Ende der 1970er Jahre beobachteten Forstleute in der Schweiz und in anderen Ländern Europas auffällige Schäden an Waldbäumen. Die Vermutung war, dass diese Schäden durch Luftschadstoffe verursacht wurden. In vielen Ländern Europas starteten deshalb Mitte der 1980er Jahre jährliche Inventuren zum Waldzustand. Doch schon zu Beginn der 1990er Jahre wuchs die Erkenntnis, dass zur Klärung möglicher durch Luftverschmutzung im Wald ablaufender Prozesse intensive Forschung auf langfristig angelegten Beobachtungsflächen nötig ist.

Flächiges Absterben von Fichtenwäldern in Osteuropa und ein Tannensterben in Mittelgebirgslagen alarmierten Anfang der 1980er Jahre Forstleute in Europa und die breite Öffentlichkeit. Um die Absterbeprozesse besser zu verstehen und erklären zu können, wurde eine grosse Forschungsinitiative ins Leben gerufen. In vielen Ländern Europas starteten Mitte der 1980er Jahre jährliche Inventuren zum Waldzustand, zumeist auf systematisch angelegten kleinen Stichprobenflächen. In der Schweiz finden seitdem jährliche Waldzustandsinventuren statt. Daneben wurden viele Langzeitforschungsflächen installiert, zum Beispiel jene der Langfristigen Waldökosystem-Forschung LWF (Abb. 1).
 

Indikatoren zur Vitalität von Bäumen und Wäldern

Es gibt eine Reihe verschiedener Indikatoren, um die Vitalität eines Einzelbaums und des Waldzustandes zu beschreiben. Die drei am häufigsten verwendeten sind:

  • die Kronenverlichtung
  • das Wachstum des Einzelbaums und des Bestandes
  • die jährlichen Sterberaten des Bestandes

Weitere Indikatoren sind die Nährstoffversorgung, die Stickstoffsättigungseffekte und Ozonschäden der Bäume, der chemische und physische Bodenzustand oder das Vorkommen sensitiver Arten.

1) Die Kronenverlichtung

Um die langfristige Entwicklung des Waldzustands erfassen und objektiv beurteilen zu können, musste zu Beginn der Waldzustandsinventuren ein einfach zu erhebender Indikator ausgewählt werden. Da ein Baum, bevor er abstirbt, seine Nadeln oder Blätter verliert, entschied man sich für die Erfassung des "Nadel-/Blattverlustes" (später Kronenverlichtung genannt), angegeben in Prozent einer "voll belaubten" Baumkrone (Abb. 2). Zur Standardisierung wurden in der Schweiz für jede Baumart Bilder von Baumkronen mit verschiedenen Kronenverlichtung angelegt und als Referenz verwendet, und zwar jeweils in Stufen von 5 %.

Vorteile des Merkmals Kronenverlichtung:

  • verhältnismässig schnell im Feld durchzuführen
  • zerstörungsfrei
  • verhältnismässig kostengünstig
  • Vergleich verschiedenster Baumarten (Bäume werden mit Referenzbäumen der gleichen Art verglichen)
  • Ansprache des gesamten Baums

Nachteile des Merkmals Kronenverlichtung:

  • nicht direkt messbar (gut ausgebildete Feldexperten nötig)
  • Gefahr von systematischen oder zufälligen Beobachterabweichungen
  • nicht ursachenspezifisch
  • Referenzwerte nötig, um das Merkmal einordnen zu können
2) Sterberaten

Das Absterben von Bäumen im Wald ist ein natürlicher Prozess. Mit zunehmender Dichte im Bestand erhöht sich die Konkurrenz für Licht, Nährstoffe und Wasser. Die Anzahl lebender Bäume nimmt ab. Generell wird zwischen drei Absterbe-Arten unterschieden:

  • das Konkurrenz verursachte Absterben (vor allem unterdrückte Bäume)
  • das zufällige Absterben (einzelne über die Fläche verteilte Individuen der Oberschicht, die ohne ersichtlichen Grund absterben)
  • das durch biotische oder abiotische Ursachen oder deren Kombination bedingte Absterben (meist in Gruppen oder mit ungewöhnlich hohen Sterberaten von Bäumen der Oberschicht)

Im Naturwald hängt die Sterberate von der Entwicklungs- oder Sukzessionsstufe des Bestandes ab. Je nach Schattentoleranz und Langlebigkeit der Baumart unterscheiden sich deren Sterberaten in den Entwicklungsstadien. Häufig werden bei sehr kleinen Bäumen und bei grossen, alten Bäumen höhere Sterberaten beobachtet. Bei den jüngeren liegt dies an der hohen Konkurrenz, bei den älteren an der altersbedingten höheren Anfälligkeit gegenüber biotischen (z.B. Insekten und Pilze, Abb. 3) und abiotischen Faktoren (z. B. Klimaextreme). Für Bäume in bewirtschafteten Wäldern ergeben sich in der Regel Sterberaten deutlich unter 1 %. In unbewirtschafteten Wäldern oder Naturwäldern werden diese höher sein.

Vorteile des Merkmals Sterberate:

  • Die Sterberate ist der ultimative Indikator für "Waldsterben" oder die fehlende Vitalität des Einzelbaumes.
  • Absterbende Bäume sind verhältnismässig schnell und eindeutig im Feld zu identifizieren.
  • Andere Indikatoren des Wald- oder Baumzustandes könnten mit Hilfe der Sterbewahrscheinlichkeiten getestet werden.

Nachteile des Merkmals Sterberate:

  • Die Sterberate ist ein Indikator, welcher nur für Waldbestände erhoben werden kann, am Einzelbaum kann sie nicht angewendet werden.
  • Da die Sterberaten natürlicherweise sehr niedrig sind, braucht es grosse Datensätze oder sehr lange Zeitreihen bis statistisch gesicherte Daten vorliegen.
  • Es braucht geeignete Referenzwerte, um die Höhe der Sterberate zu beurteilen.
  • Die Sterberate wird durch die Nutzungsrate, aber auch Ereignisse wie Windwurf, Schneebruch oder Feuer beeinflusst.
  • Um die mögliche Ursache des Absterbens zu ermitteln, braucht es periodische Beobachtungen innerhalb eines Jahres.
3) Baumwachstum

Wie kann das Baumwachstum bestimmt werden? Am einfachsten zu messen ist der Stammdurchmesser-
zuwachs (Abb. 4 ) oder die Jahrringbreite, wesentlich schwieriger das Zweig- und das Blattwachstum, inklusive der gesamten oberirdischen Biomasse. Am schwierigsten jedoch ist, das Wurzelwachstum zu erfassen oder die Entwicklung der unterirdischen Biomasse zu verfolgen. Deshalb wird vor allem das Stammwachstum als Stressindikator verwendet.

Noch mehr als bei den bereits besprochenen Merkmalen muss zwischen dem Erfassen der Einzelbaums und dem des gesamten Waldbestandes, das heisst der Summe aller Bäume im Bestand, unterschieden werden. Das Einzelbaumwachstum, besonders das Dickenwachstum des Stamms, hängt stark von der Einzelbaumkonkurrenz ab und nimmt schnell mit der zunehmenden Dichte der Bäume im Bestand ab. Es ist in der Regel am stärksten für freistehende Bäume. Hingegen steigt das Bestandeswachstum mit der Dichte des Bestandes an, bis eine optimale Bestandesdichte erreicht ist.

Vorteile des Merkmals Wachstum:

  • Stammwachstum ist verhältnismässig schnell und vor allem sehr genau im Feld zu messen.
  • Diese Messung und die der Baumhöhe lässt sich zerstörungsfrei durchführen.
  • Die Messungen sind verhältnismässig kostengünstig.
  • Mithilfe von Jahrringmessungen kann am Einzelbaum die Vergangenheit rekonstruiert werden.
  • Das Wachstum ist eine integrierende Variable, das heisst es spiegelt die generellen Bedingungen von Standort, Witterung und Konkurrenz.

Nachteile des Merkmals Wachstum:

  • Wachstum ist auch ein unspezifischer Parameter, das heisst, es erlaubt nur im begrenzten Masse Rückschlüsse auf Ursachen zu ziehen.
  • Retrospektiv ermittelter Zuwachs durch Bohrkerne ist nicht zerstörungsfrei und erlaubt keine Aussage zum Bestandeswachstum, wenn Bäume inzwischen abstarben oder genutzt wurden.
  • Wie schon bei den beiden anderen Merkmalen braucht man auch für das Wachstum eine Referenz oder einen Erwartungswert um eine Bewertung durchführen zu können.

Ergebnisse der Untersuchungen und Diskussion

Siehe Originalartikel (PDF)

Schlussfolgerungen

Kronenverlichtung, Sterberaten und Wachstum können mit gewissen Einschränkungen als Indikatoren für den Waldzustand verwendet werden. Sie sollten jedoch nicht für sich alleine betrachtet werden, da dies leicht zu Fehlinterpretationen führen kann. Einen Universalindikator für den Waldzustand oder gar die Waldgesundheit gibt es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben können.

Die Kronenverlichtung kann beschränkt als Indikator für Unterschiede im Standort und der Bestandesentwicklung dienen. Zudem können Veränderungen, beispielsweise durch Insektenfrass, so leichter quantifiziert werden und mit möglichen Veränderungen im Zuwachs und der Sterberate in Bezug gesetzt werden.

Aus der innerhalb von einzelnen Waldbeständen gefundenen Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Zuwachs, und dem gleichzeitigen Anstieg der Kronenverlichtung, wie er zu Beginn der Sanasilva-Inventur in den 1980er Jahren beobachtet wurde, darf nicht gefolgert werden, dass der Wald in der Schweiz deshalb heute weniger wächst. Veränderte Umweltbedingungen, aber auch eine veränderte Nutzung, können sowohl zu erhöhtem Bestandeswachstum als auch zu erhöhter Kronenverlichtung der Einzelbäume führen.

Zu Beginn der "Waldsterbensforschung" deutete man unglücklicherweise eine hohe Kronenverlichtung eines Baumes als durch Luftschadstoffe verursacht. Und die Beziehung zwischen Kronenverlichtung und Zuwachs wurde als durch Luftschadstoffe verursachter Zuwachsrückgang interpretiert. Die heutige Kenntnis der natürlichen Variabilität der Kronenverlichtung, deren vielfältige Ursachen und die Auswertung langer Zeitreihen von Sterberaten der Wälder und deren Wachstum zeigen jeoch keine durch Lufteinträge bedingte Zuwachseinbussen oder erhöhte Sterberaten. Umgekehrt dürfen die derzeit hohen Zuwachsraten auch nicht zu dem Schluss verleiten, dass die Einträge in den Wald, zum Beispiel die Stickstoffeinträge, diesen nicht langfristig in Aufbau, Funktion und Stabilität beeinträchtigen.

Im Vergleich zum Anfang der 1980er Jahre liegen inzwischen viele Informationen zur Entwicklung des Waldzustands vor. Diese helfen die wichtigen Referenzzustände oder Erwartungswerte von Wäldern zu definieren. In Anbetracht der weiterhin schnellen Veränderungen in der Umwelt (Klimaveränderungen, Nutzungsänderung durch Energieknappheit, Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre) ist die weitere Erhebung der Indikatoren zu Kronenzustand, Sterberate und Waldwachstum fortzusetzen. Nur so lassen sich Fehlschlüsse wie zur Zeit der "Waldsterbensdebatte" in Zukunft vermeiden.