Wald wird heute multifunktional genutzt, wobei nach einem Ausgleich zwischen den verschiedenen Waldfunktionen wie Produktion, Schutz, Erholung und Ökologie gesucht wird. Die Waldplanung sollte entsprechend multikriteriellen Entscheidungsprozessen folgen. Von Vorteil könnte es sein, wenn die massgebenden Akteure bereits von Anfang an in den Planungsprozess einbezogen würden. So könnten breit akzeptierte Waldbaustrategien identifiziert und einfacher umgesetzt werden.

Ziel der vorliegenden Untersuchung von 2013 -2016 war, Bewirtschaftungsszenarien für den Kastaniengürtel im Kanton Tessin (Schweiz) zu konzipieren und zu bewerten.

Der strukturierte und transparente Vergleich zwischen den Szenarien ermöglicht es, den rund 20 beteiligten Vertretern von kantonalen Fachämtern und Interessensorganisationen, rationale und faktenbasierte Entscheidungen zu treffen und so zwei Bewirtschaftungsszenarien mit geringem Konfliktpotenzial zu finden, die in naher Zukunft umgesetzt werden sollen.

Ein wichtiges Ziel der heutigen Waldbewirtschaftung ist es, die Multifunktionalität von Waldökosystemen zu erhalten. Dabei sollten Konfliktelemente bereits in der Planungsphase erkannt und so weit wie möglich entschärft werden. Partizipative Planungs- und Entwicklungsprozesse, bei denen alle Akteure in die Lösungsfindung einbezogen werden, leisten dazu einen wichtigen Beitrag.

Wissenschaftliche Grundlagen und praxisorientierte Lösungsansätze

Im Rahmen des Projekts "Strategien zur Holzmobilisierung aus Schweizer Wäldern ("Mobstrat") des Nationalen Forschungsprogramms 66 "Ressource Holz" wurde vom Projektteam (Scuola universitaria professionale della Svizzera italinana (SUPSI), WSL Cadenazzo , Kantonsforstamt Tessin) eine Methode entwickelt, um breit akzeptierte Waldbaustrategien und daraus resultierende Bewirtschaftungsszenarien für den Kastaniengürtel im Tessin zu finden. Das Hauptziel von Programm und Projekt war, wissenschaftliche Grundlagen und praxisorientierte Lösungsansätze für eine vermehrte Nutzung der schweizerischen Holzressourcen zu erarbeiten.

Heutiger und einstiger Kastaniengürtel

Das Untersuchungsgebiet umfasste auf Silikatgestein gelegene Laubwälder im Tessin unterhalb von 1000 m ü. M., die früher durch die eingeführte Edelkastanie dominiert waren. Der Kastanienwald hat bis heute stark an wirtschaftlicher Bedeutung (Weidefläche, Früchteproduktion, Holzlieferant) verloren. Ohne gezielte Bewirtschaftung verliert die Kastanie ihre Vorherrschaft und einheimische Laubhölzer nehmen überhand. Im Kastaniengürtel sind von den ehemals über 50'000 ha heute nur noch knapp 17'000 ha eigentliche Kastanienwälder (Kastanie besitzt mehr als 50% Anteil an der Grundfläche). Von dieser Fläche werden aber lediglich etwa 400 ha jährlich genutzt.

Damit die Wälder im Kastaniengürtel ihre vielfältige Ökosystemleistungen (Holzproduktion, Schutz vor Naturgefahren, Trinkwasserschutz, Kohlenstoffspeicherung, Produktion von Nichtholz-Waldprodukten, Biodiversität, Erholung) weiterhin erbringen können, muss der Tessiner Forstdienst zusammen mit massgeblichen Akteuren neue Bewirtschaftungsszenarien entwickeln.

Kompromissszenario

Es wurde ein partizipativer und integrativer Planungsansatz (PIP-Ansatz) verwendet. Hier fällen Vertreter von Fachämtern und Interessensorganisationen in einem dynamischen, transparenten und wiederholbaren Prozess gemeinsam Entscheidungen über die künftige Waldbewirtschaftung. Ziel ist, ein Bewirtschaftungsszenario zu finden, das möglichst allen Ansprüchen gerecht wird (Kompromissszenario). Unterstützt wurde der Prozess durch die Visualisierung der Auswirkungen von möglichen Entscheidungen mithilfe eines mathematischen Simulationsmodells.

Vorgehen

Zunächst wurde eine Fachgruppe aus Vertretern der kantonalen Fachämter für Wald, Jagd und Fischerei und Umwelt sowie von kantonalen Interessensorganisationen gebildet. Die Mitglieder wurden sechs thematischen Sektoren zugeteilt, die ihrem Interesse für die spezifischen Waldfunktionen entsprachen (s. Tab. 1). Je nach Projektphase kam es zu Treffen und Diskussionen in der Fachgruppe oder in der thematischen Sektion.

Danach wurden von der Fachgruppe die Kriterien und Indikatoren festgelegt, anhand derer die Auswirkungen möglicher Waldbaustrategien verglichen und bewertet werden sollten.

Das Projektteam unterbreitete der Fachgruppe danach 10 Waldbaustrategien zur Genehmigung, die im Tessiner Kastaniengürtel angewendet werden sollten: sieben Strategien für eigentliche Kastanienbestände und drei für Laubmischbestände.

Die Bewertung dieser Strategien erfolgte in Sitzungen der thematischen Sektoren.

Von den Waldbaustrategien zu den Bewirtschaftungsszenarien

Um möglichst realistische Bewirtschaftungsszenarien zu erhalten, wurden von der Fachgruppe die Grundregeln definiert, nach denen die Waldbaustrategien den verschiedenen Waldtypen und Waldklassen des Kastaniengürtels zugewiesen wurden.

Beispielsweise: Selven-Wiederinstandstellung nur dort, wo ehemalige Selven noch erkennbar sind oder pflegeintensive Niederwaldstartegien zur Produktion von Kastanienholz nur auf wüchsigen Standorten.

Anschliessend wurden die Waldbaustrategien zu verschiedenen Szenarien kombiniert, verglichen und bewertet. Am Ende bestimmte man die beiden für alle vertretbaren Kompromissszenarien. Die schematische Darstellung des Entscheidungsprozesses sehen Sie in Abblildung 2. Genaue Details zur Methode entnehmen Sie bitte der Originalpublikation.

Beste Voraussetzungen zur Umsetzung

Die angewendete Methode und der daraus resultierende partizipative Prozess dürfen als sehr geeignet betrachtet werden, um einen Konsens unter den Beteiligten in Bezug auf die anzustrebenden Bewirtschaftsszenarien zu erreichen. Sehr günstig hat sich dabei erwiesen, die Vertreter der kantonalen Fachämter und Interessensorganisationen von Beginn an in den Prozess einzubinden. Eine entscheidende Rolle kam auch dem Tessiner Forstdienst zu: er war Mitträger und Drehscheibe im Prozess und hat einen zielgerichteten Projektfortschritt ermöglicht.

In der Fachgruppe fanden viele konstruktive Auseinandersetzungen statt. Die auf klaren Indikatoren und Kriterien basierenden thematischen Zufriedenheitsindizes haben die nötige Sachlichkeit in die Diskussion gebracht.
Unterstützt wurde der Prozess auch dadurch, dass die Wechselbeziehungen (Allianzen und Gegensätze) zwischen den thematischen Sektoren aus den grafischen Darstellungen klar ersichtlich waren und so auch faktenbasiert ausdiskutiert werden konnten. Der strukturierte und transparente Szenarienvergleich ermöglichte das Fällen von sachbezogenen Entscheidungen zugunsten einer multifunktionalen Bewirtschaftung und zur Minimierung von zukünftigen Konfliktsituationen.
Damit sind unserer Meinung nach die besten Voraussetzungen gegeben, um die vorgeschlagenen Bewirtschaftungsszenarien umzusetzen. Weiter wurden durch den Prozess neue Kommunikationskanäle zwischen dem Forstdienst und den beteiligten Institutionen geöffnet, die für künftige Entscheidungsprozesse sehr nützlich sein könnten.

Letzte Hürden beseitigen

Der Entscheidungsprozess war natürlich stark von Wunschvorstellungen getrieben und die Beteiligten haben sich weniger mit der Realisierbarkeit der vorgeschlagenen Bewirtschaftungsszenarien auseinandergesetzt. Dem Forstdienst kommt nun diese nicht ganz einfache Aufgabe zu, die bestehenden Hürden zur Umsetzung der angestrebten Bewirtschaftung zu analysieren und wo immer möglich zu beseitigen.