Biodiversität

Das Wort "Biodiversität" wird man in älteren Lehrbüchern vergeblich suchen. Es leitet sich vom englischen Wort "biodiversity" ab und fand offensichtlich in der Folge der Biodi­versitäts-Konvention der UNO von Rio de Janeiro (1992) Eingang in unseren Sprach­gebrauch. In der Folge dieser Konferenz findet man Definitionen zur Biodiversität, z. B. im Fischer-Weltalmanach (Baratta 1996): "Biodiversität (=biologische Vielfalt) umfasst die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten, die Vielfalt der Ökosysteme und die Vielfalt der Sorten [Anmerkung: d.h. auch Unterarten, Rassen usw.] jeder einzelnen Spezies."

Der Biodiversität wird weltweit ein so hoher Rang eingeräumt, weil

  • für jede Art ein Eigenwert anerkannt wird,
  • die Vielfalt der Erscheinungsformen Grundvoraussetzung für die Stabilität der Ökosysteme ist,
  • Biodiversität eine ökonomische Ressource darstellt (z.B. Genressourcen für Heil-, Nahrungs- und Nutzpflanzen aller Art).

Das politische Instrument zur weltweiten Wahrung der Biodiversität ist die oben genannte Konven­tion von Rio, die in Folgekonferenzen auf nationaler und internationaler Ebene konkreti­siert und spezifi­ziert wurde, z.B. in der "Natura 2000" der Europäischen Union, auf deren Grundlage euro­paweit die Flora-Fauna-Habitate-Gebiete, kurz FFH-Gebiete, ausgewiesen wurden.

Bis Februar 2000 hatten 177 Staaten diese Biodiversität-Konvention von Rio ratifiziert (Baratta 2000).

Wie viele Arten gibt es, worin bestehen ihre Gefährdungen?

Laut einer Schätzung der UNEP (Umweltorganisation der UNO) aus dem Jahr 1995 wird die Gesamtzahl der lebenden Arten (einschließlich der Mikroorganismen) auf 13,6 Mio. ge­schätzt. Davon sind zur Zeit "nur" 1,75 Mio.bestimmt. Als Hauptursachen für das Verschwinden von Arten, d.h. für den Verlust an Biodiver­sität, werden angesehen (verändert nach Baratta 1997):

  • die Zerstörung, Veränderung und Fragmentierung von Lebensräumen,
  • die Ausdehnung der modernen kommerziellen Landwirtschaft,
  • die Verschmutzung der Lebensräume durch industrielle Quellen,
  • die Folgen der anthropogenen Verstärkung des Treibhauseffekts und des Abbaus der Ozonschicht,
  • die Verfolgung und vorsätzliche Ausrottung von "Schädlingsarten" mit oft uner­warteten Folgen für die Ökosysteme und
  • die Einschleppung fremder Arten (Neophyten, Neozoen) mit oft verheerenden Folgen für die einheimischen Ökosysteme.

Waldschutzmaßnahmen werden in diesem Zusammenhang bei den weltweiten Hauptgefah­ren für die Biodiversität nicht genannt.

Wie wirkt sich Biodiversität auf die Waldökosysteme aus?

In der Regel gilt, dass eine hohe Biodiversität (Artenvielfalt) meist eine höhere Stabilität der Waldökosysteme zur Folge hat. Die Auswirkung ist, dass sich in solchen Ökosystemen die Waldschutzprobleme mit abiotischen und biotischen Ursachen in Grenzen halten. Waldökosysteme mit geringer Biodiversität, das heißt einschichtige Reinbestände ("Mono­kultu­ren") sind meist deutlich gefährdeter, besonders, wenn sie zusätzlich noch standorts­fremd sind.

Integrierter Waldschutz und Biodiversität

Ziel des integrierten Waldschutzes ist die möglichst nachhaltige Senkung von Schader­reger-Populationen unter eine definierte Schadensschwelle (in der Regel definiert durch die Gefährdung der Betriebsziele) durch eine Kombination von waldbaulichen, mechanisch/technischen, biotechnisch/biologischen und chemischen Maßnahmen.

Diese Maßnahmen gegen biotische Schaderreger müssen erfolgen unter Schonung

  • der ökologischen Stabilität (=Erhaltung der Biodiversität, z.B. durch Schonung von natürlichen Antagonisten),
  • der menschlichen Gesundheit und der Umwelt,
  • der Wirtschaftlichkeit, wobei hier die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Vorgaben der Waldbesitzer zu beachten sind.

Die Vorschriften zur Anwendung integrierter Waldschutz-(Pflanzenschutz-)verfahren sind in Baden-Würt­temberg durch das bundesweit geltende Pflanzenschutzgesetz von 1998 (§ 2) und das Lan­deswaldgesetz Baden-Württemberg von 1995 (§ 14) verankert.

Ziel des integrierten Waldschutzes ist auf keinen Fall die Ausrottung von (einheimi­schen) Forstschäd­lingen. Diese sind ihrerseits Bestandteil der heimischen Waldökosysteme und der Biodiversität und haben in den Waldökosystemen Funktionen im Stoffkreislauf, deren Bedeutung bis heute oft noch gar nicht geklärt ist.

Beeinträchtigung der Biodiversität durch Insektizideinsatz?

Als Beeinträchtigung der Biodiversität durch Waldschutzmaßnahmen wird meist der Pflanzenschutzmitteleinsatz und insbesondere der Insektizideinsatz gegen Schadinsekten ange­sehen, da die meisten derzeit gegen Forstinsekten eingesetzten Insektizide ein breites, d.h. kein art­spezifisches Wirkungsspektrum aufweisen. Dies gilt vor allem für die Insektizide der Wirk­stoffgruppe der Pyrethroide, die zur Zeit vor allem bei der Borkenkäfer­bekämp­fung einge­setzt werden.

Abb. 1 zeigt die wirkstoffbezogene Einwicklung des Pflanzenschutzmittel­verbrauchs im Staatswald Baden-Württembergs bezogen auf das Basisjahr 1980 (=100 %). Chemische Wildschadensverhütungsmittel sind nicht enthalten. In allen Anwendungsbe­reichen ist besonders in den 1990er Jahren eine deutliche Reduzierung festzustellen. Dies gilt trotz der Sturmschäden durch "Wiebke" 1990 und der nach­folgenden Borkenkäfergradation auch für den Insektizidbereich.

Aus der Tab. 1 geht hervor, dass im Jahr 1999 nur 114 ha (=0,0135 %) der Holzbodenfläche des öffentlichen Waldes mit In­sektiziden behandelt wurden. Es handelte sich ausschließlich um einen Versuch der FVA zur Waldmaikäferbekämpfung in den Forstbezirken Karlsruhe-Hardt und Rastatt (Schröter 2000).

Weiterhin wurden im Jahr 1999 nur 2,2 % des Holzeinschlags des öffentlichen Waldes mit In­sektiziden behandelt. Dabei werden bei diesem Insektizideinsatz nur die Holzstämme an Waldstraßen, also nicht auf der Fläche, behandelt.

Tab. 1: Einsatz von Insektiziden im Jahr 1999 im öffentlichen Wald von Baden-Württemberg.

Optimierung der Waldschutz-Strategien

Wie lassen sich die Waldschutzstrategien trotz des bereits geringen Insektizideinsatzes weiter opti­mie­ren mit dem Ziel, die Beeinflussung der Biodiversität durch Pflanzenschutz­mitteleinsätze zu minimieren?

  • Verbesserung bzw. Optimierung der Prognosemethoden

Wissenschaftliche Untersuchungen der FVA, z.B. zur integrierten Waldmaikäferbe­kämpfung, sind darauf ausgerichtet, genauere Erkenntnisse hinsichtlich der Popula­tionsdichten von Schaderregern und deren ökologische (auf die Biodiversität) und ökonomische Auswirkungen zu gewinnen. Hiermit können die Bekämpfungsentscheidungen optimiert werden, das heißt unnö­tige Insektizideinsätze ohne ökonomisches Risiko für den Waldbesitzer vermieden werden.

  • Optimierung der Wahl der Bekämpfungsmaßnahmen

Hierbei sind die Untersuchungen der FVA ausgerichtet auf eine Optimierung der Wahl der technischen Mittel (z.B. der Pflanzenschutzmittel, der Applikations­geräte), der zu behandelnden Flächen und der Behandlungszeitpunkte im Hinblick auf die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen eines Insekti­zideinsatzes.

Beispiele Schwammspinner und Waldmaikäfer

Am Beispiel der Bekämpfungsaktionen gegen Schwammspinner (seemann et al. 1999) und Waldmaikäfer (Schröter 2000; FVA Baden-Württemberg 2001) las­sen sich die Schritte für eine Optimierung der integrierten Bekämpfungsstrategie aufzeigen (s. Übersicht 1).

Ein Maß für die Beeinflussung der Biodiversität durch die jeweilige Bekämpfungs­strategie liefern Begleituntersuchungen zur Insektenfauna. Die Tab. 2 und 3 zeigen die Ergebnisse von faunistischen Begleituntersuchun­gen zum Vorkommen von Bodenkäfern und Nachtfaltern auf mit Dimilin WP (Wirkstoff: Diflubenzuron) behandelten Flächen und unbehandelten Referenzflächen bei der Schwammspinnerbekämpfung im Jahr 1994 (Schanowski 1999).

Tab. 2: Faunistische Begleituntersuchungen zur Schwammspinnerbekämp­fung 1994: Individuen- und Artenzahlen der Bodenkäfer in Referenz- und Dimilinfläche 1994 (nach Schanowski 1999).

Tab. 3: Faunistische Begleituntersuchungen zur Schwammspinnerbekämp­fung 1994: Fangresultate Nachtfalter in Referenz- und Dimilinfläche 1994 bis 1996 (nach Schanowski 1999).

Die Abb. 2 und 3 zeigen Beifänge von 215 jeweils 1 m2 großen Totenfallplanen auf 17 Beobachtungsflächen nach einer Behandlung der Bestände mit ZOLONE (Wirk­stoff: Phosalone) im Rahmen eines Großversuchs zur Bekämpfung des Waldmai­käfers im Jahr 2000 in den Forstbezirken Karlsruhe-Hardt, Philippsburg und Schwetzingen.

Die Anzahl der betroffenen Insektenfamilien und -gattungen ist zwar beein­druckend hoch und zeigt die Breitenwirkung des Insektizids, nicht jedoch die Indivi­duenzahl, sieht man von den nicht so seltenen Arten der Bibionidae (Märzfliegen) und Tri­choptera (Köcherfliegen) ab. Dadurch, dass nur 650 ha des ca. 5.000 ha großen Befallsgebietes (=Fläche mit En­gerlingsvorkommen im Boden) behandelt wurden, wird erwartet, dass die mit In­sektizid behan­delten Areale relativ schnell von den meist mobilen Insekten­arten wiederbesiedelt werden.

Schlussfolgerungen

Es gelingt heute auch unter Einbeziehung von chemischen Pflanzenschutzmitteln, mit den differenzierten Methoden des integrierten Waldschutzes, die genaue Prognosen und Risiko­analysen einschließen, Schaderregerpopulationen so zu reduzieren

  • dass die Schaderreger bei Massenauftreten (Beispiel Schwammspinner) die befalle­nen Bestände (und damit auch eine Voraussetzung für Biodiversität) in den betrof­fenen Waldökosystemen nicht zerstören und
  • dass Nebenwirkungen auf die Flora und die Fauna auf mit Insektizid behandel­ten Flächen ver­tretbar erscheinen, weil
  • gefährdete Waldbestände als Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten erhalten werden (ökologischer Aspekt),
  • gefährdete Waldbestände für die weitere planmäßige Nutzung erhalten werden können (ökonomischer Aspekt),
  • die Befallsgebiete mosaikartig behandelt werden, d.h. genügend unbehandelte Flächen verbleiben, von denen aus eine Wiederbesiedlung durch betroffene Nichtzielorganismen erfolgen kann, und
  • eine flächige Behandlung im Gegensatz zu den meisten landwirtschaftlich ge­nutzten Flächen nur einmal oder allenfalls wenige Male im Bestandesleben, das heißt auf derselben Fläche, erfolgt (=geringe Akkumulationsgefahr).

Eine möglichst hohe Biodiversität ist nicht nur in naturbelassenen Wäldern, sondern auch in Wirt­schaftswäldern ein wichtiges anzustrebendes Ziel, weil sie dem Waldschutz dient. Dies gilt auch, wenn die Biodiversität durch Waldschutzmaßnahmen auf existenziell gefährdeten Flächen temporär eingeschränkt werden kann. Somit sind Waldschutz und Biodiversität kein Widerspruch (Titelfrage), vielmehr ist Bio­diversität ein "Helfer" des Waldschutzes und Garant für möglichst wenige technische Waldschutzmaß­nahmen.

Literatur

  • Baratta, M. v. (Hrsg.) (1996): Der Fischer Weltalmanach 1997. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 1279 S.
    Baratta, M. v. (Hrsg.) (2000): Der Fischer Weltalmanach 2001. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 1279 S.
    FVA Baden-Württemberg (2001): Versuch zur Regulierung der Waldmaikäfer-Population in der nördlichen Oberrheinebene Nordstamm 2000. Praxisbericht der Abteilung Waldschutz. Bearbeiter: H. Delb, 45 S. (unveröffentlicht).
    Schanowski, A. (1999): Auswirkungen des Einsatzes von Dimilin auf die Arthropoden­fauna am Beispiel der Nachtfalter, Lauf- und Aaskäfer sowie Borkenkäfer. FFF-Berichte, Heft 13, 102-121.
    Schröter, H. (2000): Neue Erkenntnisse zur Bekämpfung des Waldmaikäfers (
    Melolontha hippocastani F.). Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 52 (6), 139-144.
    Seemann, D., Schröter, H., Bogenschütz, H. (1999): Fraßprognose und Bekämpfung des Schwammspinners. FFF-Berichte, Heft 13, 13-29.