
Abb. 1 - Der Mittelspecht unterscheidet sich durch seine rote Kopfplatte und seinen feinen dünnen Schnabel vom Buntspecht.
Foto: Dietmar Marty

Abb. 2 - Eichenreiche Wälder mit einer gewissen Anzahl von genügend dicken und grobborkigen Eichen sowie totholzreichen Kronen bieten dem seltenen Mittelspecht einen geeigneten Lebensraum.
Foto: Abteilung Wald, Kanton Aargau
Der Mittelspecht ist eine seltene Spechtart der Aargauer Wälder. Gemäss "Aktionsplan Mittelspecht" des Bundesamtes für Umwelt, der Schweizerischen Vogelwarte Sempach und des Schweizer Vogelschutzes/BirdLife Schweiz gibt es im Kanton Aargau noch 20 bis 30 Brutpaare. Der Aktionsplan beschreibt die Lebensraumansprüche des Mittelspechts, orientiert über seine Verbreitung und stellt gleichzeitig eine artspezifische Schutz- und Förderstrategie vor.
Innerhalb der Umsetzung des "Aktionsplans Mittelspecht" führte die Abteilung Wald des Kantons Aargau in den Jahren 2008 bis 2010 eine Erhebung der Mittelspechte im Kantonsgebiet durch. Da diese auf alte Eichen angewiesen sind, beschränken sich die Aufnahmen auf eichenreiche Waldgebiete. Die Resultate der Mittelspechtkartierung bilden ein wichtiges Argument für die Sicherung von Eichenwaldreservaten.
Die bisherigen Resultate der Mittelspechtaufnahmen überraschen positiv. Der Mittelspecht war auch Thema einer Semesterarbeit von zwei Studentinnen der Fachhochschule Wädenswil, die an den Kartierungen 2009 mitbeteiligt waren. Die Resultate dieser Arbeit werden im Folgenden vorgestellt.
Auf Eichen angewiesen
Ein klagendes "Gwäk, Gwäk, Gwäk" ertönt im zeitigen Frühjahr im Eichenwald – das Liebeswerben des Mittelspechts. Diese Spechtart ist ausgesprochen standorttreu und streift auch ausserhalb der Brutzeit höchstens im Umkreis von wenigen Kilometern umher. Wenn das Werben erfolgreich war, bauen Mittelspechte ihre Bruthöhlen in angefaulte Stämme oder Seitenäste von Laubbäumen. Innerhalb von zwei Wochen werden die vier bis sieben Eier ausgebrütet. Der Mittelspecht ist mit 21 cm grösser als der Kleinspecht, aber kleiner und graziler als der bekanntere Buntspecht, was ihm seinen Namen gab. Männchen und Weibchen tragen Partnerlook, sie sind anhand des Gefieders kaum unterscheidbar. Kennzeichnend ist eine bis zum Nacken reichende rote Kopfplatte.
Die Nahrung des Mittelspechts besteht hauptsächlich aus Insekten, Larven und Raupen, die er in grobborkigen alten Laubbäumen findet. Im Gegensatz zu den anderen Spechtarten wie dem Bunt- oder Schwarzspecht trommelt der Mittelspecht nicht, sondern stochert mit seinem weniger stark ausgeprägten Schnabel in der Baumrinde, was ihm auch den Namen Stocherspecht eingebracht hat. Alte Eichen bieten dem Mittelspecht wegen der rauen Borke ein Eldorado an Nahrung. Die Nahrungssuche unterscheidet sich jedoch jahreszeitlich: Im Sommer liest er Insekten vor allem von den Blättern ab, im Winter stochert er in der Borke nach ihnen. Von den einheimischen Baumarten besitzen Eichen das reichste Insektenleben. Es besteht somit eine enge Bindung des Mittelspechtes an Eichenwälder. Mit dem Niedergang der eichenreichen Wälder – vor allem jener mit grossen und alten Eichen – ist auch der Mittelspechtbestand stark zurückgegangen. Ganz im Gegensatz dazu ist der "Allround-Holzhacker" Buntspecht in jedem Wald, unabhängig von der Baumartenzusammensetzung, zu finden.
Per Tonband auf Spechtsuche
Ausserhalb der Balz- und Fütterungszeit ist der Mittelspecht ein leiser und scheuer Vogel. Aus diesem Grund ist sein Bestand schwer zu ermitteln. Ornithologen bedienen sich deshalb eines Tricks, um ihn nachzuweisen: Sie locken ihn mit einer Klangattrappe an. Dabei wird der Revierruf des Mittelspechtes abgespielt, der anwesende territoriale Artgenossen reizt und anlockt. Mit dieser Methode werden im Kanton Aargau eichenreiche Wälder von Spezialisten im Auftrag der Abteilung Wald abgesucht, um herauszufinden, wo der Mittelspecht noch vorkommt. Zwischen Februar und April 2009 waren die Ornithologen in vertraglich gesicherten und potenziellen Eichenwaldreservaten, vor allem in den rheinnahen Regionen um Rheinfelden und Koblenz, aber auch in der Region um Frick, Schneisingen, Gebenstorf und weiteren Orten unterwegs. Dabei wurden über 4000 Hektaren Waldfläche als potenzieller Mittelspechtlebensraum mit einer vergleichbaren und standardisierten Methode kartiert.
Das Prozedere war immer dasselbe: Entlang von Waldstrassen wurde etwa alle 200 Meter angehalten und der Mittelspechtruf abgespielt – zuerst zweimal der Kickruf und dann der klagende Quäkruf. In den Pausen dazwischen mussten die Ornithologen die Umgebung sehr aufmerksam beobachten, denn oft fliegt der Specht – gestört durch die fremden Rufe – heran, ohne seinerseits zu rufen. Ertönte der Quäkruf, war die Diagnose eindeutig: ein Mittelspecht. Der Kickruf und das Aussehen des Mittelspechtes sind denen des Buntspechtes sehr ähnlich. Um eine Verwechslung auszuschliessen, wurden in Zweifelsfällen nur eindeutige, mit dem Feldstecher verifizierte Spechte aufgenommen.
Im Kanton Aargau fand man mit dieser Methode während den Kartierungen in den Jahren 2008 und 2009 bisher rund 100 Mittelspecht-Brutpaare. Da sich die eichenreichen Wälder vor allem im nördlichen Teil des Kantons befinden, ist der Mittelspecht hauptsächlich dort heimisch. Zwei mittelspechtreiche Zentren kristallisierten sich heraus. Das eine befindet sich in der Gegend um Magden, Olsberg, das andere um Koblenz. Drei bis vier Reviere sind in Windisch, Möhlin, Magden, Niederrohrdorf, Kaiseraugst, Rheinfelden und Siglistorf vorhanden. In weiteren Gemeinden gibt es vereinzelte Reviere (s. Karte im Originalartikel).

Abb. 3 - Die Schwerpunkte der Mittelspechtnachweise im Kanton Aargau liegen im Frühjahr 2008/2009 in den eichenreichen Wäldern an Rhein, Aare und Reuss.
Mehr starke Eichen in Mittelspechtrevieren
In der Literatur wird beschrieben, dass der Mittelspecht stark auf mittelgrosse bis alte Eichen angewiesen ist. Zwei Studentinnen der Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW Wädenswil) beteiligten sich im Rahmen einer Semesterarbeit an den Kartierungen der Mittelspechte und untersuchten den Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von grossen Eichen und dem Auftreten des Mittelspechtes. Dabei wurden Waldflächen von 2,8 Hektaren (entspricht der Reviergrösse eines Mittelspechtes) mit nachgewiesenem Mittelspechtvorkommen mit zufällig ausgewählten, gleich grossen Waldflächen ohne Mittelspechte verglichen.
Die Ergebnisse zeigten, dass in Waldflächen mit nachgewiesenem Mittelspechtvorkommen signifikant mehr Eichen mit einem Brusthöhendurchmesser von über 40 cm wuchsen als in gleich grossen Flächen ohne Spechtvorkommen. Ebenso unterschied sich der Totholzanteil in der Baumkrone der starken Eichen: Mittelspechtreviere wiesen mehr Kronentotholz auf als unbesetzte Waldflächen. Morsches und angefaultes Holz an Eichen bietet dem Mittelspecht nicht nur Nahrung, sondern auch gute Bedingungen für den Bau von Bruthöhlen.
Förderung der Eiche ist angesagt
Wie in der Literatur beschrieben und durch die Resultate dieser Semesterarbeit bestätigt, benötigt der Mittelspecht als Lebensraum Wälder mit einem hohen Anteil an älteren und alten Eichen. Die Veränderungen in der Bewirtschaftung der Wälder haben dem Mittelspecht arg zugesetzt und liessen ihn selten werden. Fichtenmonokulturen und junge Wälder ohne altes, morsches Holz bieten dem Mittelspecht keine Lebensgrundlage. Erfreulicherweise kommen aber weit mehr Mittelspechte im Aargau vor als bisher angenommen. Trotzdem ist der Bestand auf wenige Flächen beschränkt und vermutlich sind diese Vorkommen relativ stark isoliert und ihre Zukunft somit unsicher.
Mit der Sicherung von Eichenwaldreservaten im Rahmen des Naturschutzprogramms Wald kann sichergestellt werden, dass Eichenpflanzungen gefördert und Alteichen temporär geschützt werden. Von diesen Massnahmen wird der Mittelspecht kurz- und langfristig profitieren. Langfristig wird sich der Mittelspecht nur halten können, wenn es gelingt, grossflächige Wälder mit der Eiche als Hauptbaumart zu erhalten bzw. neu anzulegen. Zum Glück nützt dies nicht nur dem Mittelspecht, sondern rund 40 weiteren Vogelarten, zahlreichen Kleinsäugern, aber auch unzähligen Insekten- und Pilzarten.
Das Naturschutzprogramm Wald
Die Sicherung von Eichenwaldreservaten in Zusammenarbeit mit Waldeigentümerinnen und Waldeigentümern bildet einen Schwerpunkt der dritten Etappe des Naturschutzprogramms Wald (2008 bis 2013). Bis 2020 sollen auf insgesamt 2500 Hektaren Wald solche Reservate entstehen.
In diesen werden einerseits neue Eichenjungwaldflächen angelegt, andererseits sollen alte Eichen so lange erhalten bleiben, bis die jungen Eichen genügend dick sind, damit der Mittelspecht sie zur Nahrungssuche nutzen kann.
Das Ziel ist der Aufbau einer nachhaltigen Eichenwirtschaft, das heisst Schutz und Nutzen stehen längerfristig im Einklang. Mit den Waldeigentümerinnen und Waldeigentümern werden Verträge über 50 Jahre abgeschlossen. Der temporäre Nutzungsverzicht wird entschädigt. Die Schaffung von Eichenjungwald wird mit 30‘000 Franken pro Hektare unterstützt.
Die Kartierung der Mittelspechte erfolgt 2008, 2009 und 2010. Die Präsenz des Mittelspechtes ist ein gewichtiges Argument für die Schaffung eines Eichenwaldreservats. Es ist vorgesehen, die Mittelspechtaufnahmen periodisch zu wiederholen, um über den Erfolg der Eichenwaldreservate Rechenschaft ablegen zu können.