Im Wildnispark Zürich-Sihlwald will man in erster Linie der Bevölkerung einer Grossagglomeration Naturerlebnisse und Wissen vermitteln. Der Regionale Naturpark Pfyn-Finges im Wallis soll Einheimische und Gäste für die einzigartige Umwelt sensibilisieren. Dabei wird besonders darauf geachtet, die Inhalte möglichst aktiv erlebbar zu machen.

"Wir verlassen jetzt die Zivilisation und gehen in die Wildnis". Mit diesen Worten lockt Urs Hofstetter die Kinder weg vom Schleckzeug-Automaten. Der Projekt­leiter Schulangebote im Naturerlebnispark am südlichen Stadtrand von Zürich hat am Bahnhof Sihlwald soeben eine sechste Klasse aus der Agglomeration begrüsst. Sie hat im Unterricht das Thema Bäume behandelt und erhält jetzt einige Stunden Anschauungsunterricht im ­realen Wald.

Ein ebener Platz unter hohen Buchen und Tannen bildet die Arena für einen Wettkampf, der das Wald­erlebnis einleitet. Unterteilt in vier Gruppen, die je mit einem Plastikring von unterschiedlicher Farbe ausgestattet sind, stehen die Kinder bereit. Sie müssen möglichst schnell eine Reihe Karten der eigenen Farbe vom Versammlungsplatz ins eigene "Nest" holen. Der Haken ist, dass jedes Kind pro Laufrunde nur eine der nicht sichtbar bezeichneten Karten aufdecken darf, sodass es auch Leerläufe gibt, bis der Schatz im Trockenen ist.

Fundstücke

Bewegung und Konzentration haben die Aufmerksamkeit der Kinder geweckt. Jetzt ist die Zeit reif, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen. Die Karten zeigen Gehölze, Blätter und Früchte. Die Kinder müssen nun in der Umgebung entsprechende Blätter finden und strömen aus. "Ein Frosch!", ruft plötzlich einer der Buben. Schnell sind alle zur Stelle und bestaunen den kleinen Grasfrosch, den Urs Hofstetter geschickt gepackt hat.

Danach darf der Frosch weghüpfen. Nun werden die gesammelten Blätter bestimmt: Ein Blattrand mit runden Buchten und nach aussen gerichteten Spitzen verrät den Spitzahorn, das umgekehrte Profil - mit scharfen Einschnitten und stumpfen Bögen - weist auf den Bergahorn. Der Zapfen, den ein Kind gebracht hat, stammt nicht wie die gesammelten Nadelbaumzweige von einer Weisstanne, sondern von einer Fichte. Denn die Weisstannen lassen nur einzelne Samen und nicht ­ganze Zapfen fallen, erfahren die Waldbesucher.

In der Diskussion kommen auch Gefahren zur Sprache: Wie schützt man sich vor Zecken? Lange Hosen tragen und diese allenfalls in die Socken stopfen. Und wie vor dem Fuchsbandwurm? Nur Beeren essen, die höher als einen Meter über Boden wachsen, denn diese kommen mit dem Fuchskot nicht in Berührung. Eines der Kinder will wissen, ob man Moos essen kann. "Versuch es", ermuntert Hofstetter und fügt gleich hinzu: "Aber nimm es nicht vom Boden!"

Entdeckungsfreude wecken

Das Pädagogikkonzept, das dem Angebot des Naturerlebnisparks Sihlwald zugrunde liegt, ist die "Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)". Die Kinder sollen Gestaltungskompetenz gewinnen, um Pro­bleme zu erkennen, die für eine zukunftsfähige Welt wichtig sind. Und sie sollen lernen, ihr Wissen anzuwenden.

Für Kinder aus städtischen Gebieten, denen es öfter an motorischen Fähigkeiten mangle, sei der Wald ein lehrreicher Bewegungsraum, findet Urs Hofstetter. Da kann es schon eine Herausforderung sein, abseits von Wegen über Äste zu steigen. Weil der Naturerlebnispark neben der Kernzone, in der Weggebot gilt, ebenfalls eine frei zugängliche Erlebniszone aufweist, steht ein grosses Lernfeld zur Verfügung.

Nach der Einstiegsrunde folgt die Klasse dem Umweltpädagogen quer durch den Wald, auf der Suche nach Tierspuren. Sie stösst auf eine feine Wegspur, die zu einem Dachsbau führt. In dessen Umgebung finden sich ein paar Dachslatrinen - kleine Mulden, in welche die ­Tiere ihren Kot absetzen. "Der Dachs gräbt mehrere solche Gruben und benutzt sie hinterein­ander als WC", erklärt Hofstetter.

Feuer machen

Weiter geht's, steil den Hang hoch. Wo der Weg lehmig-glitschig wird, können sich die Schülerinnen und Schüler an dem Seil entlanghangeln, das hier installiert ist. Auf der Krete lädt ein Astsofa zum Sitzen ein. Doch der Hunger drängt.

Sammeln von Brennholz ist jetzt angesagt, um die mitgebrachten Würste zu grillieren. Die Buben sind in Fahrt und geben sich nicht mit Kleinholz zufrieden: Mit Ausdauer zerren sie an einem dünnen Baumstamm, der in einer Ast­gabel hängt, sich aber zunächst nicht herunterreissen lässt. Mit gemeinsamem rhythmischem Hüpfen auf dem Stämmlein schaffen sie es schliesslich doch noch, das Holz in zwei Stücke zu brechen. Das ermuntert sie, noch mehr dicke Prügel durch kühne Sprünge zu zerlegen.

Nach dem Wurstschmaus haben die Kinder Zeit, weitere Spiele zu entwickeln. Das liegt Urs Hofstetter sehr am Herzen. Denn damit können die Kinder den Wald selbst als interessantes Spielfeld entdecken und Freude an der Natur gewinnen.

Natur wird zugänglich

Lehrerinnen und Lehrern steht es frei, statt eine Führung zu buchen, den Naturerlebnispark mit ihrer Klasse allein zu ­besuchen. Auch Familien und Einzelpersonen haben die Wahl, an einer Veranstaltung aus dem reichhaltigen Programm teilzunehmen oder sich auf eigene Faust in der Wildnis zu vergnügen. Ausstellungen im Besucherzentrum, die Biber- und Fischotteranlage sowie ständige Einrichtungen im Wald offerieren weitere Lern­erfahrungen.

"Die städtisch geprägten Menschen in der Agglomeration haben in der Regel keinen Bezug zur Natur mehr", findet Christian Stauffer, Geschäftsleiter des Naturerlebnisparks. Der Sihl­wald bietet in diesem Umfeld einen hervorragenden Kontrapunkt: Hier wird kein Holz mehr geschlagen, der Wald darf sich frei entwickeln, ohne dass der Mensch eingreift. Diese "wilde" Natur ist eine echte Herausforderung für Kinder und Erwachsene. "Aber auch wir sind stark gefordert, um in diesen Menschen die Gefühle für die Natur neu zu wecken", sagt Stauffer.

Das Besondere zeigen

Für einen Naturerlebnispark steht Umweltbildung im Zentrum. Doch diese ist auch in Pärken bedeutsam, die nicht zu derselben Kategorie zählen. "Ein Angebot zur Sensibilisierung und Bildung der lokalen Bevölkerung und der Besucherschaft aufzubauen, gehört zu den Grundaufgaben aller Pärke", erläutert BAFU-Mitarbeiter Ulf Zimmermann. "Dabei gilt es, die Aspekte der Bildung für nachhaltige Entwicklung aufzunehmen, die Besonderheiten des Parkgebiets in den Vordergrund zu stellen, authentische, interaktive Angebote zu erarbeiten und diese ständig auf einem hohen Niveau weiterzuentwickeln."

Viel Erfahrung in Umweltbildung hat beispielsweise auch das Leitungsteam des Regionalen Naturparks Pfyn-Finges im Wallis. Im Zentrum des Parks liegt der naturnahe Rhonelauf. Das Gebiet erstreckt sich bis zu den 4000 Meter hohen Bergspitzen. Entsprechend vielfältig sind die Lebensräume, welche die Region zu einem Hotspot der Biodiversität machen: Trockensteppen und Auen, Flüsse und Gletscher, jedoch auch Weinkulturen und Viehweiden. Hinzu kommt ein für die Schweiz einmaliges geologisches Phänomen: der Illgraben mit seinen gewaltigen Murgängen.

Für diese Naturwerte soll die Umweltbildung Einheimische und Gäste sensibilisieren. "Ein spezielles Augenmerk wird darauf gerichtet, die Inhalte möglichst aktiv erlebbar zu machen", sagt Parkdirektor Peter Oggier. Ziel sei, "dass die Besucherinnen und Besucher in ihrem täglichen Handeln rücksichtsvoll und schonend mit den Umwelt- und Naturwerten umgehen". Als besonderen Anziehungspunkt seines Parks erwähnt Oggier die kulturelle Vielfalt an der Sprach­grenze und die kulinarischen Genüsse. Entsprechend beinhalten die umfangreichen Jahres­programme Natur- und Kulturthemen. Der Genuss regionaler Produkte lässt sich bei individuellen Arrangements gut integrieren.