Die Schweiz ist reich an Seen, Flüssen, Bächen und Gletschern. Unsere Naturlandschaft wird entscheidend vom Wasser geprägt. In den Auen - im Übergangsbereich zwischen Land und Wasser - ist das fliessende Wasser die landschaftsformende Kraft.

Wildnis und natürliche Dynamik sind hier noch erlebbar. Hochwasser und Perioden der Trockenheit, Erosion und Sedimentation sorgen für dauernden Wandel. Der Fluss ändert gelegentlich seinen Lauf, überschwemmt Flächen, die zuvor trocken waren, zerstört Lebensräume und lässt neue entstehen. Diese Dynamik erzeugt die aussergewöhnliche Vielfalt an Arten und Lebensräumen, die wir in den Auen vorfinden.

Um Menschen und Güter vor Überschwemmungen zu schützen und um Kulturland in den Talebenen zu gewinnen, begannen unsere Vorfahren schon vor Jahrhunderten, die Flüsse zu zähmen, einzudämmen, zu begradigen. Von den wenigen natürlichen Gewässerstrecken, die übrig geblieben sind, gehen heute keine grösseren Gefahren mehr aus.

Schützenswert sind jetzt vielmehr die Auen selbst: wegen ihrer wichtigen Rolle im Wasserhaushalt, ihres biologischen Reichtums - und ihrer Schönheit. Vier wichtige europäische Flüsse - Rhone, Rhein, Inn und Ticino - entspringen in unseren Alpen und fliessen auch als Ober- und Mittellauf durch die Schweiz. Genauso liegen in unseren Alpen einige der wichtigsten Gletschergebiete Europas. Dies verpflichtet unser Land zu besonderem Einsatz beim Schutz der Auengebiete in Europa.

Ein vom Wasser geformtes Ökosystem

Auen lassen sich grob in drei Zonen unterteilen:

  1. Das Flussbett selbst wird durch Wasser und Geschiebe häufig umgestaltet. Hier gedeihen nur Pionier-Krautpflanzen, die sich zwischen zwei Hochwassern rasch entwickeln und sich jedes Jahr neu ansiedeln können. Auch einzelne Weidengebüsche können in den rohen Kiesböden Wurzeln schlagen.
  2. Die Auenterrassen, welche ans Flussbett grenzen, sind von Weiden oder Erlen bewachsen. Hier sind die Standortsbedingungen stabil genug, dass sich - zwischen zwei Hochwassern - ein Pionierwald entwickeln kann: die Weichholzaue. Baumarten mit leichtem, weichem Holz dominieren hier.
  3. Die weiter vom Fluss liegenden Bereiche und die höher gelegenen Terrassen werden nur noch sehr selten überschwemmt, bleiben aber dauernd oder zeitweise im Einflussbereich des Grundwassers. Hier entsteht nach Jahren und Jahrzehnten ungestörter Vegetationsentwicklung eine Hartholzaue aus Eschen, Ahorn, Ulmen oder gar Buchen, Eichen und Fichten. Diese Wälder werden von Bäumen mit schwerem, hartem Holz geprägt.

    Die Hartholzauen sind bis zu einer Höhe von 700 m ü. M. die flächenmässig wichtigste Pflanzengesellschaft der Auen. Ab 1000 m ü.M. verschwinden sie aber ganz und die Weichholzaue bildet den einzigen Waldgürtel der Aue. Ab ungefähr 1600 m ü.M. verschwindet auch dieser, Gebüsch ersetzt den Wald. In den Gletschervorfeldern und den alpinen Schwemmebenen oberhalb der Baumgrenze dominieren schliesslich Pionier-Krautpflanzen.

Enorme Vielfalt

Das Alter der einzelnen Standorte, das heisst die Zeit, die seit deren Entstehung oder Erneuerung durch ein Hochwasser verstrichen ist, der Feuchtigkeitsgehalt, die Struktur und der Nährstoffgehalt der Böden - all diese Standortsfaktoren wechseln auf kleinem Raum. Auen bilden daher komplexe Mosaike extrem verschiedener Lebensräume.

In den Auen der Schweiz wurden bisher gegen 1200 Pflanzenarten erfasst, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich 1500 Arten übersteigt. Dies entspräche der Hälfte der Schweizer Flora auf einem halben Prozent der Landesfläche. Wie die botanische ist auch die zoologische Vielfalt gross: Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken nutzen die verschiedenen Auenbiotope im Lauf ihres Lebenszyklus; Amphibien und Fische, zahlreiche Vogel- und Säugetierarten finden hier Nahrung und Unterschlupf.

Bedrohte Reichtümer

Gewässerkorrektionen und die Entwässerung der Flussebenen, später der Bau von Verkehrsträgern, das Wachstum der Agglomerationen und die touristische Entwicklung bewirkten, dass insgesamt gegen 90 Prozent der Schweizer Auen verschwunden sind. Ähnlich verlief die Entwicklung in unseren Nachbarländern. Die ungenügenden Restwassermengen in den meisten alpinen Fliessgewässern aufgrund der Wasserkraftnutzung, die Eindämmung der Flüsse und die Eintiefung des Flussbetts verursachen eine schleichende Umwandlung der Auenvegetation hin zu trockeneren, weniger typischen Pflanzengesellschaften.

Die Eutrophierung - die Überversorgung der Lebensräume mit Nährstoffen - trägt ebenfalls zur Verarmung der Vegetation bei. Der biologische Austausch entlang der Flüsse und Bäche sowie zwischen Gewässer, Ufer und Hinterland ist behindert durch Barrieren wie Dämme, Stauwehre, Verkehrsachsen und Flächen mit intensiver Bodennutzung. Verschiedene lokale Eingriffe - Deponien, Aufschüttungen, Entwässerungen, Kiesabbau usw. - tragen das ihre zur Wertverminderung von Auenlebensräumen bei.

Gegenwärtig ist in zwei Dritteln der tiefer gelegenen Auen von nationaler Bedeutung keine natürliche Dynamik mehr wirksam. Überflutungen werden durch Dämme oder durch ein verändertes Abflussregime verhindert. Nur ein Drittel kann noch als aktive Auengebiete bezeichnet werden: Erosion und Sedimentation finden da noch statt, und das Abflussregime lässt periodische Überschwemmungen zu. Trotz fehlender Gewässerdynamik sind indessen auch die stabilisierten Auen wertvolle Lebensräume geblieben. Im Mittelland, wo sämtliche grossen Flüsse korrigiert sind, können die Wälder dank hohem und für die Baumwurzeln erreichbarem Grundwasserstand ihren Auenwaldcharakter über lange Zeit bewahren.

In den höher gelegenen alpinen Auen des Inventars ist die Situation anders: nur 5 der insgesamt 66 Objekte haben ein verändertes Abflussregime, liegen also zum Beispiel unterhalb eines Stausees.

Neues Leben

Werden Erosion und Sedimentation als landschaftsgestaltende Prozesse in stabilisierten Auen zumindest teilweise wieder aktiviert und ein Abflussregime zugelassen, das periodische Hochwasser erzeugt, können sich Lebensgemeinschaften der Auen regenerieren. Der Lebensraum wird revitalisiert. Natürlich geht das nicht überall. Wo Menschen und wichtige Sachwerte bedroht sind, können wir keine unbeschränkte Auendynamik mehr zulassen. Dennoch gibt es viele Gewässerstrecken, bei denen eine Revitalisierung möglich ist.

    Die wichtigsten Massnahmen zur Revitalisierung von Auengebieten sind:

    • Definieren eines Flussperimeters, in dem der Fluss freien Lauf hat
    • Versetzen der Dämme, damit der Überflutungsbereich breiter wird
    • Erhöhen der mittleren Restwassermenge und der Abflussmenge bei Hochwasser
    • In Ausnahmefällen ist es auch möglich, durch Absenken des Auenprofils Überflutungsflächen zu schaffen.

    Die biologische Vielfalt erhalten oder gar fördern können wir aber auch in Auen, wo eine wirkliche Revitalisierung aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist. Hier lassen sich Ersatzstandorte schaffen. Als mögliche Massnahmen bieten sich an:

    • Öffnen ehemaliger Seitenarme
    • Wiederherstellen bzw. Ausbaggern inaktiver Altarme
    • Umleiten von Zuflüssen, damit einzelne Standorte überschwemmt werden
    • Anlegen von Teichen

    Die alpinen Auen

    Die alpinen Auen umfassen die Typen Gletschervorfeld und alpine Schwemmebene. Beides sind Lebensräume voller Dynamik, wo sich Landschaft und Strukturen ständig verändern. Wie die tiefer gelegenen Auen weisen sie Gewässer und gewässernahe Bereiche mit den auentypischen Zonen auf. Auf Grund der Höhenlage dominiert die Pioniervegetation. Wald kommt eher selten vor.

    Gletschervorfelder sind die von den Gletschern seit dem Ende der kleinen Eiszeit (um 1850) freigegebenen Flächen. Diese Gebiete weisen zwei unterschiedliche Bereiche auf. Entlang der Gletscherbäche lässt sich ein charakteristischer Übergang (Zonation) vom Wasser zum Land erkennen. Er ist bedingt durch die Wechsel von Überflutung, Abtrag und Sedimentation. Ausserhalb des Einflussbereichs der Bäche weist die Vegetation der heute eisfreien Gebiete eine andere Anordnung auf. Die abschmelzenden Gletscher haben ein reich strukturiertes Relief und vielfältige Böden unterschiedlicher Alter zurückgelassen. Vom Gletscherende hin zu den schon länger eisfreien Flächen kann daher eine typische Abfolge (Sukzession) in verschiedenen Stadien beobachtet werden. In Gletschervorfeldern trifft man auf ein vielfältiges Mosaik verschiedenartiger Pflanzengesellschaften auf engstem Raum.

    Alpine Schwemmebenen finden sich in relativ breiten, hochgelegenen Verflachungen der Alpentäler. Sie weisen dieselbe Zonation wie die tiefer gelegenen Auen auf. Im Gegensatz zu den relativ jungen Gletschervorfeldern werden viele alpine Schwemmebenen seit Generationen alpwirtschaftlich genutzt. Die alpinen Auen sind im Unterschied zu den tiefer gelegenen Auen noch weitgehend intakt. Es gilt, ihre ungehinderte Weiterentwicklung zu sichern und sie vor Eingriffen zu schützen.

    Entschädigungen für den Auenschutz

    Aufgrund der relevanten Gesetze und Verordnungen haben Grundeigentümerinnen und -eigentümer, Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter von Auengebieten, die im Interesse des Naturschutzes Einkommenseinbussen in Kauf nehmen, Anrecht auf finanzielle Abgeltung. Vergütet werden zudem ökologische Leistungen, die keinen Ertrag erbringen. Entschädigt werden die alljährlich fälligen Unterhaltsarbeiten oder die Einkommenseinbussen. Beitragsberechtigt sind aber auch Leistungen, die nur einmal erbracht werden müssen, wie etwa Massnahmen zur Revitalisierung einer Aue oder die Erarbeitung eines Schutz- und Unterhaltsplans. Finanzielle Beiträge können auch aus den Krediten für Landwirtschaft, Waldwirtschaft oder Wasserbau bezahlt werden. Die kantonalen Naturschutzfachstellen koordinieren die Vergabe der Subventionen.

    (TR)