Für gehöriges Aufsehen sorgte in diesem Sommer ein nach Oberbayern zugewanderter Braunbär mit Kosename "Bruno". Dadurch wurde eine Diskussion über die Wiederansiedlung von Raubtieren wie Bär, Wolf oder Luchs in Bayern ausgelöst. Mit Neid und Respekt wird auf die Bärenländer Slowenien, Finnland, Rumänien oder Österreich geblickt, wo Mensch und Raubtier scheinbar problemlos gemeinsam Platz finden.

Ist es also an der Zeit, auch in Bayern wieder Bären einzubürgern? Zur Beantwortung dieser Frage sollen einige grundsätzliche Überlegungen zur Diskussion gestellt werden. Dazu ist zunächst ein Vergleich Deutschlands mit einigen "Bärenländern" notwendig.

Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass wir in Bayern eine vollkommen andere Ausgangssituation haben (Tab. 1). Die Bevölkerungsdichte in Oberbayern ist etwa viermal so hoch wie im Bärenland Kärnten, Vergleiche mit den klassischen Verbreitungsgebieten Nordamerikas und Skandinaviens sind unter dieser Prämisse überhaupt nicht mehr seriös darstellbar. Die Bayerischen Alpen sind ganzjährig das beliebteste Naherholungsziel von über 2 Millionen Menschen aus dem Großraum München und darüber hinaus noch die wichtigste Tourismusregion Deutschlands.

Artenschutz braucht passenden Lebensraum

Bei allen Bemühungen um den Artenschutz steht an oberster Stelle stets die Frage nach geeigneten Lebensräumen, die in Größe und Qualität den spezifischen Anforderungen genügen müssen. Das ist bei Rauhfußhühnern nicht anders als bei Orchideen oder eben auch Braunbären. Dieser Gedanke ist auch Grundlage der FFH- und Vogelschutzrichtlinie.

Bären sind ihrem Wesen nach sehr scheue Tiere, die den Kontakt zu Menschen meiden. Bei Bevölkerungsdichten von mehr als 200 Einwohnern/km² ist diese Grundanforderung an das Habitat kaum mehr einzuhalten. Der Bär findet keine Ruheräume, wo er ungestört seine Jungen aufziehen kann und ist quasi ständig auf der Flucht vor dem scheinbar allgegenwärtigen Menschen. Deshalb bezweifeln auch Fachleute wie etwa der Projektleiter der Wildtier-Verhaltensforschung in Weissensee/Österreich, Hans-Peter Sorger, dass sich erwachsene Braunbären dauerhaft in unserer Kulturlandschaft aufhalten würden.

Bären brauchen Ruheräume

Würde sich ein Bär schließlich doch dem neuen Lebensraum "besiedelte Kulturlandschaft" anpassen, müsste er zwangsläufig die Scheu vor den Menschen ablegen, das heißt, er würde auch ungeniert in Siedlungen und Gehöfte eindringen, so wie es Bär Bruno gemacht hat.

Vergrämungsaktionen, wie sie sehr erfolgreich in Skandinavien, Slowenien oder Österreich praktiziert werden, setzen voraus, dass sich die Bären in ihre natürlichen, störungsfreien Lebensräume zurückziehen können, die es in der Kulturlandschaft Oberbayerns aber kaum gibt. Je höher die Bevölkerungsdichte ist, desto größer ist auch das Konfliktpotenzial, das sich zwangsläufig daraus ergibt.

Braunbären in natürlichen Lebensräumen ernähren sich zu 75 % von pflanzlicher Kost, die restlichen 25 % bestehen überwiegend aus Insekten, Schnecken, Amphibien und Fallwild. Das Reißen von Haustieren ist die Ausnahme, wobei Naturschutzverbände beispielsweise für Österreich von ein bis zwei Schafen pro Bär und Jahr ausgehen. Der Braunbär Bruno dagegen hat im Durchschnitt täglich ein Schaf oder eine Ziege gerissen. Er wurde als verhaltensgestörter "Problembär" eingestuft. Auffällig an seinem Verhalten war auf jeden Fall, dass er nicht mehr zu seiner Beute zurückgekehrt ist, was von Experten auf eine Fehlkonditionierung seiner Mutter "Jurka" zurückgeführt wurde.

Das Töten einer hohen Zahl von Haustieren in kurzer Zeit kann jedoch bei realistischer Betrachtung nicht als Verhaltensstörung gewertet werden. Zur Erklärung sei folgender Vergleich gestattet: legt man einem Hund eine Wurst vor die Nase und der Hund frisst die Wurst auf, ist er dann ein "Problemhund" und muss deshalb eingeschläfert werden? Bruno hat im Grunde kein anderes Verhalten gezeigt als eine Hausfrau: er richtet den Speisezettel an den "Früchten der Saison" aus, nimmt, was gut und günstig ist. Wieso mühsam Schnecken sammeln, wenn es Frischfleisch im Sonderangebot gibt. Zahme Haustiere sind leichte Beute für den Bären, und die gibt es eben nur in der Kulturlandschaft: also Problemlebensraum und nicht Problembär!

Konsumrausch durch Erfolgserlebnisse

Das Reißen zahmer Haustiere ist eine äußerst ökonomische Art der Nahrungsbeschaffung, die nur in der Kulturlandschaft, nicht aber in natürlichen Lebensräumen möglich ist. Hier zeigt sich begleitend ein gewisser "Konsumrausch", der durch ständige Erfolgserlebnisse noch verstärkt wird.

Bären müssen während ihrer mehrmonatigen Winterruhe von den Reserven leben, die sie sich während des Sommers angefressen haben. Das Anlegen von Winterspeck durch entsprechendes Fressverhalten ist ein überlebensnotwendiges Verhaltensmuster der Braunbären, das sich in der Evolution herausgebildet hat. Darauf zu setzen, dass ein möglicherweise in unser Kulturland einwandernder "Normalbär" das Angebot nicht nutzt und sich plötzlich in Askese übt, ist ein unrealistischer Traum, der Traum vom Garten Eden, wo Schaf, Kalb und Bär in Eintracht leben und sich vom Fluss nähren, in dem Milch und Honig fließen.

Allein auf den Almen Oberbayerns leben 20.000 Rinder, davon etwa ein Drittel Kälber, 2.700 Schafe und Ziegen sowie knapp 500 Pferde. Im Allgäu sind es ebenso viele, hinzu kommen noch die Tiere jenseits der Grenze in Österreich. Wie anhand dieser Tatsachen das Bayerische Umweltministerium zu der Pauschalaussage gelangen kann: "...da wir den Verbund der österreichischen und bayerischen Nordalpen als für Bären geeigneten Lebensraum ansehen, begrüßen wir grundsätzlich die Zuwanderung dieser in Europa selten gewordenen Tierart..." ist in der Tat schwer nachvollziehbar. Hier scheint sich unter dem politischen Druck der Ereignisse um die missglückte Bärenfangaktion bereits der Gedanke "Bär statt Alm" eingeschlichen zu haben.

Ohne Almen weniger Arten

Als Argumente für eine Wiederansiedlung von Bären in Oberbayern können allenfalls Artenschutzziele angeführt werden. Andere Aspekte sprechen nicht dafür. Das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) kommt bei seiner Natur-Inventur des Landkreises Miesbach für das Arten- und Biotopschutzprogramm zu der Erkenntnis: "Die bedeutendsten und von ihrem Artenreichtum eine Spitzenstellung einnehmenden Lebensräume sind die Almweiden." Bei einem Rückgang der Almbewirtschaftung sei mit einer Verschlechterung der Situation, beispielsweise für die Rauhfußhühner, zu rechnen, so das LfU. Käme es nun zu einem Rückgang des Almauftriebes aufgrund verstärkten Raubtierdrucks, so hätte man dem Artenschutz im wahrsten Sinne des Wortes einen "Bärendienst" erwiesen.

In Oberbayern gibt es keine Bärenlebensräume, die sich in Größe und Qualität mit denen in Slowenien, Österreich oder anderen europäischen Bärenländern messen könnten. Sie lassen sich auch nicht herbeireden, um den politischen Druck abzubauen. Zusätzlich schädlich, lebensraumbelastend und naturschädigend wirken sich die überspannten Reaktionen von wirren Bärenfans und militanten Tierschutzaktivisten aus, die nicht einmal davor zurückschrecken, wehrlose Kälber mit Schuhcreme zu beschmieren und hochträchtige Tiere zu vergiften.

Stefan Kloo ist Landwirtschaftsmeister und arbeitet ehrenamtlich als Schriftführer beim Almwirtschaftlichen Verein Obb. e.V.