Der Erfolg von Durchgängigkeitsmaßnahmen oder anders ausgedrückt, deren ökologische Wirksamkeit, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Verfügt man über Angaben zur Qualität dieser Faktoren ist man in der Lage, recht genau zu beurteilen, an welchen Fließgewässern bzw. Gewässerstrecken Durchgängigkeitsmaßnahmen besonders Erfolg versprechend durchgeführt werden können.

Für die Anwendung in der Praxis wurden die Faktoren in einer Tabelle zusammengestellt, die als Entscheidungshilfe dienen soll (Anlage 1 63KB). Zur Beurteilung der ökologischen Wirksamkeit von Durchgängigkeitsmaßnahmen werden am besten möglichst lange Fließgewässerstrecken betrachtet (mehrere Kilometer). Liegt für mehrere geplante Maßnahmen eine Beurteilung der ökologischen Wirksamkeit vor, kann schließlich auch die Priorität, mit der einzelne Maßnahmen umgesetzt werden sollen, bestimmt werden. Das ist besonders bei knappen Ressourcen von Bedeutung, da auf diese Weise die ökologisch effektivsten Maßnahmen zuerst zur Umsetzung vorgesehen werden können.

Die Bestimmung der ökologischen Wirksamkeit von Durchgängigkeitsmaßnahmen basiert auf der Beurteilung von sechs Faktoren:

  • chemische Wasserqualität
  • Gewässergüte (Saprobie)
  • morphologisch-strukturelle Belastungen
  • hydrologische Belastungen
  • Naturnähe des Gewässerumfeldes
  • Distanz zum nächsten ober- und unterhalb gelegenen Wanderhindernis

Die Reihenfolge der Aufzählung enthält bereits eine Gewichtung. Sie beschreibt die Relevanz der einzelnen Faktoren für die ökologische Wirksamkeit. Die chemische Wasserqualität und die Gewässergüte stehen hierbei ganz oben. Nur dort, wo die Wasserqualität und die Gewässergüte naturraumtypischen Referenzwerten für den guten Gewässerzustand entsprechen, machen Durchgängigkeitsmaßnahmen wirklich Sinn, gemäß dem Grundsatz "zuerst sauberes Wasser und dann Durchgängigkeit". Die Tabelle in Anlage 1 (63KB) enthält im oberen Teil eine entsprechende Auflistung. Zu jedem Faktor ist angegeben, unter welchen Voraussetzungen Durchgängigkeitsmaßnahmen vor- bzw. nachrangig sind. Nachstehend wird die Bedeutung der einzelnen Faktoren näher erläutert.

Chemische Wasserqualität

Eine schlechte chemische Wasserqualität geht an Fließgewässern im Wald hauptsächlich auf Beeinträchtigungen durch anthropogen verursachte Versauerung (Saurer Regen) zurück. Sie tritt bei Fließgewässern in Gebieten mit Böden auf, die ein geringes natürliches Pufferungsvermögen besitzen. Die Situation der anthropogen versauerten Gewässer hat sich seit Mitte der 1980er Jahre leicht verbessert. Voraussetzung hierfür war der Rückgang des Eintrags von sauer wirkenden Luftschadstoffen, vor allem Schwefeldioxid. Gewässerversauerung kann durch Maßnahmen auf lokaler Ebene nur bedingt beeinflusst werden. Effekte durch Bodenschutzkalkungen können nur langfristig erwartet werden.

Gewässergüte

Die Gewässergüte (Saprobie) entspricht bei der Mehrzahl der Fließgewässer im Wald der zu erwartenden optimalen Wasserqualität der Güteklasse I-II. Mit erhöhten Belastungsgraden durch Nährstoffeinträge muss dort gerechnet werden, wo Gewässer außer durch Wald auch durch landwirtschaftlich genutzte Flächen fließen. Starke Belastungen können außerdem durch Einschwemmungen aus Fischteichen und Restwassereinleitungen aus (Haus-)Kläranlagen verursacht werden.

Morphologisch-strukturelle und hydrologische Belastungen

Der Faktor morphologisch-strukturelle Belastungen bezieht sich auf Eingriffe in die Linienführung, das Längs- und Querprofil und Verbauungen von Sohle und Ufer. Eingriffe in die Linienführung und Längs- und Querprofil gehen im Wald überwiegend zu Lasten des forstlichen Wegebaus. Wurden Waldwege in der Talsohle von Kerbtälern und engen Kerbsohlentälern gebaut, so musste der Bach zur Seite weichen und wurde, in der Breite deutlich reduziert, oft in ein grabenartiges Bett verlegt. Als Folge von Laufverkürzungen und verengten Abflussprofilen tritt bei Gewässern mit beweglichem Sohlsubstrat Tiefenerosion auf, die dazu führen kann, dass sich hohe Sohlenstufen bilden, die von Kleinlebewesen und eventuell auch Fischen nicht mehr überwunden werden können.

Verbauungen aus Steinen und Holz treten an Gewässerstrecken im Wald teils in Verbindung mit historischen Gewässernutzungen auf, wie der Trift und der Flößerei. Auch Kleinbauten für die Wiesenwässerung finden sich im Wald, dort wo die unrentabel gewordenen Wiesen durch Aufforstung verschwunden sind. Sind Veränderungen oder gar der Rückbau solcher Bauwerke geplant, sind die Hinweise zu Einschränkungen für Durchgängigkeitsmaßnahmen in Tabelle in Anlage 1 (63KB) unter "Denkmalpflege" zu beachten.

Liegen Fischteiche im Hauptschluss, sind sie Ursache für hydrologische Belastungen durch Stauhaltung. Je nach Größe der Anlage kommt es zu einem vollständigen Milieuwechsel, vom Fließgewässer zum Stillgewässer, mit einer daraus resultierenden Unterbrechung der Durchgängigkeit für Fließwassertiere.

Beeinträchtigungen der Naturnähe des Gewässerumfeldes

Aus Beeinträchtigungen der Naturnähe des Gewässerumfeldes ergeben sich nur ausnahmsweise Einschränkungen für Durchgängigkeitsmaßnahmen. An Bachstrecken im Wald sollen Maßnahmen dann zurückgestellt werden, wenn ein Gewässer auf langer Strecke ein- oder gar beidseitig von Waldwegen eingefasst und das Bachbett überwiegend naturfern ist.

Distanz zum nächsten ober- und unterhalb gelegenen Wanderhindernis

Ein wichtiger Faktor ist die Lage einer geplanten Durchgängigkeitsmaßnahme zum nächsten ober- und unterhalb gelegenen Wanderhindernis. Dies gilt besonders für Einzelmaßnahmen, bei denen der großräumige Gewässerverbund im Vordergrund steht. Denn die Wiederherstellung der Durchgängigkeit an Wanderhindernissen, die einen sehr großen Abstand zum nächsten unter- und oberhalb gelegenen Hindernis haben, kommt vor allem den Arten zu Gute, die beträchtliche Wege innerhalb der Fließgewässer zurücklegen. Für diese Arten kommt es ganz besonders darauf an, Durchgängigkeit zuerst an den Stellen zu schaffen, wo die zu erwartende ökologische Wirkung hinsichtlich Erhalt und Entwicklung einer gewässertypischen Fauna am größten ist.

Einzelne Durchgängigkeitsmaßnahmen im Unterlauf sind von Vorteil, wenn die Gewässerstrecken oberhalb ‑ im Idealfall bis zur Quelle ‑ hindernisfrei sind. Durchgängigkeitsmaßnahmen zum Anschluss von kleinen Seitengewässern an den Hauptlauf schaffen vor allem Zugang zu Laichgewässern und Aufwuchsgewässern für Jungfische. Solche Maßnahmen können nicht hoch genug bewertet werden. Beeinträchtigungen von Fischbeständen können in vielen Fließgewässern vermutlich genau durch Verbesserung des Zugangs zu geeigneten Laich- und Aufwuchshabitaten behoben werden.

Wurde festgestellt, dass der Fischbestand oberhalb eines Wanderhindernisses erloschen ist, müssen zuerst die Ursachen geklärt werden. Als anthropogene Ursachen kommen in erster Linie Gewässerverschmutzungen infrage. Sind anthropogene Störungen in Zukunft weitgehend auszuschließen, ist es natürlich besonders wirkungsvoll, aktuell von Fischen nicht besiedelte Gewässerstrecken für eine natürliche Zuwanderung zu öffnen. Natürlicherweise verschwinden Fische vor allem durch das Trockenfallen von Gewässerstrecken, seltener auch einmal durch ein extremes Hochwasserereignis. Nach solchen Katastrophen kann eine Wiederbesiedlung aus dem Unterlauf wegen Ausbreitungshindernissen vielfach nicht mehr stattfinden.

Bei der Umsetzung von Durchgängigkeitsmaßnahmen stellt sich ab und zu auch die Frage, wie mit Gewässersystemen umgegangen werden soll, die einem großräumigen Verbund durchwanderbarer Fließgewässer mehr oder weniger dauerhaft entzogen wurden. Der Fall wäre das z.B. bei einer Talsperre, die gewässeraufwärts überhaupt nicht mehr passierbar ist. Eine solche Situation spielt ‑ außer für Langdistanzwanderer ‑ keine Rolle, solange das oberhalb der Wanderbarriere gelegene Gewässersystem aufgrund seiner Ausdehnung ein gute Habitatqualität hat. Gerade bei solchen isolierten Gewässersystemen kommt der Durchwanderbarkeit für den Erhalt der vorhandenen Fischpopulationen große Bedeutung zu.

Die Tabelle in Anlage 1 (63KB) enthält im unteren Teil Hinweise auf Einschränkungen für Durchgängigkeitsmaßnahmen. Diese betreffen den Schutz bedrohter Arten und den Denkmalschutz. Diese Hinweise sind unbedingt zu beachten. Besteht über Vorkommen von Krebsen oder Muscheln Unklarheit, müssen Erkundigungen bei Fischereibehörden, der Naturschutzverwaltung oder ortskundigen Artenexperten eingezogen werden.

Bei der Planung und Ausführung von Durchgängigkeitsmaßnahmen sind die Vorschriften des Wasser- und Naturschutzrechts zu beachten. Geplante Durchgängigkeitsmaßnahmen sollen der zuständigen Wasserbehörde grundsätzlich zur Kenntnis gebracht werden. Ob Durchgängigkeitsmaßnahmen im Rahmen der Gewässerunterhaltung erfolgen können, ist vom Einzelfall abhängig. Hinweise hierzu enthält der Beitrag "Durchgängigkeitsmaßnahmen – Gewässerausbau oder Gewässerunterhaltung?", der ebenfalls im Internethandbuch Wald und Wasser enthalten ist.

Beispiele zur Anwendung der Entscheidungshilfe

Die folgenden beiden Beispiele veranschaulichen noch einmal, wie mit der Entscheidungshilfe bestimmt werden kann, an welchen Fließgewässern bzw. Gewässerstrecken Durchgängigkeitsmaßnahmen sinnvoll sind und wo (noch) nicht:

Beispiel 1:

An einem durch Wanderungshindernisse zerschnittenen, hinsichtlich der morphologischen Strukturen aber naturnahen Mittelgebirgsbach, soll die Durchgängigkeit wieder hergestellt werden. Allerdings handelt es sich um einen ständig stark versauerten Bach (pH-Wert in der Regel ganzjährig unter 5,5), in dem aufgrund des chemischen Gewässerzustands für den Aufwuchs von Fischen, aber auch das Makrozoobenthos ungünstige Lebensbedingungen herrschen. Es stellt sich heraus, dass es an diesem Bach derzeit nicht sinnvoll ist, Durchgängigkeitsmaßnahmen durchzuführen.

Beispiel 2:

An einem Mittelgebirgsbach kann durch die Umgestaltung von zwei Wanderhindernissen der Bach von der Quelle bis zur Mündung durchgängig gestaltet werden. Entlang des Baches liegen im Nebenschluss intensiv bewirtschaftete Fischteiche. An einem benachbarten Bach müssen von der Quelle bis zur Mündung fünf Wanderhindernisse entfernt oder umgestaltet werden, um die Durchgängigkeit herzustellen. Schließlich ergibt sich, dass vorrangig die fünf Wanderhindernisse rückgebaut oder umgestaltet werden sollen. Am Bach mit den zwei Hindernissen ist die Gewässergüte aufgrund der Abgabe von organisch stark belastetem Wasser aus den Fischteichen überwiegend schlechter als Güteklasse II. Auf absehbare Zeit ist keine nachhaltige Verbesserung der Wasserqualität zu erwarten, weshalb hier vorläufig keine Durchgängigkeitsmaßnahmen geplant werden.

Literatur

  • SCHABER-SCHOOR, G. (2007): Kleine Gewässerläufe im Wald – Grundlagen für den Erhalt und die Entwicklung naturnaher Bachläufe in bewirtschafteten Wäldern. Schriftenreihe Institut für Landepflege, Culterra 49, Freiburg, 247 S. u. Anhang