Was sind kleine Fließgewässer?

Unter kleinen Fließgewässern werden hier Bäche verstanden – also Gewässer, die bis zu etwa 5 m, maximal 10 m, breit werden können. Eine scharfe Abgrenzung der "Bäche" von den "Flüssen" gibt es nicht, denn in der Realität vollzieht sich der Übergang fließend. Als Faustregel mag gelten, dass ein Bach zum Fluss wird, wenn die Ufergehölze keinen Kro­nen­schluss mehr über dem Gewässerbett bilden können.

Die "kleinen" Fließgewässer bilden den weitaus größten Teil des Gewäs­ser­systems: Briem (2003) gibt an, dass kleine Fließgewässer mehr als 90 % der Lauflänge aller Fließgewässer ausmachen.

Was sind kleine Fließgewässer im Wald?

Wenn wir den Blick auf die kleinen Fließgewässer im Wald richten, dann sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir uns einem Ausschnitt des gesamten Fließgewässersystems zuwenden – einem Ausschnitt, der sich wie eine Art Flickenteppich über die gesamte Landschaft erstreckt. Dieser Ausschnitt ist allerdings erheblich: Die Lauflänge der kleinen Fließ­ge­wässer im Wald müssen in Baden-Württemberg mit min­destens 15.500 km veranschlagt werden.

Kleine Fließgewässer im Wald sind nicht automatisch naturnahe Wald­bäche (siehe Abb. 1). Der Wald ist keine Insel der Seligen, auf der alle Dinge in Ordnung sind, sondern Produktionsstätte wie die übrige Landschaft auch. Kein Wunder also, wenn dies auch für die Fließ­ge­wässer des Waldes nicht ohne Folgen geblieben ist. Die kleinen Fließ­ge­wässer im Wald können also alle Stadien der Degradation von naturnah bis naturfern aufweisen. Allein die Lage im Wald ist mithin keine Garantie für Naturnähe. Wenn es aber noch irgendwo wirklich naturnahe Fließ­ge­wässer gibt, dann finden wir sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Wald.

Bei den folgenden Darstellungen stehen naturnahe Waldbäche im Vor­dergrund. Die Veränderung der Fließgewässer im Wald durch Forst­wirt­schaft und andere menschliche Einflussnahme wird in den nach­folgenden Beiträgen thematisiert.

Zu Funktion und Bedeutung kleiner Fließgewässer im Wald

Mit der Frage nach Funktion und Bedeutung kleiner Fließgewässer wird ein riesiges Feld eröffnet, das sich hier in diesem Rahmen nur schlag­licht­artig darstellen lässt. Prinzipiell kann zwischen zwei Betrachtungs­ebenen unterscheiden werden:

  • Wie greifen Strömung, Gewässerstrukturen und Lebens­ge­mein­schaften ineinander und bringen so vielfältige Fließgewässer hervor? Hier geht es um das "innere" funktionale Gefüge von Fließ­gewässern.
  • Welche Funktionen nehmen kleine Fließgewässer in der Landschaft wahr? Hier stehen landschaftsökologische Aspekte im Vordergrund.

Am Schluss des Beitrages gibt es Hinweise auf weiterführende Dar­stell­ung­en zu kleinen Fließgewässern.

Fließendes Wasser – die gestaltende Kraft unserer Landschaft

Zwei grundlegende Funktionen von Fließgewässern – ob groß oder klein, im Wald oder in der freien Landschaft – werden vorangestellt:

  • Fließgewässer stellen mit ihrem weit verzweigten Netz ein unver­zicht­bares Glied im Wasserkreislauf dar und bilden damit einen elemen­tar­en Bestandteil des Wasserhaushaltes.
  • Durch die Kraft des fließenden Wassers sind nicht nur Bäche und Flüsse selbst entstanden, sondern auch ihre Täler und Flussauen. Unsere gesamte Landschaft wurde und wird durch das fließende Wasser geprägt und mitgeformt – auch wenn sich dieser Prozess in für uns kaum wahrnehmbaren (geologischen) Zeiträumen vollzieht.

Neben diesen großräumigen und langsam vonstatten gehenden Land­schafts­veränderungen ist das fließende Wasser aber auch im Kleinen und in einem für uns wahrnehmbaren Zeitmaßstab wirksam: Die Strö­mung schafft Kolke, Prallhänge, Uferabbrüche, sie differenziert das Sohl­material nach Korngrößen, schafft und verändert das Mosaik der Klein­lebens­räume. Die Strömung bringt die Vielfalt der Gewässerstruktur hervor und unterwirft sie einem ständigen räumlichen und zeitlichen Wandel. Struk­tur­vielfalt und Dynamik naturnaher Fließgewässer und Auen sind ohne das strömende Wasser nicht denkbar.

Das Wirken des Wassers als gestaltende Kraft ist in Abbildung 2 für verschiedene Maßstabsebenen von Zeit und Raum prinzipiell dargestellt.

Längszonale Gliederung der Fließgewässer

Jedes natürliche Fließgewässer ändert seine charakteristischen Erschei­nungsformen auf seinem Weg von der Quelle zur Mündung. Ganz grob ergibt sich daraus die bekannte Gliederung in Quellbereich, Oberlauf, Mittellauf, Unterlauf und Mündungsbereich (siehe Abb. 3).

Der längszonale Wandel eines Gewässerlaufes betrifft nicht nur die phy­sio­grafischen Faktoren wie Gefälle, Strömung, Geschiebeführung oder Lauf­form, sondern er prägt und verändert gleichermaßen sämtliche Lebens­gemeinschaften des Gewässers.

Die Gewässerorganismen haben sich im Laufe ihrer Entwick­lungs­ge­schichte an die spezifischen Lebensbedingungen der sehr unter­schied­lichen Fließgewässerzonen angepasst und sozusagen "gelernt", dort zu existieren. So haben sich von der Quelle bis zur Mündung sehr unter­schied­liche Gewässerlebensgemeinschaften herausgebildet, die einander im Längsverlauf kontinuierlich ablösen. Diese Veränderungen sind so cha­rak­teristisch, dass sich ein natürliches Fließgewässer in verschiedene bio­zö­notische Zonen oder Flussregionen gliedern lässt. Am bekann­testen ist eine Einteilung aufgrund der Leitarten der Fischfauna.

Für unsere kleinen Waldbäche sind in dieser zonalen Gliederung Quell­bereich, Oberlauf und Mittellauf und damit die obere und untere Forellen­region wesentlich. Leitfische dieser Zone sind Bachforelle, Elritze und Groppe.

Die verschiedenen Regionen eines Gewässerlaufes gehen von der Quelle bis zur Mündung mehr oder weniger fließend in einander über, stehen durch das fließende Wasser, den Stofftransport und die Gewäs­ser­or­ga­nis­men mit einander in Verbindung und bilden ein zusammengehörendes Ganzes – man könnte auch sagen, ein Kontinuum.

Kleine Fließgewässer

Quellen und Quellrinnsale

Die Quellen besitzen aufgrund ihrer starken Grundwasserprägung sehr spezi­fische Lebensbedingungen und stellen einen eigenständigen Biotop­typ dar. Ihre Lebens­gemeinschaften ‑ das so genannte Eucrenon ‑ sind gekennzeichnet durch eine ganze Reihe hochspezialisierter Tier‑ und Pflanzenarten, von denen ein Großteil stark gefährdet ist.

Die Quellen ergießen sich meist in kleine Rinnsale, die noch in hohem Maß grundwasser­geprägt sind und daher viele quelltypische Merkmale auf­weisen. Dies gilt auch für die Besiedlung der Quellrinnsale, so dass sie mit zum Biotoptyp der Quellen gezählt werden (Hypocrenon).

Der Übergang vom Quellrinnsal zum kleinen Bach

Die starke Grundwasserprägung verringert sich mit zunehmender Ent­fer­nung von der Quelle rasch und die Quellrinnsale gehen fließend in kleine Bach­oberläufe über. Während die Quellrinnsale noch weitgehend oder aus­schließlich von Grundwasser gespeist werden, gewinnt der Ober­flächen­abfluss mit zunehmender Entfernung von der Quelle einen immer größeren Einfluss auf die Wasserführung. Dies bedeutet nicht nur, dass die Wasserführung (und damit der Bach) größer wird, sondern auch un­aus­geglichener. Das fließende Wasser ‑ und insbesondere das Hoch­was­ser ‑ wird zunehmend zur gestaltenden Kraft und zum bestimmenden öko­logischen Faktor. Sowohl die Gewässerstruktur als auch die Gewäs­ser­bio­zönosen werden zunehmend vom Faktor Strömung und seiner Dynamik bestimmt.

Die an die eigentliche Quellregion (Crenon) anschließende Bachzone wird als Rhitral bezeichnet. Sie ist gekennzeichnet durch sehr ausgeglichene, som­mer­kalte (kaltstenotherme) Wassertemperaturen und einen stets sehr hohen Sauerstoffgehalt des Wassers.

Die kleinen Bachläufe dieser Übergangskategorie sind oft kaum einen hal­ben Meter breit (siehe Abb. 6). Sie stellen jedoch einen sehr großen Anteil an der gesamten Lauflänge des Gewässersystems und er­strecken sich als immer feiner verzweigtes Netz bis in die entferntesten Win­kel unserer Landschaft. Diese oft recht unscheinbaren Fließgewässer be­sitzen daher sowohl für den Wasserhaushalt als auch für die Vernetz­ung unserer zerstückelten Landschaft einen hohen Stellenwert im Natur­haus­halt. Die hohe Bedeutung gerade dieser winzigen Fließgewässer ist in der Vergangenheit oft missachtet worden.

Bergbäche

Die meisten Waldbäche in Baden-Württemberg gehören zu den Berg­bächen, denn die größten zusammenhängenden Wälder gibt es in den Mittel­gebirgen. Die folgenden Betrachtungen erfolgen auf der Maß­stabs­ebene der kleinräumigen Gewässerstrukturen.

Typische Gewässerstrukturen

Abb. 6: Ein kleiner Nebenbach des Ehrenstetter Ahbaches im Südschwarzwald. Das linke Bild zeigt den kleinen Bach eingebettet in seinen begleitenden Auwald, das rechte sein Bach­bett.

Fließstrukturen

Auf seinem Weg vom Gebirge in die Ebene nimmt das Wasser unter­schied­liche Formen des Fließens an.

In gefällereichen Bergbachoberläufen stürzt das Wasser meist über eine Folge kleiner Abstürze und Schussrinnen zu Tal, die man als Kaskaden auffassen kann (siehe Abb. 7).

Eine Kaskade besteht dabei aus einem kleinen, natürlichen Absturz aus Blöcken oder anstehendem Fels, gefolgt von einem kleinen Becken, in das das Wasser hinein stürzt. Diese natürlichen Tosbecken können ent­weder sehr tief oder ‑ im anderen Extrem – sehr flach und breit sein. Dort sammelt sich das Wasser, um dann über den nächsten kleinen Absturz weiter hinab zu stürzen. So wechselt das Wasser beständig zwischen extremen Fließformen: Dem Stürzen und Tosen einerseits und einem fast behäbigen Kreisen in Kolken, Becken und Stillen andererseits. Trotz des hohen Gefälles und der großen Bewegtheit kommt das Wasser daher para­doxerweise nur relativ langsam voran. Mit dieser Art des Fließens geht eine maximale Energieumwandlung einher – ein Umstand, der so­wohl für die Gewässerstrukturen als auch für die Bewohner des Baches von großer Bedeutung ist.

Die enge räumliche Verzahnung extremer Fließstrukturen ist auch der Grund für die außergewöhn­liche Strukturvielfalt dieses Bachtypus. Neben nacktem, glattgeschliffenem Fels und großen Blöcken wird das Bachbett durch Geschiebe aller Korngrößen bis hinab zu feinkörnigem Material wie Sand gestaltet. Selbst Ansammlungen von angeschwemmtem Falllaub und anderem, teils fein zerriebenem organischen Material gehören zum Inventar der Kleinstrukturen und Kleinlebensräume.

Verringert sich das Gefälle, geht das kaskadenartige Fließen allmählich in eine Abfolge von Rauschen und Stillen über (siehe Abb. 8). In den "Rauschen" fließt das Wasser schnell und flach über grobes Sohlmaterial; in den "Stillen" strömt es dagegen meist tief und langsam dahin.

Dieser beinahe rhythmische Wechsel der Fließstruktur beruht auf einer natür­lichen Längsgliederung der Bachsohle. Ihre Entstehung ist an ein kompliziertes Zusammenspiel verschiedener Faktoren gebunden, das bisher kaum erforscht ist. Eine intakte Sohlenlängsgliederung, die sich leicht an der fast regelmäßigen Abfolge von Rauschen und Stillen erken­nen lässt, ist deshalb ein wichtiges Merkmal intakter, naturnaher Mittel­ge­birgs­bäche.

Bettstrukturen

Naturnahe Mittelgebirgsbäche besitzen ausgesprochen ungleichförmige Quer­profile, die in Abhängigkeit von der Sohlengliederung, der Geschie­be­führung, der Laufform und der Ufervegetation sehr stark in ihrer Breite und Tiefe variieren.

Die Bachsohlen besitzen eine sehr vielfältige Struktur. Nicht selten erwecken sie den Anschein eines chaotischen Mosaikes und täuschen darüber hinweg, dass ihre Strukturen einem ordnenden Prinzip unter­liegen: dem fließenden Wasser.

Folgende, miteinander im Wechselspiel stehende Faktoren haben großen Einfluss auf die Entstehung und den zeitlich-räumlichen Wandel der Bett­strukturen:

  1. Zunächst sind die oben beschriebene natürliche Längsgliederung der Bach­sohle sowie die damit verbundenen Fließstrukturen als wichtige strukturbestimmende Einflussgrößen zu nennen.
  2. Ferner spielt die natürliche Sohlpflasterung eine wichtige Rolle. Diese Pflaster­ung besteht aus dicht und fest gefügtem, grobem Sohl­material und verleiht der Bachsohle auch bei größeren Hoch­wasser­ab­flüssen eine relativ große Stabilität. Die natürliche Sohlpflasterung ist ein typisches Merkmal vieler naturnaher Mittelgebirgsbäche. Aller­dings gibt es auch bestimmte Bachtypen, an denen sich eine Sohl­pflaster­ung von Natur aus nicht oder nur unvollständig ausbilden kann, z.B. an Wildbächen oder an Sandbächen.
  3. Ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor für die Bettstruktur ist die Geschie­beführung. Während das feinkörnige Geschiebe, wie Sand, kon­tinuierlich auch bei normalen Abflüssen transportiert wird, be­wegt sich das gröbere Material nur bei Abflussspitzen schubartig bach­ab­wärts. Wenn das gröbere Geschiebe bei Hochwasser in Bewe­gung gerät, wandert es ein Stück weit auf der Sohle entlang, wird nach Korn­größen geordnet und kommt bei nachlassender Strö­mung wieder zum Stillstand. In diesem Augenblick entstehen unter­schied­lich zusammengesetzte, kleinere und größere Ablagerungen und bil­den ein differenziertes Strukturmosaik, das bis zum nächsten größeren Hochwasser in relativer Stabilität erhalten bleibt.

Das Hochwasser gestaltet nicht nur die Bachsohle, sondern durch seit­liche Erosion und Akkumulation auch die Uferbereiche. Es hinterspült Ufer, schafft kleine Inseln, lässt Uferbänke neu entstehen oder bringt sie zum Verschwinden.

Eine Übersicht über Bachspaltungen und Inselbereiche am Reisenbach im badischen Buntsandstein-Odenwald vermittelt einen Eindruck von der großen Formenvielfalt (siehe Abb. 10).

Die Lebensgemeinschaften

Tierwelt

Der fließende Wasserkörper von Bergbächen stellt mit seiner starken Strö­mung einen extremen Lebensraum dar, den nur sehr wenige Tier­arten mit ganz besonderen Anpassungsfähigkeiten besiedeln können. Im strömenden Wasser selbst vermögen daher nur wenige Tierarten zu exi­stieren, insbesondere Fische. Hier ist vor allem die Bachforelle zu nennen, die die kühltemperierten Bachoberläufe nicht selten als einzige Fisch­art besiedelt. Daher hat die Bachforelle dieser Bachzone den fische­rei­bio­lo­gischen Namen "Forellenregion" gegeben. Etwas weiter bach­abwärts – in der unteren Forellenregion ‑ gesellen sich dann häufig Groppe, Elritze und seltener auch Bachneunauge zur Bachforelle hinzu. Mit dem Hin­zu­treten der Äsche und einiger weiterer Fischarten beginnt dann die "Äschen­region" und kündigt an, dass der Bach in einen kleinen Fluss übergeht.

Anders als bei den Fischen gibt es unter den wirbellosen Tieren keine Arten, die in der Lage sind, den freien Wasserkörper eines Bergbaches dauer­haft zu besiedeln. Die Strömung würde diese Tiere unerbittlich fort­tragen und ihnen keinerlei Existenzmöglichkeiten lassen. Die wirbellosen Bewohner eines Bergbaches sind daher zwingend auf eine feste Unter­lage, wie Steine oder Äste, angewiesen, an die sie sich festklammern oder anheften können. Ferner haben sie spezielle Anpassungen in Körperbau und Verhalten entwickelt, um der ständigen Gefahr des Verdriftens zu ent­gehen. Einige Tiere halten sich mit Saugnäpfen an Steinen fest, andere nutzen den Strömungsschatten von Steinen oder Totholz. Manche Arten besitzen einen stark abgeflachten Körper, um der Strömung möglichst wenig Angriffsmöglichkeiten zu bieten.

Ein wesentlicher Lebensraum der Mittelgebirgsbäche bleibt unseren Augen weitgehend verborgen und ist dennoch von elementarer Bedeut­ung. Er umfasst den aus Geschiebe bestehenden, lückenreichen und vom Wasser des Baches stetig durchströmten Schotter- oder Kieskörper unter der Bachsohle – das Interstitial. Aufgrund der ausgeglichenen Tempera­tur- und Strömungsverhältnisse herrschen hier viel günstigere Lebens­be­ding­ungen als im fließenden Wasserkörper. Die Bachsohle und das dar­unter liegende Interstitial stellen daher die am dichtesten besiedelten Lebens­räume im Bergbach dar. Eine große Zahl von Tierarten der Fließ­ge­wässerfauna verbringt ihre empfindlichen Jugendstadien im ver­bor­genen Lückensystem unter der Bachsohle. Beispiele sind Bachforelle, Äsche und andere Kieslaicher (siehe Abb. 11).

Trotz ihrer in vieler Hinsicht extremen Lebensbedingungen stellen die Berg­bäche außergewöhnlich artenreiche Lebensräume dar. Der Schlüs­sel für diese Vielfalt ist ihr großer Strukturreichtum, der biologisch betrachtet entscheidend ist für Anzahl und Mosaik der besiedelbaren Klein­lebens­räume oder Habitate. Viele Arten besitzen aufgrund ihrer Er­nähr­ungs­weise und anderer Anpassungen an den Lebensraum "Berg­bach" spezi­fische Bindungen an bestimmte Habitattypen. Die Abb. 12 zeigt den Aus­schnitt eines Bergbaches mit seinem typischen Mosaik der Substrate bzw. Habitate und deren jeweiligen spezifischen Bewohnern in beispiel­hafter Auswahl.

Pflanzenwelt

Höhere Wasserpflanzen fehlen weitgehend in den schnell fließenden, tur­bu­lenten Bergbachoberläufen. Nur in strömungsberuhigten und vor Ge­schie­betrieb besonders geschützten Bereichen können sich vereinzelt Wasser­pflanzen ansiedeln. Erst in der unteren Forellen- sowie der Äschen­region gelingt es einigen Wasserpflanzen, steter Bestandteil der Gewässerlebensgemeinschaften zu werden. Dabei handelt es sich meist um besonders strömungsangepasste Arten wie z.B. Haken-Wasserstern (Callitriche hamulata), Schild-Wasserhahnenfuß (Ranunculus peltatus) oder Aufrechte Bachberle (Berula erecta f. submersa).

Ganz anders sieht es dagegen bei den Moosen und Algen aus. Sie bilden einen festen Bestandteil vieler Bergbäche. Insbesondere die kalkarmen Bäche (Silikat-Bäche) weisen nicht selten eine reiche, bachspezifische Moos­vegetation auf. Sie bilden wichtige Kleinstrukturen, die das Mosaik der Kleinlebensräume bereichern.

Eine weitere wichtige Gruppe bilden die Kieselalgen (Diatomeen), die zu den einzelligen Pflanzen gehören. Sie bilden artenreiche Gesellschaften und überziehen die Gerölle des Bachbettes mit dünnen, bräunlichen Krusten. Sie werden von einer Vielzahl von Bachbewohnern regelrecht abge­weidet und haben als Nahrungsrundlage für die wirbellosen Tiere eine wichtige Funktion.

Ufersäume

Die Uferbereiche werden ebenso wie die Bachsohle durch die Dynamik des wechselnden Abflusses und die damit verbundenen Sedimentations- und Erosionsprozesse geprägt. Sie sind daher ebenfalls durch bach­spezifische Lebensgemeinschaften gekennzeichnet. Hier ist vor allem der Bach-Erlen-Eschenwald (Stellario-Alnetumglutinosae) zu nennen. Er ist beson­ders gut ausgebildet entlang der etwas größeren, gehölz­be­stan­denen Wiesenbäche, deren Täler eine Talsohle ausgebildet haben. Der Bach-Erlen-Eschenwald kann hier sehr dichte und geschlossene Bestände bilden und wird dann zu einem prägenden Element des Land­schafts­bildes der Wiesentäler.

Dieses wunderbare Bild kennen wir alle – und wenn wir uns mit diesem (Ideal-)Bild in den Wald begeben und dort an entsprechenden Bächen einen vergleichbaren Bach-Erlen-Eschenwald suchen, dann folgt zumeist eine Ernüchterung:

Wenn wir dort überhaupt einen Bach-Erlen-Eschenwald finden, dann ist er aus­gesprochen lückig aufgebaut, als schmales Band, das – betrachten wir die Baumschicht – immer wieder unterbrochen scheint. Das hat zu­meist mehrere Gründe: Natürliche und nutzungsbedingte. Die natürlichen Gründe beruhen darauf, dass der Bach-Erlen-Eschenwald im Wald der Kon­kurrenz des angrenzenden Waldes ausgesetzt ist. Ferner ist der Bach-Erlen-Eschenwald ein schlechter Wirtschaftswald, ein Waldtyp also, der zumindest in der Vergangenheit nicht gefördert, sondern allenfalls geduldet wurde, und deshalb selten vorkommt.

Wie sieht denn nun ein natürlicher bachbegleitender Uferwald an einem natür­lichen Bach in einem natürlichen Wald aus? Diese Frage muss meiner Meinung nach noch weiter untersucht werden, bis man sie in allen Aspekten begründet beantworten kann.

Jeder Bach - wie groß oder wie klein er auch immer sei - besitzt von Natur aus einen bachspezifischen Ufersaum. Dieser bildet einen unersetzbaren funktionalen Bestandteil eines natürlichen Fließgewässers.

Die entscheidenden Fragen sind: Wie breit ist ein bachtypischer Ufer­saum? Wie setzt er sich zusammen? Auf diese Frage gibt Bönecke (2004) eine pragmatische Antwort.

Abschließend werden zum Thema Ufersäume einige Aspekte angeführt, warum intakte Ufergehölzsäume so eine herausragende Bedeu­tung für kleine Fließgewässer besitzen:

  • Förderung einer vielgestaltigen, strukturreichen Ausbildung der Ufer und damit auch der Gewässersohle, Herausbildung gewässer­typisch­er Ufer- und Kleinstrukturen, z.B. flutende Wurzelbärte oder Unter­stände für Forellen.
  • Eintrag von Laub - insbesondere der Schwarzerle - als unver­zicht­bare Nahrungsquelle für eine ganze Gruppe von Organismen (z.B. Bach­flohkrebse).
  • Eintrag von Fallholz als besiedelbares Hartsubstrat; dies ist insbe­son­dere in langsam fließenden Bächen mit feinsedimentreichen Sohl­substraten von großer Bedeutung.
  • Eintrag von größeren Ästen und Stämmen (Totholz) als struk­tur­bil­den­des und zugleich die eigendynamische Entwicklung förderndes Element.
  • Aufgrund der Beschattung geringere sommerliche Erwärmung, da­durch ausgeglichenere Sauerstoff-Verhältnisse im Wasser.
  • Ufergehölze dienen Wasserinsekten als Sitzwarte oder als Orientier­ung für bachaufwärts gerichtete Kompensationsflüge.

Regionale Bachtypen in Baden-Württemberg

Fließgewässer stehen in inniger Wechselwirkung mit der umgebenden Land­schaft. Dies gilt umso mehr, je kleiner sie sind – also ganz beson­ders für Bäche.

Aufgrund der starken Prägung durch ihr Einzugsgebiet sind die Bäche ein Spiegel ihrer Landschaft. Oder mit anderen Worten: Jede Landschaft hat ihre eigenen, regional­spezifischen Bäche. Je nach Ausprägung der Land­schaft – insbesondere von Geologie, Relief, Höhenlage und Klima – besitzen die Bäche jeweils charakteristische Gewässer­strukturen und Lebens­gemeinschaften. Aufgrund ihrer spezifischen Ausprägungen lassen sich die Bäche bestimmter Naturräume (hier Gewässer­land­schaften) zu regionalen Bachtypen zusammenfassen (siehe Forschungs­gruppe Fließ­gewässer 1998).

Seiner mannigfaltigen Landschaftsgliederung verdankt Baden-Württem­berg eine große Vielfalt unterschiedlicher (regionaler) Bachtypen. Insge­samt sind 11 Fließgewässerlandschaften mit unterschiedlichen regionalen Bach­ausprägungen ausgewiesen. Briem (1999) hat die morphologischen Strukturen dieser Gewässertypen vor allem auf den höheren Maßstabsebenen anschaulich beschrieben.

Zur Bedeutung kleiner Fließgewässer im Wald

Fließgewässer – vernetzte lineare Systeme in der Land­schaft

Natürliche Fließgewässer sind in der Regel biologisch durchgängig – also von ihren Bewohnern ungehindert durchwanderbar. Dies Kriterium gilt nicht nur für die Fische, sondern auch für die Kleintierwelt der Gewässer. Die biologische Durchgängigkeit ist die Voraussetzung, um die innere Funk­tionsfähigkeit des vernetzten Systems "Fließgewässer" zu wahren.

Dass die Durchgängigkeit der Fließgewässer in der freien Landschaft und erst recht in den Siedlungsbereichen vielfach nicht erfüllt ist, ist keine Neuig­keit. Dass es um die Durchgängigkeit kleiner Fließgewässer im Wald in vielen Fällen nicht gut bestellt ist, überrascht dagegen.

Fließgewässer – Lebensadern der Landschaft

Die Fließgewässer und ihr feinverzweigtes Netz bilden in unserer Land­schaft die Vernetzungselemente par excellence. Diese Funktion zu för­dern oder wieder herzustellen erscheint um so dringender, je mehr die Land­schaft zerschnitten und in isolierte Funktionsbereiche zersplittert wird (siehe § 31 BNatschG).

Schon immer erfüllten die Fließgewässer wichtige und unersetzbare Ver­netzungs­funktionen: Auch in der von Wald beherrschten Naturlandschaft sind die Fließgewässer zusammen mit ihren begleitenden Auwäldern wichtige Wanderungs- und Ausbreitungskorridore gewesen.

Wenn wir die Vernetzungsfunktion der kleinen Fließgewässer im Wald erhal­ten oder fördern wollen, dann heißt das in erster Linie: Fließ­ge­wässer und bachbegleitender Auwald sind als eine zusammengehörige Einheit zu betrachten. Sie bilden einen Biotopkomplex, der sich als durch­gehen­des Band in naturnaher Zusammensetzung und Struktur durch den an­gren­zenden Wald zieht. Um dieses Ziel zu erreichen, unterbreitet Bönecke (2004) einen konkreten Vorschlag.

Naturnahe Waldbäche - Refugien gefährdeter Arten und Lebens­gemeinschaften

Naturnahe Waldbäche sind häufig Lebensraum hochgradig gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Schon aus diesem Grund sind naturnahe Fließ­ge­wässer im Wald für den Arten- und Biotopschutz von herausragender Bedeu­tung.

Als Refugien seltener und gefährdeter Arten bilden Waldbäche zugleich auch Zentren für die Wiederausbreitung und Neubesiedlung renaturierter Fließ­gewässer.

Naturnahe Waldbäche und Hochwasservorsorge

Der Hochwasserschutz sollte nicht erst beim Bau neuer Polder an den großen Flüssen beginnen, sondern dort, wo sich der Abfluss bildet. Das sind letztendlich die unzähligen kleinen Fließgewässer. Es muss sozu­sagen am Ursprung des Geschehens darum gehen, die natürlichen Möglich­keiten zu nutzen, den Oberflächenabfluss zu verringern und zu ver­zögern und den Hochwasserabfluss zurückzuhalten.

Im Wald bieten sich hierzu – ganz im Gegensatz zur freien Landschaft – her­vor­ragende Möglichkeiten:

  1. Schutz und Entwicklung eines naturnahen Waldes
    Kein anderer Vegetationstyp besitzt eine so ausgleichende Wirkung auf den Wasserhaushalt wie ein naturnaher Wald (hohe Ver­dun­st­ung, geringer Oberflächenabfluss).
  2. Schutz und Entwicklung naturnaher Fließgewässer
    Förderung rauher Bettstrukturen, z.B. durch Duldung von Totholz, um den Abfluss zu bremsen und ein frühzeitiges Ausborden in die Fläche ‑ den bachbegleitenden Auwald ‑ zu fördern
  3. Schutz und Entwicklung naturnaher bachbegleitender Auwälder
    Sie sollen möglichst häufig beim Abfluss auch kleinerer Hochwasser mit­wirken und den Abfluss verzögern.

Ein kleiner Waldbach mit seinem schmalen Auwaldsaum, der nach den genann­ten Kriterien optimiert wurde, wird noch keinen großen Effekt bringen. Aber viele kleine Waldbäche mit Tausenden von Kilometern Lauf­länge und ihren zugehörigen Auwäldern werden ins Gewicht fallen.

Hier liegt ein erhebliches Potenzial brach, das sich durch geschickte Gewässer- und Auenentwicklung nutzen lässt. Dann wird Gewässerentwicklung im Wald auch zu einem effektiven Bei­trag zur Hochwasservorsorge. In Zeiten eines sich ankündigenden Klima­wandels erscheint dies dringender denn je.

Naturnahe Waldbäche – konkrete Leitbilder für die Gewässerentwicklung

Ohne eine genaue Kenntnis der Strukturen und Lebensgemeinschaften natur­naher Fließgewässer können degradierte Fließgewässer weder korrekt bewertet noch ihre "Renaturierung" vernünftig geplant werden.

Wo soll dieses notwendige Wissen erworben werden, wenn nicht an den wenigen noch verbliebenen naturnahen Fließgewässern im Wald?

Weiterführende Literatur

  • Ein Bach ist mehr als Wasser. Materialien für einen fächerverbindenden, projektorientierten Unterricht zum Thema Ökologie und Schutz von Fließgewässern (Graw & Borchardt 1999). Auch im Internet als pdf-Dokument bereitgestellt unter: Unterrichtsmaterialien "Schule und Wasser"