Alpenbockkäfer schlüpfen früher als in anderen Jahren, die Mai- und Junikäfer werden zu Aprilkäfern, und zu Silvester fliegt in manchen Jahren der Admiral – ein Tagfalter. Mitten im Winter sollte er eigentlich im Süden oder erfroren sein.

Warme Sommer

Insekten sind wechselwarm; alles geht schneller, je wärmer es ist. Sie entwickeln sich schneller, sind aktiver und damit mobiler, und pflanzen sich schneller fort. In einem warmen Jahr können bei vielen Arten mehrere Generationen entstehen. Eine überdurchschnittlich warme Vegetationsperiode oder gar eine ganze Folge davon führen demnach mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem starken Populationswachstum in der Insektenwelt. Allerdings entwickeln und vermehren sich in einem warmen Sommer auch die Gegenspieler wie Räuber, Parasitoide und Krankheitserreger schneller. Sie dämpfen dadurch im Einzelfall das Populationswachstum.

Milde Winter

Viele Insekten sind frostempfindlich. Bei den meisten Arten ist daher der kalte Winter der limitierende Faktor für die Ausbreitung nach Norden oder in höhere Lagen. In einem warmen Winter mit wenigen und schwachen Spätfrösten, wie er 2006/2007 aufgetreten ist, überleben weit mehr Individuen als normal. Jeden Sommer wandern viele mediterrane Insekten aus dem Süden und Westen in die Schweiz ein. In warmen Wintern überleben die kälteresistentesten unter ihnen und können sich im Frühling fortpflanzen. Ob diese Neozoen einheimische Arten verdrängen, sollte unbedingt mittels geeigneter Monitoringprogramme untersucht werden.

Extremereignisse

Der Klimawandel hat auch indirekte Auswirkungen auf die Insektenfauna. Die für die Schweiz prognostizierte Klimaerwärmung der nächsten 50 Jahre ist mit einer zunehmenden Trockenheit verbunden. Diese führt zu vermehrten Waldbränden und Auflichtungen durch Borkenkäfer. Nach Waldbränden im Tessin und oberhalb von Leuk im Wallis hat sich gezeigt, dass die Insektenfauna auf solche drastischen Störungen mit starken, mehr oder weniger schnell vorübergehenden Artenzunahmen reagiert. Auch die massiven Windwürfe der Stürme Vivian und Lothar haben in den Wäldern zu einer starken Zunahme der lokalen Artenvielfalt geführt.

Bewirtschaftungsänderungen

Wenn wir die Klimamodelle für die nächsten 50 Jahre nicht verdrängen, die für die Schweiz eine Erwärmung von mindestens zwei Grad voraussagen, müssen wir mit drastischen Bewirtschaftungsänderungen rechnen. Sie werden nach den sozioökonomisch bedingten Umwälzungen der Landnutzung der letzten 50 Jahre die Land- und Forstwirtschaft nochmals grundlegend umgestalten. Damit wird sich auch die Artenzusammensetzung der Flora und der Fauna verändern müssen. Durch die kurze Generationszeit und die hohe Mobilität der Insekten sind diese Veränderungen bei der Insektenfauna besonders schnell sichtbar.

Die Rückkehr der Maikäfer – und der Wiedehopfe?

Noch vor 50 Jahren hatte jede Region der Schweiz alle drei Jahre ihr "Maikäferflugjahr", bei dem die Tiere in Massen um die Strassenlaternen flogen, und in den Zwischenjahren die Engerlinge in der Landwirtschaft grosse Schäden anrichteten. Die Strassenlaternen (und andere starke Lichtquellen, die die Käfer verwirren) sowie die Bekämpfung der Maikäfer mit Insektiziden und Pilzpräparaten haben dazu geführt, dass die meisten Menschen in der Schweiz den Maikäfer heute nur noch in Schokoladeform kennen.

Zurzeit hören wir wieder von ländlichen Regionen, die mit Maikäferschäden konfrontiert sind. Auch in den Städten werden wieder einzelne Maikäfer gesichtet, allerdings als Aprilkäfer. Die Forschungsanstalt Agroscope ART Reckenholz untersucht die Maikäferpopulationen seit Jahren und fand im Hitzesommer 2003 heraus, dass etwa 15 bis 20% der Maikäfer vom traditionellen Dreijahreszyklus zu einem zweijährigen Zyklus übergegangen sind. Das heisst, dass schon bald die strikte lokale Trennung in Flugjahre aufgehoben sein wird. Fliegen in Zukunft nun lokal jedes Jahr Maikäfer, werden sich die potenziellen Gegenspieler darauf einrichten. So könnte der Wiedehopf, von dem man annimmt, dass er wegen der in der Brutzeit fehlenden Grossinsekten bei uns so selten ist, allmählich wieder häufiger werden.

Auswirkungen auf die Landwirtschaft

Die Landwirtschaft wird den klimatisch bedingten Faunenwandel der Insekten am stärksten zu spüren bekommen: Die Blattläuse vermehren sich nach milden Wintern viel schneller. Für die Hopfenblattläuse war gemäss Christian Schweizer von der ART Reckenholz das Jahr 2007 ein Rekordjahr bezüglich Flugstart. Die vielen Blattläuse führen auch zu hohen Populationsdichten der Gegenspieler. So profitiert der in die Schweiz eingewanderte Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) von der Blattlausschwemme. Ob der Neuankömmling die heimischen Marienkäferarten verdrängt, wie es der Europäische Siebenpunkt-Marienkäfer in den USA getan hat, ist noch nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass der Wein stinkt, wenn Harmonia mitgeerntet wird.

Beim Maiszünsler, dem schlimmsten Maisschädling hierzulande, ist damit zu rechnen, dass die hiesige Variante des Falters, die genetisch bedingt nur eine Generation pro Jahr hat, durch die mediterrane Variante ersetzt wird. Letztere produziert pro Jahr mehrere Generationen.

Auswirkungen auf die Forstwirtschaft

Ein Temperaturanstieg wirkt sich sowohl auf holzbohrende als auch auf blatt- und nadelfressende Insekten aus. Borkenkäfer profitieren einerseits von der mit der Erwärmung einhergehenden Trockenheit, die die Bäume schwächt. Anderseits kann auch hier ein warmer Sommer zu mehr Generationen führen. Im Hitzesommer 2003 wurden in tieferen Lagen der Schweiz drei Generationen des Buchdruckers beobachtet, in höheren zwei statt der üblichen einen.

Wissenschaftler der Forschungsanstalt WSL untersuchten den Einfluss warmer Winter und Sommer auf die Populationsentwicklung des Buchdruckers, des wichtigsten Waldschädlings der Schweiz. Während in normalen Wintern fast nur die Adulttiere überleben, überstehen in milden Wintern sogar die Larven unter der Rinde die kalte Jahreszeit. Anderseits sind auch die Räuber und insektenpathogenen Pilze aktiver. Wer letztlich von der Erwärmung mehr Vorteile hat, ist noch unklar.

Invasion in die Städte?

Wir werden vor allem in den Städten, wo sich die Klimaerwärmung am schnellsten manifestiert, in den nächsten Jahren viele Neuankömmlinge beobachten können. Vorboten waren zum Beispiel eine Massenvermehrung der mediterranen Malvenwanze (Oxycarenus lavaterae) im Jahr 2004 in Basel und die Warnschriften vor den giftigen Haaren der Raupen des Pinien- und Eichenprozessionsspinners vorerst vor allem in der Süd- und Westschweiz. Aber auch das erste massive Auftreten der Wolligen Napfschildlaus im Jahr 1992 mitten in Zürich, der Rosskastanienminiermotte seit 1998, sowie der Eichennetzwanze im Jahr 2002 ist eine Folge wärmerer Bedingungen.

Sie alle werden in Zukunft die Biodiversität der Schweiz bereichern, ob wir das wollen oder nicht. Für den Naturschutz wird sich die Frage stellen, wie und mit wieviel Aufwand wir verhindern wollen, dass die Verlierer der Klimaerwärmung aus der Schweiz, dem Alpenraum oder gar der Welt verschwinden.

Biodiversitätsbilanz

Insgesamt nimmt mit zunehmenden Temperaturen im Winter (Überleben) und im Sommer (Vermehrung, Einwanderung) die Anzahl neuer Arten in der Schweiz stark zu. Diese Arten sind in ihren Herkunftsgebieten meist noch häufig. In der Schweiz gehen jedoch gefährdete Arten verloren, die entweder kälteadaptierte Endemiten sind, oder von einwandernden Arten verdrängt werden. Diese Verluste – auch wenn sie nur vergleichsweise wenige Arten betreffen – sind qualitativ gravierender für die weltweite Biodiversität als die lokalen quantitativen Gewinne durch die zahlreichen Einwanderer.

(TR)