Gebirgswälder erbringen sehr vielfältige Leistungen. Vom guten Zustand ausgewiesener Schutzwälder beispielsweise hängt unter anderem die Bewohnbarkeit vieler Alpentäler ab. Es wäre wichtig zu wissen, welche Entwicklung diese Waldbestände nehmen dürfen und welche Leistungen wir in Zukunft von ihnen erwarten können. Doch welche Faktoren sind für die Abschätzung der zukünftigen Entwicklung von Gebirgswäldern von zentraler Bedeutung? Werden dabei das Klima und die Bewirtschaftung eine grössere Rolle spielen als Faktoren wie die CO2-Düngung, die Stickstoff-Deposition oder politische Rahmenbedingungen wie das Kyoto-Protokoll?

Stand der Kenntnisse zur Klimaveränderung

Im Jahr 2007 wurde der vierte Zustandsbericht des "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) veröffentlicht. Es ist interessant festzustellen, dass die Aussagen des IPCC seit der Publikation des ersten Zustandsberichtes im Jahr 1990 nicht nur an Aussagekraft gewonnen haben, sondern tendenziell sogar schärfer geworden sind. Am Beispiel der am häufigsten zitierten Variablen, der globalen Mitteltemperatur, lässt sich dies eindrücklich verfolgen: während im ersten Zustandsbericht von einer erwarteten Veränderung von +1.5 bis +4.5 Grad die Rede war, erhöhte sich diese Angabe im dritten Zustandsbericht auf +1.4 bis +5.8 Grad, und im neusten Bericht liegen die Veränderungen im Bereich von +1.1 bis +6.4 Grad (vgl. Abb. 2). Im Fall der anthropogenen Klimaveränderung ist die Botschaft der Wissenschaft seit nunmehr 17 Jahren unverändert: wir sind mit einem von uns selber verursachten Problem konfrontiert, welches das Wohlergehen von Natur und Mensch in einem von der menschlichen Zivilisation noch nie erfahrenen Ausmass bedroht.

Klimaveränderung nur in der Zukunft?

Wenn wir die Auswirkungen der anthropogenen Klimaveränderung betrachten wollen, so brauchen wir nicht alleine auf Modelle abzustellen. Die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende starke Verschiebung der phänologischen Ereignisse (z. B. früheres Austreiben beziehungsweise Blühen vieler Pflanzenarten, Verlängerung der Vegetationsperiode, etc.), das verstärkte Auftreten von dürrebedingtem, flächenhaftem Absterben von Waldbeständen (z. B. in den westlichen USA seit Anfang dieses Jahrhunderts, vgl. Abb. 1) oder die derzeitigen Insekten-Kalamitäten in vielen Gebirgswäldern können zwar nicht eindeutig als erste Folgen der vom Menschen verursachten Klimaveränderung interpretiert werden. Doch immerhin stellen sie Ereignisse dar, die nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse in einem variableren, wärmeren und im Inneren der meisten Kontinente sommertrockeneren Klima mit einer grösseren Häufigkeit zu erwarten wären.

Gerade bei der Frage der Insekten-Kalamitäten wirken zudem zwei Faktoren gleichzeitig: die Klimaveränderung und die mit dem Bestandesalter tendenziell zunehmende Anfälligkeit der Bestände. Allerdings ist anzumerken, dass solche Veränderungen nicht immer negative Folgen haben müssen; es dürfte Regionen auf dem Globus geben, die von der Klimaveränderung unter dem Strich profitieren werden. Und auch bei uns gibt es vermutlich positive Auswirkungen in gewissen Landesteilen: es sei hier an das Trockenjahr 2003 erinnert, das für die Landwirtschaft im schweizerischen Mittelland sehr schwierig war; die Ökosysteme in den höheren Lagen profitierten aber in erster Linie von den höheren Temperaturen, da die Niederschlagssumme immer noch ausreichend war. So konnten die Bauern in der montanen Stufe von einer besonders guten Heuernte profitieren und den Kollegen im Mittelland aushelfen. Auch die Jahrringe zeigten in den höheren Lagen ein positives Signal, denn das Baumwachstum war dort im Jahr 2003 besonders gut.

Aufgaben der Forschung

Zu den zentralen Aufgaben der heutigen Waldforschung gehört es meiner Ansicht nach, Kenntnisse zu erarbeiten und zur Verfügung zu stellen, die eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer Wälder im Kontext von sich ständig und gleichzeitig ändernden gesellschaftlichen, ökonomischen und abiotischen Rahmenbedingungen ermöglichen. Ich bin überzeugt, dass die folgenden drei Themenbereiche im Zusammenhang mit Gebirgswäldern und der anthropogenen Klimaveränderung von zentraler Bedeutung sind:

  • zum Ersten die Entwicklung der Bestandesstruktur in Schutzwäldern;
  • zum Zweiten die Frage, ob Gebirgswälder als Kohlenstoff-Senken genutzt werden sollen und wie gross die zu erwartenden Effekte wären;
  • und schliesslich Veränderungen in den "Störungs"-Regimes wie Windwurf, Insekten-Kalamitäten und Waldbrand, die nicht nur direkte ökonomische Verluste nach sich ziehen, sondern ebenfalls hinsichtlich der Schutzfunktion, der Landschaftsästhetik und einer Reihe weiterer Waldleistungen von grosser Bedeutung sind.

Strukturdynamik von Schutzwäldern

Die Forschung ist mittlerweile in der Lage, anhand von Waldwachstumsmodellen (z. B. SILVA) oder Waldsukzessionsmodellen (z. B. FORCLIM) recht präzise Aussagen über die zu erwartende Strukturdynamik von Gebirgswäldern zu machen. Wehrli et al. (2007, vgl. Abb. 3) haben ein derartiges Modell für das Fallbeispiel des Stotzigwaldes (Gurtnellen UR) angewendet um abzuschätzen, wie die Struktur dieses Waldes unter verschiedenen Szenarien (Bewirtschaftung, Wildverbiss) in 60 Jahren aussehen würde. Sie glichen die Ergebnisse mit den im Projekt "Nachhaltigkeit im Schutzwald" NaiS definierten Anforderungsprofilen ab (Frehner et al. 2005) und stellten fest, dass der Wald in vielen Fällen die Schutzfunktion gegen Steinschlag nur noch ungenügend gewährleisten würde. Wir arbeiten derzeit an der Professur für Waldökologie der ETH Zürich an einer neuen Generation dieses Modells, um präzisere Abschätzungen und die Anwendbarkeit des Modells für weitere Standorte zu ermöglichen.

Neue Waldleistung: biotische Kohlenstoff-Senke?

Die terrestrische Biosphäre und besonders die Wälder sind von grosser Bedeutung für die globale Kohlenstoffbilanz und damit die atmosphärische CO2-Konzentration. Dies führt zur Frage, ob Wälder als Kohlenstoffsenken verwendet werden könnten (Klimaschutz) und evtl. im Rahmen des Kyoto-Protokolls angerechnet werden könnten für die Emissionsreduktion. Allerdings ist unklar, wie gross das Senkenpotential der Gebirgswälder ist, ob längerfristig aufgrund direkter klimatischer Einwirkungen (z. B. Erhöhung der Atmung in einem wärmeren Klima) oder aufgrund von Störungsereignissen wie Insektenkalamitäten, Windwurf oder Waldbrand diese Senken wieder zerstört werden könnten.

Wir haben in den vergangenen Jahren die Senkenwirkung von Wäldern und Landschaften in der Schweiz mit Hilfe von Modellen abgeschätzt (z. B. Schmid et al. 2006, Zierl und Bugmann 2007). Daraus ergibt sich, dass die Senkenwirkung etwa Mitte des 21. Jahrhunderts nachlässt und spätestens gegen das Jahr 2100 verschwindet, unabhängig vom Bewirtschaftungs-Szenario. Ausserdem dürfte die Klimaveränderung (verstärkte Trockenheit im Sommer, erhöhte Atmung) dazu führen, dass die Senkenleistung zusätzlich abgeschwächt wird. Es ist aus unserer Sicht deshalb fraglich, ob man für einen Effekt, der einige Jahrzehnte dauert, das langfristige Risiko der Senkenzerstörung durch Windwurf, Insekten oder Waldbrand wirklich in Kauf nehmen will – zumal eine spätere Kohlenstoff-Quelle mit Sicherheit kostenpflichtig wäre.

"Störungen" - in der Zukunft die Regel?

Das Bewusstsein, dass so genannte "Störungen" eine bedeutende Rolle in der Walddynamik spielen, ist in Mitteleuropa durch die Insektenkalamität im Nationalpark Bayerischer Wald oder den Windwürfen nach Vivian, Wiebke und Lothar gewachsen. Da die Szenarien für das zukünftige Klima nicht nur eine Veränderung der Mittelwerte der Klimavariablen, sondern typischerweise eine Vergrösserung der Varianz (Variabilität) enthalten, ist zu erwarten, dass extreme Witterungsereignisse in Zukunft häufiger werden dürften. Damit stellt sich die Frage, welche Veränderungen in den Störungsregimes auftreten werden. Ein an unserer Professur durchgeführtes Projekt zur Waldbrandgefährdung in den schweizerischen Gebirgswäldern (vgl. Abb. 5) zeigt, dass viele unserer Wälder in Zukunft ein ganz anderes Waldbrand-Regime erleben dürften, mit entsprechenden Konsequenzen für die Schutzfunktion dieser Wälder.

Grenzen der Forschung

Man kann ein zur Hälfte gefülltes Trinkglas bekanntlich als halb voll oder als halb leer bezeichnen. Genauso mag man die Forschung ansehen: Je nach Standpunkt kann sie viel, oder sie kann auch nur ganz wenig. Was die Forschung mit Sicherheit nicht kann, ist die zukünftige Entwicklung der Gebirgswälder vorherzusagen. Dies aus drei ganz verschiedenen Gründen (vgl. Bugmann 2003):

  • Erstens ist die Entwicklung des zukünftigen Klimas abhängig von den CO2-Emissionen, der Veränderung der Landoberfläche etc.; das menschliche Handeln über Jahrzehnte vorherzusagen, ist nicht möglich, da Menschen keine Maschinen sind.
  • Zweitens ist das wissenschaftliche Verständnis des Klimasystems nicht perfekt, wie wir aufgrund des gelegentlichen Versagens der Wetter-"Prognose" bestens wissen. Selbst bei perfekten Kenntnissen über den zukünftigen Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre wäre es weiterhin nicht möglich, die regionalen oder gar lokalen Auswirkungen der globalen Klimaveränderung zweifelsfrei zu berechnen.
  • Drittens wäre selbst bei einer perfekten Prognose des Klimas für einen bestimmten Standort (wie z. B. den Stotzigwald oder das Gantertal, Abb. 4 und 5) die Vorhersage der Reaktion ganzer Waldbestände beziehungsweise Landschaften nicht möglich, da – ähnlich zum Klimasystem – unsere Kenntnisse über die exakten Zusammenhänge und Abläufe im Ökosystem Wald nicht hinreichend gut sind.

Ist das Glas darum vielleicht sogar weniger als halb voll? Ich denke nicht. Klimaszenarien und die daraus ableitbaren Veränderungen in Gebirgswäldern stellen plausible Entwicklungspfade dar, anhand derer die Bewirtschaftung der Wälder möglichst gut ausgestaltet werden kann, um mögliche negative Wirkungen zu verhindern und Risiken zu minimieren. Die Wissenschaft kann den Verantwortlichen in der "Praxis" keine Entscheide abnehmen, sondern nur Entscheidungsunterstützung bieten. Wissenschaftliche Aussagen zu den Auswirkungen der Klimaveränderung stellen eine notwendige, aber keine hinreichende Basis dar, um Entscheide zur Bewirtschaftung von Gebirgswäldern zu fällen. Eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis ist nötig, damit (1) die Wissenschaft die richtige Art von Information liefert und (2) diese Information von der Praxis korrekt interpretiert und vor Ort umgesetzt werden kann.