Dieser Artikel ist der dritte Teil einer dreiteiligen Serie zur Entwicklung der agrarischen Waldnutzungen in der Schweiz von 1800 bis 1950:

Teil 1 - Waldweide, Waldheu, Nadel- und Laubfutter
Teil 2 - Nadel- und Laubstreue
Teil 3 - Waldfeldbau, Waldfrüchte und Harz

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit war der europäische Wald integraler Bestandteil des agrarischen Lebens- und Produktionsraums. Waldweide, Waldfeldbau, Viehfutter- und Streuentnahme sowie Gewinnung von weiteren hauswirtschaftlichen oder nebengewerblichen Produkten wie Harz, Gerberlohe, Wildkräutern und Beeren standen im "landwirtschaftlichen Nährwald" gleichberechtigt neben der Holzproduktion. Sie wurden erst im Zuge der aufkommenden Forstwissenschaft als "Nebennutzungen" bezeichnet. Agrarische Nutzungen prägten den europäischen Wald auch noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert, unmittelbar bevor sich die forst- und landwirtschaftlichen Bereiche trennten.

1) Waldfeldbau

Die kombinierte forst- und landwirtschaftliche Nutzung hatte in Mittelalter und Früher Neuzeit als Brandwaldfeldwirtschaft eine ausserordentlich grosse Verbreitung. Je nach Form und Region wurden dafür sehr unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, wie "Hackwald", "Heuberge", "Reutberge", "Birkenberge" oder "Schiffelland". Daraus entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert der forstliche Waldfeldbau, in dem die temporäre Getreide- und Kartoffelproduktion auf Kahlschlägen mit der künstlichen Baumverjüngung kombiniert wurde.

Brandwaldfeldwirtschaft

Die ursprüngliche Form, welche in der Frühzeit und während der Völkerwanderung angewendet wurde, bezeichnet man als ungeregelte Brandwaldfeldwirtschaft. Der vorhandene Waldbestand wurde durch Brennen und Schlagen beseitigt, die Stöcke dagegen belassen; nach ein- oder zweijähriger Getreidesaat zogen die Siedler weiter oder wechselten die Anbaufläche, und der als Feld genutzte Wald konnte sich durch Ausschlag und Naturbesamung regenerieren. Nach dem Eintritt fester Besiedlung entstanden daraus verschiedene Formen der Wald-Feld-Wechselwirtschaft.

Forstlicher Waldfeldbau

Neben der traditionellen Wald-Feld-Wechselwirtschaft, die mit dem gezielten Einsatz von Feuer verbunden war, verbreiteten sich im Rahmen der seit dem frühen 19. Jahrhundert aufkommenden Forstwirtschaft neue Formen agroforstlicher Waldnutzungsweisen. Dabei handelt es sich um Nutzungsformen, bei denen man im schlagweisen Hochwaldbetrieb für wenige Jahre eine landwirtschaftliche Zwischenkultur einschaltete, bevor zusammen mit der letzten Fruchtsaat auch Baumsamen zur künstlichen Verjüngung der Kahlschlagfläche ausgebracht wurden.

Die rasche Ausbreitung des forstlichen Waldfeldbaues in der Schweiz kann nur vor dem Hintergrund der Bedürfnisse der aufkommenden Forstwirtschaft einerseits und der Nachfrage nach zusätzlichem Pflanzland andererseits verstanden werden. Das forstliche Interesse bestand in der Verbreitung einer geregelten Forstwirtschaft, deren Verwirklichung man zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem im schlagweisen Hochwaldbetrieb und der künstlichen Verjüngung sah.

Bei der Bevölkerung bestand zu dieser Zeit eine grosse Nachfrage nach zusätzlicher Ackerfläche. Waldboden war auch für Leute ohne Viehstand attraktiv, da er für einige Jahre ohne Düngerzufuhr bebaut werden konnte. Solange die Arbeitskraft billig war, lohnte sich der grosse Aufwand für die kurze landwirtschaftliche Nutzungsperiode.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass der Waldfeldbau auch nachteilige Folgen hatte, so beispielsweise auch die Zersetzung der organischen Bodenbestandteile, die Ausmagerung der Böden, Erosionsgefahr und die Vermehrung von Insekten, insbesondere der Engerlinge. Zugleich hatten schlechter werdende Rentabilität, die Abkehr vom Kahlschlagbetrieb und die zunehmende Propagierung der Naturverjüngung das Interesse der Forstwirtschaft an dieser Form der Zwischennutzung wesentlich reduziert. Daher ging Ende des 19. Jahrhunderts der forstliche Waldfeldbau stetig zurück.

Ökologische Auswirkungen des Waldfeldbaus

Durch die erforderliche flächige Entfernung der Baum- und Strauchschicht und die nachfolgende ackerbauliche Nutzung herrschen auf den betroffenen Flächen während einiger Jahre Offenlandbedingungen. Dies bedeutet vorwiegend Standortverhältnisse wie nach einem Kahlschlag, allerdings mit einer längeren Phase von offenem (Acker-)Boden. Diese durch den Waldfeldbau erhöhte Strukturvielfalt mit Schlag- und Saumgesellschaften und einem reichen Mosaik an verschieden alten Beständen war sicherlich für eine charakteristische Flora und insbesondere Fauna sehr vorteilhaft und dürfte lokal die Artenvielfalt erhöht haben.

Neben der Störung der Bodenentwicklung und der relativen Erhöhung des Anteils junger Bäume bewirkte der forstliche Waldfeldbau durch die mit ihm eng verbundene künstliche Verjüngung mit Föhren, Rottannen und Lärchen oftmals eine Veränderung der Baumartenzusammensetzung von Laub- zu Nadelbaumarten.

2) Waldfrüchte

Beeren, Nüsse, Zapfen oder Pilze aus dem Wald waren früher gerade für die ärmere und ländliche Bevölkerung von grosser Bedeutung. Konflikte mit dem Forstdienst entstanden vor allem dort, wo im Zuge der Sammeltätigkeit Bäume beschädigt oder – insbesondere in jungen Aufforstungen – Setzlinge zertreten wurden.

Beeren

Selbstverständlich wurden Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Preiselbeeren und auch Wachholderbeeren in erster Linie als Nahrung für den Menschen gesammelt – weitere Verwendungszwecke gab es jedoch durchaus. Beispielsweise gewann man aus Heidelbeeren Stofffarbe und Gerbstoffe oder stellte Branntwein her. Weil für Beeren gute Preise bezahlt wurden, entstand einer eigentliche lokale Beerensammelwirtschaft, deren Aufkommen aber nicht nur vom Vorkommen der gewünschten Beeren, sondern ebenso von der Transport-Infrastruktur abhängig war, mit der die Beeren zum Kunden gelangen konnten.

Eicheln, Buchnüsse, Kastanien

Während Jahrhunderten wurden die Schweine zur Mast in die samentragenden Eichen- und Buchenwälder getrieben (Acherum). Im Gefolge der Agrarmodernisierung verlor diese Praxis jedoch rasch ihre Bedeutung und schon im frühen 19. Jahrhundert waren kaum mehr Schweine im Wald anzutreffen. Etwas länger hielt sich dagegen eine indirekte Mastnutzung, die im Auflesen der Eicheln und besonders der Buchnüsse (Bucheckern, Bucheln) bestand. Bedeutend war das Sammeln von Buchnüssen für die Ölherstellung.

Noch wesentlich grössere Ausmasse hatte die Kastanienernte im Tessin, wo 1919 auf rund 9000 ha Selven 72'000 Tonnen Kastanien geerntet wurden. Bedeutend waren auch die Mengen Rosskastanien, die als Tierfutter dienten.

Zapfen

In einigen Regionen der Alpen, namentlich im Engadin und bei Grindelwald im Kanton Bern, wurden die Zapfen noch unreif von den Bäumen gerissen und die Samen verzehrt – zum Leidwesen der Förster. Forstmeister Kasthofer berichtete 1817, dass ein früher Versuch mit Baumsaaten daran gescheitert war, dass die Dorfjugend die Arvensamen wieder aus der Erde geholt und verzehrt hatte.

Aus dem Berner Oberland ist die Gewinnung von sogenanntem Zapfenöl überliefert. Um ein Kilogramm dieses Öls zu gewinnen, mussten 100 kg Zapfen von Weisstannen destilliert werden. Daneben wurde verbreitet Zapfen zum Anfeuern gesammelt.

Weitere Waldfrüchte

Beim Pilzsammeln war man früher nicht nur (möglicherweise nicht einmal in erster Linie) auf Speisepilze aus. Im Walliser Lötschental hat man früher alte Fruchtkörper des schwefelgelben Löcherpilzes als Seifenersatz verwendet. Das Myzel des Lärchenschwammes diente noch gelegentlich als blutstillendes Mittel. Weitere medizinale Verwendungen gab es für Holunderbeeren und Lindenblüten. Ein anderes Naturprodukt, das man wenigstens zum Teil unter die Waldfrüchte zählen kann, ist Honig.

3) Harz und weitere Baumsäfte

Während es beispielsweise in Österreich und Skandinavien zur Ausbildung von gewerblicher Harzproduktion kam, wurde die Harzerei in der Schweiz mehrheitlich als Nebenerwerb oder Verdienstmöglichkeit für Randständige betrieben. Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen der Harzgewinnung aus lebendem und aus totem Holz. Bei der Gewinnung aus lebendigem Holz kann weiter zwischen Scharrharz und Flussharz unterschieden werden. Scharrharz wird als am Baum eingetrocknetes Harz gesammelt und mit einem Messer oder von Hand abgekratzt. Flussharz hingegen nennt man das frisch auslaufende Harz, das honigartig aus dem Stamm in ein Sammelgefäss läuft.

Durch Destillation wurden verschiedenartige Harzprodukte gewonnen. In der Reihenfolge ihres Siedepunktes verschiedene Destillationsprodukte aus: Zuerst die in der Gerberei verwendete "Teergalle", anschliessend das als Wagenschmiere verwendete "Kienöl" und zuletzt der dicke Holzteer, das Pech.

Harz hatte eine grosse Bedeutung. Es war aufgrund seiner klebrigen, dichten Konsistenz, seiner Brennbarkeit und seinem intensiven Duft seit langer Zeit ein begehrtes Naturprodukt. Dabei kamen neben dem primären Harz auch weiterverarbeitete Produkte zum Einsatz wie Kolophonium zum Bestreichen der Bögen von Streichinstrumenten oder aber in bedeutenderen Mengen Terpentin, Pech und Teer. Die wichtigsten Harzbaumarten waren Föhren, Lärchen, Fichten und Arven.

Die grössten Mengen an Harz und Harzprodukten wurden im Schiffsbau zum Abdichten ("Kalfatern") benötigt. In verschiedenen Gewerben war Harz ein wichtiger Rohstoff, so für den Küfer beim Abdichten der Fässer, den Gerber als Teergalle für die Behandlung der Häute oder für den Schuhmacher zum Vorbereiten des flachsigen Zwirns. Verbreitet war die Verwendung von Kienspänen (=Föhrenspäne) als Lichtspender. Dazu wurden harzige Stammteile, aber auch harzige Wurzeln oder Äste der Föhre verwendet Daneben gab es noch viele häusliche Verwendungen für Harz, beispielsweise als Salbe oder zum Anfeuern.

Bis ins 20. Jahrhundert wurde an einigen Orten noch Birkensaft gesammelt. Dazu bohrte man die Stämmchen beim Safttrieb im Frühjahr an und band ein Gefäss vor das Bohrloch, in welchem sich der Saft sammelt. So liess sich von einem wüchsigen Stämmchen täglich einen Liter Saft gewinnen. Birkensaft wurde zur Blutreinigung mit Milch vermischt oder als Mostersatz getrunken und auch als Haarwuchsmittel verwendet. Der Saft von Wachholder ("Sefi", Juniperus sabina) wurde als "Sefinenöl" äusserlich angewendet.

 

(TR)