Leidenschaftliche Diskussionen finden nicht nur zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz statt, sondern auch innerhalb der jeweiligen Sektoren; Positionen und Philosophien prallen aufeinander. Mittendrin die Bayerische Forstverwaltung, die seit 30 Jahren das integrative Konzept einer multifunktionalen, nachhaltigen und naturnahen Bewirtschaftung auf möglichst gesamter Fläche vertritt. Ist dieses Konzept noch zeitgemäß, um neben den vielen anderen Belangen auch dem Waldnaturschutz gerecht zu werden? Oder ist es ein wachsweicher Kompromiss ohne klare Linie?

Solche Fragen gibt es bei vielen Themen, die unsere Gesellschaft bewegen. Sie sind Folge technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen, wie Internet, Globalisierung und Demokratisierung. Alles ist in Bewegung, alle reden mit, alles passiert gleichzeitig – häufig in unterschiedliche, teils entgegengesetzte Richtungen. Diskussionen um den richtigen Weg sind normal. Debatten zum Waldnaturschutz sind daher kein Beweis für Defizite, sondern vielmehr ein Zeichen von Interesse. Nutzen wir also dieses Interesse, um das Konzept der integrativen Waldbewirtschaftung genauer vorzustellen.

Worüber reden wir eigentlich?

In der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD, Rio 1992) geht es um den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt, unterteilt in

  • die Vielfalt der Lebensräume,
  • die Vielfalt der Arten und
  • die genetische Vielfalt.

Ethisch ragt die Vielfalt der Arten heraus, denn wir haben eine besondere Verantwortung, dass die heimischen Tier- und Pflanzenarten nicht aussterben. Der endgültige Verlust einer Art würde schwerer wiegen als der eines Biotops oder einer bestimmten genetischen Variante.

Welche Bedeutung hat der Waldnaturschutz in Bayern?

Unsere Wälder haben zahlreiche Funktionen für Mensch und Natur:

  • Lieferung des nachwachsenden Rohstoffs Holz
  • Schutz vor Naturgefahren
  • Raum für Erholung und Gesundheit des Menschen
  • Lebensraum für Tiere und Pflanzen

Aber in einer begrenzten Welt kann nicht jeder alles immer und überall in der Maximalausprägung haben. Kompromisse sind notwendig, um Ziel- und Verteilungskonflikte zu lösen. Dabei darf sich kein Belang einseitig durchsetzen, keiner darf von anderen verdrängt werden. Gerade im Wald ist es so gut möglich, das eine mit dem anderen zu verbinden. Man darf sich nur nicht an Symbolen festbeißen, sondern muss das Handeln pragmatisch an den Zielen ausrichten und nüchtern an den Ergebnissen messen.

Der Erhalt der biologischen Vielfalt im Wald ist der Bayerischen Forstverwaltung wichtig. Sie ist Grundlage für eine erfolgreiche, nachhaltige Forstwirtschaft. Eine multifunktionale nachhaltige Waldbewirtschaftung integriert alle Belange und erzeugt dabei den höchsten Gesamtnutzen. Den verbindlichen Rahmen setzen das Waldgesetz für Bayern und die bayerische Biodiversitätsstrategie.

Wo stehen wir heute und was steht uns bevor?

Die Ziele, Maßnahmen und Ergebnisse der Forstwirtschaft in Bayern können sich gut sehen lassen. Dazu einige Beispiele:

  • Der Waldumbau in Bayerns Wäldern stellt das wohl großflächigste Projekt zur Anpassung an den Klimawandel dar, das es je in Deutschland gegeben hat. In Privat-, Körperschafts- und Staatswald wurden bereits mehr als 70.000 Hektar risikobehaftete Nadelholzbestockungen zu stabilen Mischwäldern umgebaut. Diese Mischwälder werden auch für den Artenschutz eine markante Verbesserung darstellen.
  • Natura 2000 betrifft die Lebensräume und Arten auf 450.000 Hektar Waldfläche. Das FFH-Monitoring zeigt auf der überwiegenden Fläche ein hohes Qualitätsniveau für diese Schutzgüter. Für die Spezies auf der Roten Liste der gefährdeten Arten geht es im Wald aufwärts, beispielsweise für Schwarzstorch, Biber oder Wildkatze. Handlungsbedarf gibt es vor allem bei Eichen- oder Kiefernlebensraumtypen. Also bei solchen, die besonders auf eine aktive Bewirtschaftung – oftmals gegen die Natur! – angewiesen sind.
  • Die Förderung der "besonderen Gemeinwohlleistungen" ist ein erfolgreiches Instrument, das die Naturschutzprojekte im Staatswald seit zehn Jahren voranbringt, zum Beispiel die Renaturierung von Hochmooren. Das Förderangebot für den Privat- und Körperschaftswald beinhaltet die Richtlinie für das Vertragsnaturschutzprogramm Wald.
  • Nach der dritten Bundeswaldinventur hat die mit Waldbäumen bewachsene Fläche in Bayern weiter zugenommen. Der Anteil der Laubbäume liegt bei 36 Prozent – fast zwei Drittel mehr als bei der ersten Großrauminventur 1971 (Abb. 3). In jüngeren Beständen liegt dieser Anteil sogar bei 54 Prozent. Das Durchschnittsalter der Wälder ist um vier auf 83 Jahre gestiegen, deutlich höher als der Bundesdurchschnitt. Ebenfalls höher als der Bundesdurchschnitt liegt der Totholzanteil mit nunmehr 22 Kubikmetern pro Hektar; bei staatlichen Wäldern sind es sogar 35 Kubikmeter. Auch der durchschnittliche Holzvorrat liegt mit 396 Kubikmetern pro Hektar deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Bayerns Wälder sind Teil der über Jahrhunderte durch die Arbeit der Waldbesitzer und Forstleute geschaffenen Kulturlandschaft und prägen unsere Heimat. Sie sind heute im weltweiten und historischen Vergleich in hervorragendem Zustand. Das ist aber kein Anlass, die Hände zufrieden in den Schoß zu legen. Wir stehen vor Herausforderungen wie dem Klimawandel, neuen Schädlingsrisiken, aber auch steigendem Holzbedarf für Energie- und Rohstoffversorgung. Weitere Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt im Wald sind nötig, aufbauend auf bisherigen Erfolgen. Eine Vielzahl von Maßnahmen beinhaltet das Umsetzungsprogramm zur Bayerischen Biodiversitätsstrategie.

Wie sieht der Weg in die Zukunft aus?

Der "Bayerische Weg" zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität lässt sich auf folgende Kernpunkte zusammenfassen:

  • nachhaltig Nutzen und Schützen auf grundsätzlich ganzer Fläche;
  • gezielte ergänzende Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität;
  • keine pauschalen Stilllegungsquoten;
  • Vorrang für Freiwilligkeit und Kooperation mit Waldbesitzern.

Ganz wichtig sind die ausreichend breiten Entscheidungsspielräume der Waldbesitzer. Die Vielfalt der Bewirtschaftung durch 700.000 eigenständige und eigenverantwortliche Waldbesitzer führt zu einer enormen Vielfalt an Lebensmöglichkeiten für Tiere und Pflanzen.

Was heißt das konkret?

Eine Vielzahl integrativer Maßnahmen leisten ohne großen Aufwand sehr wertvolle Beiträge für den Erhalt der biologischen Vielfalt, beispielsweise:

  • Begründung und Pflege naturnaher Mischwälder;
  • umfangreiche Beteiligung standortheimischer Baumarten;
  • Rücksichtnahme z.B. während Brut- und Aufzuchtzeiten;
  • Schutz und Pflege von wertvollen Waldbiotopen;
  • Umsetzung und Integration von Natura 2000-Maßnahmen;
  • Beteiligung und Förderung seltener Baumarten;
  • Begründung und Pflege naturnaher Waldränder;
  • kleinflächige Verjüngung, Vermeidung von Kahlschlägen;
  • gezielte Anreicherung mit Totholz und Biotopbäumen;
  • "integrativer Pflanzenschutz";
  • Nährstoffnachhaltigkeit bei der Energieholzbereitstellung;
  • pflegliche Behandlung der Waldböden.

Viele dieser Maßnahmen sind bei Förstern und aktiven Waldbesitzern längst weit verbreitet und werden von Förderprogrammen unterstützt. Im Hinblick auf den allgemeinen Strukturwandel unter den Waldbesitzern muss die Bayerische Forstverwaltung ihre Informationsarbeit intensivieren.

Was wird morgen richtig sein?

Niemand kann mit letzter Gewissheit sagen, was richtig ist. Welche Philosophie mehr Unterstützer findet, ist in erster Linie eine Frage des Vertrauens. Nicht allein Fakten und Argumente entscheiden, sondern sehr stark auch das Bauchgefühl: Wessen Argumenten kann man eher glauben und wem traut man zu, die beste Gesamtabwägung vorzunehmen und auch tatsächlich umzusetzen?

Erschwerend ist, dass sich die Rahmenbedingungen laufend verändern; ganz erheblich auch aus menschengemachten Gründen, wie der Urbanisierung oder dem Klimawandel. Der Mensch hat schon immer permanent Auswirkungen verursacht, aber auch auf neue Herausforderungen eine Antwort gesucht: So führten steigende Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung bis zum Beginn der Neuzeit zu einer extremen Nachfrage nach Holz und anderen Waldprodukten. Ausplünderung und Degradation waren die Folge, aber auch Leidensdruck und Innovationen wie die Nachhaltigkeitslehre. Der steigende Einsatz der Kohle und anderer fossiler Energieträger reduzierte die Holznachfrage und -preise. Holz, Wälder und Forstwirtschaft verloren erheblich an Bedeutung, aber Folge waren auch die Regeneration der Böden und Bestände sowie Innovationen wie die Waldfunktionslehre und neue Holzprodukte. Steigenden CO2-Konzentrationen aus der Verbrennung fossiler Energieträger führen zu einem weitreichenden Klimawandel. Massive Schäden durch extreme Wetterereignisse und Schädlinge sind die Folge, aber auch Innovationen wie der Umstieg auf erneuerbare Energien und der systematische Waldumbau. Der steigende Holzbedarf und zunehmende Laubbaumanteile werden zu neuen Herausforderungen führen, ganz sicher aber auch zu neuen Innovationen.

Die Philosophie des "nachhaltig Nutzens und Schützens auf grundsätzlich ganzer Fläche" kann niemals vollendet sein und statisch bleiben, sondern muss stetig weiterentwickelt werden. Es handelt sich um einen immerwährenden Lernprozess. Ein regelmäßiges Monitoring darüber, wie es dem Wald und seinen Arten geht, ist dafür unverzichtbar. Genauso ist es eine ethische Verpflichtung, die Zusammenhänge im Wald und die möglichen Konsequenzen kontinuierlich wissenschaftlich zu erforschen.

Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Konzepts sind gute Antworten auf den geistigen und gesellschaftlichen Wandel. Der Forstsektor kann auf die Erfolge der letzten 300 Jahre stolz sein. Der Zustand der Wälder ist heute sehr viel besser als früher. Dies fällt dem flüchtigen Betrachter angesichts des forsttypisch langsamen Tempos der Veränderung allerdings kaum auf. Daher sollten wir unsere Philosophie nach innen kontinuierlich überprüfen und verbessern und nach außen verständlich, ehrlich, transparent und selbstbewusst erklären, immer offen für kritische Fragen, andere Ideen und konstruktive Vorschläge.

Eine integrativ angelegte, naturnahe multifunktionale Forstwirtschaft bietet die größten Chancen für ökologisch, ökonomisch und sozial gleichermaßen hochwertige Ergebnisse. Dieses breite und flexible Konzept kann auch sehr unterschiedliche örtliche Verhältnisse, fachliche Erkenntnisse oder betriebliche Ideen aufnehmen.