Betrachtet man die Vielfalt an Gefäß­pflanzen (Farn- und Blüten­pflanzen) lokal auf Ebene von Naturwaldreservaten (NWR), wird deutlich, dass Dichte und Zusammensetzung der Kronenschicht sowie Störungen am Boden wichtige Einflussgrößen für die Artenvielfalt sind. Stellt man die Nutzung ein, kann dies die Artenzahl im Wald verringern. Dieser Vorgang konnte in einem Naturwaldreservat mit Hilfe von Dauerbeobachtungsflächen festgestellt werden.

  • Dauerversuchsfläche im Naturwaldreservat Warmbad bei Villach: Sukzession der Baumarten
  • Veränderungen nach Naturkatastrophen, Zum Beispiel nach einem Waldbrand im Naturwaldreservat Potokkessel
  • Naturwaldreservat Geißberg im Biosphärenpark Wienerwald: Veränderungen in der Vegetation

Vielleicht weil sehr naturnahe Wälder viele seltene Arten, insbesondere Xylobionte, beheimaten können, gelten solche Wälder gemeinhin als sehr artenreich. In der Folge wird Naturnähe gerne mit hoher Artenvielfalt gleichgesetzt und die beiden Begriffe "Naturnähe" und "Artenvielfalt" miteinander vermengt.

Ausgehend von den Beobachtungen in Naturwaldreservaten (NWR) kann gezeigt werden, dass Störungen mittelfristig die Artenzahlen erhöhen und die Naturnähe und die Gefäßpflanzenvielfalt sich sogar gegenläufig entwickeln können.

In Österreich sind etwa 3000 wildwachsende Gefäßpflanzenarten (Farn- und Blütenpflanzen) zu finden (Fischer & al. 2005), wovon – in Anlehnung an die Verhältnisse in Deutschland (Schmidt & al. 2011) – vermutlich weniger als die Hälfte auch regelmäßig im Wald vorkommen. Die größte Vielfalt findet sich in diesem Lebensraum in der Krautschicht, wo viele Arten im Schutz des Bodens oder der Schneedecke die ungünstige kalte Jahreszeit überstehen (Erhaltung der Biodiversität in der Kulturlandschaft und zusammenhängende Schutzgebiete).

Welche Vielfalt finden wir in Naturwaldreservaten?

Im Rahmen des Projektes "Biodiversitätsmonitoring für Bildungszwecke in NWR (BioMonNWR)" wurde im Naturwaldreservat Warmbad (Privateigentümer, 51 ha) bei Villach im Sommer 2014 ein Probeflächennetz für ein Vegetations­monitoring eingerichtet (Forschung in Naturwaldreservaten in der Schweiz).

Ausgehend von 50 Stichprobenpunkten wurden je ­4x1 m² große Dauerbeobachtungsflächen eingerichtet und dort der Deckungsgrad der Krautschicht und jener der einzelnen Gefäß­pflanzenarten notiert.

Für die Auswertung wurden vier Straten (n=Stichprobenzahl) gebildet:
  1. Süd­alpischer Fichten-Tannen-Buchenwald (Fi-Ta-BuW, n=20),
  2. Hopfenbuchen-Buchenwald (Hobu-BuW, n=13),
  3. Hopfenbuchen-Mannaeschenwald (Hobu-MaEsW, n=10, Abbildung 2) und
  4. fichtenreiche Bestandesteile der Buchenwaldgesellschaften (FiW, n=7).

Der Vergleich der Straten bringt zum Teil deutliche Unterschiede in Deckungsgrad und Artenzahl (Abbildung 2 und 3) ans Licht. Während der Fichten-Tannen-Buchen-Wald (Fi-Ta-Bu-Wald), der die wüchsigsten Standorte bestockt, über sehr geringe Krautschichtdeckungen und Artenzahlen verfügt, steigen diese Werte zum Hopfenbuchen-Buchen-Wald (Hobu-Bu-Wald) und weiter zum Hopfenbuchen-Mannaeschen-Wald (Hobu-MaEs-Wald) an. Auch die fichtenreichen Bestandesteile sind überdurchschnittlich reich an Bodenvegetation.

Als Ursache für die geringe Krautschicht im Fi-Ta-Bu-Wald kommt das dichte Kronendach der dominierenden Rotbuche in Betracht, das einerseits kaum Licht bis zum Boden vordringen lässt und andererseits jährlich für eine große Menge zudeckender Laubstreu sorgt.

Im Gegensatz dazu fällt das Kronendach der auf den trockenen Hangrücken wachsenden Hopfenbuchen und Mannaeschen vergleichsweise schütter aus. Die Laubstreu der zum Teil nur 10 m hohen Bäume ist zudem deutlich besser zersetzbar als jene der Rotbuche. Hin­zu kommt die Wechseltrockenheit des Bodens, die zu einer weiteren kleinstandörtlichen Differenzierung der Wuchsbedingungen beiträgt.

Der Hobu-Bu-Wald nimmt standortsökologisch eine Zwischenstellung unter den beiden vorher genannten Gesellschaften ein und fügt sich daher auch bezogen auf die Krautschicht mit mittleren Werten ein. Auch der Krautschichtreichtum der fichtenreichen Bestandesteile dürfte, verglichen mit dem Fi-Ta-Bu-Wald, auf einen geringeren Kronenschluss und weniger Streu zurückzuführen sein.

Wie verändert sich die Artenzahl über die Jahre?

Für Veränderungen in der Vegetation bedarf es nicht unbedingt langer Zeiträume. Im Falle von Naturkatastrophen geschieht dies mitunter innerhalb von Stunden oder Minuten. Vieler Jahrzehnte bedarf es hingegen, wenn sich die Vegetation wieder zu einem in Struktur und Artenzusammensetzung dem Ausgangsbestand ähnlichen Zustand hin entwickelt (20 Jahre Naturwaldreservatenetz in Österreich).

Im Naturwaldreservat Potokkessel (Privateigentümer, 76 ha) in den Karawanken konnte eine solche Sukzession über 15 Jahre hinweg mitbeobachtet werden. Ausgangspunkt für diese Entwicklung war ein im Frühjahr 1998 entstandener Waldbrand, bei dem die von Schwarz- und Rotföhre dominierten Wälder teils massiv geschädigt wurden.

Ein im Folge­jahr eingerichtetes Beobachtungsnetz mit bis zu 140 Flächen á 0,25 m² zeigt heute, dass vom Waldbrand beeinflusste Flächen im Laufe der Zeit deutlich an Arten zugenommen haben, während die Referenzflächen (ohne Brandeinfluss) gleich artenarm blieben. Der Grund dafür dürfte im großflächigen Absterben der bis zum Brand dominanten und offenbar sehr konkurrenzstarken Schneeheide (Erika) liegen. Erst dadurch war es einigen Pionierarten (einschließlich der Föhren) möglich, sich zu etablieren und zu verjüngen.

Von Naturkatastrophen ungestört ist das Naturwaldreservat Geißberg im Biosphärenpark Wienerwald (ÖBf AG, 29 ha). Das NWR wird von Zyklamen-­Buchenwald und mitteleuropäischem Traubeneichen-Hainbuchenwald dominiert. Infolge früherer Bewirtschaftung kommt die Schwarzföhre in beiden Gesellschaften häufig vor.

1998 wurde erstmals der Ist-Zustand der Vegetation mittels eines systematischen Stichprobennetzes dokumentiert. Für die Beobachtung der Krautschicht diente ein Netz von 216 Beobachtungsquadraten (BQ) á 1 m², die im Fünf-Jahresrhythmus aufgenommen wurden. Bis dato konnten vier Erhebungen durchgeführt werden (Artenzahlen siehe Abbildung 4). Dargestellt ist die Verteilung der BQ über die Artenzahlen, wobei ersichtlich ist, dass sich das Maximum der BQ in der Stufe 5 (1-5 Arten/m²) befindet.

Die periodischen Folgeerhebungen zeigen deutlich, dass eine Umschichtung der BQ hin zu artenärmeren Verhältnissen erfolgte. Entsprechend dieser Veränderung hat auch die mittlere Artenzahl pro m² von 10 auf 9, später auf 7 und in weiterer Folge auf 6 abgenommen. Ein analoger Rückgang war ebenso bei der Gesamtdeckung der Krautschicht zu beob­achten.

Als treibende Kraft dieser Dynamik sind Veränderungen in der Kronenschicht naheliegend. So waren Jungbestände, die sich zunehmend schließen, von diesem Rückgang stärker betroffen als Altbestände. In den Altbeständen wiederum hat sich in den letzten Jahrzehnten vielerorts eine zweite Bestandesschicht mit dominierender Rotbuche etabliert, die ebenso sukzessive zu einer Verdichtung des Kronendaches führt.

Die Beendigung forstlicher Intervention führte somit im Falle des NWR Geißberg zu einer Verringerung der Anzahl an Gefäßpflanzenarten. Wie lange dieser Trend anhält oder wie weit in Zukunft natürlich entstehende Bestandeslücken ausreichen werden, die Krautschicht wieder zu fördern, bleibt abzuwarten.

Wie aus der forstlichen Praxis hinlänglich bekannt, fördert Licht am Waldboden nicht nur die Baumartenverjüngung, sondern auch die artenreiche Krautschicht. Eine besonders vielfältige Vegetation stellt sich dabei nach Störungen ein, bei denen das Konkurrenzgleichgewicht der Gräser, Kräuter und Baumarten gestört und neu gemischt wird. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die konkurrenzstärksten Arten die Fläche wieder mehr oder weniger fest im Griff haben, schaffen es häufig konkurrenzschwache Arten, sich zu etablieren und fortzupflanzen.

Ohne hier auf die naturschutzfachliche Bedeutung der einzelnen Arten einzugehen, tragen Störungen damit lokal zur Erhöhung der Artenzahlen bei. Im Falle des NWR Geißberg wird anhand der Gefäßpflanzenvielfalt deutlich, dass "Naturnähe" und "Artenvielfalt" zwei unterschiedliche Konzepte darstellen.

Literatur

  • Fischer, M. A., Adler, W. & Oswald, K. 2005: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. 2.Aufl., Land Oberösterreich, Biologiezentrum der OÖ Landesmuseen, Linz, 1392 S.
  • Schmidt, M., Kriebitzsch, W-U. & Ewald, J. (Red) 2011: Waldartenlisten der Farn- und Blütenpflanzen, Moose und Flechten Deutschlands. Bundesamt f. Naturschutz, BfN-Skripten 299, 111 S.