Nicht nur Ästhetik und Verkehrssicherheit dürfen als Parameter für baumpflegerische Massnahmen betrachtet werden, meint Nicolas A. Klöhn aus Berlin und wirbt für mehr Rücksicht auf ökologische Belange. 

In der Baumpflege gibt es eine anhaltende Diskussion über Art und Umfang von Rückschnitten. Von unterschiedlicher Seite wird die Schädlichkeit von stärkeren Rückschnitten oder Kappungen beklagt. Die Tendenz ging zuletzt eher zu "sanfteren Schnitten“ mit kleineren Schnittflächen und der Erhaltung des "arttypischen Habitus“. Die Verseilung wird so häufig empfohlen, dass sie beinahe zur "Regelmassnahme“ wird.

Es stellt sich die Frage, ob es ökologisch begründet ist oder eher finanziell, denn Verseilung oder häufige Kronennachschnitte sind kostspielig für den Auftraggeber und geldbringend für den Auftragnehmer.

Als "baumfreundlich“ gilt ein Baumpfleger meist, wenn er möglichst wenig schneidet oder verseilt. Wenn solche Massnahmen jedoch mechanisch unnötig oder Verseilungen gar falsch dimensioniert sind, könnten sie leicht Geldverschwendung sein. Wenn Sicherungsmaßnahmen mechanisch geboten sind, müssen sie entsprechend den tatsächlichen Sicherheitserfordernissen dimensioniert sein – das heißt in der Regel: Einkürzung der Hebelarme.

Wenn richtig erkannt wird, dass eine "habituserhaltende Schnittmaßnahme“ eventuell mit Verseilung zur Sicherung nicht ausreicht, wird leider viel zu oft die Fällung vorgezogen. Spätestens dann wird die bis dahin erklärte "Naturfreundlichkeit“ ins Gegenteil umgekehrt..

Ökologie contra Baumpflege?

Zu Recht wird immer wieder der hohe ökologische Wert der Bäume dargestellt. Einige heimische Baumarten können potenziell von mehr als 1'000 Arten besiedelt werden. Bäume mit ausgedehnter Holzzersetzung sind für den Sicherungspflichtigen problematisch. Jedoch bieten erst Bäume, die von Holz zersetzenden Pilzen besiedelt werden (auch unter ihnen gibt es schützenswerte, seltene und bedrohte Arten, wie Nördlicher Stachelseitling und Laubholz-Schwammporling) einer Vielzahl von Insekten, Schnecken, Kleinsäugern, Vögeln Brut- und Lebensraum beziehungsweise Nahrung.

Gerade unter den Käfern findet man diesbezüglich hohe Spezialisierungsgrade. Einige ernähren sich beispielsweise als Larven von Holz-/Mycelgemischen, wobei neben Temperatur- und Feuchtigkeitsgradienten die Pilz-Wirtverhältnisse die Besiedelbarkeit für viele Arten entscheidend beeinflussen. Viele Insekten sind auch auf die Besiedlung bestimmter Pilzfruchtkörper spezialisiert.

Biotopbäume im Wald

Wenn solche Potenziale allein auf die wenigen naturnahen Wälder beschränkt blieben, würde dies wegen der oft fehlenden Strukturvernetzung zur Gefährdung insbesondere vieler bereits bedrohter Arten führen, da die Wälder in großen Teilen frei von geeigneten Biotopbäumen sind. Der Wirtschaftswald ist in weiten Teilen erschreckend strukturarm. "Neue“ Biotop-Bäumen würden aufgrund des langen Baumalterungsprozesses Jahrzehnte brauchen, um diese Funktionen wahrnehmen zu können.

Altbäume im Siedlungsraum dienen der Biotopvernetzung

Besonders bedrohte Arten finden sich aber sehr häufig auch im Siedlungsraum: In Parkanlagen (besonders in alten historischen), Gärten oder an Straßen (alte Alleen) befinden sich Altbäume, mit den entsprechenden besiedelbaren Strukturen in größerer Zahl und Dichte.

An diesen Stellen wurden die Altbäume aus verschiedenen kulturellen Gründen erhalten (Sympathie, Gestaltung, Identifikation). Daher sind auch hier die vorkommenden bedrohten Tierarten verantwortungsvoll zu schützen, die auf diese Altbäume unbedingt angewiesen sind.

So gibt es beispielsweise in einigen Parkanlagen Deutschlands bedeutende Vorkommen bedrohter Käferarten, die oft zu den "Urwaldrelikten" zählen. Man findet sie zumeist in stark reduzierten oder gekappten Bäumen. Viele dieser Käferarten besitzen nur sehr schwache Flugfähigkeiten und sind somit durch die "Verinselung“ ihrer Habitate bedroht. Die bestehenden Strukturen müssen daher für eine erfolgreiche Artensicherung ausgedehnt und vernetzt werden.

Folglich ist zu fordern, dass diese wichtigen Nischenpotenziale bei der Abwägung zur Erhaltungswürdigkeit solcher "geschädigter“ Bäume zukünftig eine größere Bedeutung erlangen.

Natur- und Artenschutz berücksichtigen

Viele der besonders bedrohten Arten und Arten, die auf "Roten Listen“ geführt werden, sind auf Holzzersetzung in Bäumen angewiesen oder an solche Biotopformen eng gebunden Beispiele sind: Weidenmeise, Mittelspecht, Eremit, Feuerschmied, Heldbock oder Hirschkäfer.. Dass sich diese Arten auf vielen "Roten Listen“ befinden, ist vor allem eine Folge des Mangels geeigneter Bäume, beziehungsweise deren vorfristigen Fällung aus Gründen der Verkehrssicherung oder des subjektiven ästhetischen Empfindens.

Zur Regelung dieser Problemlage wurden in Deutschland bereits gesetzliche Reglungen (Baumschutzsatzungen und –verordnungen,"Naturdenkmalrecht“ sowie weitere rechtliche Schutzvorschriften).getroffen. Zu den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege in Deutschland, gehört es laut Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen. Bäume sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschützt, wenn sie Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätte besonders geschützter Arten sind. Weitere Artenschutzerfordernisse ergeben sich auch aus der FaunaFloraHabitat-Richtlinie.(FFH).

Unabhängig von Diskussionen in der Baumpflege sind die Belange des Natur- und Artenschutzes zu berücksichtigen. Der "biomechanisch fundierte Baumschnitt“ kommt den Belangen des Artenschutzes entgegen, da er bei fachgerechter Baumpflege eine längerfristige Erhaltung vorhandener Biotope ermöglicht und bisweilen sogar neue schafft (einfaulende große Schnittstellen).

Verkrüppelt für den Naturschutz?

Unser ästhetisches Empfinden, insbesondere auch Bäume betreffend, ist von lokalen Einflüssen sowie dem "Zeitgeschmack“ beeinflusst. In Europa variiert das ästhetische Empfinden erheblich.

In den Mittelmeerländern hat man mit gekappten Bäumen kaum Probleme. Daher gibt es dort eine höhere Dichte seltener Arten. Bäume werden in diesen Ländern bereits seit der Antike aus verschiedensten Gründen gekappt.

In Großbritannien werden zum Teil erst besonders gezeichnete, zumeist gekappte Bäume als "ehrwürdige Bäume“ bezeichnet. Dort ist man auf die hohe Anzahl der "Uraltbäume“ besonders stolz. Hier ist auch viel Literatur verfügbar, die sich ausführlich nicht nur mit dem naturschutzfachlichen Wert der Altbäume, sondern auch mit ihrer besonderen Erhaltungspflege auseinandersetzt.

In der Kunst-Epoche der Romantik wurden Motive vergehender Natur häufig als Allegorie auf das Leben verwendet. Bekannt sind beispielsweise Werke des Malers Caspar David Friedrich, in dessen Bildern häufig anbrüchige Baumgestalten vorkommen, die in diesem Zusammenhang mit Sicherheit als ästhetisch, nämlich als wahrhaftig, anrührend und nachdenkenswert empfunden worden sind und auch heute noch werden. Andere Beispiele sind barocke Formschnitte und gekappte Altbäume in dörflichen Siedlungen.

Der Artenschutz erfordert langfristiges und nachhaltiges Handeln. Der sich wandelnde Zeitgeschmack sollte keine Rolle spielen. Erfreulicherweise beginnen sich die ästhetischen Ansprüche an die Baumpflege zu verändern. Mit dem insgesamt stärker werdenden Interesse und Verständnis für die ökologischen Prozesse innerhalb der Erscheinungsformen "Werden, Wachsen und Vergehen“, kann man bei den sogenannten, "betrachtenden Endverbrauchern“ eine neue Tendenz erkennen. Auch vergehende Natur wird zunehmend im unmittelbaren Lebensbereich – sei es in der Wohnsiedlung, in Park oder Stadtwald – nicht nur akzeptiert, sondern auch bewusst wahrgenommen und geschätzt.

Zurzeit werden noch höchst abweichende Positionen vertreten. Auch einige Naturschützer müssen lernen, dass es bei vielen der schützenswerten Biotopholz-Lebensgemeinschaften in erster Linie auf einen stehenden, möglichst starken Stamm ankommt. Doch bisweilen werden Bäume, die aus Gründen der Verkehrssicherung deutlich entastet oder gekappt wurden, von Naturschützern als verstümmelt abgelehnt.

Die Alternative "Erhalt eines Altbaumes in drastisch geschnittener oder gekappter Form" ist aus Sicht des Naturschutzes eindeutig besser als die "komplette Eliminierung durch Fällung".

Naturgemässer Schnitt

Zurzeit wird in der modernen Baumpflege die "Erhaltung des naturgemäßen Habitus“ als bedeutsam eingestuft. Das visuelle Leitbild ist zumeist der Baum in seiner Optimalphase.

Wachstum und Alterung der Bäume durchlaufen aber verschiedene Phasen: Jungbaum, Wachstumsphase, Reifephase, "Optimalphase“ (unter anderem mit Totholz durch natürliche Astreinigung), Alterungsphase (zusätzlich erste Brüche der Kronenperipherie und/oder Rücksterben im Wipfel) und Zerfallsphase (Verlust der großen Kronenäste und des Wipfels oder sein Herabstürzen im Stück). Eine scharfe Abgrenzung dieser Lebensphasen ist weder möglich noch erforderlich. Die letzten Lebensphasen erleben die meisten Bäume oft nicht.

Der natürlichen Zerfallsphase ist durch verantwortungsvolle Schnittmaßnahmen zuvorzukommen, wenn es aufgrund eines verkehrsexponierten Standorts wegen der Verkehrssicherungspflicht erforderlich ist. So kann ein "naturgemäßer Schnitt“ unter Umständen auch das Kappen der gesamten Oberkrone bedeuten.

Schnittmaßnahmen aufgrund der Feststellung von "Baumschäden“ (beispielsweise bedingt durch Wurzelverluste, Ausbrüche und ausgedehnte Holzzersetzung) sollten eher in Anlehnung an Beobachtungen aus der Natur dimensioniert werden: Wie würde der Baum "natürlich“ reagieren? Bereiche von denen er sich voraussichtlich durch Bruch trennen würde, wären zur Sicherung präventiv zu schneiden. Dies kann auch prozessartig geschehen ("nach und nach“ durch mehrfachen Schnitt).

Kenntnisse der Lebensphasen von Bäumen und deren Besiedlungspotenzial, insbesondere in der "Altersphase“, sollten verstärkt zu den Kompetenzen der Baumpfleger und der Behördenvertreter gehören.

Im Anschluss an die Optimalphase würde der natürlich wachsende Baum seine Krone reduzieren, in der Regel beginnend mit den längsten Hebelarmen. Wenn es der Standort ermöglicht, bildet sich eine tiefer ansetzende Sekundärkrone. Wegen der dann günstigeren Versorgungsbeziehungen zwischen Wurzeln und Krone, der effizienten Verwendung von Reservestoffen und der verringerten Biegebelastungen bleiben viele intensiv besiedelbare Stämme und Starkäste mit Holzzersetzung oft noch Jahrzehnte (manchmal auch Jahrhunderte) erhalten.

Dieser in der Natur zu beobachtende natürliche Prozess ist weitgehend deckungsgleich mit den Erfordernissen der biomechanisch fundierten Baumpflege. Somit ist der biomechanisch fundierte auch ein ökologisch begründeter Baumschnitt.

Entsprechend können im Siedlungsbereich, durch Baumpflege mit angepasstem Vorgehen, senile Bäume durch geeignete, gegebenenfalls auch drastische Schnittmaßnahmen erhalten oder sogar revitalisiert werden. Erfolgen in geeigneten Intervallen Nachschnitte, können scheinbar verlorene Bäume noch Jahrzehnte als beeindruckende Baumgestalten erhalten werden.

Häufig wird angeführt, stark geschnittene Bäume würden kürzer leben. Eher das Gegenteil ist richtig, wie Beobachtungen in der Natur und in Parkanlagen belegen. Spektakuläre Beispiele sind Hutewaldreste in England (mit den vermutlich ältesten Eichen Europas) und die alten Bergahorne in den Alpen (viele hundert Ahorne, die zum Teil über 600 Jahre alt sind).

Auch in Deutschland gibt es Beispiele, wie lange reduzierte Bäume mit "Ersatzkronen“ leben und welch mannigfache Lebensräume sie aufweisen können.

Fazit

➜ Alte und/oder faule Bäume sind bedeutende Lebensräume in den ökologischen Kreisläufen, die oft von seltenen oder sogar geschützten Arten besiedelt werden.

➜ Eine rechtzeitige Verkleinerung der Baumkrone verlängert bei fachgerechter Pflege das Baumleben – wertvolle Baumbiotope können so (länger) erhalten bleiben oder sich optimal entwickeln.

➜ Alte Bäume verkleinern ihre Krone; die langen Hebel versagen in der Regel zuerst oder sterben wegen der ungünstigen langen Versorgungswege zuerst ab – an diesen "Naturprinzipien“ muss sich eine biomechanisch und ökologisch fundierte "naturgemäße Baumpflege“ ausrichten.

➜ Ist ein Höhlenbaum von geschützten Arten besiedelt, steht er in Deutschland unter besonderem Schutz (Bundesnaturschutzgesetz).