Seit 2011 kommt es zu massiven Fraßschäden an Fichte in den Tieflagen des nördlichen Alpenvorlandes (Salzburg, Oberösterreich, Bayern), die durch eine Massenvermehrung der Fichtengebirgsblattwespe, Pachynematus montanus, ausgelöst wurden. Diese Blattwespe trat bisher lediglich als unscheinbare Begleitart der Kleinen Fichtenblattwespe, Pristiphora abietina, in Erscheinung. In einem EU-finanzierten Interreg-Projekt Bayern-Österreich wurde versucht, die Ursachen für die ungewöhnliche Verdrängung, der Kleinen Fichtenblattwespe durch die Fichtengebirgsblattwespe herauszufinden.

Sekundäre Fichtenwälder auf für Fichte ungeeigneten, warmen und trockenen Standorten zählen seit Jahrzehnten zu den klassischen Massenvermehrungsgebieten der Kleinen Fichtenblattwespe. Ausgehend von meist kleineren, verstreuten Befallsherden entstanden ausgedehnte Gradationen im oberösterreichischen und salzburgischen Alpenvorland mit bis zu 32.000 ha befallener Waldfläche. Betroffen waren vor allem Fichtenreinbestände in Höhenlagen von 400-500 m, die bis in die 1970er Jahre mit chemischen Mitteln (u.a. Lindan, Malathion) bekämpft wurden (Kurir 1982).

Behandlungskonzepte jüngeren Datums zielten auf eine Reduzierung des Bestockungsgrades, Durchforstung und Kalkung sowie auf ein Ansiedeln von Vögeln (Nistkästen) und Ameisenkolonien ab, mit mehr oder weniger Erfolg. Langfristige, erfolgversprechendere Maßnahmen wurden durch waldbauliche Eingriffe, wie der Verringerung des Fichtenanteils bei gleichzeitiger Erhöhung des Laubholzanteils, eingeleitet (Wiener 1993, 1995).

Schäden an Fichten durch die Kleine Fichtenblattwespe entstehen durch den Fraß der Blattwespenlarven an den Nadeln; dieser beschränkt sich aber ausschließlich auf die frischen Maitriebe. Bei stark befallenen Bäumen kommt es zu deutlichen Zuwachsverlusten (bis zu 30 %) und Deformationen der Krone (Rannert und Minelli 1961, Klemmt et al. 2009).

Die Fichtengebirgsblattwespe zählt ebenfalls zum charakteristischen Artenspektrum von Blattwespen an Fichte, sowohl im als auch außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes der Wirtsbaumart.

Massenvermehrungen waren in der Vergangenheit jedoch auf Höhenlagen von 600-1200 m beschränkt, sodass diese Blattwespe als typische Art der Mittelgebirge eingestuft wurde. Die Befallsgebiete blieben räumlich und zeitlich begrenzt, insgesamt waren etwa 400 ha betroffen. Die Massenvermehrungen dauerten in der Regel vier bis fünf Jahre.

In den Jahren 2003/04 wurden im Raum Lambach (Oberösterreich) kleinräumig erstmals höhere Dichten der Fichtengebirgsblattwespe auf typischen Befallsflächen der Kleinen Fichtenblattwespe in 420 m Seehöhe festgestellt (Tabi Tataw 2006), die sich jedoch zu keiner Gradation entwickelten.

Während die Kleine Fichtenblattwespe bei der Eiablage auf ein ganz bestimmtes Austriebsstadium der Fichtenknospe (frisch abgesprengte Knospenschuppe, noch nicht gespreizte Nadeln) angewiesen ist, nützt die Gebirgsblattwespe auch Maitriebe zur Eiablage, die schon deutlich gestreckt sind (Triebachse bis zirka 5 cm) (Abbildung 1).

Je nach Temperatur ist die Larvalentwicklung nach etwa drei bis sechs Wochen abgeschlossen, die Larven baumen Mitte bis Ende Juni ab und spinnen sich in der Bodenstreu in einen Kokon ein (Abbildung 2).

Die Generationsdauer der Fichtengebirgsblattwespe ist in der Regel einjährig (Biologie der Fichtengebirgsblattwespe). Wie auch bei der Kleinen Fichtenblattwespe kann ein unterschiedlich hoher Prozentsatz der Population als Eonymphe überwintern, überliegt das folgende Jahr und schlüpft erst ein oder sogar mehrere Jahre später (Donaubauer 1989, Krehan 1990a).

Schadbild und Schäden an Fichte

Die Fichtengebirgsblattwespe befällt sowohl Stangenhölzer als auch ältere (80-100-jährige) Fichtenbestände. Die Junglarven fressen zunächst schartig an den Nadeln der Maitriebe (Abbildung 3), wobei die Nadelreste vergilben, sich aber nicht wie bei der Kleinen Fichtenblattwespe kräuseln (Abbildung 4).

Ältere Larven wechseln auf vorjährige Nadeln und fressen dort weiter. Angaben über die Fraßmenge bzw. Schäden belaufen sich auf 80-100 Nadeln pro Larve, wobei 50-60 auf den Maitrieb entfallen und 30-40 auf ältere Nadeljahrgänge (Kudela und Kolofik 1955, Baier 1989). Nach Laborergebnissen von Heller (1993) fressen die Larven im letzten Stadium durchschnittlich 30 Nadeln.

Typisch für das Fraßbild ist eine oft schwach befallene Wipfelregion, die grün bleibt, während das obere Kronendrittel kahlgefressen wird. Die unteren Äste sind meist weniger stark befallen.

Ist die Fichtengebirgsblattwespe neuerdings ein wichtiger Forstschädling?

In der forstlichen Literatur wird die Fichtengebirgsblattwespe zumeist als wenig bedeutende Begleitart der Kleinen Fichtenblattwespe beschrieben. Bei Massenvermehrungen verursachen die Larven jedoch intensive Fraßschäden in der Krone. Kritische Zahlen gehen von 120 lebenden, schlupfbereiten Nymphen pro m2 bei einmaligem Fraß aus; dieser Wert reduziert sich auf 60 Larven pro m2 bei mehrjährigem Befall (Krehan 1990b). Bei einer kritischen Zahl von zirka 200 lebenden, schlupfbereiten Larven pro m2 ist mit derart starkem Fraß zu rechnen, dass Bäume kurz- oder mittelfristig absterben.

Ein massiver Nadelverlust kann den Baum dermaßen schwächen, dass er in der Folge eine erhöhte Prädisposition für Borkenkäfer und andere Sekundärschädlinge, wie Holzwespen, aufweist. Aus dieser Tatsache heraus muss die Fichtengebirgsblattwespe als wichtiger Forstschädling eingestuft werden.

Ausgangslage

Im Jahr 2011 wurde erstmals wieder seit Mitte der 1990er Jahre ein auffälliger Fraßschaden in etwa 25 ha Fichtenreinbeständen in Höhenlagen von 450-500 m im Raum Lamprechtshausen (Lauterbach/Haunsberg, Gennersberg/St. Alban) beobachtet, der zunächst als Wiederaufflammen der Kleinen Fichtenblattwespe gedeutet wurde, die in den betroffenen Gebieten über Jahrzehnte immer wieder Gradationen durchlaufen hatte. Untersuchungen der Kokons im Jänner 2012 zeigten, dass der aktuelle Massenbefall der Fichtengebirgsblattwespe zuzuschreiben war, die Ende der 1980er Jahre u.a. am Hasenkopf (Forstdirektion Mayr-Melnhof) zu massiven Schäden an Fichten und in Folge zu Diskussionen über die Bekämpfung der Blattwespen mit Insektiziden aus der Luft geführt hatte (Krehan 1990b).

Um eine solide Datenlage zur Beurteilung dieser neu auftretenden Massenvermehrung der Fichtengebirgsblattwespe in Tieflagen zu schaffen, wurde auf drei betroffenen Flächen am Haunsberg/Salzburg sowie in einem etwa 3 km Luftlinie entfernten, unbefallenen Bestand am Wachtberg/Salzburg eine Aufnahme der Blattwespenpopulationen durchgeführt (Egginger 2013). Die im Rahmen dieser Masterarbeit gewonnenen Ergebnisse aus Blattwespenflug im Frühjahr und Kokondichte im Boden bestätigten das praktisch vollständige Verschwinden der Kleinen Fichtenblattwespe.

Auf den Flächen kamen nahezu ausschließlich Imagines und Larven der Fichtengebirgsblattwespe vor, daneben wurden nur einige Individuen anderer Arten wie zum Beispiel der Gestreiften Fichtenblattwespe, Pachynematus scutellatus, oder der Fichtengespinstblattwespe, Cephalcia abietis, gefunden.

Neben den erwähnten Befallsflächen traten in der Folge an mehreren Standorten im nördlichen Flachgau/Sbg. und oberösterreichischen Alpenvorland sowie auf grenznahen Flächen in Bayern massive Fraßschäden zutage, die aufgrund von Kokonanalysen ebenfalls auf den Fraß der Fichtengebirgsblattwespe zurückgeführt werden konnten. Auffällig war, dass es sich bei allen Standorten um ehemalige Befallsflächen der Kleinen Fichtenblattwespe in Höhenlagen zwischen 400-500 m handelte.

Zudem wurde beobachtet, dass von der Fichtengebirgsblattwespe stark befressene Fichten offenbar bruttaugliches Material für die Vermehrung des Buchdruckers darstellen; diese Bäume müssen aus dem Bestand entfernt werden.

Aufgrund der geringen Flugaktivität der Blattwespen kann ausgeschlossen werden, dass die Fichtengebirgsblattwespe von außerhalb in die aktuell betroffenen Flächen eingewandert ist. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass das massenhafte Auftreten von einer vor Ort vorhandenen, kleinen Population ausging, begünstigt durch bisher unbekannte Faktoren.

Wäre zu erwarten gewesen, dass die Fichtengebirgsblattwespe im Zuge der Klimaerwärmung von ihrer Höhenverbreitung zwischen 800-1000 m eher in noch höhere Regionen wandert, so ist das Auftreten in den Tieflagen (<500 m) überraschend. Spekuliert werden darf, ob der Anstieg in der Populationsdichte der Wespe durch klimabedingte Veränderungen in ihrem Entwicklungszyklus (Phänologie) ausgelöst wurde. Gleichzeitig muss auch ein Verdrängungsprozess gegenüber der bisher dominanten Kleinen Fichtenblattwespe stattgefunden haben, da alle neuen Massenvermehrungsgebiete von der Fichtengebirgsblattwespe jenen Flächen entsprechen, von denen zuvor die Gradationen von der Kleinen Fichtenblattwespe ausgingen.

Vorstellbar ist, dass durch die fortschreitende Klimaerwärmung das zeitliche Zusammentreffen (Koinzidenz) von Schwärmzeit der Blattwespen und Fichtenaustrieb verschoben wurde. Die für die Eiablage auf ein ganz bestimmtes Austriebsstadium der Fichtenknospe angewiesene Kleine Fichtenblattwespe käme damit viel stärker in Bedrängnis als die Fichtengebirgsblattwespe, die ihre Eier auch auf Nadeln bereits deutlich gestreckter Maitriebe ablegen kann. Darüber hinaus könnte die Fichtengebirgsblattwespe von der verschwindenden Konkurrenz durch die Kleine Fichtenblattwespe um geeignete Knospen profitiert haben.

Interreg-Projekt Salzburg/Oberösterreich – Bayern

Das Interreg-Projekt Forstschädlinge und Klimawandel ist ein ein von der EU zur Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit im bayerisch-österreichischen Grenzraum mitfinanziertes Programm. Das Ziel war es die Ursachen der neuartigen Massenvermehrungen der Fichtengebirgsblattwespe in Salzburg, Oberösterreich und Bayern und das davon ausgehende Risiko für nachfolgenden Sekundärbefall durch Borkenkäfer herauszufinden.

Das Projekt lief im Zeitraum April 2013 bis Dezember 2014 und wurde auf insgesamt sieben Versuchsflächen auf 350-500 m und 800 m durchgeführt. Beteiligt an diesem Projekt waren das Institut für Forstentomologie, Forstpathologie und Forstschutz der Universität für Bodenkultur (BOKU) als Lead-Partner sowie die Abteilung für Waldschutz an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Freising-Weihenstephan (D) als Projektteilnehmer, mit Unterstützung der Forstdirektionen der Länder Oberösterreich und Salzburg und des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF), Traunstein (D).

Projektziele

Zur Klärung der Ursachen der neuartigen Massenvermehrungen der Fichtengebirgsblattwespe und zur Abschätzung des potenziellen Risikos für nachfolgenden Sekundärbefall durch Borkenkäfer wurden folgende Fragen behandelt:

  • Besteht eine durch Klimaveränderung bedingte Verschiebung in der Phänologie der Fichtengebirgsblattwespe in verschiedenen Höhenlagen, die zu einer Verdrängung der bisher in den Tieflagen dominanten Kleinen Fichtenblattwespe geführt hat?
  • Welche Rolle spielt der natürliche Gegenspielerkomplex (mit besonderer Berücksichtigung insektenpathogener Pilze) in der Regulation der Fichtengebirgsblattwespen-Population und welche biologischen Bekämpfungsmöglichkeiten ergeben sich daraus?
  • Welche Intensität des Nadelfraßes durch Larven der Fichtengebirgsblattwespe führt zu einer erhöhten Gefährdung der Fichtenbestände für nachfolgenden Borkenkäferbefall?

Erste Ergebnisse

Auf allen befallenen Standorten war die Kokondichte von der Fichtengebirgsblattwespe in der Bodenstreu extrem hoch (>3000 Kokons/m2), jedoch enthielten maximal 10 % der Kokons lebende Nymphen. Die überwiegende Mehrzahl der Kokons waren solche, aus denen Blattwespen oder Parasitoide geschlüpft waren, ein kleinerer Teil der Kokons war von Prädatoren geöffnet worden. Ebenso hohe oder höhere Kokonzahlen wurden von der Kleinen Fichtenblattwespe erfasst; das Vorkommen lebender Pro- oder Eonymphen beschränkte sich jedoch auf einzelne Individuen. An den meisten Standorten wurde keine einzige lebende Kleine Fichtenblattwespe angetroffen.

Kokons von Blattwespen sind allgemein sehr widerstandsfähig und können lange unzersetzt in der Bodenstreu überdauern, sodass die vorgefundenen Kokonzahlen das Ergebnis eines Befalls über mehrere Jahre sind und nicht die aktuelle Situation widerspiegeln. Entscheidend bei der Bewertung einer tatsächlichen Gefährdung ist daher die Zahl der lebenden Nymphen. Hier zeigt sich eindeutig, dass die Kleine Fichtenblattwespe nahezu verschwunden und die Fichtengebirgsblattwespe an ihre Stelle getreten ist. Ein ähnliches Bild ergab die Überwachung des Blattwespen-Schlupfes mittels Bodeneklektoren.

Bemerkenswert ist, dass die Populationsdynamik der Fichtengebirgsblattwespe auf der Befallsfläche Gennersberg seit 2012 eine absteigende Tendenz aufweist. Dies bestätigen die Daten aus den letzten drei Jahren, wobei sich die Population offenbar bereits 2012 am Höhepunkt ihrer Massenvermehrung befand.

Extreme Witterungsbedingungen im Frühsommer 2012 mit Starkregen und Sturm verhinderten eine vollständige Entwicklung der Larven, sodass im darauf folgenden Frühjahr der Wespenschlupf deutlich geringer ausfiel und sich diese Tendenz auch 2014 fortsetzte. Ein weiteres Indiz für einen Rückgang der Blattwespenpopulation am Standort Gennersberg ist die Verschiebung des Geschlechterverhältnisses von einer zweifachen Überzahl der Weibchen auf etwa gleiche viele Männchen und Weibchen (Egginger et al. 2014).

Anders stellt sich die Situation auf der Befallsfläche Grafenholz/Salzburg dar, die erst aufgrund von Meldungen über massive Fraßschäden an den Fichten und ausgewiesenen Kokondichten von bis zu 400 lebenden Nymphen pro m2 im Jahr 2014 in die Untersuchungen aufgenommen wurde. Die Population der Fichtengebirgsblattwespe scheint an diesem Standort erst ihren Höhepunkt zu erreichen. Wiederum war die Zahl an leeren Kokons der Kleinen Fichtenblattwespe in der Streu sehr hoch, lebende Nymphen fehlten jedoch. Entsprechend dürfte auch hier vor etlichen Jahren ein Massenauftreten der Kleinen Fichtenblattwespe stattgefunden haben.

Ausblick

Die bisher verfügbaren Daten lassen den Schluss zu, dass sich die Verschiebung in der Dominanz der lokalen Fichtenblattwespenarten im Voralpenraum während der letzten Jahre ereignet hat und sich in Folge massiv auf die notwendigen Forstschutzmaßnahmen der Waldeigentümer auswirken wird.

Frühere Massenvermehrungen der Fichtengebirgsblattwespe im salzburgisch-oberösterreichischen Raum waren auf kleinräumige Flächen beschränkt und wiesen aufgrund der Höhenlagen auch ein geringeres Risiko für Borkenkäfer-Folgebefall im selben Jahr auf.

Bei einer weiteren Ausbreitung der Fichtengebirgsblattwespe in den Tieflagen müssen jedoch alle ehemaligen Standorte der Kleinen Fichtenblattwespe als potenzielle Gebiete für Massenvermehrungen der Fichtengebirgsblattwespe und künftige Borkenkäfer-Befallsgebiete angesehen werden.

Da die Dauer des derzeitigen Projekts aufgrund der Laufzeit des Förderprogramms nur 20 Monate betrug, ist angedacht, ein Folgeprojekt für die kommende Förderperiode 2014-2020 anzuschließen.

In diesem sollen die Untersuchungen zur Risikoabschätzung des Befalls durch Borkenkäfer nach intensivem Blattwespenfraß fortgesetzt und ein Maßnahmenkatalog zur Behandlung und Prävention für Waldbesitzer erstellt werden. Zusätzlich ergäbe sich die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zur Biologie der Fichtengebirgsblattwespe zu gewinnen, da nur wenige gesicherte Daten über dieses Insekt vorliegen.

Literatur