Um 1850 war der Rothirsch in der Schweiz nahezu ausgerottet. Seitdem nimmt die Zahl der Hirsche wieder zu. 2013 hat ihr Bestand einen neuen Rekordwert erreicht (Abb. 2). Die Bestandeszunahme äussert sich auch in Beobachtungen wie diesen: In den Kantonen Graubünden und Tessin halten sich Hirsche im Winter in zunehmender Zahl in Siedlungsnähe auf. Im St. Gallischen Werdenberg kann man während der kalten Jahreszeit sogar regelmässig Verbände von über hundert Tieren auf dem Talboden beobachten.

Im Kanton St. Gallen wurden in der Jagdsaison 2013 fast 750 Stück Rotwild erlegt, mehr als jemals zuvor. Im Kanton Glarus nähert man sich beim geschätzten Rotwildbestand der Zahl 1000. Dieser lag 2010 noch bei ca. 500 Tieren. Aus den Populationen der Ostschweiz wandern vermehrt Tiere in die früher rotwildfreien Gebiete des Mittellandes ab.

Der steigende Bestand von Rothirschen hinterlässt auch im Wald seine Spuren. Die Schäden nehmen zu. Trotz entsprechender gesetzlicher Regelung führt zu hoher Verbiss in der Schweiz jedoch in den wenigsten Fällen unmittelbar zu einer Regulierung des Wildbestandes. Die Sicherung der Waldverjüngung über eine ausreichende jagdliche Entnahme von Tieren ist auch 20 Jahre nach Inkrafttreten des Waldgesetzes nicht im erhofften Mass eingetreten.

Grossraubtiere und Forstschutz gegen Wildschäden am Wald

Grosse Erwartungen werden nun in die Wiederausbreitung der Grossraubtiere gesetzt. Erstmals nach rund 150 Jahren hat in der Schweiz 2012 eine Wölfin in freier Wildbahn ihren Nachwuchs aufgezogen. Das daraus entstandene Rudel hat inzwischen in den Kantonen Graubünden und St. Gallen schon wiederholt Rotwild gerissen.

Der Einfluss des Luchses auf die Rehpopulation wirkt sich in einigen Gegenden der Schweiz schon seit mehreren Jahren positiv auf die Verjüngung des Waldes aus. Wo die Situation aus forstlicher Sicht weiterhin nicht befriedigen kann, wird wieder vermehrt auf technischen Schutz der Jungbäume gesetzt, etwa mit dem Weisstannenprojekt Graubünden (Meier et al. 2009). Im Kanton Glarus ist ein umfangreiches Projekt geplant, in welchem über die kommenden Jahre 800 Tannenkollektive mit Zäunen von 10 m x 10 m Grösse gesichert werden sollen.

Verbissbeurteilung im Rahmen von Verjüngungskontrollen

Auf 226 von insgesamt 283 Indikatorflächen, die im Schweizer Wald eingerichtet sind, wurden seit 2010 mindestens einmal Erhebungen zur Waldverjüngung durchgeführt. Im Jahr 2014 war das auf 163 Indikatorflächen der Fall. 67 der im vergangenen Jahr erfassten Flächen liegen im Kanton St. Gallen. Weitere Erhebungen erfolgten in den Kantonen VS (17 Indikatorflächen), ZH (12), TG (10), SZ (10), GL (10) LU (9), FR (9), BL (4), ZG (4), BE (3), AR (3), OW (2), UR (1), NW (1) und AI (flächendeckende Stichprobe über den ganzen Kanton).

Gemessen wird in diesen Untersuchungen die Verbissintensität. Das ist das Verhältnis der im Verlaufe eines Jahres abgebissenen Terminaltriebe zur Anzahl insgesamt vorhandener Jungbäume im Grössenbereich 10–130 cm. Kritisch wird dieses Verhältnis aus waldbaulicher Sicht dann, wenn es zu einer Stammzahlabnahme führt. Eine grosse Stammzahl in der Verjüngung ist dabei von Vorteil. Zwar ist auch in diesem Fall eine verbissbedingte Stammzahlreduktion unerwünscht. Bei einer grossen Stammzahl in der Verjüngung nimmt das Verhältnis von abgefressenen zu vorhandenen Pflanzen aber erst eine kritische Grösse an, wenn auch die Zahl der Tiere entsprechend gross ist.

Indem jeweils im Frühjahr nur der Verbiss des vergangenen Jahres erfasst wird, lassen sich Entwicklungen schnell feststellen und die Auswirkungen von eingeleiteten Massnahmen überprüfen. Diese Überprüfung ist besonders da hilfreich, wo zur Senkung des Verbisses neue Wege beschritten werden und entsprechende Erfahrungen noch ausstehen, wie bei Raubtiereinflüssen, Lebensraumverbesserungen oder Ruhezonen.

Die Indikatorflächen zu je rund 30 ha sind so angelegt, dass sie die Situation im Wildraum wiedergeben. Der Aufnahmezeitpunkt ist im Frühjahr. Erfasst wird der Verbiss des abgeschlossenen Winters und des vorangegangenen Sommers.

Beispiel St. Gallen

Mehr als die Hälfte der 2012 aufgenommenen Indikatorflächen liegt im Kanton St. Gallen. Die letzte Erhebung dieser Flächen war 2010 erfolgt. In den zwei Jahren hat der Verbiss über alle Baumarten hinweg um 2% abgenommen und liegt nun bei 24% (Rüegg 2012). Bei der Tanne liegt der Verbiss deutlich über dem Grenzwert nach Eiberle (Eiberle und Nigg 1987). Bei Vogelbeere und Ahorn liegt er im Bereich des Grenzwerts und bei Buche, Esche und Fichte darunter.

Der Verbiss hat sich in den fünf Waldregionen des Kantons unterschiedlich entwickelt. In der Waldregion Sargans wurde eine deutliche Zunahme registriert. Mit einer Verbissintensität von 41% über alle Baumarten hinweg ist hier der Verbiss im nationalen Vergleich sehr hoch. In den Waldregionen St. Gallen und See ist der Verbiss unverändert, im Werdenberg-Rheintal und im Toggenburg hat er etwas abgenommen.

Wildraum: Wildökologisch einheitlicher Planungs-, Bewirtschaftungs- und Kontrollraum für eine bestimmte Wildart (Aste 1995). Es handelt sich dabei um das ganze Gebiet, das von einer Wildtierpopulation genutzt wird. Eine Wildtierpopulation ist eine Fortpflanzungsgemeinschaft. Das heisst, die Fortpflanzung der Tiere findet zum überwiegenden Teil innerhalb dieses Verbandes statt. Ein Wildraum hat eine Ausdehnung in der Grössenordnung von 2000 ha (Rehwild) bis 20'000 ha (Rotwild).

Indikatorfläche: Eine etwa 30 ha grosse Fläche, welche typisch ist für die Wald- und Wildtierverhältnisse im Wildraum. Auf der Indikatorfläche wird ein systematisches Stichprobennetz mit 30 bis 50 permanenten Probeflächen eingerichtet (Rüegg und Nigg 2003).

Probefläche: Eine kreisrunde Fläche, auf welcher Verjüngung und Verbiss erhoben werden. Auf Indikatorflächen mit viel Verjüngung wird für die Probeflächen ein Radius von 2 m gewählt, auf Indikatorflächen mit wenig Verjüngung ein solcher von 5 m (Rüegg und Nigg 2003).

Verbissintensität: Anteil Bäumchen im Höhenbereich 10–130 cm, deren Endtriebe im Verlaufe eines Jahres verbissen werden, in Prozenten der Gesamtpflanzenzahl (Eiberle 1989).

Verbiss an Buche – ein Indiz für Rotwild

Auffällig ist, dass sich bei insgesamt abnehmendem Verbiss im Kanton St. Gallen der Verbiss an der Buche klar erhöht hat. Das weist auf ein verändertes Nutzungsmuster durch die Wildtiere hin. Die angewachsenen Rotwildbestände und die gleichzeitige Verdrängung des Rehwilds könnten eine Erklärung sein. Intensiver Verbiss an Buchen ist charakteristisch für Rotwildgebiete.

Im Rahmen einer Detailbeobachtung an Einzelindividuen verschiedener Baumarten wurden stark verbissene Buchen nur im Rotwildgebiet gefunden (Odermatt 2013). Im Unterschied zu andern Laubholzarten, welche bevorzugt unmittelbar nach erfolgtem Austrieb im Frühjahr und im Frühsommer verbissen werden, war der an Buchen festgestellte Verbiss im Winter erfolgt. Buchen werden auch von Hasen bevorzugt verbissen. Der Hasenverbiss lässt sich aber an der glatten, schiefen Abbissstelle gut als solcher erkennen (Abb. 4). Die Höhe der Abbissstelle ist dagegen kein gutes Unterscheidungsmerkmal. Bei einer hohen Schneedecke gelangen Hasen auch an Zweige in Höhen, die in der schneefreien Zeit für sie unerreichbar sind.

Die finanzielle Dimension von Wildschäden

In der Auseinandersetzung um Wald und Wild ist es oft erforderlich, die Dimension von Wildschäden in Franken und Rappen auszudrücken. Das ist insbesondere nötig, um betroffene Grundeigentümer für entstandene Verluste zu entschädigen. Auch in politischen Entscheiden sind Kenntnisse zu den finanziellen Auswirkungen unverzichtbar.

Im Wald ist die Ermittlung von Kosten und Mindereinnahmen, die durch Wildschäden entstehen, schwierig. Meist ist eine fehlerfreie Berechnung nicht möglich. Kosten bzw. Mindereinnahmen fallen erst viele Jahre nach Eintritt des Schadenereignisses an. Deshalb müsste der Geldbetrag ermittelt werden, den man heute hinterlegen müsste, damit er mit den aufgelaufenen Zinsen die Kosten zu jenem späteren Zeitpunkt abdeckt, an dem sie anfallen. Das würde voraussetzen, dass man Jahrzehnte im Voraus die Entwicklung der Zinssätze und des wirtschaftlichen Umfelds kennt. Schon die Entwicklung der Holzpreise ist jedoch auf längere Sicht schwer abzuschätzen.

Noch schwieriger ist es, die ökonomischen Folgen einzuschätzen, die durch die Beeinträchtigung der Wirkung von Schutzwald erwachsen. Zu welchem Anteil können Schäden durch Lawinen, Murgänge, Rutschungen oder Steinschlag auf eine verminderte Wirkung von Schutzwald zurückgeführt werden, und in welchem Mass ist Wildverbiss die Ursache der verminderten Schutzwirkung? Angesichts der Komplexität und der Unberechenbarkeit von Naturereignissen ist eine genaue Berechnung unmöglich.

Wildschäden vorbeugend vermeiden

Statt die vorhandenen Mittel in die nachträgliche Bewältigung von eingetretenen Schäden zu investieren, ist es vernünftiger, diese für die vorgängige Verhütung der Wildschäden einzusetzen. Es ergibt daher Sinn, die ökonomische Dimension von Wildschäden daran zu messen, wie viel die Massnahmen kosten, die zu ihrer Verhütung notwendig sind.

Eine solche Analyse hat Nora Gasser 2009 in einer Masterarbeit am Beispiel der Rigi Nordlehne für einen Schutzwald mit einer Fläche von 130 ha in der Tannen-Buchen-Waldstufe vorgenommen (Gasser et al. 2011). Gemäss dieser Studie fallen im untersuchten Gebiet Kosten von 3 Mio. Franken für Verbauungen an, die auf jeden Fall notwendig werden, weil der Verbiss die Schutzwirkung des Waldes bereits beeinträchtigt hat. Soll in Zukunft wieder ein ausreichender Tannenanteil aufwachsen und damit die Schutzfunktion wieder vollständig hergestellt werden, fallen in den kommenden 50 Jahren weitere Kosten für Massnahmen zwischen 0,08 und 3,6 Mio. Franken an. Mindestens 80'000 Franken würde eine rein jagdliche Lösung kosten, mindestens 3,3 Mio. Schweizer Franken eine rein forstliche in Form von technischer Wildschadenverhütung. Beide Massnahmen für sich allein werden aber als nicht zielführend eingeschätzt. Ein ausreichendes Massnahmenpaket, das sowohl forstliche wie jagdliche Massnahmen umfasst, käme auf 1,5 bis 2,2 Mio. Schweizer Franken zu stehen.

Vergütung von Wildschäden

Die Vermeidung von Wildschäden durch ein entsprechendes Wald-Wild-Management, kombiniert mit technischen Verhütungsmethoden des Forstschutzes, wäre der optimale Fall. In der Realität sind verbissbedingte Beeinträchtigungen von Waldleistungen aber alltäglich. Es stellt sich die Frage der Entschädigung von Waldeigentümern für erlittene Verluste in der Wertholzproduktion, aber auch von öffentlichen Körperschaften für reduzierte Schutz- und Wohlfahrtsleistungen des Waldes. Wie oben dargestellt, entziehen sich aber die Kosten, die durch Wildschäden am Wald entstehen, einer genauen Berechnung. Die Aushandlung des Geldbetrags, der für die Vergütung von Wildschaden ausbezahlt wird, kann daher nur über eine vernünftige Konvention zwischen den beteiligten Parteien geschehen.

Für derartige Übereinkommen gibt die Höhe der geschätzten Kosten, mit denen das Entstehen der Wildschäden hätte vermieden werden können, eine gute Orientierung. In verschiedenen Gesetzesartikeln ist der Anspruch von Grundeigentümern auf Entschädigung von Wildschäden festgehalten. Die verfügbaren finanziellen Mittel sind jedoch in der Regel beschränkt. Zwar speisen die Kantone Wildschadenfonds für die Abgeltung von aufgetretenen Schäden. Diese Fonds sind jedoch nicht für Kosten in einer Grössenordnung ausgelegt, wie sie Gasser in ihrer Masterarbeit errechnet hat. Den Ergebnissen einer Umfrage des schweizerischen Jagdverbandes "Jagd Schweiz" zufolge wurden im Jahr 2011 in der Schweiz gerade einmal 200'000 Franken für Wildschäden am Wald ausbezahlt (Egli 2013).

Die Erhaltung eines reichen Wildbestandes in der Kulturlandschaft ist der Gesellschaft viel wert. Die Entschädigungen, die für Wildschäden am Wald entrichtet werden, sind im Vergleich mit andern Aufwendungen marginal. Vergütungen für Wildschäden in Landwirtschaft und Rebbau sind um ein Zehnfaches höher. Um ein Vielfaches höher sind auch die Kosten durch Wildunfälle auf Strassen. Nach Strein (2011) wird in Deutschland für den Zaunbau gegen Wildschäden am Wald täglich eine Viertelmillion Euro bezahlt. Die Kosten für Wildunfälle im deutschen Strassenverkehr belaufen sich nach seinen Angaben dagegen auf 1,6 Mio. Euro täglich. Das Verhältnis dürfte in der Schweiz ähnlich sein. Andere erhebliche Kosten entstehen durch Absicherung von verkehrsreichen Strassen mit Zäunen und durch Wildpassagen.

Quellen

  • Aste, C. (1995): Hebschuss gefallen. Der Anblick 68:19-20.
  • Egli, H.P. (2013): Jahresbericht Präsidentenkonferenz Jagd Schweiz, Jagd & Natur Februar 2013, S. 78-80.
  • Eiberle, K. (1989): Über den Einfluss des Wildverbisses auf die Mortalität von jungen Waldbäumen in der oberen Montanstufe. Schweiz. Z. Forstwes. 140,12: 1031-1042.
  • Eiberle, K.; Nigg, H. (1987): Grundlagen zur Beurteilung des Wildverbisses im Gebirgswald. Schweiz. Z. Forstwes. 138, 9: 747–785.
  • Gasser, N.; Frehner, M.; Ziggeler, J.; Olschewski, R. (2011): Ökonomische Konsequenzen der Verbissprobleme an der Rigi-Nordlehne, Schweiz. Z. Forstwes. 162 , 10: 364-371.
  • Meier, F.; Engesser, R.; Forster, B.; Odermatt, O.; Angst, A. (2009): Forstschutz-Überblick 2008. [Published online 17.6.2009] Available from World Wide Web <http://www.wsl.ch/fe/walddynamik/waldschutz/wsinfo/fsueb_DE>. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL. 24 S.
  • Odermatt, O. (2013): Wildverbiss: Wann sind die kritischen Phasen?. Wald Holz 95,2: 23-26.
  • Rüegg, D. (2012): Verjüngungskontrolle im Kanton St. Gallen. Ergebnisse Stichproben in Indikatorflächen 2012. Bericht zuhanden Kantonsforstamt St.Gallen. 17 Seiten.
  • Rüegg, D., Nigg, H. (2003): Mehrstufige Verjüngungskontrollen und Grenzwerte für die Verbissintensität. Schweiz. Z. Forstwes. 154 (2003) 8: 314–321.
  • Strein, M. (2011): Zum Umgang mit Wildunfällen, FVA-einblick 3/2011 S. 18-20.

(TR)