Nachhaltige Entwicklung – wenn das kein Thema für die Waldpädagogik ist – was dann? Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht für einen neuen, umfassenden Bildungsanspruch, der die bisherige Waldpädagogik herausfordert, ihr aber auch Chancen bietet, zentrale Anliegen wirksamer zu vertreten. In einem von der Bayerischen Forstverwaltung geförderten Forschungsprogramm soll die Waldpädagogik stärker auf BNE ausgerichtet werden. Dabei entwickelten Theoretiker und Praktiker verschiedenster Fachrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet Strategien und Aktivitätsvorschläge zur Umsetzung von BNE in der waldpädagogischen Praxis.

Für eine nachhaltige Entwicklung muss vernetzt gedacht und interdisziplinär zusammengearbeitet werden. Nach diesen Grundsatz fanden sich Experten in zwei Workshops im bayerischen Freising zusammen. Die Fachleute aus Theorie und Praxis der Disziplinen Pädagogik, Soziologie, Biologiedidaktik, Umweltbildung, Forst und Waldpädagogik überlegten, wie Waldpädagogik stärker auf BNE ausgerichtet werden kann. Daraus entstanden Empfehlungen und Strategien sowie konkrete Entwürfe für Aktivitäten, die bald auch im Waldpädagogischen Leitfaden "Forstliche Bildungsarbeit" aufgenommen werden. Dieses in anderen Bundesländern oft kurz als "Bayernordner" bezeichnete Standardwerk der Waldpädagogik entfaltet beträchtliche Breitenwirkung. Was hier Eingang findet, beeinflusst nicht nur das Waldpädagogikangebot der Bayerischen Forstverwaltung. Zahlreiche Übersetzungen zeigen, wie weit die dort gegebenen Impulse wirken können.

Scheinbar kompliziert und doch kapiert

Von akademischer Seite hat man sich bereits viele Gedanken zu BNE gemacht. Ergebnis sind oftmals komplizierte Definitionen, viele wissenschaftliche und umfangreiche Abhandlungen. Dem steht so mancher Umweltbildungspraktiker und Waldpädagoge bisweilen ratlos gegenüber und kann zu Missverständnissen und Widerständen führen.

Daher war ein Ziel der Workshops die Entwicklung wirklich praxisgerechter Hilfsmittel. Das zwang die Teilnehmer dazu, statt theoretischer Formulierungen konkrete Aktivitäten auszuarbeiten. Das manchmal mühsame Vorgehen hatte aber den Vorteil, dass die Waldpädagogikpraxis einerseits einen theoretischem Überblick gewann und die Bildungstheorie andererseits mehr praktische Erdung.

BNE tritt mit einem umfassenden Anspruch auf. Immer wieder wird betont, dass es sich dabei um eine Perspektive, um ein Prinzip handelt und nicht um ein Thema unter vielen. Stoltenberg nennt BNE eine Leitidee, die theoretische Orientierung bietet und Ratgeber für die Auswahl, Reihenfolge und Anlage von Projekten und pädagogischen Konzepten ist. Entsprechend ist es nicht damit getan, nur ein Paket an BNE-haltigeren Aktivitäten anzubieten. Eine erfolgreiche Implementierung in der Praxis muss gleichzeitig die Waldpädagogen mit BNE vertraut machen und sie motivieren, BNE aktiv zu betreiben.

Der "Bayernordner" bringt BNE in die waldpädagogische Praxis

Der Waldpädagogische Leitfaden "Forstliche Bildungsarbeit" ist ein Hilfsmittel für den Praktiker. Er ist übersichtlich und durch den modularen Aufbau flexibel handhabbar. Dem will man auch bei der Integration von mehr BNE gerecht werden.

Die Workshopteilnehmer entwickelten zwei neue Schwerpunktthemen: "Wald weltweit" und "Wald und Gesellschaft". Beide erfüllen Kriterien, wie sie De Haan (2002) als Kernthemen der Nachhaltigkeit aufgestellt hat. Sie können die Verbindung von lokalen und globalen Zusammenhängen aufzeigen, sind von längerfristiger Bedeutung, benötigen interdisziplinäres Wissen und Zusammenarbeit und bieten viel Handlungspotenzial. Außerdem knüpfen sie an den Lernort Wald an, ein für die Waldpädagogik entscheidendes Kriterium. Weitere Vorteile dieser Themen sind der Bezug zum Alltag, zu Fragen der Kultur, der Gerechtigkeit und sozialen Themen.

Zahlreiche Aktivitätsentwürfe der Workshops zu diesen beiden Schwerpunktthemen werden inzwischen von den Praktikern erprobt. Die Projektgruppe "Forstliche Bildungsarbeit" erarbeitet zusätzliche Aktivitätsvorschläge und koordiniert und betreut die Erprobungsphase. Die hohe Identifikation der Teilnehmer mit der Aufgabe zeigt sich unter anderem daran, dass sie ihre Entwürfe auch über das Ende des Forschungsprojektes hinaus weiterentwickeln und ihre Erfahrungen aus dem Praxistest einarbeiten wollen.

Wie immer werden auch in der nächsten Auflage des Waldpädagogischen Leitfadens nur bewährte Aktivitäten aufgenommen. Zusätzlich wird dem Praktiker im Einführungskapitel das Thema BNE auf verständliche und ansprechende Weise näher gebracht. Das bewährte Gliederungsschema der Aktivitätsbeschreibungen wird um zwei Punkte ergänzt. Der erste lautet "Vor- und Nachbereitung" und gibt Empfehlungen für die Zusammenarbeit mit den Schulen. Der zweite heißt "BNE-Bezug" und erläutert, welche Kompetenzen durch welche Aspekte der Aktivität besonders gefördert werden.

Die Workshops orientierten sich an den zehn Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz nach De Haan (vgl. Kasten), wobei diese Teilkompetenzenliste für die Zwecke der Waldpädagogik angepasst wurden. So wurde z.B. bei der Teilkompetenz "Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können" auf die Formulierung "für Benachteiligte" verzichtet, dafür aber der Aspekt der Verantwortung gegenüber der Natur ergänzt. Nach Ansicht der Experten ist solch eine umfassendere Sicht notwendig, um Zukunft kompetent gestalten zu können. Außerdem wurde die Förderung von Selbstwahrnehmung und Körpererfahrung als eine eigene elfte Teilkompetenz hinzugefügt. Denn damit können eigene Potenziale und Grenzen erfahren und die Selbstkompetenz gefördert werden.

Darüber hinaus eignet sich der Lernort Wald besonders gut, um auch körperliche Aktivitäten zu integrieren. Bei dem als "Mapping" bezeichneten Aktivitätsbeispiel könnte der BNE-Bezug beispielsweise so lauten: "Durch die Darstellung und Diskussion verschiedener Waldnutzerperspektiven wird die Teilkompetenz 'weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen' besonders angesprochen".

Bei Erscheinen der Neuauflage werden die Anwender selbstverständlich nicht allein gelassen. Auf bewährte Weise werden die neuen Inhalte über Schulungen an die Multiplikatoren vermittelt.

Gestaltungskompetenz umfasst laut De Haan zehn Teilkompetenzen:

  • weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
  • vorausschauend denken und handeln
  • interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln
  • gemeinsam mit anderen planen und handeln können
  • an Entscheidungsprozessen partizipieren können
  • andere motivieren können, aktiv zu werden
  • die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können
  • selbstständig planen und handeln können
  • Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können
  • sich motivieren können, aktiv zu werden

Alles was nötig ist

Die Überarbeitung des Waldpädagogischen Leitfadens ist ein wichtiger Schritt. Doch für die praktische Umsetzung sind weitere Maßnahmen nötig. Im Zentrum stehen hierbei die Waldpädagogen. Damit BNE als Orientierungsrahmen funktionieren kann, müssen sie den Zweck der BNE verinnerlicht haben. Nur so können sie einzelne Aktivitäten zu entsprechenden Bildungsveranstaltungen zusammenfügen, Aktivitäten der bisherigen Waldpädagogik mit BNE-Aspekten ergänzen oder sich sogar noch stärker lösen, um eigene, regional angepasste Angebote zu entwickeln.

BNE will ökonomische, soziale und ökologische Aspekte gleichzeitig berücksichtigen. Das Wissen über grenzüberschreitende Zusammenhänge verschiedener Disziplinen ist von besonderer Bedeutung. Mit dem Alter der Zielgruppe werden die Veranstaltungen komplexer und anspruchsvoller. Dann sind Kooperation mit Partnern empfehlenswert, damit sich der Waldpädagoge entlasten und die Qualität des Angebots steigern kann. Außerdem wird es auf diese Weise möglich, stärker auf authentische Situationen zurückzugreifen.

Beispielsweise könnten die Bildungsteilnehmer Holzgegenstände von zu Hause mitbringen, um den Bezug zu ihrer persönlichen Alltagswelt herzustellen. Im Wald lernen sie die Rohstoffquelle kennen. Sie sehen, wie unterschiedliche Berufsgruppen – Förster, Forstwirte, Rücker und Transportunternehmer – daran beteiligt sind, den Rohstoff zu gewinnen und zum Schreiner zu bringen. Bei einem Forstwirt können sie sich über Arbeitssicherheit informieren. Rücker berichten über ihre Situation als Unternehmer. Beim Schreiner lernen sie dessen Beruf kennen. Ein besonders wichtiger Kooperationspartner sind selbstverständlich die Schulen. Über entsprechende Vor- und Nachbereitung lässt sich Wissen vertiefen und die Wirksamkeit der außerschulischen Bildungsveranstaltung erhöhen.

Nicht nur bei den Bildungsakteuren muss BNE bekannter werden, auch deren Zielgruppen sollen sich dafür begeistern. Entsprechend wichtig ist es, dass die Angebote zielgruppenspezifisch und attraktiv sind und die Vorteile der BNE deutlich werden. Immerhin werden wichtige Kompetenzen gefördert, mit denen sowohl das übergeordneten Ziel der "nachhaltigen Entwicklung" erreicht als auch das eigene Leben beruflich wie privaten erfolgreicher gestaltet werden kann.

Geeignete Öffentlichkeitsarbeit kann BNE bei Bildungsakteuren und Zielgruppen ebenfalls bekannter machen. Beispielesweise können Schwerpunkte im Rahmen der Woche des Waldes gebildet oder besonders gelungene Beispiele herausgestellt werden. Die von der UNESCO geschaffene Auszeichnung als Dekadenprojekt BNE wirkt bereits in diese Richtung, macht BNE bekannter, ist aber auch ein zusätzlicher Anreiz für Bildungsträger, sich dieser Herausforderung zu stellen.

Auch in der bisherigen Waldpädagogik hatte Qualitätsmanagement schon eine wichtige Funktion, doch in Bezug auf BNE steigt seine Bedeutung. Nicht umsonst enthält der Waldpädagogische Leitfaden ein eigenes Kapitel "Evaluation", gibt es Fortbildungsangebote und wird die Waldpädagogik innerhalb der Forstverwaltung ständig weiter entwickelt.

Während die Experten in den Workshops versuchten, BNE stärker in die Waldpädagogik zu integrieren zeigte sich, wie wichtig auch hier die Kooperation mit anderen ist. Der wechselseitige Austausch von Theorie und Praxis dient der Qualitätssicherung beider Seiten. Das hier beschriebene Forschungsprojekt demonstriert, wie fruchtbar diese Brückenbildung sein kann. Im Rahmen des Projektes wurden konkrete Anregungen für praxistaugliche Aktivitäten erstellt und Kardinalpunkte zur erfolgreichen Implementierung in die Praxis erarbeitet:

  • Die zentrale Stellung der Bildungsakteure und damit deren Motivation und Fortbildung
  • die herausragende Rolle der Vernetzung
  • die Notwendigkeit des Qualitätsmanagements, das sich nicht zuletzt aus der Verbindung von Theorie und Praxis nährt.

Wir wissen nun, was wir brauchen, um die Waldpädagogikpraxis erfolgreich weiter zu entwickeln und mit den Hilfsmitteln und dem Know-how auszustatten, das sie dazu braucht.

Günter Dobler war Mitarbeiter im ehemaligen Sachgebiet Wissenstransfer und Waldpädagogik der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) und Projektarbeiter im beschrieben Forschungsprojekt.

Prof. Dr. Robert Vogl leitet die Projektgruppe "Forstliche Bildungsarbeit". Er lehrt an der Fakultät Wald und Forstwirtschaft der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf Forstliche Bildungsarbeit, Kommunikation und Schutzwaldsanierung sowie an der TU München und ist Projektleiter des hier beschriebenen Forschungsprojekts.