Sturmrisiko und Wärmebedarf als Handlungskonflikt

Abb.1: Sturm "Kyrill" zeigt Spuren in der nach 15 Jahren etwa mannshohen Verjüngung.

Abb.2: Aus der Luft ist das Ausmass der Schäden sichtbar. Nur wenige Versuchsparzellen bleiben überschirmt oder genießen Seitenschutz.

Abb.3: Weißtannen holen nach anfäglicher Wuchsunterlegenheit aufgrund besserer Anpassung an die Lichtbedingungen unter dem Fichtenschirm den Höhenvorsprung der Rotbuchen ein.

Abb.4: Einzelnen Weißtannen können die Probleme bei der Umstellung angesehen werden.

Abb.5: Auf den Freiflächen (FF_oben) profitieren vor allem Fichten vom gestiegenen Lichtangebot. Unter dem verbliebenen Schirm wachsen Rotbuche und Weißtanne der Fichte weiterhin davon.

Abb.5: Trotz besserem Lichtangebot nehmen bei vielen Weißtannen die Trieblängen tendenziell ab.
Zur Stabilisierung gleichaltriger Fichtenreinbestände werden im Rahmen des Waldumbaues vielerorts Rotbuchen und Weißtannen verwendet. Diese zeichnet unter anderem eine hohe Frostgefährdung aus. Um Frostschäden an der Verjüngung zu minimieren werden in der Regel Voranbauten unter einem entsprechend aufgelichteten Kronendach des Fichtenaltbestandes begründet.
In den höheren Lagen der Mittelgebirge gelten geringe Temperaturen für die beiden Baumarten als wuchslimitierender Standortsfaktor. Aus diesem Grund ist mit zunehmender Höhenlage eine stärkere Auflichtung des Kronendaches zweckmäßig.
Eine unvorbereitete stärkere Auflichtung des Kronendaches führt in einschichtigen Fichtenreinbeständen zu einer Abnahme der kollektiven Stabilität gegenüber Starkwinden. Gleichzeitig steigt mit zunehmender Höhenlage und Exposition im Gebirge auch die maximale Windgeschwindigkeit an, die gewissermaßen der zentrale Einflussfaktor für Sturmschäden ist.
Für den waldbaulich Handelnden stellen die gewünschte stärkere Auflockerung des Kronendaches und die damit einhergehende Verminderung der Bestandesstabilität einen Handlungskonflikt dar. Letztendlich resultiert dieser aus der begrenzten Einzelbaumstabilität der vorwiegend mit dichtem Kronenschluss im Reinbestand erzogenen Fichtenbestockungen.
Ausgehend von dem nicht zu vernachlässigenden Risiko für Sturmschäden interessiert deshalb, wie Weißtannen und Rotbuchen mit höheren Ansprüchen an ein ausgeglichenes Bestandesklima neben der frosthärteren Fichte auf das plötzliche Fehlen der schützenden Wirkung des Altholzschirmes reagieren.
Unterschiede bei der Anpassung an den Fichtenschirm
Wie die Beobachtungen auf der in einer Höhenlage von 840 m ü. NN im westlichen Erzgebirge gelegenen Versuchsanlage "Sachsengrund 251" zeigen, bestehen zwischen Rotbuche und Weißtanne Unterschiede bei der Anpassung an den Fichtenschirm.
Im Alter von elf Jahren sind die Wuchshöhen der Rotbuchen unabhängig von der sich kleinräumig abwechselnden Dichte des Kronendaches nahezu identisch. Die Wuchshöhen der Weißtanne unterscheiden sich demgegenüber entsprechend der differenzierten Auflichtung des Altbestandes weitaus deutlicher (siehe Abb.3).
Unter einem stärker aufgelichteten Fichtenschirm übertreffen die Weißtannen zu diesem Zeitpunkt die Wuchshöhen der Rotbuchen, während sie unter dichterem Kronendach geringfügig darunter liegen. Im Vergleich mit den im Alter von sechs Jahren gemessenen Baumhöhen wird das zunehmend überlegene Höhenwachstum der Weißtannen augenscheinlich.
So erlangten die Rotbuchen zunächst unabhängig von der Dichte des Schirmes einen Wuchsvorsprung gegenüber den Weißtannen. Nach einem mehrjährigen Anpassungsprozess, in dessen Folge die Weißtanne die Lichtbedingungen unter dem Fichtenschirm effektiver als die Buche ausnutzt, vermochte sie im Alter zwischen 6 und 11 Jahren diesen Wuchsvorsprung aufzuholen bzw. zu übertreffen.
Schneebruch und "Kyrill" beenden die Schutzphase
In diesem Zeitraum stiegen die Volumenschlussgrade in den lichten Teilen des Fichtenbestandes von 0.55 auf 0.75, in den dichteren Partien von 0.75 auf 1.0 an. Erst die erneute Reduktion des Bestandesvorrates elf Jahre nach dem Voranbau, bei der etwa ein Drittel des Bestandesvorrates geerntet wurden, verbesserte das Lichtangebot für die Verjüngung.
Bedauerlicherweise setzte mit der am Abend des 29. Juli 2005 eintreffenden Gewitterfront eine Kaskade von Schäden ein. Zunächst fallen überwiegend Vorratsanteile im Süden der Versuchsfläche dem Sturm zum Opfer. Der folgende, schneereiche Winter 2005/06 führte zum Bruch oder Wurf zahlreicher weiterer Bäume. Und nur ein Jahr später verbleiben nach dem Sturmtief "Kyrill" am 17. & 18. Januar 2007 nur noch Reste des Altbestandes. Fortan wird die Lichtökologie vor allem durch die Nachbarbestände und im Falle der verbliebenen Altbestandesteile durch intensives Seitenlicht bestimmt (siehe Abb.2).
Nicht jede Weißtanne eine Mimose!
Zwei Jahre nach dem weitgehenden Verlust des schützenden Schirmes wurden im Herbst 2009 die Reaktionen der Baumarten auf die veränderten Wuchsbedingungen untersucht. Demnach liegt der Höhenzuwachs von Weißtanne und Rotbuche weiterhin über dem der Fichtennaturverjüngung, wenn der Schirm erhalten bleibt oder vom benachbarten Altbestand eine schützende Wirkung ausgeht.
Im Gegensatz hierzu profitiert die Fichtennaturverjüngung von den extremen Freiflächenbedingungen. Ausgehend von den Längen der Jahrestriebe, die von Jahr zu Jahr rapide zunehmen, können die derzeit deutlich kleineren Fichten in wenigen Jahren zur Höhe der Voranbauten aufschließen. Die bei der Weißtanne registrierten Zuwachseinbusen begünstigen diesen Prozess (siehe Abb.5).
Die Zuwachseinbußen veranschaulichen die Anpassungsprobleme der schattenadaptierten Voranbauten nach der plötzlichen Freistellung. Dabei finden sich nur vereinzelt visuelle Anzeichen, wie Nadelvergilbungen (siehe Abb.4) und nicht wenige Weißtannen zeigen selbst auf den exponierten Freiflächen keinerlei Wuchsdepressionen.
Der jährliche Blattfall der Rotbuche bedingt im Gegensatz zu den anatomisch unveränderlichen Schattnadeln der Weißtanne eine wesentlich bessere Fähigkeit zur Anpassung an das Lichtangebot der Freifläche. Aber auch innerhalb des Kollektivs der Weißtannen sind eine Abhängigkeit von bisherigem Lichtgenuss und der individuellen (physiologisch-morphologischen) Konstitution anzunehmen.
Vorgehen bei der Vorausverjüngung verschieden gestalten
Um Schäden an der Verjüngung und Anpassungsprobleme der Voranbauten zu vermeiden sollten der Verjüngungsprozess und das Hiebsverfahren mit dem individuellen Sturmrisiko der Fichtenausgangsbestockung korrespondieren.
Aufgrund des generell hohen Risikos einer Freistellung sollte bei der Verjüngung labiler Fichtenaltbestände in sturmexponierten Lagen (Kuppen, Bergrücken, Plateaus und Oberhänge in Hauptwindrichtung) auf den Voranbau der Weißtanne verzichtet werden. Unter Nutzung der räumlichen Ordnung ist beim Umbau derartiger Bestände dem Saumhieb mit anschließenden Voranbau von Rotbuche (und Bergahorn) der Vorzug zu geben.
In weniger exponierten Lagen (Unterhänge, Mulden) kann ein Voranbau der Weißtanne sinnvoll sein. So zum Beispiel in vergrasten Säumen, deren Mäusepopulationen den Voranbau von Rotbuchen gefährden. Eine stärkere Auflichtung der Fichtenbestockung und die rasche Verselbstständigung der Verjüngungen durch eine entsprechende Hiebsfolge kann in etwa mit der Eintrittswahrscheinlichkeit extremer Stürme korrespondieren. So durchwachsen Weißtannen in den kühl-feuchten höheren Berglagen innerhalb von 10 Jahren den Höhenrahmen intensiver Frostgefährdung.
Das bei der Weißtanne ausgeprägte Vermögen zur optimalen Nutzung von Lichtschächten kann bei labilen Fichtenaltbeständen jedoch kaum ausgenutzt werden. Diesbezüglich bieten sich natürliche Störungslücken junger Fichtenbaumhölzer zur Vorausverjüngung der Weißtanne an. Diese weisen vor allem aufgrund der geringen Baumhöhen eine deutlich höhere Bestandesstabilität auf.
Eine weitere Möglichkeit zur insgesamt risikoarmen Beteiligung der Weißtanne ist ihre Vorausverjüngung in Vorwäldern, vorzugsweise der Europäischen Lärche oder der Hybridlärche. Für Sachsen existieren hier aus der Wiederaufforstung immissionsgeschädigter Wälder zahlreiche positive Erfahrungen, die ihre Anbauwürdigkeit unterstreichen. Zudem passen sich die Nadeln der Weißtannen bereits unter dem Lärchenschirm an ein höheres Lichtangebot an, womit das Anpassungsrisiko bei denkbaren Sturmschäden sinkt.