In Baden-Württemberg ist die Weißtanne dem Vorkommen nach die drittwichtigste Baumart. Daraus resultiert eine besondere Verantwortung zum Schutz und Erhalt dieser Baumart, die auch eine Reihe von Antagonisten hat. Die Abteilung Waldschutz der FVA ist den Gründen der periodisch auftretenden Massenvermehrungen von Tannentrieb- und Stammläusen in Baden Württemberg nachgegangen. Dabei stellte sich heraus, dass Auslöser solcher Tannenlaus-Massenvermehrungen primär klimatisch bedingt sind und die weiteren Gegenspieler keine ursächliche Wirkung haben, sondern wohl nur Folgeerscheinungen an vorgeschädigten Weißtannen sind.

Tannenlausgradation 2008-2010

Massenvermehrungen von Tannenstamm- und Triebläusen traten schon in der Vergangenheit immer wieder periodisch auf; in Baden-Württemberg war in den Jahren 2008 bis 2012 erneut eine solche Periode der Massenvermehrung. Diese Gradation stand im Fokus dieser Untersuchungen, um das komplexe Geschehen mit einer Reihe weiterer, beteiligter Pathogene zu verstehen. Tannentriebläuse schädigen vor allem jüngere Tannen (bis 20 Jahre), während Tannenstammläuse an Bäumen mittleren Alters (ca. 40-60 Jahre) zu finden sind. Ein Stammlausbefall ist relativ einfach an den typischen, weißen Wachsausscheidungen zu erkennen, während die unscheinbare Tannenstammlaus selber nur etwa 0,8 mm groß ist. Die Wachsausscheidungen können punktuell auftreten und bei schwerem Befall bis zu einem silbrig-grauen bis weißen Überzug des Stammes anwachsen (Abb. 1). Die Schadsymptome der Tannentrieblaus äußern sich durch gelbe, gekrümmte Nadeln, die zuerst am Terminaltrieb und dann an den oberen Ästen erscheinen. Bei anhaltendem Befall sterben der Terminaltrieb und die oberen Äste ab und der Schaden kann bis zum Ausfall der Tanne führen. Der Lausbefall ist vor allem an den Zweigen angesiedelt, bisweilen ist auch ein Befall des Stammes parallel zu beobachten (Abb. 2).

Diese Schäden werden von Läusen der Gattung Dreyfusia verursacht, die zur Familie der Adelgidae gehören, das sind die Tannengallenläuse. In Europa sind vier verschiedene Arten der Familie Adelgidae auffällig, von denen drei am Stamm von Abies alba gefunden werden (Dreyfusia piceae, Dreyfusia normannianae, Dreyfusia merkeri). Die morphologische Trennung der Arten ist recht schwierig, Kriterien zur Arteneinteilung wurden über die Zeit verändert und verbessert. Bei älteren Literaturangaben muss der historische Kenntnisstand entsprechend berücksichtigt werden. Die systematische Einteilung von Tannentrieb- und Tannenstammlaus wird aktuell diskutiert; sie werden beide als zwei getrennte Arten geführt, aber durchgeführte DNA-Analysen zeigten keine oder eine nicht immer eindeutige Trennung. Es wird vermutet, dass es sich um eine Art handelt, die sich aktuell in Aufspaltung befindet (Wabernd weiße Wolle an der Weißtanne – Tannenläuse tragen jetzt wieder Pelz).

Unabhängig von der ungeklärten Arteneinteilung wird folgend grundsätzlich zwischen Stamm- und Trieblaus (Dreyfusia piceae, D. nordmanniaeneae) unterschieden. Sie treten in ganz verschiedenartigen Beständen auf, nämlich im schwachen Baumholz (ca. 40-60 Jahre, Stammlaus) und in Jungbeständen (Trieblaus). In Baden-Württemberg wurden auf 42 Versuchsflächen der Tannenstammlausbefall und an 20 Versuchsflächen der Tannentrieblausbefall über den Zeitraum von bis zu vier Jahren beobachtet. Das zeitliche Auftreten weiterer Schadinsekten und Pilze wurde zeitgleich registriert. Dendrochronometrische Stammscheibenanalysen wurden zur Datierung des Lausschadens durchgeführt. Zusätzlich wurden eine Vielzahl von Bestandsfaktoren aufgenommen und Standortsfaktoren aus Datenquellen wie FOGIS und FOCUS für die Auswertung herangezogen. Die Analyse der Daten wurde mittels PCA-Analyse, linearer Regression mit "forward and backward selection", Anwendung skalierter Daten und einer Populationsmodellierung durchgeführt. Die Wirksamkeit einiger Pflanzenschutzmittel gegen Dreyfusia spec. wurde im Bestand geprüft und zudem ein Gewächshausversuch durchgeführt.

Die Witterung bestimmt die Populationsentwicklung grundsätzlich

Stammscheibenanalysen belegen das zeitgleiche Auftreten von Wachstumseinbrüchen nach Stammlausbefall an verschiedenen Beständen in ganz Baden-Württemberg (Abb. 5).

Demnach müssen übergeordnete Faktoren die Massenvermehrung der untersuchten Tannenläuse maßgeblich bestimmen. Die Anwendung eines populationsdynamischen Models (Leslie-Matrix) auf der Basis von lokalen Temperaturdaten prognostizierte jährliche Lauspopulationen, die hinreichend gut mit den beobachteten Befallsdaten korrelierten (Abb. 6). Die Leslie-Matrix ist ein mathematisches Modell zur Analyse des Bevölkerungswachstums, welches in der theoretischen Ökologie zur Beschreibung von Populationen genutzt wird. Damit lassen sich die Änderungen in einer Organismenpopulation über einen bestimmten Zeitraum beschreiben. In einem Leslie-Modell wird die Population in Lebensstadien unterteilt. Um zum Beispiel den nächsten Generationsbestand einer Population auszurechnen, multipliziert man die Leslie-Matrix mit einem Vektor, welcher die Startpopulation beschreibt.

Den Berechnungen nach führt eine hohe modellierte Lauspopulation mit einem nachfolgenden, milden Winter zu einer massiven Lauspopulation im Wald, dabei unterscheiden sich für Stamm- und Triebläuse die Ergebnisse unwesentlich. Mithilfe des populationsdynamischen Modells konnten "lausfördernde" Jahre bestimmt werden, die meist ein langes mildes Frühjahr aufweisen. Diese Klimakonstellation aus langem, mildem Frühjahr des Vorjahres und nachfolgend mildem Winter traten so auch bei einer Reihe von dokumentierten Lausbefällen in vergangenen Jahrzehnten auf und bestätigten die Ergebnisse. Es ist zu vermuten, dass diese Klimakonstellationen in der Zukunft öfter auftreten als in den letzten 100 Jahren, was auch schon in einer modellierten Datenreihe von 1940-2014 tendenziell abzulesen ist.

Der Standort hat weiteren Einfluss

Die Intensität des periodischen Massenauftretens von Tannenstamm- und Triebläusen wird darüber hinaus "lokal" durch Bestandes- oder Standortsfaktoren modifiziert. In Beständen ohne kalkhaltige Bodenschichten oder mit sehr sauren Humusformen sind die Massenvermehrungen stärker ausgeprägt. Weiterhin sind frische und feuchte Standorte stärker von massivem Lausbefall betroffen als mäßig trockene Standorte. Die Weißtanne ist bodenvag, stellt also keine hohen Anforderungen an den pH-Wert des Bodens. Man findet sie auf karbonatreichen Substraten wie Rendzinen sowie auch auf basenarmen Silikatböden und podsolisierten Böden. Sie gedeiht auch auf vergleyten Böden; am wohlsten fühlt sie sich auf anlehmigen und lehmigen Böden mittlerer Nähstoffversorgung. Bei ausreichender Wasserversorgung sind die Nährstoffansprüche der Weißtanne nicht besonders hoch. Wie wichtig die ausreichende Wasserversorgung ist, zeigt sich unter anderem ihre Beschränkung auf ein Verbreitungsband im submontanen (650-900 N.N.) bis montanen Bereich (900-1.500 N.N.). Sie braucht eine Vegetationszeit von mindestens drei Monaten mit ausreichenden Niederschlägen. Die eigenen Analysen belegen, dass ein feuchter und kühler Sommer oder grundsätzlich eine gute Wasserversorgung weiterhin förderlich für die Lausmassenvermehrung sind. Das bedeutet in der Summe, dass Tannenlausgradationen bevorzugt in den für Tannen guten bis optimalen Standorten der submontanen und kollinen Höhenstufen vorkommen. Hier werden bevorzugt kleinere Durchmesser besiedelt: Tannen mit einem BhD von 21-26 cm werden verstärkt von Dreyfusia piceae befallen; je gleichmäßiger der Bestand aufgebaut ist, desto höher ist das Befallsrisiko. In den untersuchten Plenterwäldern gab es nahezu keinen Nachweis von Tannenstammläusen, zu Ausfällen kam es hier im Untersuchungszeitraum nicht.

Diese Ergebnisse sind durch Beobachtungen zu ergänzen, die zeigen, dass vor allem Bestände nach Eingriffen und Durchforstungen Tannenlausbefall haben, und dass bevorzugt Bäume am Bestandesrand und Rückegassen beziehungsweise freigestellte Z-Bäume befallen werden. Die wüchsigsten Tannen garantieren den Tannenläusen als Passivsauger wahrscheinlich die beste Nahrungsversorgung; auf diesen können sie sich daher überdurchschnittlich schnell und intensiv vermehren.

Mit Tannenläusen kann man leben

Die Intensität des Stammlausbefalles ist nicht zwangsweise mit dem Abgang von Tannen korreliert; Stammlaustannen können also auch einen starken Befall durchaus überleben. Zu erhöhten Ausfällen von Tannen kommt es aber dann, wenn nach deren Befall der Sommer warm und trocken ist. In der Literatur wurde belegt, dass unter Dreyfusia-Befall angelegtes Xylem eine geringe Wasserleitfähigkeit besitzt. Entsprechend sind Dreyfusia-befallene Tannen in trockenen Sommern vermehrt stressanfällig, obwohl die gesunde Weißtanne eigentlich nicht als besonders trockenheitsanfällig gilt.

Nun bleibt unklar, ob starker Lausbefall in Kombination mit trockenen Sommern allein zum Absterben von Tannen führt. Weitere (sekundäre) Antagonisten treten bei beziehungsweise nach Lausbefall auf. Die ursächliche Vermutung, dass die Tannenläuse als "Türöffner" für den pathogenen Pilz Neonectria spec. fungiert, kann nicht ausreichend bestätigt werden. Eine Vielzahl untersuchter Stammabschnitte und Stammscheiben zeigt keine nekrotischen Veränderungen. Nur in ganz wenigen Fällen wurden Kambium- oder andere Nekrosen entdeckt. Dem Tannenrüsselkäfer (Pissodes piceae) kommt sicherlich eine Bedeutung zu, und auch die Tannenborkenkäfer spielen unter bestimmten klimatischen Bedingungen eine verstärkende Rolle. Dieses Zusammenwirken von Stammlausbefall und damit verminderter Wasserleitfähigkeit des Xylems und Befall durch Sekundärschädlinge unter den Bedingungen eines trockenen Sommers könnten weiterhin als "Komplexkrankheit" beschrieben werden. Der Begriff "Kettenkrankheit" scheint allerdings ebenso treffend zu sein, ist doch das Auftreten der einzelnen Schadorganismen eine konsekutive Reihung.

Aber auch mit der Tannentrieblaus?

Eine Massenvermehrung der Tannentriebläuse ist durch feuchte Bodenverhältnisse und saure, kalkarme Standorte ebenfalls begünstigt. Der Abgang von Jungtannen allerdings hängt zum Großteil vom Altholzschirm und von der Tannengröße ab. Nur ein dichter Altholzschirm, abgeschätzt mittels Vorrat, oder eine extrem hohe Bestandsdichte an Jungtannen können den Befall auf Risikostandorten eingrenzen. Kleinere Tannen unter etwa 1,5 m Höhe sind besonders von Ausfall bedroht und je kleiner die Tannen, umso schneller und weitreichender ist der Ausfall. Das Pflanzenschutzmittel "Karate-Forst-flüssig" hat sich als effektiv für die Tannentrieblausbekämpfung erwiesen. Eine Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unterliegt strengen Auflagen und ist zur Trieblausregulation allenfalls in Baumschulen und Pflanzgärten zu empfehlen. Wenn immer möglich, sind hier pflegerische Maßnahmen zu bevorzugen, wie die Tannenverjüngung unter schützendem Altholzschirm und Vermeidung rascher Freistellung.

Insgesamt ist der Schaden durch die Tannentrieblaus bedeutender als der Schaden durch die Stammlaus, da er zum Ausfall junger Tannen und somit zur reduzierten Naturverjüngung führt. Dies gilt vor allem auf risikoreichen Standorten.

Für das Wirtschaften mit der Weißtanne…

...bedeutet das Folgendes: Eine Stammlausmassenvermehrung muss nicht zwangsweise zu massiven Schäden und Abgängen in Tannenbeständen führen. Folgt aber einem lausfördernden Jahr ein milder Winter in Kombination mit einem trockenen Sommer, so können Tannenstammläuse allein zu deutlichen Einbußen in Tannenbeständen führen. Tannen-Fichten-Mischbestände werden dadurch deutlich verändert. Kommen in der Folge sekundäre Schadorganismen wie Tannenrüsselkäfer, Tannenborkenkäfer und pathologisch werdende Pilze hinzu, wird das Schadausmaß deutlich verstärkt. In milderen Tannenanbaugebieten besteht dabei ein erhöhtes Risiko des Befalls. Plenterwaldstrukturen vermindern das Risiko eines Tannenstammlausbefalls sehr stark, da nur wenige Bäume gleichzeitig im sensiblen Alter sind. Die Kombination von erhöhter Lausvermehrung (milder Winter/Frühling) und erhöhtem Wasserbedarf (heißer Sommer) bei beeinträchtigtem Xylem erzeugt Trockenstress bei der Tanne. Sie wird anfälliger für Sekundärschädlinge. Daher ist es in Gebieten mit Sommertrockenheit wichtig, Laus-befallene Bäume auf Sekundärschädlinge zu beobachten, oder stark befallene Bäume zu entnehmen. In Gebieten ohne Sommertrockenheit sind Lausbäume weniger durch Sekundärschädlinge gefährdet und können im Bestand belassen werden.

Tannentriebläuse sind und bleiben aber die größere Bedrohung für die Weißtanne. Jungwüchse nach spontaner Freistellung sind stark gefährdet. Bei ihnen kann schon ein einmaliger starker Befall das endgültige Aus einläuten. Ein dichter Schirm sollte also belassen werden, ein lichter Schirm reicht nicht aus. Ein Schirm dient auch als Verdunstungsschutz in trockenen Sommern für belastete Jungtannen. Der Vorrat sollte als Anhaltspunkt für die Güte des Schirmes gewählt werden. Eine Klassifizierung des Schirmes in "vorhanden" oder "nicht vorhanden" ist unzureichend. Ein Schirm ist aber keine Rundumversicherung: Ein Trieblausbefall tritt auch unter Schirm auf, vorwiegend bei sehr sauren Standorten. Höhere Tannenlagen und insbesondere Sturmflächen haben ein erhöhtes Risiko des Befalles. Mit einer guten Wasserversorgung des Standortes im Sommer und mit der Größe der Tannen steigt die Überlebenschance von Tannenjungwuchs nach Trieblausbefall. Ein Tannentrieblausbefall ist für kleine Tannen (< 1,5m) sehr gefährlich, da sich eine verringerte Lauspopulation auch über schlechtere Klimazyklen hinweg halten kann. Eine geringe Lauspopulation ist allerdings ausreichend, um den nachfolgenden Neuzuwachs (Maitrieb) vorgeschädigter Jungtannen substanziell zu schädigen.

Für beide Arten gilt, dass unter den Einfluss des Klimawandels mit durchschnittlich steigenden Temperaturen Gradationen in der Zukunft häufiger und heftiger werden können.