Waldbäume werden seit Jahr­tausenden vom Menschen als Roh­stoffquelle genutzt. Die meisten vom Menschen genutzten biologischen Ressourcen – vor allem Nutz­pflanzen und Nutztiere – wurden domestiziert. Unsere Waldbäume sind auch heute noch weitgehend Wildpflanzen. Ursachen hierfür sind die langen Generations- und Um­triebszeiten der Bäume, aber auch die oft wechselnden An­forderungen des Menschen an den Wald (Nutzung von Holz als Brennmaterial, Zellulose oder Schnittholz).

Diese "Naturbelassenheit" von Bäumen täuscht aber. Der Mensch hat seit dem Mittelalter den Genpool von Bäumen unbewusst verändert. Großflächige Rodungen und fort­dauernde Waldweidenutzung, großflächige Saaten oder Aufforstungen – teilweise mit nicht heimischen Saat- und Pflanzgut – haben "genetische Spuren" bei Waldbäumen hinter­lassen.

    Als eine nachhaltige Nutzung gene­tischer Ressourcen kann eine Bewirtschaftung angesehen werden, die das langfristige Anpassungsvermögen der Baumarten nicht vermindert. Damit trägt eine nach­haltige Nutzung forstgenetischer Ressourcen zu den forstpolitischen Oberzielen einer multifunktionalen Forstwirtschaft, insbesondere in Zeiten eines Klimawandels, maßgeblich bei. Leider lässt sich das Anpassungsvermögen unserer Waldbäume nicht einfach am Wald­ort erheben, sondern kann meist nur indirekt geschätzt werden.

    Wichtige Einflussgrößen für das Anpassungsvermögen sind:

    • regionale und lokale Anpassungsmuster an die jeweilige Umwelt,
    • nacheiszeitliche Geschichte mit ihren Einwanderungswegen und der genetischen Vielfalt der jeweiligen Refugialpopulationen,
    • Daten über eine erfolgreiche Reproduktion und die "genetische Qualität" von Saat und Pflanzgut (Generhaltungs- und Saatgutbestände, Samenplantagen, Natur- und Kunstverjüngung, Importe von Saat- und Pflanzgut, Saatgutqualität und Pollenproduktion in Zeit und Raum). Teilweise liegen diese Informationen für unsere Waldbaumarten in sehr unterschiedlicher Qualität und Quantität vor.

    Regionale Anpassungsmuster einer Baumart beachten

    Lokale Anpassungsmuster an ihre Umwelt zeigen sich vor allem bei jenen Baumarten, die auf unterschiedlichen Standorten vorkommen. Zum Beispiel weist die Fichte eine ausgeprägte Vielfalt an Kronenformen auf, sie passt sich so an die Klimabedingungen in verschiedenen Seehöhen an. Die forstliche Praxis kennt diese An­passungsformen an unterschied­liche Seehöhen.

    Dass aber diese Formen ein sehr unter­schiedliches Vermögen haben, sich in andere Verzweigungsformen umzuwandeln, ist meistens nicht bekannt. So kann sich eine Kammfichte in eine Bürstenfichte verwandeln, während eine Plattenfichte stets einen Plattentyp ausbildet. Die phänotypische Plastitzität (die Fähigkeit, andere Verzweigungsformen zu bilden) nimmt mit steigender Seehöhe ab (Abbildung 1).

    Die meisten Anpassungsformen an unterschied­liche Umweltbedingungen, wie zum Beispiel Vegetationsperiode, Frost und Trockenheit, sind in der Regel im Wald nicht direkt zu beobachten. Erst das Nichtvorhandensein bestimmter genetischer Eigenschaften, zum Beispiel gegenüber Frost oder Trockenheit, wird nach entsprechenden Umweltereignissen durch Schäden indirekt sichtbar. Beim Transfer von Herkünften in andere Anbau­gebiete sind zur Risiko­minimierung deshalb die wichtigsten Anpassungen zu berücksichtigen.

    Zugehörigkeit zu nacheis­zeitlichen "Urpopulationen" berücksichtigen

    Neben den lokalen Anpassungen sind die geografisch-genetischen Muster, welche die nacheiszeitliche Geschichte widerspiegeln, für die nachhaltige Nutzung bedeutsam. Aus den Mustern lässt sich ableiten, wie groß die genetische Vielfalt in den Refugialgebieten der letzten Eiszeit war und aus welchen Regionen bestimmte Populationen einge­wandert sind. Da unsere Baumartenrassen aus verschiedenen Refugien abstammen, über Tausende von Jahren voneinander genetisch getrennt waren und in dieser Zeit vielfältige, zum Teil unterschiedliche Anpassungen erworben haben, sollte langfristig die Integrität der einzelnen Refugialgebiete in situ (vor Ort) erhalten bleiben. Ein Transfer von einzelnen Herkünften oder auch eine Durchmischung abseits der Kerngebiete ist aber problemlos möglich.

    Erfolgreiche biologische Reproduktion ist guter Zeiger genetischer Nachhaltigkeit

    Zur Erhaltung des langfristigen Anpassungsvermögens ist auch die Fähigkeit einer erfolgreichen bio­logischen Reproduktion bedeutsam. Ohne ein ausreichendes Reservoir an geeigneten Saatgutquellen (Saatgutbestände in ausreichender Anzahl, geografischer Verteilung und hoher Güte, ausreichendes Netz and Generhaltungsbestände, Samenplantagen für bestimmte Baumarten) ist eine Produktion von Samen hoher genetischer Qualität lang­fristig nicht möglich. Unter hoher genetischer Qualität wird geringe Inzuchtbelastung und hohe gene­tische Vielfalt verstanden. Deshalb sind auch Saat- und Pflanzenimporte aus genetischer Sicht zu beurteilen (Abbildung 2).

    Dort, wo natürlich verjüngt werden kann und soll, sind nach Möglichkeit lange Verjüngungszeiten zu wählen und möglichst viele Bäume sollten sich als Pollen- bzw. Samenspender an der nächsten Generation be­teiligen. Genetisch nachhaltig wird aber nur dann eine Forstwirtschaft sein, wenn in einem sehr geringen Umfang ("eiserne Reserve") auch solche Populationen erhalten werden, welche aus heutiger Sicht nicht wünschenswerte genetische Eigenschaften aufweisen.

    Indikatoren für eine genetische Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft
    Indikatoren (kurzfristig)
    Anzahl und gleichmäßige Beerntung aller geeigneten Saatgutbestände und Plantagen
    Anteil der Kategorie „Erhöhte genetische Vielfalt“ des verwendeten Saat- und Pflanzgutes
    Anteil der Naturverjüngung in verjüngungsnotwendigen und -würdigen Beständen
    Beurteilung der Pflanzen- und Saatgutimporte aus genetischer Sicht
    Identitätssicherung von Saatgutquellen und forstlichem Vermehrungsgut
    Daten über das verwendete Vermehrungsgut und dessen Anbauwert
    Ausreichendes Netz an Generhaltungsbeständen
    Indikatoren (langfristig)
    Hohe Saatgutqualität
    Reproduktion der Bäume (Pollen- und Saatgutaufkommen in Zeit und Raum)
    Genetisches Monitoring (DNA-Beprobung via Waldinventur) und Einsatz anpassungsrelevanter Genmarker