Haben wir aufgrund des Klimawandels mit einer Zunahme von Insektenschäden im Wald zu rechnen? Auf die Beantwortung dieser Frage zielen die aktuellen Untersuchungen der Abteilung Waldschutz an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) im Rahmen des Projekts zur Abschätzung der Klimafolgen.

Die genauen Auswirkungen des Klimawandels auf die Schadorganismen im Wirkungsgefüge von Waldökosystemen sind bisher weitestgehend unbekannt. In der Literatur werden zumeist pauschale Aussagen getroffen, die von einer allgemeinen Förderung der Schadinsekten und -pilze durch die sich verändernden Witterungsbedingungen (Temperaturanstieg, Veränderung der Niederschlagsverteilung, extreme Witterungsereignisse) ausgehen und damit generell eine höhere Gefährdung der Waldbestände zugrunde legen (Feemers et al., 2003; Kromp-Kolb, 2003). Quantitative Untersuchungen auf Artniveau, die eine Beurteilung hinsichtlich der Wirkung auf die Waldökosysteme ermöglichen würden, fehlen dagegen bisher weitgehend. Die offensichtliche Vernachlässigung dieser Problematik im Rahmen der gegenwärtig diskutierten Modelle zur Gefährdung der Baumarten durch den Klimawandel stellt einen nicht zu unterschätzenden Mangel dieser Modelle dar. Prognosen zur zukünftigen Waldentwicklung und Artenverteilung bedürfen jedoch einer gründlichen Analyse aller Einflüsse und Wechselwirkungen, um der Komplexität dieser Ökosysteme gerecht zu werden. Auf der Grundlage bisheriger Erkenntnisse können diese daher nur sehr eingeschränkt getroffen werden.

Aktuelle Klimaprognosen

Aktuelle Prognosen zur Veränderung der regionalen Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse gehen im Wesentlichen für Deutschland im Flächenmittel von einer weiteren Temperaturerhöhung und einer Abnahme der Niederschlagsmengen in den Sommermonaten sowie einer Zunahme der Niederschlagsmengen im Winter aus. Weiterhin wird prognostiziert, dass die Häufigkeit von Extremereignissen wie Orkanen, Starkregen, Hagelschauern und Dürreperioden zunehmen wird (Spekat et al., 2007). Für das Ausmaß dieser Veränderungen existieren verschiedene Szenarien, die von optimistischen bis pessimistischen Annahmen ausgehen. Allerdings sind Prognosen der zukünftigen Klimaentwicklung, die sich bisher auf die Veränderung von Jahres- oder bestenfalls Jahreszeiten bezogenen Durchschnittswerten beschränken, nicht hinreichend genau, um aus ihnen Prognosen eines zukünftigen Risikos für Waldbestände durch Schadinsekten abzuleiten.

Witterung steuert die Populationsdynamik

Für die Insekten sind die Witterungsverläufe während ihrer artspezifischen Entwicklungsphasen von größter Bedeutung. Seit Anbeginn der geregelten Forstwirtschaft sind in ihren Auswirkungen verheerende Massenvermehrungen (Gradationen) z. B. des Buchdruckers (Ips typographus L.) dokumentiert (z.B. Wellenstein, 1954, Becker & Schröter, 2001). Diese standen immer in Verbindung mit vorangegangenen Sturmschäden oder traten in Zusammenhang mit Schneebruchereignissen oder Trockenperioden auf (s. Abb. 2).

Die Häufigkeit, mit der diese Witterungsereignisse eingetreten sind, haben den Schadholzanfall in der Vergangenheit wesentlich bestimmt und werden diesen auch in der Zukunft maßgeblich beeinflussen.

Sturmereignisse liefern das notwendige Brutmaterial und sind damit die Initialzündung für Massenvermehrungen des Buchdruckers (Schröter et al., 1998). Erhöhte Temperaturen und geringe Niederschläge in der Vegetationszeit schwächen die potenziellen Wirtsbäume und bewirken gleichzeitig bei den wechselwarmen Insekten eine Erhöhung der Aktivität. Dies kann zur Vorverlegung der Schwärmzeit und zur vorgezogenen Anlage der Brutsysteme führen. Gegebenenfalls verkürzt sich die Entwicklungszeit der einzelnen Stadien und auch der Aktivitätsradius der geschlechtsreifen Käfer kann sich erweitern. Die Generationenabfolge und die Ausbreitungsdynamik des Buchdruckers wird so über die Temperaturerhöhung in Abhängigkeit vom jeweiligen Reaktionsspektrum der Art verändert. Auch die zu erwartende Temperaturzunahme in den Wintermonaten kann erhebliche Auswirkungen auf die Vitalität der Käfer haben. Je nach Überwinterungsort, im Boden oder in den Brutsystemen, kann die Wintermortalität zu- oder abnehmen und so den Gradationsverlauf abschwächen oder verstärken, dabei sind insbesondere auch die Auswirkungen auf den jeweiligen Gegenspielerkomplex von besonderer Bedeutung (Feemers et al., 2003).

Komplexes Massenwechselgeschehen

Grundsätzlich kann der Verlauf der Massenwechsel bei den verschiedenen Insektenarten aber nicht allein auf den Witterungsverlauf zurückgeführt werden. Vielmehr gilt es, bei den Auswirkungen des Klimawandels auf die Insekten eine ökosystembezogene Analyse vorzunehmen. Der Massenwechsel der Forstinsekten, der unregelmäßig oder periodisch zu regionalen und überregionalen Kalamitäten führt, wird durch eine Vielzahl von Massenwechselfaktoren bestimmt (Schwerdtfeger, 1941). Dabei handelt es sich neben dem Witterungsverlauf in der jeweiligen Entwicklungsphase des Insekts, auch um das zur Verfügung stehende Nahrungs- bzw. Brutraumangebot und die Konkurrenzsituation mit anderen Arten mit gleichen oder ähnlichen Nahrungsspektren. Die Häufigkeit von Räubern und Parasitoiden als potenziellen Gegenspielern oder das Auftreten und die Virulenz von Krankheitserregern in der Insektenpopulation können wesentlichen Einfluss auf die Massenvermehrung nehmen. Zwischen diesen Faktoren, die in ihrer Bedeutung für den Massenwechsel unterschiedlich stark zu werten sind, gibt es zahlreiche Wechselwirkungen, so dass ein komplexes Wirkungsgefüge zugrunde gelegt werden muss (Schwerdtfeger, 1941). Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder Massenvermehrungen bestimmter Forstinsekten gegeben und ebenso wie man nicht jedes Sturmereignis auf den Klimawandel zurückführen kann, ist ein Zusammenhang zwischen den bereits zu beobachtenden Klimaveränderungen und den aktuell durch Insekten verursachten Waldschäden auf keinen Fall immer zwingend belegbar. Dies gilt z.B. für den Grauen Lärchenwickler (Zeiraphera diniana Gn.), der in den Alpen schon seit mehr als tausend Jahren regelmäßige Gradationen durchläuft, was anhand jahrringchronologischer Untersuchungen nachgewiesen werden konnte (Baltensweiler und Fischlin, 1988; Esper et al., 2007).

Reaktionen nach Witterungsextremen

Mit dem extrem trocken-warmen Sommer 2003 und der Dürreperiode im Frühsommer 2006 lagen Witterungsextreme vor, die exemplarisch für zukünftige Witterungsverläufe stehen könnten und von denen wärmeliebende Arten mit hohem Vermehrungspotenzial und der Fähigkeit zur raschen Generationenabfolge (plurivoltine Arten) besonders profitieren konnten (Schröter, 2004). Sie sind die potenziellen „Gewinner“ des Klimawandels. Differenzialdiagnostische Analysen des aktuellen Schadgeschehens nach 2003 ermöglichen die Entwicklung von Prognosemodellen zur zukünftigen Risikoabschätzung.

Grundsätzlich können Klimaveränderungen über die Vermehrungsrate einer Art direkte und / oder über die Wirkung auf die Physiologie der jeweiligen Wirtspflanzen indirekte Auswirkungen auf die Schadinsekten haben. Auch potenzielle Antagonisten profitieren möglicherweise von besseren Entwicklungsbedingungen, wodurch die Dynamik einer Gradation auch gebremst werden könnte. Bei den direkten Folgen kann zwischen Ausbreitungs- und Anpassungsprozessen (Migration und Adaption) unterschieden werden (Kromp-Kolb, 2003).

Migration

Einheimische Arten aber auch bisher gebietsfremde, invasive Arten können bei veränderten Klimabedingungen neue Lebensräume für sich erschließen bzw. konkurrenzfähiger werden. Durch diese Arealveränderungen kann sich die Gefährdungssituation in einer Region wesentlich verändern. Ein aktuelles Beispiel für eine Anpassung liefert der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea L.). Seit Mitte der 1990‘er Jahre wird diese wärmeliebende, auf Eiche spezialisierte, einheimische Schmetterlingsart zunehmend auffälliger und hat offensichtlich in folge der Witterungsverläufe ihr Verbreitungsgebiet erweitert. War die Art in der Vergangenheit auf einzelne disponierte Wärmeinseln beschränkt, so kommt sie jetzt im gesamten Eichenverbreitungsgebiet Baden-Württembergs vor (Bub et al., 2006; Delb & Veit; 2007). Es ist zu erwarten, dass auch Insektenarten aus dem Mittelmeerraum, wie z.B. der Pinienprozessionsspinner (Thaumetopoea pityocampa Denis & Schiff) über die Burgundische Pforte zukünftig auch in das Rheintal nach Baden-Württemberg einwandern werden (Forster, 2006). Die ursprünglich mediterran an Linde vorkommende Malvenwanze (Oxycarenus lavaterae Fabr.) hat diesen Schritt bereits erfolgreich vollzogen. Erste Massenvermehrungen sind aus der benachbarten Schweiz und auch aus dem Südwesten Baden-Württembergs bekannt (Forster, 2006). Anhand dieser Ausbreitungsdynamik lassen sich beispielsweise artspezifische Temperaturgrenzen ermitteln (Abb. 1 und 3).

Anpassung

Schadorganismen, speziell Insekten können sich in Bezug auf ihre Vitalität und Lebensdauer oder ihre Entwicklungsdauer und Vermehrungsleistung an sich verändernde Umweltbedingungen vergleichsweise schnell anpassen. Darüber hinaus kann sich auch das Verhalten einer Art in Bezug auf die Wirtspflanzenwahl verändern.

Temperaturbedingte Anpassungserscheinungen in Form von höheren Entwicklungsgeschwindigkeiten ließen sich aufgrund von Beobachtungen der letzten Jahre beim Waldmaikäfer (Melolontha hippocastani Fabr.) (Delb, 2004), verschiedenen rindenbrütenden Borkenkäferarten (Schröter et al., 2007) und auch beim Laubnutzholzborkenkäfer (Trypodendron domesticum L.) feststellen (Parini & Petercord, 2006). So kommen beim Waldmaikäfer verstärkt Individuen mit einer verkürzten dreijährigen Entwicklungsdauer vor, die zunehmend zur Ausbildung von Nebenflugstämmen führen. Wo im Rahmen der Prognosegrabungen früher an einem Standort nur Engerlinge desselben Entwicklungsalters zu finden waren, treten seit Mitte der 1990 er Jahre Engerlinge mehrerer oder gar aller Entwicklungsstadien nebeneinander auf (Mattes & Delb; 2002).

Die rindenbrütenden Borkenkäfer nutzen längere und wärmere Vegetationszeiten zur Vollendung mehrerer Generationen im Jahr. Insbesondere der Buchdrucker zeigte in Baden-Württemberg 2003 bis 2006 eine ausgeprägte Massenvermehrung, die ihren Ursprung in guten Entwicklungsbedingungen für die zweite Generation im Spätsommer 2003 hatte (Schröter et al., 2007).

Auch der Laubnutzholzborkenkäfer, als holzbrütende Art, die bisher als sekundär eingestuft wurde, ist offensichtlich in der Lage unter zunehmend günstigeren Bedingungen eine zweite Generation zu bilden und stehende Bäume zu befallen (Parini & Petercord, 2006). Dieser Stehendbefall führt in aller Regel zu einer massiven Holzentwertung, selbst wenn der betreffende Baum den Befall ohne äußerlich erkennbare Spuren überwallen kann (Abb. 4).

Der zunehmend erfolgreiche Befall der Douglasie durch den auf die Fichte spezialisierten Kupferstecher (Pityogenes chalcographus L.) und den Lärchenborkenkäfer (Ips cembrae Heer.) stellt dagegen eine direkte Anpassung einheimischer Arten auf eine ursprünglich fremdländische Wirtspflanze dar (Schröter, 2004). Möglicherweise ist aber auch diese Anpassung auf die klimatischen Veränderungen zurückzuführen, da sie erst in den letzten Jahren zunehmend beobachtet wird, die Douglasie aber bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkt in unsere Wälder eingebracht wurde.

Schwächung der Wirtspflanze

Lang anhaltende sommerliche Dürrephasen mit sehr hohen Temperaturen und die damit einhergehende physiologische Schwächung von Bäumen hat die indirekte Förderung von Forstschädlingen zur Folge. Dies kann aktuell bei verschiedenen Prachtkäferarten beobachtet werden (Delb, 2005). So hat sich der Eichenprachtkäfer seit Mitte der 1990er Jahre in Baden-Württemberg zu einem Dauerschädling entwickelt, der im Ursachenbündel der Eichenkomplexkrankheit eine entscheidende Rolle spielt (Delb, 2002). Der Buchenprachtkäfer (Abb. 5 und 6) durchläuft dagegen erst seit dem Extremsommer 2003 eine an vielen Orten im Land wahrnehmbare Gradation, bei der noch nicht abzusehen ist, ob auch diese Prachtkäferart sich zum Dauerschädling bei der Buche entwickeln und zunehmende Verluste verursachen wird (Petercord et al. 2007).

Ausblick

Inwieweit der bereits eingetretene und der noch zu erwartende Klimawandel sich in den nächsten Jahrzehnten auf die Forstinsekten auswirken wird, ist schwer abzuschätzen, ebenso das damit verbundene Risiko für die Waldwirtschaft.

Es lassen sich aber bereits heute eine Reihe von Beispielen finden, die auf eine veränderte, sich verschärfende Gefährdungssituation durch Schaderreger in Folge des Klimawandels hinweisen. Womöglich werden auch früher bedeutsame Schädlinge aufgrund ihrer schlechteren Anpassungsfähigkeit oder des veränderten Gegenspielerkomplexes zukünftig zu „Klima-Verlierern“ deren wirtschaftliche Bedeutung immer mehr vernachlässigt werden kann. Letztlich muss festgestellt werden, dass die ökosystemaren Zusammenhänge zwischen Wirtspflanzen und Schadorganismen sowie ihre Beeinflussung durch die Klimabedingungen noch bei weitem nicht ausreichend geklärt sind, um fundierte mittel- oder gar langfristige Prognosen einer zukünftigen Entwicklung oder eines Gefährdungspotenzials herleiten zu können. Diese Fragestellungen eröffnen ein weites und bedeutendes Untersuchungsgebiet für die angewandte Waldschutz-Forschung. Die Fortführung bisheriger Beobachtungen unterschiedlichster Arten und Schädlingspopulationen sowie die Dokumentation der Schadauswirkungen bilden die Grundlage für zukünftige Strategien zur Einschätzung, Vorbeugung und Eindämmung der Risikopotenziale. In diesem Zusammenhang kommt neben den vorhandenen langjährigen Zeitreihen der Entwicklung von Schädlingspopulationen und der genaueren differenzialdiagnostischen Analyse der Schadensentwicklung bei den Hauptbaumarten nach dem extrem trocken-warmen Sommer 2003 und der sommerlichen Dürreperiode 2006 besondere Bedeutung zu.