Naturgefahren-Prozesse treten im Alpenraum vergleichsweise häufig auf. Der hohe Schutzwaldanteil ist daher nicht erstaunlich:

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) geht derzeit davon aus, dass zirka 40–60% des Schweizer Waldes eine Schutzfunktion gegen Naturgefahren haben. In den Bayerischen Alpen gelten gemäss Waldgesetz ungefähr 60% des Waldes als Schutzwald. In Österreich sind etwa 31% der gesamten Waldfläche mit einer Schutzfunktion belegt. Der Anteil an Schutzwald im alpinen Raum liegt deutlich höher, beispielsweise in Tirol bei mehr als 66%. In der Autonomen Region des Aostatals in Italien haben ungefähr 80% der Wälder eine Schutzfunktion.

Trotz Unterschieden in der Methodik der Datenerhebung zeigen diese Zahlen die Bedeutung der Schutzwälder im Alpenraum deutlich auf. In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung noch zugenommen, weil zum Beispiel Gebiete, die früher im Winter gemieden wurden, heute ganzjährig besiedelt und für Touristen zugänglich sind.

Schutzwälder und ihre Wirkung gegen Naturgefahren

Die Hauptfunktion eines Schutzwaldes ist der Schutz von Menschen, Gütern und Infrastrukturen vor Naturgefahren. Ein Schutzwald bedingt das Vorhandensein

  1. eines Gefahrenpotenzials (z.B. eine instabile Felswand),
  2. eines Schadenpotenzials (z.B. eine Siedlung oder ein Verkehrsweg) und
  3. eines Waldes, welcher eine Schutzwirkung gegen die Naturgefahr entfalten kann.

Schutzwälder lassen sich in zwei Typen unterteilen: Wälder, die eine direkte Schutzwirkung bieten und solche mit indirekter Schutzwirkung.

Eine direkte Schutzwirkung ist dann gegeben, wenn die Wirkung von der Anwesenheit eines Waldes an einem bestimmten Ort, in der Regel oberhalb des Schadenpotenzials, abhängt. Ein typisches Beispiel hierfür ist ein Lawinenschutzwald oberhalb einer Siedlung (Abb. 1). Beispiele für Wälder mit indirekter Schutzwirkung finden sich hingegen häufig in Einzugsgebieten von Wasserläufen, wo sie zur Reduktion von Erosionsprozessen oder Überflutungen beitragen können.

Wälder können - je nach lokalem Naturgefahrenprozess - gegenüber Lawinen, Steinschlag, flachgründigen Rutschungen, Murgang, Erosionsprozessen oder Überflutung eine Schutzwirkung entfalten. Schutzwälder vermögen diese Prozesse in den wenigsten Fällen ganz zu verhindern, sie können sie aber zumindest mehr oder weniger stark vermindern.

Wälder sind im Allgemeinen ein sehr wirksames Mittel im Rahmen des integralen Risikomanagements. Sie können auf grosser Fläche gleichzeitig Schutz gegen verschiedene Naturgefahren bieten. Daher haben Schutzwälder einen klaren Vorteil gegenüber technischen Massnahmen, welche oft nur gegen einzelne Naturgefahren wirksam sind. Darüber hinaus ist die Schutzwaldpflege fünf bis zehn Mal kostengünstiger als technische Massnahmen.

Abgrenzung und Ausscheidung

Bislang gibt es im Alpenraum keine einheitliche Methodik, um Schutzwälder abzugrenzen und auszuscheiden. Eine solche fehlt häufig auch noch auf nationaler Ebene. In der Schweiz findet beispielsweise derzeit eine Harmonisierung der kantonalen Schutzwaldausscheidungen statt.

Basis dazu bildete das Projekt "SilvaProtect-CH". Damit war es möglich, über die ganze Schweiz die bedeutsamen Naturgefahrenprozesse mit Hilfe von dynamischen Modellen zu erheben und die resultierenden Gefahrenprozessräume mit dem Waldperimeter und dem relevanten Schadenpotenzial in einem geographischen Informationssystem (GIS) zu verschneiden (Abb. 3).

Die Resultate dieses Verschnitts, die "schadenrelevanten Prozessflächen im Wald", vergleicht man anschliessend mit den aktuellen kantonalen Schutzwaldperimetern. Sie dienen als Basis für die Vereinheitlichung der Kriterien zur Schutzwaldausscheidung.

Schutzwaldpflege

Um die Schutzwirkung der Wälder langfristig und nachhaltig sicherzustellen, müssen Schutzwälder regelmässig gepflegt werden. Die Massnahmen zielen oft darauf ab, ein kleinräumiges Mosaik von Waldstrukturen in verschiedenen Entwicklungsstufen zu generieren. Dazu wird der häufig homogene und dichte Bestand mittels schlitzförmiger Öffnungen in kleinere Einheiten unterteilt (Abb. 4).

Sobald sich die Verjüngung in diesen Schlitzen etabliert hat, setzt der Förster den Mosaikbildungsprozess durch die Anlage weiterer Schlitze fort. Dieses Vorgehen sollte man über den gesamten Entwicklungszyklus eines Bestandes weiterführen, damit schliesslich phasenverschobene Mosaikstrukturen entstehen.

Schutzwaldmanagement

Viele Alpenländer haben ihr Schutzwaldmanagement in den letzten Jahrzehnten optimiert, indem spezielle Richtlinien zur Schutzwaldpflege ausgearbeitet wurden. So existieren in Bayern waldbauliche Richtlinien für die Staatswälder im Hochgebirge bereits seit 1982. Darüber hinaus gibt es ein Handbuch zur Schutzwaldsanierung.

In Tirol entsteht derzeit im Rahmen des INTERREG IIII B-Projektes "Naturpotenziale alpiner Berggebiete (NAB)" eine flächige Waldtypenkarte mit Beschreibung und ein Waldbauhandbuch.

Italien belegte die wichtigen Schutzwälder während langer Zeit mit einem Bann, d.h. die meisten Massnahmen in Schutzwäldern wie Holzeinschläge waren untersagt. In letzter Zeit wird aber auch hier vermehrt aktiv in den Schutzwald eingegriffen. Fortbildungsmassnahmen sollen dafür ein Bewusstsein schaffen. So besteht beispielsweise in den Regionen Piemont und Aostatal ein Kursangebot für Waldfachleute zu minimalen Pflegemassnahmen in Schutzwäldern.

In Frankreich wurde letztes Jahr eine sehr detaillierte Richtlinie als Basis für die Schutzwaldpflege unter dem Titel "Guide des sylvicultures de montagne" veröffentlicht. Ähnlich wie die italienische basiert auch die französische Richtlinie teilweise auf der im Jahr 2005 in der Schweiz erschienenen Wegleitung "Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald (NaiS)".

Obwohl die momentan erhältlichen Richtlinien auf dem besten verfügbaren Wissen beruhen und konzeptionell ausgereift sind, gibt es einige Verbesserungsmöglichkeiten. So bestehen heute noch immer Wissenslücken, was die Auswirkungen der natürlichen oder anthropogen beeinflussten Waldentwicklung auf die Bestandesstruktur anbelangt - respektive auf die Schutzwirkung dieser Strukturen gegen verschiedene Naturgefahren. Darüber hinaus fehlt es bislang an ganzheitlichem Wissen zum Schutzwaldsystem.

Schutzwaldmonitoring

Für ein effizientes und erfolgreiches Schutzwaldmanagement sind verlässliche und aktuelle Informationen über den Zustand und die Entwicklung der Schutzwälder unerlässlich. Solche Informationen gewinnt man mit Hilfe von Inventuren und anderen Monitoringsystemen.

Bislang gibt es allerdings kein allgemein gültiges Monitoringsystem im Alpenraum, das explizit auf Schutzwälder zugeschnitten ist. Das Monitoring in Schutzwäldern wird jedoch durch verschiedene nationale und regionale Inventuren und verschiedene Monitoringsysteme abgedeckt. Sie liefern Informationen zum Zustand dieser Wälder und dienen beispielsweise zur Priorisierung von Pflegemassnahmen.

Ausblick

Schutzwälder sind komplexe Systeme. In ihnen treffen langsam wirkende, aufbauende Einflüsse wie die Verjüngung oder das Baumwachstum auf oftmals heftig und schnell wirkende Kräfte wie Lawinen oder Stürme, und dies über lange Zeiträume. Daher sind Schutzwälder schwierig zu untersuchen.

Um diese Schwierigkeiten zu meistern, wenden Wissenschafter in neuester Zeit vermehrt Simulationsmodelle an. Die technischen Fortschritte eröffnen auch die Möglichkeit, terrestrische Inventuren mit hoch aufgelösten Fernerkundungsdaten zu verknüpfen (z.B. Laser-Scanning LIDAR, Orthofotos und Satellitenbilder).