Wer sich in einem städtischen Park aufhält, geht davon aus, dass nichts passieren wird, weil die Bäume durch die Stadtgärtnerei sorgfältig beobachtet und regelmässig gepflegt werden. Nebst einer visuellen Ansprache vom Boden aus werden in Zweifelsfällen weit aufwendigere Methoden angewandt: Ansprache durch Klettern oder mittels Hebebühne, windlastorientierte Zugversuche, Analysen mittels Resistograph, Fractometer oder Schalltomographie.

Urbaner Wald

Anders im urbanen Wald: in der Schweiz wird gerne auf die Eigenverantwortung der Waldbesuchenden sowie auf den Pflege- und Nutzungsverzicht laut Artikel 20 des Bundesgesetzes über den Wald verwiesen, um Eingriffe für die Erholungsfunktion gering zu halten. Die Haftungssituation ist zwar oft anders zu beurteilen als in städtischen Grünanlagen, aber entlang von Waldstrassen, im Bereich von Picknickplätzen, Fitnessparcours und Ruhebänken ist die Werkeigentümerhaftung nach Artikel 58 des Obligationenrechts gegebenenfalls doch relevant. Das Ignorieren von erkennbarem Gefahrenpotenzial kann im Schadenfall durchaus juristische Folgen haben, auch wenn im Wald generell keine Bewirtschaftungspflicht durch das Gesetz vorgegeben ist. Gibt es für Eigentümer von Erholungswald eine Möglichkeit, um ihre Verantwortung ernst zu nehmen und dennoch die Kosten in bescheidenem Rahmen zu halten?

In Zagreb (Kroatien) ist Naherholung im Wald ebenfalls beliebt. Seit 1923 kümmert sich die Forstfakultät Zagreb um den strak frequentierten Stadtwald Maksimir mit vielen altersbedingt absterbenden Bäumen.

Eine pragmatische Methode im Erholungswald

Die "Visual Tree Assessment" Methode (VTA), entwickelt von Claus Mattheck, ist eine Methode zur systematischen Baumkontrolle, bei welcher verschiedene von der Optimalgestalt des Baumes abweichende Defektsymptome untersucht werden. Sie erlaubt, es Baumschäden entlang neuralgischer Stellen im Wald mit vertretbarem Aufwand zu erkennen, zu dokumentieren, die nötigen Massnahmen herzuleiten und für die operative Planung zu quantifizieren.

Hier wird eine waldtaugliche Version vorgestellt und diskutiert, die sowohl in Zagreb als auch in der Urban-Forestry-Ausbildung an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen angewendet wird. Alle Beobachtungen werden so erfasst und dokumentiert, dass eine andere Person denselben Baum auffinden und die Beurteilung nachvollziehen kann. Bezüglich Fachwissens sind fundierte Kenntnisse über Forstpathologie sowie die Abwehr- und Anpassungsmechanismen der Bäume Voraussetzung für ein qualitativ hochstehendes VTA.

Im ersten Schritt werden auf der Karte diejenigen Orte identifiziert, die eine erhöhte  Besucherfrequenz aufweisen (z.B. > 20 Personen pro Stunde) oder wo sich die Menschen aufgrund von Bauwerken und Installationen aufhalten (z.B. Treffpunkt Waldspielgruppe, Ruhebank). Im Maksimir Stadtwald wurden zu Forschungszwecken beidseits der Waldwege sämtliche Bäume in einem Streifen von 30 m Breite beurteilt. Je nach Dichte des Wegnetzes werden so bis zu 70% des Erholungswaldes begutachtet. Um die Kosten zu optimieren, schlagen wir hier die Unterscheidung von zwei Zonen mit unterschiedlicher VTA-Intensität vor:

1. Akute Gefährdungszone (Zone I):
Bis ca. 10 m ab Werk (Weg, Installation) wird jeder Baum, dessen Krone in das Wegprofil oder über die Installation reicht und dessen Brusthöhendurchmesser (BHD) mehr als 16 cm beträgt, visuell beurteilt. Für jeden Baum mit einer erkennbaren Unregelmässigkeit wird ein Datenblatt ausgefüllt. Bäume, die als schadenfrei, vital und stabil beurteilt werden, werden lediglich mit ihrer Lage erfasst.

2. Erweiterte Gefährdungszone (Zone II):
Ab Zone I bis zu einer Baumlänge Breite werden Bäume mit einer Höhe von mehr als 15 m, von denen bei heftigen Windstössen Material auf das Werk fallen könnte, beurteilt und mittels Datenblatt dokumentiert. Alle übrigen Bäume in dieser Zone werden nicht erfasst.

Zuerst werden die Baumdaten erfasst, die später eine eindeutige Identifikation erlauben: Koordinaten, Baumart, BHD und Fotos potenziell gefährlicher Bäume. Ergänzend kann die Lage beschrieben sowie die Baumhöhe und der Kronendurchmesser gemessen werden. Für jeden Baum, bei dem Schäden oder gefährliche Zustände erkennbar sind, erfolgt ergänzend eine detaillierte Begutachtung anhand einer Checkliste (Abb. 4).

Der Baum wird anschliessend abschnittsweise von unten nach oben examiniert: Wurzelteller mit Augenmerk auf potenzielle Wurzelverletzungen, Stammfuss <0.3 m, Stamm 0.3–1.3 m, restlicher Stamm, Kronenbasis, untere und obere Kronenhälfte. Dabei wird minutiös auf biologische und mechanische Schäden geachtet wie Rindenverletzungen, alte Faserstauchungen, überwallte Schadstellen oder Pilz- und Insektenbefall. Spezielle Beachtung verdienen potenzielle Bruchstellen, in der Krone hängende Dürräste und absterbende oder tote Baumteile. Gutachtlich wird festgelegt, ob der Schaden klein oder gross ist. Ein Pilzbefall am Stamm einer Eiche ist bekanntlich anders zu bewerten als zum Beispiel bei einem Bergahorn. Wichtig ist, den Betrachtungspunkt zwei- bis dreimal zu wechseln, um alle problematischen Stellen zu sehen. Die Vitalität der Krone wird in in fünf Stufen eingeteilt (s. Abb. 4).

Fotografien des Baumes ergänzen die tabellarische Übersicht im Datenblatt (Abb. 3). Abschliessend wird der Handlungsbedarf eingeschätzt (Tab. 1) und eine Empfehlung für die auszuführenden Arbeiten mit drei Prioritäten (A–C) abgegeben (Abb. 4).

Eine präzise Karte als Output ist unentbehrlich, damit der Untersuchungsperimeter klar abgegrenzt ist und die ausführenden Personen später die Bäume eindeutig identifizieren können.

Erfahrungen in Zagreb und in Zollikofen

Im Zagreber Stadtwald wurden verschiedene Methoden der Sicherheitsbeurteilung entlang der Spazierwege verglichen. Im Vordergrund standen dabei die Fragen, nach welchem Konzept ein VTA in einem Erholungswald durchzuführen ist und wie zuverlässig die Einschätzungen mittels VTA im Vergleich zu aufwendigeren Methoden sind.

Wenn eine grosse Anzahl Bäume beurteilt werden muss, sollte ein optimales Verfahren gewählt werden, damit bei möglichst geringem Zeitaufwand eine hohe öffentliche Sicherheit gewährleistet werden kann. In Vergleich mit anderen Methoden, die sich auf detaillierte Abklärungen potenziell kritischer Standorteigenschaften konzentrieren und in Risikowahrscheinlichkeiten münden, setzt VTA das Augenmerk auf die wichtigsten Symptome, anhand welcher sich von Bäumen ausgehende Gefahren erkennen lassen. Flaschenbauchartige Verdickungen im unteren Stammbereich weisen oftmals auf schwere Fäulnis hin. Dies konnte im Zagreber Stadtwald mithilfe von speziellen Messgeräten wie Resistograph, Schall-Tomograph oder Elastometer untermauert werden. Solche Vergleiche können Forstfachleuten helfen, ihre VTA zu verbessern und diejenigen Bäume mit hohem Schadenrisiko zu identifizieren.

In Zollikofen begutachten die Studierenden jedes Jahr einen Wegabschnitt mittels VTA. Ihre Reflexionen dienen der Weiterentwicklung der Methode.

Generelle Überlegungen

Die früher üblichen Waldpflegemassnahmen, speziell im Stadium des schwachen und mittleren Baumholzes, werden oft sistiert. Die sinkende Nachfrage bei Sägerund- und Industrieholz verstärkt diesen Trend. So kann es geschehen, dass Durchforstungen über Jahrzehnte ausbleiben und in der Folge die natürlichen Absterbeprozesse einsetzen. Nicht auszuschliessen ist, dass die Klimaerwärmung die Vulnerabilität gewisser Baumarten bereits erhöht hat und die Absterbeprozesse noch beschleunigt.

Die fundierte Analyse gefährdeter, aber erhaltenswerter Bäume in Parks und Alleen kostet zwischen 500 und 1500 Franken pro Baum, je nach Methode und Anfahrtsweg des Spezialisten. Im Erholungswald sind solche Kosten nicht zumutbar.
Ein VTA ist wesentlich günstiger zu realisieren: Für die Ersterfassung muss mit einem Gesamtaufwand von 30 bis 60 Minuten je begutachtetem Baum gerechnet werden, je nach Wegzeit, Grösse des Perimeters (Masseneffekt), Qualität der vorhandenen Grundlagen und Anforderungen an die Dokumentation. Dies entspricht Kosten von etwa 40 bis 100 Franken. Folgeaufnahmen, inklusive Nachführen der Datenbank, sollten dann mit einem Aufwand von 8 bis 15 Minuten pro Baum zu realisieren sein.

Schussfolgerungen

Waldbesuchende sind sich der, in ihrem Erholungswald ablaufenden Veränderungs- und Absterbeprozesse kaum bewusst. Eine potenzielle Gefahr stellen v.a. nicht vitale Bäume im Bereich von Ruhebänken, Waldspiel- und Picknickplätzen oder Fitnessparcours dar, wo die Frequenz und Verweildauer der Besuchenden erhöht ist und somit auch höhere Unterhaltsansprüche an das Werk gestellt werden. Es wird empfohlen, im Erholungswald an denjenigen Stellen, wo sich viele Menschen über eine vergleichsweise lange Zeitdauer aufhalten, die Bäume regelmässig mittels VTA zu begutachten und die nötigen Sicherheitsmassnahmen zu treffen.

Beim hier vorgestellten VTA handelt es sich um eine bekannte Methode, die seit den 1990er-Jahren in Städten durch Baumpflegespezialisten verwendet wird. Neu ist die Überlegung, diese Methode in angepasster Form im Schweizer Erholungswald anzuwenden. Derzeit existiert das VTA lediglich auf Papier. Die Weiterentwicklung einer web-basierten mobilen Lösung ist anzustreben.

In erholungsintensiven Wäldern ist der Aufwand eines VTA vertretbar. Erste Referenzzahlen für den Arbeitsaufwand liegen vor. Dies schafft eine Verhandlungsbasis, beispielsweise gegenüber der Einwohnergemeinde, deren Bürgerinnen und Bürger vom Naherholungsgebiet profitieren.

Ein wichtiger Aspekt ist die die das VTA durchführen. Nötig sind eine gute Beobachtungsgabe sowie fundiertes Fachwissen über physiologische Anomalien, Pathogene aller Art und Reaktionsmuster der Bäume. Ein periodischer Austausch in solchen Fragen scheint zentral.

Die Frage, ob in Erholungswäldern häufigere und möglicherweise unrentable Durchforstungen in Bezug auf die Sicherheit der Waldbesuchenden sinnvoller sind als der hier vorgeschlagene Kontrollaufwand, müsste in einer umfassenden Studie genauer geprüft werden. Aufgrund der heute geltenden Empfehlungen zur Kostenoptimierung in den Forstbetrieben ergeben sich in dieser Frage Interessenkonflikte, die in vielen Fällen noch nicht zufriedenstellend gelöst sind – erst recht nicht für Privatwaldeigentümer. In diesem Zusammenhang sind die Waldbehörden von Bund und Kantonen, aber auch die Einwohnergemeinden als direkt Nutzniessende erhöhter Wohnqualität aufgefordert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zur Lösungsfindung beizutragen.