Die Zwangsnutzung von toten, aber noch von Borkenkäfern besiedelten Bäumen kann als Bekämpfungsmassnahme wirkungsvoll sein. Deshalb drängen sich zuerst einige Gedanken zu den Bekämpfungsmassnahmen auf.

Zwangsnutzungen als Bekämpfungsmassnahme

Eine konsequente, rechtzeitige und vollständige Zwangsnutzung befallener Fichten vermindert das Risiko von Folgebefall. Bei einem Ausmass wie bei der laufenden Buchdrucker-Massenvermehrung zeigt aber nur ein grossräumiges Vorgehen Wirkung. Damit diese Massnahmen sinnvoll sind, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die Brut befindet sich tatsächlich noch im Baum.
  • Die geschlagenen Bäume werden vor dem Käferflug aus dem Wald abgeführt oder entrindet.
  • Falls sich die Brut bereits im Jungkäferstadium befindet, wird beim Rücken abgestreifte oder geschälte Rinde verbrannt oder entsorgt.
  • Diese Massnahmen erfolgen im ganzen Gebiet, denn das Räumen nur einzelner Käfernester bringt wenig Erfolg.

Dieser Artikel soll nicht auf den Sinn von Zwangsnutzungen als Bekämpfungsmassnahme eingehen, sondern Gründe aufführen, warum vom Buchdrucker verlassene Fichten stehen gelassen werden können (Abb. 1). Es ist offensichtlich, dass das Fällen verlassener Käferfichten nichts zur Bekämpfung beiträgt. Sind solche Bäume erst seit ein paar Wochen vom Buchdrucker verlassen, gibt es sogar einen Grund, diese als Bekämpfungsmassnahme stehen zu lassen: die natürlichen Feinde.

Natürliche Feinde in Käferbäumen

Auf Stufe Käfernest werden die sich in der Brut entwickelnden natürlichen Feinde (Antagonisten) und die natürlichen Regulationsmechanismen im Verlaufe eines unbehandelten Befalls immer wirkungsvoller. Nach dem Sturm "Vivian", der vor allem in Gebirgswäldern ausgedehnten Borkenkäferbefall bewirkte, führte die WSL im stark betroffenen "Gandbergwald" bei Schwanden im Kanton Glarus Untersuchungen durch. Man verfolgte darin die durch Antagonisten verursachte Sterblichkeit der Borkenkäfer während zwei Jahren. Dabei untersuchten die Forscher auch das Ausschlüpfverhalten der in der Rinde lebenden Insekten (Abb. 2).

Es zeigte sich, dass die Borkenkäfer, die den Winter überlebten, im Mai als erste schlüpften. Ungefähr ein Woche später verliessen die wichtigsten Räuber, nämlich Langbeinfliegen (Gattung Medetera), die Rinde. Nochmals zwei Wochen später schlüpften die Vertreter einer anderen räuberischen Fliegenfamilie (Lonchaeidae), gleichzeitig mit den wichtigsten Schlupfwespenarten. Bei den erwähnten Gruppen sind nicht die erwachsenen Tiere räuberisch, sondern deren Larven (Abb. 3). Vom Muttertier als Ei auf die Rindenoberfläche von befallenen Bäumen abgesetzt, bohren sich die Larven zu den Borkenkäferbrutgängen durch und fressen an Käferlarven und -puppen. Jede Fliegenmade benötigt 5 bis 10 Borkenkäferlarven für ihre Entwicklung.

Bei den parasitischen Schlupfwespen legen die Weibchen ähnlich wie bei den Fliegen die Eier auf die Rindenoberfläche oder sie dringen durch die Einbohrlöcher der Borkenkäfer in die Gänge ein, um gezielt ihre Eier an die Brut abzulegen. Jede der schlüpfenden Wespenlarven ernährt sich während der Entwicklung von einer Käferlarve. Andere schmarotzende Hautflügler parasitieren direkt die erwachsenen Borkenkäfer. In deren Körper frisst die Wespenlarve nach und nach alle Organe auf und verlässt als erwachsenes Tier die leere Käferhülle (Abb. 4). Ein weiterer wichtiger Gegenspieler ist der Ameisenbuntkäfer (Abb. 5), der ebenfalls Borkenkäfer frisst. Auch er verlässt die Käferbäume später als der Buchdrucker.

Innerhalb des ersten Monats (im Gebirge noch länger) nach dem Ausfliegen der Buchdrucker im Frühling befinden sich alle wichtigen natürlichen Feinde noch im Stamm. Ist der Forstdienst mit den Zwangsnutzungen zu spät dran, sollte eine Nutzung in dieser Zeit erst recht unterbleiben. Ist allerdings die Rinde bereits vollständig abgefallen, sind im Baum keine Borkenkäferfeinde mehr vorhanden.

Widerstandsfähigkeit der Nachbarbäume

Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Wälder nach einer Durchforstung anfälliger auf Sturm sind. Bestände mit einer kurz vor "Lothar" durchgeführten Durchforstung oder mit früheren "Vivian"-Schäden waren häufiger von Schäden betroffen als andere. Das Fällen von Käferbäumen bzw. das Zwangsnutzen von ganzen Käfernestern lässt kleine und grössere Lücken im Bestand entstehen, die mindestens die gleiche Wirkung haben wie eine Durchforstung. Solche Lücken setzen die angrenzenden Bäume einem neuen, veränderten Mikroklima aus (Sonneneinstrahlung, Trockenheit). Dies macht sie anfälliger gegenüber weiteren Stressfaktoren wie z. B. Borkenkäfern. Das Stehenlassen von verlassenen Käferbäumen stellt einen weniger abrupten Übergang von einem geschlossenen in einen lückigen Bestand dar.

Fördern von Totholz

Neben verschiedenen anderen natürlichen Ursachen wie Wind, Alter, Krankheiten führen auch Borkenkäfer zu Totholz. Abgestorbene Bäume dienen einer Vielzahl von Organismen (Insekten, Vögel, Pilze u. a.) als Lebensraum (siehe www.totholz.ch).

Xylobionte Arten sind solche, die in irgendeiner Phase ihres Lebens auf Totholz angewiesen sind. Bei den Insekten sind dies einerseits Arten, die sich direkt von Rinde oder Holz ernähren wie bspw. die Bockkäfer. Anderseits gibt es Insekten, die als Zweitbesiedler die von den Holzfressern geschaffenen Höhlen und Gänge für ihre eigenen Bruten benützen, ohne sich vom Holzsubstrat selber zu ernähren. Dazu gehören z. B. einige Wildbienenarten. Verschiedene Fliegen- und Mückenlarven weiden in den Bohrgängen wachsende Pilz- bzw. Bakterienrasen ab oder ernähren sich von Mulm, abgestorbenem Material und Insektenkot. Zudem gibt es viele räuberische und parasitische Insekten, die sich von den im Holz lebenden Tieren ernähren.

Auffällige Baumschwämme (Abb. 6) an totem Holz, die wiederum spezialisierte Käfer und Fliegen beherbergen, zeugen davon, dass der Holzabbau zu Kohlenstoff und Nährstoffen letztlich durch Pilze und Bakterien erfolgt.

Viele Totholzbewohner sind heute selten und stehen auf Roten Listen. Dies hat verschiedene Gründe:

  • Das Angebot an Totholz ist verglichen mit Urwaldbedingungen viel geringer; insbesondere abgestorbene Stämme dickerer Dimensionen sind heute rar.
  • Auf Kosten anderer Arten förderte man einzelne, wenige Baumarten (z.B. Fichte) und ihre Fauna.
  • Manchen Holzinsekten wird ihre mehrjährige Entwicklung zum Verhängnis: wenn man besiedelte Stämme nach einiger Zeit noch nutzt und verwertet, gehen die sich darin entwickelnden Larven zugrunde.
  • Viele Totholzinsekten sind mässige Flieger, d.h. sie finden weit auseinander liegendes Brutsubstrat nur schlecht.
  • Höhlenbrütende Vögel und Fledermäuse finden weniger Brut- und Überwinterungshöhlen (vielfach alte Spechthöhlen).

"Lothar" hat zwar ein grosses Angebot an Totholz geschaffen. Allerdings ist es mit einem einmaligen Schub nicht getan. Es sollte kontinuierlich ein vielfältiges, vernetztes Angebot von Totholz unterschiedlicher Zusammensetzung (Baumarten, Dimensionen, Alter, Abbauphase) vorhanden sein.

Abgestorbene Bäume (Dürrständer) können zwar ein Risiko für die Waldarbeiter darstellen. Trotzdem sprechen die oben genannten Gründe für ein vermehrtes Tolerieren von abgestorbenen Bäumen im Wald.

Zusammenfassung: Warum tote Käferbäume stehen lassen?

Sind Bäume erst seit ein paar Wochen vom Buchdrucker verlassen, gibt es verschiedene Gründe, diese stehen zu lassen:

  • Das Fällen verlassener Käferfichten trägt nichts zur Bekämpfung bei.
  • Die meisten natürlichen Feinde verlassen im Frühjahr die toten Käferbäume erst 1–2 Monate später als der Buchdrucker (Abb. 2).
  • Neue Bestandesränder sind empfindlicher auf Wind und Insektenbefall.
  • Das Totholzangebot, speziell von Stammholz, wird zu Gunsten der xylobionten (holzbewohnenden) Fauna und Pilzflora gefördert.

(TR)