Der Begriff "Naturwald" ruft in uns ein definiertes Bild von mit Moos und Totholz durchsetzten Wäldern und frei wachsenden Bäumen hervor, die in heterogenen Waldstrukturen stehen.

Aber nicht nur zur Schaffung einer Ursprünglichkeit in Waldlandschaften und dem damit verbundenen Arten- und Prozessschutz sind die heute eingerichteten Naturwaldflächen sinnvoll. Sie sollen helfen nützliches Wissen um ein nachhaltiges Waldmanagement zu schaffen.

Naturwälder und Naturwaldforschung im Land Brandenburg

Die seit mehreren Jahrzehnten ausgewiesenen Naturwälder bilden mit einer umfangreichen, meist über lange Zeiträume gesammelten, Datengrundlage ein geeignetes Umfeld für Fallstudien zur Artenvielfalt im Wald und den funktionalen Wirkungen der Diversität. Während sich der Bestand im Naturwaldreservat bewusst unbeeinflusst entwickeln kann, ermöglicht uns die angrenzende Vergleichsfläche einen direkten Einblick in die strukturellen Auswirkungen der Waldbewirtschaftung.

In Brandenburg sieht das Landeswaldprogramm den Aufbau ökologisch stabiler und ökonomisch leistungsfähiger Wälder durch eine naturnahe, standortgerechte Waldbewirtschaftung auf breiter wissenschaftlicher Grundlage vor. Dieser Zielsetzung sollen auch die Erkenntnisse der langfristig konzipierten Naturwaldforschung über die natürliche Entwicklung von Waldlebensgemeinschaften, ihrer Böden, Vegetation, Waldstruktur und Fauna im Vergleich zu bewirtschafteten Wäldern dienen. Daher kommt entsprechenden Untersuchungen eine immer größere Bedeutung zu. Einerseits um die potenziell natürliche Diversität in Naturwäldern mit der in Wirtschaftswäldern zu vergleichen, andererseits um die ökologischen Zusammenhänge während einer natürlichen Waldentwicklung zu verstehen, nicht zuletzt mit dem Ziel eine waldtypische Artenvielfalt zu erhalten.

Die vorliegende Studie war Teil eines umfangreichen Vorhabens in der Trauben-Eiche (Quercus petraea) zur funktionalen Biodiversität in Eichenwirtschaftswäldern (2) und wurde im Naturwald Fünfeichen (Schlaubetal, BB) im Rahmen einer Masterarbeit (1) durchgeführt. Ziel der Studie war es eben diese natürlichen Waldynamiken mit Wirkung auf das Artengefüge von Spinnen (Araneae) zu untersuchen: i. wie entwickeln sich Bäume unter natürlichen – also vom Forstarbeiter unbeeinflussten – Bedingungen und ii. welche Konsequenzen hat die Bewirtschaftung für Ökosystemfunktionen und eine waldtypische Biodiversität? Dabei wurde Mithilfe eines experimentellen Fangdesigns auch der kleinräumige Einfluss von Strukturheterogenität untersucht. Hauptanliegen war es, die Lebensraumfunktion eines Naturwaldes mit dem eines Wirtschaftswaldes am Beispiel der Araneae (Spinnen) in Kombination mit der Bodenvegetation und dem verbleibenden Totholz (Abb. 2) zu analysieren.

Artenvielfalt am Waldboden und deren Rolle

Da Arthropoden über 75 % der rezenten Artenvielfalt stellen (3) und auch in mitteleuropäischen Wäldern mit hohen Arten- und Individuenzahlen vertreten sind, kommt diesem Taxon hinsichtlich der Lebensraumfunktion von Wäldern eine wichtige Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für epigäische Raubarthropoden, die durch die Regulation von Phytophagenpopulationen eine Schlüsselposition bei der Steuerung ökosystemrelevanter Prozesse einnehmen (4). Durch ein meist breites Beutespektrum, das auch Forstschädlinge mit einschließt, wirken sie auch forstlichen Zufallsnutzungen durch Insektenkalamitäten entgegen. Zudem besitzt die Sicherung der Lebensgemeinschaften hohe Priorität, da Gliederfüßer auch in Wäldern ein wichtiges Nahrungsreservoir für zahlreiche Vertebraten und Invertebraten stellen und so zur Aufrechterhaltung der Artendiversität übergeordneter Trophiestufen von Wäldern beitragen.

Naturwald Trauben-Eiche

Die Arbeit basiert auf einem Versuchsdesign aus zwölf räumlich getrennten Untersuchungs-Blöcken, verteilt auf die gleichaltrige Wirtschafts- und Naturwaldfläche (ca. 80 Jahre). Diese Untersuchungsbereiche waren so gewählt, dass jeder Block (mit sechs Bodenfallen) drei Arten von Plots enthielt (Abb. 3), verteilt auf solche mit überwiegend krautiger Vegetation, solche mit vornehmlich Totholz angereichertem Waldboden und reine Streubereiche. Insgesamt wurden 72 Plots für die Messung von Umweltvariablen und faunistische Erhebungen eingerichtet.

Neben den Kartierungen der Vegetation, des Totholzes und der Baumschichten erfolgten die Messung der Temperatur, des Lichtes und der Luftfeuchte, sowie detaillierte Bodenuntersuchungen auf kleinstem Raum. Am Beispiel der krautigen Vegetation und der epigäischen Spinnenzönose konnte so der Einfluss der Bewirtschaftung auf die Artenvielfalt der kleinräumig ausgewählten Flächen, wie auch übergeordnet im Natur- und Wirtschaftswaldvergleich, dargestellt werden. Zusammenhänge zwischen Strukturen, Vegetation, Umweltparametern und der Verbreitung der Spinnenarten wurden statistisch multivariat geprüft.

Auswirkungen der Bewirtschaftung am Waldboden

Der Naturwald ist seit 1961 aus der Bewirtschaftung genommen und weist mittlerweile sichtbare Unterschiede zum Wirtschaftswald auf. Dabei finden sich die auffälligsten Abgrenzungsmerkmale im Lichtregime und dem liegenden und stehenden Totholz. Zuallererst fällt auf, dass der Wirtschaftswald durch die Zielbaumpflege und der damit verbundenen Entnahme von bedrängenden Bäumen lichtdurchfluteter ist als der Naturwald. Das liegende Totholz besteht folgerichtig aus verbleibendem Kronenmaterial vergleichbarer Zersetzung, während im Naturwald stehende und umgestürzte abgestorbene Bäume im Bestand auffallend heterogen verbleiben.

Die Vegetationsschicht setzt sich aus 22 krautigen Pflanzenarten zusammen. Auffallend ist die Dominanz des Wald-Reitgrases (Calamagrostis arundinacea) in beiden Waldbeständen und die höhere Vegetationsbedeckung im Wirtschaftswald aus vornehmlich horstartigen Grasbeständen. Der Naturwald weist mehr Pflanzenarten und eine tiefere Streuschicht auf.

Weniger Arten im Wirtschaftswald

Der Naturwald erweist sich als artenreicher am Waldboden. So wurden bei den Spinnen 50 Arten im Naturwald und 44 Arten in der Vergleichsfläche gefunden. Durch hohe Unterschiede in den Fangzahlen pro Bodenfalle wurde die Diversität, bei gleicher angenommener Fangzahl (n=100), geschätzt. Diese Artenzahlenerwartungswerte weisen auf einen deutlichen Unterschied in der Artenvielfalt hin (Abb. 4).

Die Artengemeinschaften unterscheiden sich am deutlichsten zwischen dem Naturwald und dem Wirtschaftswald, räumlich jedoch - also zwischen den Blöcken - vornehmlich im Naturwald. Die Ergebnisse bestätigen eine größere räumliche Heterogenität im Naturwald. Wohingegen die Strukturen der angelegten Plots (Kraut, Totholz, Streu) weniger eindeutige Unterschiede in den Artengemeinschaften aufwiesen (für den Wirtschaftswald im Kraut-Streuvergleich signifikant).

Schlussfolgerungen

Die Bewirtschaftung der Eichenwälder führt zu einer Beeinflussung der untersuchten Artengemeinschaften im Wald. Es konnte am Beispiel der Spinnengemeinschaften aufgezeigt werden, dass sich die Artenvielfalt, wie auch die Artenzusammensetzung des Naturwaldes grundlegend von der des Wirtschaftswaldes unterscheidet.

Typische Waldarten treten häufiger im Naturwald auf, während das Artengefüge hier weit ausgeglichener ist (Evenness). Der Wirtschaftswald ist charakterisiert durch eine hohe Dominanz einzelner Arten (Pardosa-lugubris Gruppe). Deutlich höhere Artenzahlen können dagegen im Naturwald erwartet werden (Rarefaction-Kurve).

Grundlegende Unterschiede zwischen den Kraut-, Totholz- und Streuplots tragen zu einer Strukturheterogenität im Eichenwald mit Auswirkungen auf die Artenvielfalt bei. Tatsächlich wirkt sich in der Betrachtung eine hohe räumliche Heterogenität zwischen den Blöcken auf die Diversität im Naturwald aus. Besonders beigetragen zu einer erhöhten Artenvielfalt im Naturwald haben dabei die unterschiedlichen Pflanzenformationen in der Strauch- und Krautschicht, sowie die vornehmlich auf Totholz wachsenden Moosbedeckungen.

Hauptfaktoren in der Bildung der Artengefüge waren der Kronenschluss oder damit verbundene Umweltfaktoren (z.B. Licht, Boden- und Luftfeuchte, Temperatur und Vegetation). Ein ausgesprochen warmer Juli des Jahres zeigt in den Messungen deutlich höhere Temperaturen (max. 38,94 C° in 50 cm Höhe) und sinkende Bodenwasserwerte im Wirtschaftswald, während warm-trockener Wetterphasen auf. Die gemessene durchschnittliche Luftfeuchte war konstant höher im Naturwald. Damit steigt im Wirtschaftswald das Risiko für eine Austrocknung des Waldbodens und der damit verbundenen Prozesse während anhaltender Trockenphasen.

Im Prinzip sind die ermittelten Haupteinflussfaktoren (Abb. 5) die zu einer Unterscheidung der Artengemeinschaften führen schlüssig und schon auf anderen Ebenen untersucht. Ebenso einleuchtend erschien der Schwerpunkt des raumstrukturellen Einflusses auf die Artenvielfalt im Wald. Überrascht hat jedoch der überschirmende Effekt des Kronenschlusses, der über die Ausprägung der Krautschicht und weiterer Umweltfaktoren zu einer grundlegenden Separation im Naturwald- Wirtschaftswald führte. Nicht einmal die erwarteten Unterschiede in kleinstrukturellen Bereichen (Kraut, Totholz, Streu) schienen vom Lichtangebot unbeeinflusst, so dass es in den Analysen zu keinen signifikanten Unterschieden in den Plots reichte (mit Ausnahme des WW: Kraut-Streu). Dass sich die am Waldboden lebenden Gemeinschaften innerhalb eines Bestandestypes der Trauben-Eiche (Q. petraea) derart deutlich separieren (NW-WW Vergleich) war nicht unbedingt zu erwarten.

Darüber hinaus erwies sich die Artenvielfalt der Kraut- und Strauchschicht als wichtiger Faktor in der Formation der Spinnenlebensgemeinschaften. Ob direkt oder indirekt und auf welcher Betrachtungsebene bleibt Gegenstand weiterer geplanter Untersuchungen in Naturwäldern der Eiche.

Fazit – kurz

In den letzten Jahrzehnten konnten sich vereinzelt ausgewiesene Wälder unbewirtschaftet entwickeln. Die eingerichteten Naturwaldreservate bieten mittlerweile gute Bedingungen für Untersuchungen zum Bewirtschaftungseinfluss. Dank einer guten Datengrundlage zur Historie vieler Flächen können Waldentwicklungen nachvollzogen werden und Rückschlüsse geben zur Bildung von Artengemeinschaften, Waldstrukturen und Bodenprozessen. Ein wichtiger Grundstein zur Hinterfragung wichtiger Aspekte zur funktionalen Biodiversität in Wäldern könnte hier für die Zukunft gelegt sein. In diesem Zusammenhang konnte im Naturwald Fünfeichen (Q. petraea) mit einer umfangreichen Erhebung die Auswirkung kleinräumiger Strukturmuster am Waldboden, wie auch der forstlichen Bewirtschaftung in einer Fallstudie untersucht werden.

Literatur

(1) Langer, M. (2011): The effect of native forest dynamics upon the arrangements of species in oak forests-analysis of heterogeneity effects at the example of epigeal arthropods. Uni Potsdam.

(2) Ziesche, T.M., Kätzel, R., Schmidt, S. (2011): Erarbeitung von naturschutzfachlichen Empfehlungen zur Bewirtschaftung von stabilen, artenreichen, naturnahen Eichenwäldern im Nordostdeutschen Tiefland. BfN-Schriftenreihe „Naturschutz und Biologische Vielfalt, 204 S.

(3) Wilson, E.O. (1992): The Diversity of Life. Penguin Books, Clays Ltd. 406 S.

(4) Ekschmitt, K. (1990): Spiders, Carabids, and Staphylinids: The Ecological Potential of Predatory Macroarthropods. In: Benckiser, G. (Hrsg.): Fauna in Soil Ecosystems. Recycling Processes, Nutrient Fluxes and Agricultural Production. Marcel Dekker,NewYork 414 S.

(5) Möller, K. (2005): Seltene und gefährdete Insekten und Spinnen in ausgewählten Naturwäldern Brandenburgs. Forstwirtschaft und Landschaftsökologie 39: 81-91.