen Anteil an Fichten und Tannen geprägt. Der Kiefernanteil spielte hierbei nur eine untergeordnete Rolle und war auf Präsenzhalden sogar etwas höher.

Eine stärkere Beschattung führt zu einem kälteren- und feuchteren Mikroklima, welches sich negativ auf die Aktivität und Reproduktionsrate der Aspisviper auswirken kann. Insbesondere die Weibchen sind im Spätsommer während der Trächtigkeitsphase abhängig von offenen Habitaten mit ausreichend warmen Bedingungen, denn die Entwicklungszeit der Embryonen ist temperaturabhängig. Im Frühjahr und Herbst sind die Schlangen ganztägig aktiv, im Spätsommer dagegen bevorzugt vor- und nachmittags, um die Mittagshitze zu meiden.

Nach Fritz und Lehnert (2007) bevorzugt die Aspisviper trockene, voll besonnte Blockhalden (Abb. 3), da die Sukzession hier nur langsam voranschreitet und ausreichend besiedelbare Hohlräume vorhanden sind. Bevorzugte Liegeplätze sind windgeschützte Nischen mit trockenem Laub in der Nähe von Gebüschsäumen und liegendem Totholz. Von Eichen und Haselnusssträuchern umsäumte Halden werden bevorzugt, unsere Ergebnisse suggerieren dagegen, dass das Vorhandensein von Haselsträuchern und -bäumen sich negativ auf das Vorkommen der Aspisviper auswirkt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass bei dieser Aufnahme nicht das generelle Vorkommen, sondern der Deckungsanteil betrachtet wurde. Betrachtet man hingegen die ökologische Funktion, so ist zu vermuten, dass sowohl Eichen als auch Haselsträucher eine gute Nahrungsgrundlage für Kleinsäuger liefern, welche wiederum als Beutetiere der Viper von Bedeutung sind. Wir fanden keine Bevorzugung von Habitaten mit liegendem Totholz, was darauf hindeutet, dass die Blockhalden bereits ausreichend Strukturen zum Versteck und zur Jagd bieten.

Da bei der Untersuchung ausschließlich Blockhalden betrachtet wurden, können jedoch ausschließlich Aussagen über diesen Habitattyp, nicht aber über weitere potenzielle Habitattypen, wie Felsbereiche, Steinmauern, Weg- und Uferböschungen, Blockwaldbereiche sowie mit Sträuchern bestandene Flächen gemacht werden.

Wie geht es weiter?

Die Ergebnisse der Untersuchungen gingen in den Managementplan des Gebiets ein. In einem weiteren Schritt soll die Habitatqualität auf weitere Halden extrapoliert und eine Potenzialverbreitungskarte modelliert werden, sodass weitere potenziell geeignete Flächen erkannt werden, welche es aufzuwerten gilt. Zusätzlich soll eine strukturierte Verbindung zwischen den Halden hergestellt werden, um den Individuenaustausch zu erleichtern und die Konnektivität zu sichern. Die Aspisviper ist jedoch nur ein Beispiel für eine stark gefährdete Lichtwaldart. Auch für andere lichtliebende Waldzielarten sollen – wo noch nicht bekannt – Zielwerte für Habitatansprüche ermittelt werden. Gebündelt fließen sie in das Lichtwaldkonzept ein, das derzeit im Rahmen der Gesamtkonzeption Waldnaturschutz entwickelt wird und künftig naturraumbezogen Potenzialgebiete und Maßnahmen für den Erhalt und die Schaffung lichter Stukturen im Wald aufzeigen wird.