Bei Neobiota geht es um Lebewesen, die bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt durch den Menschen in einen für sie neues Gebiet eingebracht wurden oder eingewandert sind und sich dort selbständig weiter ausbreiten und fest etablieren. Mit Neozoen, Neophyten und Neomyceten werden diese Neubürger nochmals etwas genauer in Tier-, Pflanzen- und Pilzarten unterteilt (Begriffe siehe Kasten). Das "Neu" bezieht sich etwas willkürlich auf die Zeit seit 1492, weil die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus als Beginn einer bis dahin unbekannten, weltweiten Mobilität der Menschheit gesehen werden kann, durch die auch sehr viele Organismen in neue Gebiete gelangten.
Im engeren Sinn werden als "invasive Neobiota" solche Arten bezeichnet, die sich aggressiv und invasionsartig ausbreiten, gebietsweise dominant werden und dadurch andere Arten bedrängen können. Aus Sicht des Menschen bringen invasive Arten oft ökonomische, ökologische oder medizinische Nachteile. Typisch für viele aggressive Arten ist, dass sie sich in ihrer ursprünglichen Heimat eher unauffällig zeigen und dort im Gleichgewicht mit Gegenspielern und konkurrierenden Arten stehen. Auch in einem neu besiedelten Gebiet können Neobiota über längere Zeit ausharren (Lag Phase), bevor sie invasiv werden.
Menschliche Mobilität und Klimawandel
Die Einwanderung neuer Arten mit allen Nebenwirkungen ist an sich nicht neu. Neu ist allerdings die hohe Mobilität des Menschen mit globalem Waren- und Reiseverkehr, so dass viele Arten oft zufällig übertragen werden. Dies führt weltweit zu vielen Einwanderungswellen in einer unnatürlich raschen Folge und über große geografische und klimatologische Barrieren hinweg.
Die zufällige oder auch selektive Übertragung von Arten lässt zudem meist die Gegenspieler und den ökologischen Kontext in der Heimat zurück, was der Art in der neuen Umgebung einen zusätzlichen Vorteil verschaffen kann und sie invasiv werden lässt (enemy release hypothesis).
Und auch der gegenwärtige Klimawandel begünstigt invasive Arten, indem sich zunehmend wärmeliebende Arten bei uns etablieren können, während umgekehrt durch die Erwärmung keine andere, bei uns bekannte invasive Art dadurch gebremst wird.
Begriffe
- neo (griech.: neu)
- Neobiota = Überbegriff für neu eingebürgerte Lebewesen seit Kolumbus (griech.: bios = Leben, Lebewesen)
- Neophyten = Neu eingebürgerte Pflanzenarten (griech.: phyton = Pflanze)
- Neozoen = Neu eingebürgerte Tierarten (griech.: zoo = Kreatur, Tier)
- Neomyceten = Neu eingebürgerte Pilzarten (griech.: mykês = Pilz)
- Invasive Arten = Neobiota, die sich invasionsartig ausbreiten und dominant werden (lat. invadere = hineingehen)
- Die Begriffe "Exoten" oder "fremdländische Arten" bezeichnen zwar meist das selbe wie Neobiota, doch sollten diese unscharfen und umgangssprachlichen Begriffe vermieden werden.
- Archäophten/-zoen = Altpflanzen/-tiere, Pflanzen/Tiere, die vor Kolumbus z.T. schon seit der Jungsteinzeit mit dem Menschen in ein Gebiet kamen. Dazu zählen z.B. viele Ackerunkäuter. (griech.: archaios = alt)
- Indigene Arten = Synonym für autochthone, ursprünglich einheimische Arten, die aus eigener Kraft eingewandert oder vor Ort entstanden sind (lat. indiges = eingeboren; Altgriech.: autós = selbst und chthōn = Erde).
Extrembeispiele sind untypisch
Die Fülle von Veröffentlichungen zeigt, wie brisant das Thema sein kann. Schließlich gibt es tatsächlich eine ganze Reihe von Beispielen, wo invasive Arten in kurzer Zeit einheimische Arten verdrängen oder sogar bereits ausgerottet und große wirtschaftliche Schäden verursacht haben, man denke nur an Australien. Dennoch muss man berücksichtigen, dass solche Extrembeispiele verglichen mit der Gesamtzahl der Fälle nur selten und in Mitteleuropa bisher noch kaum aufgetreten sind. Als Faustregel für Gefäßpflanzen kann gelten: Von 100 neuen Arten fallen 10 auf und nur eine wird problematisch.
Außerdem sollten Veränderungen nicht grundsätzlich als Gefahr oder Zerstörung, sondern als Entwicklung, als Evolution verstanden werden. Ökosysteme und Lebensräume sind nur auf dem ersten Blick statisch. Deshalb sollte niemand die Etablierung neuer Arten grundsätzlich als negativ ansehen, denn das käme einer ideologischen Bewertung gleich, die fachlich nicht begründbar ist. Wenn sich also herausstellt, dass eine neue Art keine großen Verwerfungen bringt, ist es unsinnig, sie weiter zu bekämpfen.
Auswirkungen
Die meist unerwünschten Auswirkungen bei der Einwanderung neuer Arten sind:
Ökologisch
- Verdrängen anderer Arten durch Konkurrenz, Auffressen, neue Krankheiten mitbringen. Besonders gefährdet sind inselartig isolierte Ökosysteme ohne Ausweichmöglichkeiten.
- Veränderung von Ökosystemen (z.B. Stickstoffanreicherung durch die Robinie)
- Aussterben durch Einkreuzen (z.B. bei Verwandtschaft die genetische Veränderungen der heimischen Population)
Medizinisch
- Gesundheitsgefahr durch Allergien (z.B. Ambrosia), Gifte (z.B. Herkulesstaude)
Wirtschaftlich
- Hohe Kosten im Gesundheitsbereich
- Produktionsausfälle und -schäden
- Behinderung von Bewirtschaftung, Verschlechterung der Produktqualität, höhere Produktionskosten
- Wirtschaftliche Schäden durch notwendige Bekämpfung könnte große Grundbesitzer (Waldbesitzer!) besonders stark treffen
- Einstufung als Quarantäne-Schädling
Im Internationalen Pflanzenschutzabkommen (IPPC) wurden Richtlinien (ISPM-Standards) festgelegt, nach denen eine Art als Quarantäneart eingestuft werden kann. Derzeit haben z.B. der Asiatische Laubholzbockkäfer (ALB), der Kiefernholznematode oder die Esskastanien-Gallwespe diesen Status. Dies hat zur Folge, dass bei internationalen Transporten bezüglich der Quarantänearten bestimmte, meist kostspielige Auflagen erfüllt werden müssen.
Invasive Arten im forstlichen Alltag
Auch wenn sich invasive Arten in Mitteleuropa und speziell im Forstsektor im Vergleich zu anderen Gegenden der Welt bisher noch relativ harmlos präsentieren, sollten aggressive Einwanderer angesichts des negativen Potenzials genau beobachtet werden. Verharmlosung ist so wenig angebracht wie Hysterie. Denn neben den ökologischen Auswirkungen birgt jede Invasion einer neuen Art auch erhebliche wirtschaftliche und gesundheitliche Risiken (siehe Kasten).
Das Beispiel des Beifußblättrigen Traubenkrautes (Ambrosia artemisiifolia; auch Beifuß-Ambrosie oder nur Ambrosia) zeigt in Süd- und Mitteleuropa bereits eindrücklich reale ökonomische und medizinische Auswirkungen. Das allergene Potenzial seiner Pollen ist erheblich größer als das von Gräserpollen und die Pollenanzahl ist so extrem, dass alleine diese Art in manchen Gegenden Südeuropas über die Hälfte aller Pollen in der Luft stellt. Das Gesundheitswesen wird dadurch massiv belastet, auch, weil Ambrosia erst ab dem Hochsommer blüht und so die Pollensaison um mehrere Monate verlängert.
2007 gab es daher in der Schweiz und in Bayern offizielle Bekämpfungsaktionen, um die weitere Einwanderung aus Süden zu bremsen. Zumindest in Bayern sind derartige Aktionen für den Bürger noch billig und freiwillig. Wird aber wie bereits in Teilen Südeuropas und der Schweiz die Bekämpfung zur gesetzlichen Verpflichtung, kann es zumindest für Gemeinden und öffentliche Grundbesitzer richtig teuer werden. Zwar ist das Beispiel Ambrosia keine typische Waldart, doch erstens grenzen Wälder oft an Felder und zweitens kann schon morgen eine andere waldtypische Art ähnlich große Probleme verursachen.
Wie die nun folgenden Dokumente zeigen, haben neben den bekannten pflanzlichen Invasoren in den heimischen Wäldern vor allem Insekten- und Pilzarten das Potenzial für hohe ökonomische und ökologische Risiken.