Raupenfallen-Untersuchung 2006: Artenspektrum von Schmetterlingen an Laubbäumen

In den letzten Jahren kam es vor allem im Osten und Süden Österreichs zu einem Populationszuwachs bei laubfressenden Raupen verschiedener Schmetterlingsarten. Ersichtlich wurde dies an der starken Fraßtätigkeit, die zu Fraßschäden bis hin zum Kahlfraß führte.

Um das differenzierte Vorkommen von Raupenarten auf unterschiedlichen Baumarten näher zu beleuchten, wurde vom Institut für Waldschutz des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) 2005 erstmals eine Untersuchung mit Raupenfallen auf dem BFW-Gelände in Wien durchgeführt (Connell und Steyrer 2005).

Ziele

Aufgrund der Ergebnisse 2005 war es nötig, den Fragekatalog im Folgejahr zu erweitern:

  • Welche Schmetterlingsarten kommen auf welchen Laubbaumarten vor?
  • Mit welcher Häufigkeit treten die Raupen auf und wie variiert die Artenzusammensetzung auf den beprobten Baumarten?
  • Wie entwickelt sich die Populationsdynamik der Raupenarten im Laufe der Gradation und in Abhängigkeit von der Baumart?
  • Welche Bedeutung hat die Vitalität der Raupen? Die morphologischen Veränderungen von unterschiedlich vitalen Raupen erschweren die Diagnose. Die Vitalität hat aber entscheidende Auswirkungen auf den weiteren Gradationsverlauf (Connell und Steyrer 2006).

Methode

Die Methodik der Raupenfallen-Untersuchung 2005 (Connell und Steyrer 2005) wurde im Wesentlichen übernommen, jedoch den Erfahrungen entsprechend erweitert. So wurde die Konstruktion der Fallen verbessert (Abbildung 1).

Die Anzahl der Fallen und der untersuchten Baumarten wurde erhöht. Insgesamt wurden neun Fallen unter sieben Baumarten eingesetzt. Um aus der Variation der Fangergebnisse den baumartenspezifischen Anteil herauszufiltern, wurde für Zerreiche und Hainbuche eine zweite Falle installiert (Vergleichsfalle). 2006 wurden sämtliche Fallen früher installiert und lieferten bereits ab 1. April Ergebnisse. Dem Abschluss der Raupenentwicklung entsprechend konnten die Feldarbeiten in der zweiten Juniwoche beendet werden. Wie im letzten Jahr wurden Raupen zur Bestimmung oder Absicherung von schwierigen oder nicht eindeutigen Diagnosen in die Zucht übernommen.

Raupenvorkommen in Abhängigkeit von der Baumart

Im Vergleich zur Raupenerhebung 2005 wurden 2006 mehr Schmetterlingsarten (44 statt 35) gesammelt. Die Abwehrreaktionen der Bäume hatten eine schlechtere Nahrungsqualität und schlussendlich bereits 2005 eine Reduktion der Raupenvitalität zur Folge. Daher wurden heuer wesentlich weniger Individuen als letztes Jahr gefangen (Tabelle 1 als Download, 4,5 MB, rechte Maustaste -> Ziel speichern unter).

Der hohe Anteil von Individuen der Spanner (Schmetterlingsfamilie: Geometridae) und folglich deren große Bedeutung in den letzten Jahren konnte durch das Hauptergebnis der diesjährigen Untersuchung bestätigt werden: Insgesamt wurden 2.726 Raupen gesammelt, davon waren 79 % (2.149) Spanner-Raupen (Tabelle 1).

Spannerarten

Von der Familie der Spanner blieben nur 11 Raupen von drei Arten bis jetzt unbestimmt. Der Kleine Frostspanner (Operophtera brumata) war mit 87 % (1876 Raupen) am häufigsten vertreten. Er wurde an allen sieben Baumarten gefunden, bei den meisten Bäumen mit einem Anteil zwischen 58 % und 82 %. Nur bei den Zerreichen war das Auftreten deutlich geringer (< 30 %), was möglicherweise mit deren späteren Austreiben zusammenhing: Deshalb verteilten sich die Raupen stärker im Bestand auf der Suche nach alternativen Nahrungsquellen (vgl. Feeny 1970). Der Zusammenhang konnte zwar nicht bestätigt werden, augenscheinlich war aber die hohe Vitalität dieser Zerreichen-Raupen zu einem Zeitpunkt, als an den anderen Baumarten - wegen steigender Tanningehalte - die Vitalität der Raupen bereits stark abgenommen hatte.

Interessant war, dass Operophtera fagata, eine weitere, dem Kleinen Frostspanner sehr ähnliche Art, im Untersuchungsgebiet nur sehr selten vorkam: Nach der Kultivierung und dem Schlüpfen von Verdachtsfällen blieben nur sechs eindeutig als O. fagata bestimmte Raupen übrig (schwarze Atemlöcher). Der Große Frostspanner (Erannis defoliaria) und Agriopis marginaria wurden in den Fallen gefunden, jedoch ebenfalls nur in geringer Zahl (130 bzw. 29). Von den früh schlüpfenden Eupithecia inturbata, die an den Baumblüten fressen, wurden 19 Raupen ausschließlich unter
Ahorn gefunden.

Eulenarten

Eulen (Familie: Noctuidae) waren die zweitgrößte Gruppe bei den Fallenfunden: 355 Raupen von 21 Eulenarten wurden identifiziert (13 % aller Raupen). Nur eine Raupe blieb unbestimmt. Die am häufigsten gefundene Eule war Conistra vaccinii mit 128 Raupen. Conistra vaccinii konnte so wie drei andere Arten (Agrochola macilenta, A. circellaris und Conistra rubiginosa) nur in sehr jungen Stadien gefangen werden, da sie die Bäume verlassen, um an der Bodenvegetation weiter zu fressen. Die Entwicklung dieser Arten fand länger am Bodenbewuchs als an den Bäumen statt.

Bezüglich der Eulenfunde zeigten sich bei den drei Eichenfallen einige Besonderheiten: Orthosia cruda trat so wie 2005 später als andere Arten auf. Sie kam großteils, andere Arten (Lithophane ornitopus, Dryobotodes eremita und D. monochroma) ausschließlich an Eiche vor. Dryobotodes monochroma (Beck 2000) dürfte damit den nördlichsten Rand ihrer Verbreitung in Wien haben (Abbildung 2).

Bemerkenswert ist auch der Fund von Cryphia algae (Abbildung 3), einer selten beobachteten Art, die mit Baumstamm-Flechten assoziiert ist, in einer Falle unter Zerreiche.

Kleinschmetterlinge

Von den Kleinschmetterlingen (Unter-Ordnung Microlepidoptera) wurden 132 Raupen gesammelt. Für 70 Individuen war eine Diagnose von 14 Arten möglich (Tabelle 1). Wegen starker Parasitisierung und folglich hoher Mortalität konnte nur knapp über die Hälfte der Raupen bestimmt werden. Die Zahl der gefangenen Individuen repräsentiert nicht die Häufigkeiten in der Baumkrone, da diese Arten aufgrund ihrer Biologie nicht abbaumen (Zufallsfunde).

Einfluss der Kronengröße

Um die Populationsgröße, die Artenverteilung sowie deren Veränderungen bei den einzelnen Probebäumen bzw. Baumarten zu vergleichen, sind die absoluten Fangzahlen der Raupenfallen nur bedingt geeignet. Vielmehr ist hiefür ein Bezug zur Kronengröße, genauer dem Kronenvolumen oberhalb der Fallenfläche herzustellen.

Aus Ressourcengründen wurde eine Kombination aus Mess- und Schätzmethode angewendet:

  • Die Fläche der jeweiligen Raupenfalle wurde gemessen.
  • In dem über der Falle liegenden Kronenteil wurde von jedem Ast durch Ablotung dessen belaubte Fläche auf Millimeterpapier dargestellt und bestimmt. Mit einem Baumhöhenmessgerät wurde die vertikale Ausdehnung ("Asthöhe") gemessen und aus beiden Werten das Blatt-/Astvolumen errechnet.
  • Weiters wurde für jeden Ast die Blattdichte in 5%-Stufen (analog zum Nadel-/Blattverlust der terrestrischen Kronentaxation) geschätzt.

Die Summe aller mit der Blattdichte gewichteten Blatt-/Ast-Volumina im Kronenbereich oberhalb der Falle ergibt das "Blatt-/Astvolumen über Falle", zu verstehen als Näherungswert für die potenziell zur Verfügung stehende Nahrungsmenge.

Somit konnten aus den Fangdaten relative Fangzahlen je m3 "Blatt-/Astvolumen über Falle" (Raupendichte) errechnet werden (Tabelle 2). Obwohl durch die Relativierung mit dem "Blatt-/Astvolumen über Falle" die absoluten Fangzahlen auf eine vergleichbare Basis gestellt wurden, ergab sich bei der Raupendichte für die Probebäume kein konstanter, baumartenunabhängiger Wert.

Besonders interessant war daher der Vergleich bei den Zerreichen und den Hainbuchen, bei denen jeweils eine Vergleichsfalle eingerichtet worden war. Bei "Hainbuche 1" war die Raupendichte zirka viermal so hoch wie bei "Hainbuche 2", die Werte für die beiden Zerreichen unterschieden sich ebenfalls deutlich (4,6 und 7,8 Raupen/m3). Es konnte dargestellt werden, dass die Befallsdichte weder an verschiedenen Bäumen eines Bestandes noch an Bäumen derselben Baumart konstant ist.

Die Annahme, dass Bäume mit geringem Kronenvolumen (zum Beispiel kleine Bäume mit geringer Aststruktur, aber auch große Bäume mit schlechtem Kronenzustand) eine höhere Raupendichte aufweisen als große, gut strukturierte und gesunde Kronen (Abbildung 4 und 5), konnte ebenfalls nicht bestätigt werden. Ausschlaggebend dürfte sein, dass bei einem Baum mit schlechtem Kronenzustand und gleichzeitigem Raupenauftreten das schüttere Aussehen oft mehr der aktuellen Fraßtätigkeit zugerechnet wird als dem schon bestehenden Blattverlust. Bei Bäumen mit geringem Kronenvolumen wird der Fraß klarer erkennbar, aber dadurch möglicherweise auch überschätzt.

Ein direkter Vergleich der Operophtera-Fangergebnisse von 2005 und 2006 ist bei der Falle "Hainbuche 2" möglich: Für 2006 ergaben 127 gefangene Frostspanner-Raupen bei einem "Blatt-/Astvolumen über Falle" von 27,1 m3 eine Raupendichte von 4,7 Raupen/m3. Bei der Erhebung 2005 wurden in dieser Falle 2.623 Operophtera sp. gezählt. Während eines Starkregens wurden viele Raupen
nicht erfasst, so dass, von den Ergebnissen anderer Fallen ausgehend, zirka 4.000 Raupen zu erwarten waren. Unter der Annahme, dass sich das Kronenvolumen in den beiden Jahren nicht verändert hat, errechnet sich für 2005 eine Populationsdichte von 148 Operophtera-Raupen/m3. Die Konkurrenz um Nahrung und die folglich geringere Raupenvitalität hatten einen weitgehenden Zusammenbruch der Gradation im nächsten Jahr zur Folge.

Schlussfolgerung

Es wurde eine Methode entwickelt, die bei der Quantifizierung der Raupendichte den Blattverlust berücksichtigt und somit auf eine vergleichbare Basis stellt. Wenn Raupenfallen zur Abschätzung der Befallsdichte und Raupenentwicklung verwendet werden, ist darauf zu achten, dass die Kronengröße und der Kronenzustand miteinbezogen werden.

Eine Angabe von "kritischen" Werten ist aus den vorliegenden Daten nicht möglich. Jedenfalls kann bei den gesammelten Raupen deren Vitalität beurteilt und daran die weitere Gradation prognostiziert werden. Das unkritische Reagieren auf "kritische" Werte – ohne Berücksichtigung der Raupenvitalität - wird dann meistens unnötig.

Weitere Fragen zur Populationsdynamik bei Frostspannern hängen mit der eingeschränkten Mobilität der Weibchen und der Wahl der Bäume zur Eiablage zusammen. Wie weit die Eigenschaften von Bäumen (Größe,Vitalität, etc.) bereits vor der Eiablage und Windverfrachtungen bei den frisch geschlüpften Raupen die Fangzahlen und Raupendichte/m3 "Blatt-/Astvolumen über Falle" beeinflussen, werden künftige Untersuchungen zum Thema haben.

Danksagung

Die Autoren danken den Schmetterlings- und Raupenexperten Dr. Peter Huemer, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck, Peter Buchner, Schwarzau/NÖ, Dr. Herbert Beck, Mainz, und Dr. Hannes Lemme, Dresden, für ihre Unterstützung und die Betätigung von Bestimmungen.


Raupenfallen-Untersuchung 2006: Artenspektrum von Schmetterlingen an Laubbäumen