Mulmhöhlen – seltene Strukturen für seltene Arten

Baumhöhlen im Allgemeinen und Mulmhöhlen im Besonderen nehmen eine herausragende Funktion in Waldökosystemen ein. Ausgereifte Mulmhöhlen benötigen für ihre Entstehung viele Jahrzehnte. Mulmhöhlenbäume sind ein typisches Strukturmerkmal besonders alter und reifer Wälder. In unseren Buchenwäldern wurden solche Bäume auf Grund ihres äußerst seltenen Vorkommens zu wahren Schatztruhen. In Mulmhöhlen des Steigerwaldes wurden 184 Käferarten nachgewiesen, wobei jede dritte Art mindestens mit dem Eintrag "gefährdet" auf der Roten Liste steht.

Die überragende Bedeutung von Mulmhöhlen in Eichen für die biologische Vielfalt in Wäldern wurde von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), aber auch in anderen Arbeiten bereits mehrfach ausführlich dargestellt. Über Mulmhöhlen in Buchen liegen in Bayern dagegen bisher kaum Untersuchungen vor. Diese Lücke wurde nun anhand von 31 untersuchten Mulmhöhlen im nördlichen Steigerwald geschlossen. Die Käferfauna wurde durch Flugfensterfallen und Mulmsiebungen untersucht. Die Baumparameter wurden mit Hilfe von Messungen in und an den Höhlen erhoben (Abb. 1). Im Zeitraum von April bis Oktober 2004 ließen sich 184 xylobionte (= von bzw. in Holz lebende) Käferarten aus 49 Familien in diesen Baumhöhlen nachweisen. Davon besitzen 56 Arten, also über 30 %, den Rote-Liste-Status.

Entstehung von Mulmhöhlen

Mulmhöhlen entstehen im Laufe vieler Jahrzehnte über Verletzungen, die sich auf Grund von Zersetzungsvorgängen durch Insekten, Holzpilze und Bakterien allmählich zu Höhlen verwandeln.

  • Initialhöhle: Verletzungen am lebenden Stamm wie Astausrisse, absterbende Starkäste, Blitzrinnen, Schürfrinnen oder der Bruthöhlenbau des Schwarzspechtes bilden das Initialstadium von Bruthöhlen. Auch Bohrlöcher dienen als Eintrittspforten für diverse Holzpilze und andere Organismen.
  • Faulhöhle: In der Zersetzungsphase sind vor allem holzzersetzende Pilze und Bakterien für die Weiterentwicklung verantwortlich. Die Tätigkeit der Pilze und der im morschen Holz fressenden Insekten schafft Höhlungen, die sich durch Herausfallen von zerkleinertem Holzmaterial und Kotpartikeln systematisch vergrößern. Weitere Zersetzungsvorgänge führen bald zu einem Zusammenfließen vormals getrennter Kammern und somit zur Vergrößerung des Hohlraumvolumens bzw. zur Abnahme der Holzdichte. Holzbruchstücke am Boden der Höhle bilden den Mulm.
  • Finale Höhle: In der Humifizierungsphase wird der Mulmkörper weiter zersetzt. Farbe und Konsistenz verändern sich. Die finale Höhle besitzt dreidimensional zerklüftete Innenwände und einen ausgeprägten Mulmkörper. Der kaum gestörte Transpirationsstrom vom Wurzelraum in die Krone durchfeuchtet ständig die Innenwände.

Angesichts des fehlenden Kernholzes sind finale Höhlen in Buchen eher selten, da das leicht von Pilzen aufschließbare Reifholz sich sehr schnell zersetzt und der Baum häufig bereits vor der Bildung einer reifen Mulmhöhle zusammenbricht.

Fortschreitender Zerfall fördert Nischenvielfalt

Mit fortschreitender Höhlensukzession (= Abfolge der verschiedenen Höhlenphasen) steigt das Substratangebot (Abb. 2). Damit verbunden ist ein Anstieg der Anzahl xylobionter Käferarten. Gleiches gilt auch für die Gruppe der Hautflügler und Wanzen. Bemerkenswert ist ebenso, dass der Anteil der Rote-Liste-Arten in finalen reifen Baumhöhlen über das doppelte höher liegt als in den Initialhöhlen. Sonderbiologien, vor allem von Käferarten, die in Hautflüglernestern leben, sind in Buchenhöhlen wegen des geringeren Wärmeangebots generell seltener. In Eichen dagegen steigt ihr Vorkommen in reifen Höhlen.

Baumparameter als Steuergrößen

  • Mit steigendem Stammdurchmesser nimmt die Anzahl aller xylobionten und auch der gefährdeten Käferarten in den Höhlen zu. Das mächtigere Höhlenvolumen sichert eine langfristige Nahrungsversorgung.
  • Die Artenvielfalt der xylobionten Käfer in Höhlen der unteren Stammpartien bzw. in Baumhöhlen mit Kontakt zum Waldboden ist höher als in den oberen Baumhöhlen. Bodennahe Höhlen weisen auf Grund höherer Luftfeuchtigkeit in den unteren Bereichen ein feuchteres Milieu auf. Deshalb unterstützt stärkerer Pilzbefall die Holzzersetzung.
  • Die Vielfalt an xylobionten Käferarten nimmt mit steigendem Zersetzungsgrad des Mulmkörpers zunächst zu, sinkt dann aber im stark zersetzten Holzhumus wieder ab. Den größten Artenreichtum zeigten mäßig stark zersetzte Mulmkörper. Hier finden die Arten bereits aufgeschlossene und zerkleinerte Holzteile sowie Pilzsporen und -myzelien.

Die Exposition des Höhleneingangs und die Beschirmung des Höhlenbaumes waren ohne Einfluss auf die Artenzahlen, auch die der gefährdeten Arten.

Nur drei Mulmhöhlenbäume auf 1.000 Hektar

Im Gegensatz zu alten Buchenwäldern in Brandenburg oder Hessen wurden weder im Steigerwald noch an anderer Stelle in Bayern in Buchenwäldern die Mulmzielarten der FFH-Richtlinie, nämlich Eremit und Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer nachgewiesen. Es wird vermutet, dass die jahrhundertelange intensive Holznutzung der Buchenwälder die Habitattradition unterbrach, die Arten starben aus. Bezeichnenderweise lag die Zahl der Mulmhöhlenbäume im Arbeitsgebiet bei nur noch drei Mulmbäumen pro 1.000 Hektar Waldfläche. Damit gehören diese wertvollsten Biotopbäume zu den seltensten Strukturen in unseren Buchenwäldern.